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Reisen für muslimische Kunden: Das Geschäft mit dem „Halal-Tourismus“ boomt

Der Richtungspfeil, verborgen in einer Nachttisch-Schublade, weist von Düsseldorf aus nach Mekka. Meldet sich muslimischer Besuch an der Rezeption, bringt der Hotelboy gleich auch noch Koran und Gebetsteppich auf die Suite. Im Breidenbacher Hof, einem Nobelhotel an der Prachtmeile Königsallee, gehört dies zum Standard – wie vieles mehr.

Direktor Cyrus Heydarian lässt dann regelmäßig den Alkohol aus der Minibar räumen und setzt Mannsaf, eine nach islamischen Speiseregeln zubereitete Lammschulter, oder gekochtes Halal-Huhn mit Gemüse und Reis, sogenanntes Maklube, auf die Speisekarte. Die Zutaten besorgt er sich, wie man unter Gastronomen tuschelt, über einen Zwischenhändler zum Teil aus Amsterdam.

Heydarians Aufwand um die Wünsche strenggläubiger Muslime dürfte in Deutschland bald tausendfach kopiert werden. „Was bislang nur an wenigen deutschen Orten wie Düsseldorf, Bad Godesberg oder München zu beobachten ist und einer kleinen Schar betuchter Gäste zugutekommt“, glaubt Martin Buck, Direktor der weltgrößten Reisemesse ITB, „könnte demnächst zum üblichen Massentourismus dazugehören.“

Jeder zehnte Urlauber ist Muslim

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Bis 2020, erwartet eine von der Berliner Messe initiierte Studie, wird sich die Zahl muslimischer Reisender gegenüber dem Jahr 2000 auf jährlich 158 Millionen versechsfachen. Schon ab dem kommenden Jahr dürfte ihr Anteil am weltweiten Touristikmarkt die Quote von zehn Prozent überschreiten, errechneten die beauftragten Marktforscher von Crescent-Rating.

Spannungsfrei verläuft der Vormarsch islamischer Sitten in die gängigen Holiday-Gefilde nicht. Im Mai 2017 verhaftete die Polizei im französischen Badeort Cannes zehn Urlauberinnen, weil sie den Strand im Burkini, einem Ganzkörper-Badeanzug, betreten hatten.

In der korsischen Gemeinde Siscio gingen nordafrikanische Muslime mit Harpunen und Macheten auf Touristen los. Diese hatten beim Fotografieren am Meer weibliche Angehörige ihres Clans abgelichtet. Auch das Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen im türkischen Antalya sorgte 2017 für erhebliche Aufregung unter westlichen Urlaubern – offenbar in Unkenntnis, dass es ähnliche Verbote in Ländern wie den USA längst gibt.

„Für die Touristikindustrie ist dies eine echte Herausforderung“, glaubt ITB-Experte Buck. Doch entziehen wird sie sich den Extrawünschen kaum. 274 Milliarden US-Dollar, erwartet eine Studie von Thomson Reuters und Dinar-Standard, könnte das islamisch geprägte Reisen in vier Jahren weltweit an Umsatz einfahren – nach 177 Milliarden Dollar 2017. Zum Vergleich: Urlaubsweltmeister Deutschland gab zuletzt für Auslandsreisen gerade einmal 112 Milliarden Dollar aus.

„Halal Travel“ nennen Experten das derzeit weltweit am schnellsten wachsende Reisesegment. Ein Etikett, das es in Wirklichkeit nicht vollständig trifft. „Halal“ übersetzt sich zwar mit dem deutschen Begriff „ordnungsgemäß“, bezeichnet aber im Koran lediglich die Zubereitung von Speisen.

Verschiedene Urlaubsgewohnheiten

Doch mit rituellen Schlachtregeln und dem Verzicht auf Schweinefleisch ist es nicht getan, um die religiösen Wünsche muslimischer Urlauber zu erfüllen. „Auch das Gebet ist ein zentraler Punkt der Reisenden“, fand Crescent-Marktforscher Fazal Bahardeen heraus. „63 Prozent aller Muslime weltweit befolgen die Regel, dieser Forderung fünfmal täglich nachzukommen.“ Gebetsräume und Einrichtungen für die Fußwäsche gehörten daher zur Grundausstattung des „Halal Travel“.

Vollständig ist die Liste damit noch lange nicht. Auch getrennte Bade- oder Wellness-Einrichtungen für Frauen und Männer verlangen viele Muslime, ebenso den Verzicht auf Alkohol etwa in der Minibar oder spezielle Speisezeiten während der Fastenperiode Ramadan.

Waren es in den vergangenen Jahren meist Reisende aus den reichen Ölstaaten, für die Urlaubsmanager Koran-konforme Flüge und Unterkünfte auszukundschaften hatten, wandelt sich der Markt erheblich. In den bevölkerungsreichen Ländern Südostasiens, allen voran Indonesien und Malaysia, entwickelt sich eine zahlungskräftige Mittelschicht. Hier wohnen 60 Prozent aller Mohammedaner, während der arabische Raum nur 20 Prozent zur muslimischen Weltbevölkerung beiträgt.

Ihre Urlaubsgewohnheiten unterscheiden sich zum Teil erheblich von denen westeuropäischer Touristen. Während etwa deutsche Urlauber in der Mehrzahl (46 Prozent) den Strand ansteuern, ist die Begeisterung muslimischer Reisender dafür nur halb so groß. Mehr als ein Drittel von ihnen zieht es dagegen in die Städte, die bei Westeuropäern nur für 22 Prozent als Urlaubsziel dienen.

Auch in den Metropolen selbst unterscheidet sich das Reiseverhalten. „Sightseeing – bei anderen Reisenden auf Rang eins – oder der Besuch von Museen oder gutes Essen sind für diese Gruppe weniger wichtig“, schreiben die Marktforscher von IPK International. Der Fokus von Halal-Touristen liege stattdessen „verstärkt auf Natur und Shopping“.

Experten wie ITB-Direktor Buck sehen als Grund weniger religiöse Einstellungen als vielmehr das jugendliche Alter vieler Halal-Reisender. Die hohen Geburtenraten vor allem in Asien tragen dazu bei, dass Muslime mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren (Median) weltweit die jüngsten Vertreter einer Weltreligion sind. „Fototrophäen sind bei dieser Zielgruppe sehr gefragt“, berichtet Buck, „Museumsbesuche weniger.“

Auch andere Wünsche, die sich aus dem niedrigen Durchschnittsalter islamischer Reisender ergeben, sind durchaus diesseitig. Wer im Geschäft mit „Halal Travel“ erfolgreich sein will, fand Crescent-Rating heraus, kommt ohne Online-Buchungsplattformen und touristische Smartphone-Apps nicht aus.

Online-Anbieter starten durch

Marktführer ist nach eigenem Bekunden die Web-Plattform „Halalbooking.com“, die vor fünf Jahren von London aus an den Start ging und gegen Wettbewerber wie „Halaltrip.com“ oder „Tripfez“ antritt. 1 150 Hotels, Ski-Resorts und Privatvillen hat der Internetvermittler in 45 Ländern zur Auswahl. Sie alle versprechen Urlaubern eine Islam-konforme Unterkunft.

„Hoteliers in London, Paris, Barcelona oder Granada zeigen sich zunehmend an muslimischen Gästen interessiert und gehen in Teilbereichen ihrer Häuser auf die Wünsche ein“, berichtet Mitbegründer Ufuk Secgin in London. „Im spanischen Marbella wurden Herbergen sogar komplett auf „halal“ umgestellt“, berichtet er. Insbesondere das Urlaubsland Marokko, wo sich die Resorts früher auf den europäischen Markt ausrichteten, rüste sich seit Kurzem verstärkt für den Halal-Tourismus.

Die Nachfrage wächst nach Secgins Aussage sprunghaft. 2018 zählte Halalbooking.com 300.000 Kunden aus 84 Ländern, auch dank der Auftritte in englischer, deutscher, arabischer, russischer und türkischer Sprache. Das Überraschende: Die größte Gruppe der Halal-Anfragen, immerhin 24 Prozent, kam aus Deutschland.

Dass der Islam, zumindest was das Reisegeschäft betrifft, längst unzweifelhaft zur Bundesrepublik gehört, bestätigen auch andere Statistiken. Mit Tourismusausgaben von rund fünf Milliarden US-Dollar bewertet Crescent-Rating den deutschen Quellmarkt für Halal-Reisen als den zehntgrößten der Welt – unmittelbar hinter der Türkei.

Unter den nicht-islamischen Staaten steht die Bundesrepublik damit sogar an zweiter Stelle, übertroffen nur von Russland. 3,5 Millionen Auslandsreisen, schätzt Crescent-Chef Bahardeen, gehen jährlich auf das Konto von in Deutschland lebenden Muslimen.

Gleichzeitig steht die Bundesrepublik unter islamischen Auslandsreisenden auf der Liste der Wunschziele nahezu ganz oben, wie IPK ermittelte. Lediglich die Vereinigten Arabischen Emirate schnitten bei der Umfrage besser ab.

Noch aber liegt eine tiefe Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Wegen der Wallfahrten nach Medina und Mekka („Hadsch“) hält Saudi-Arabien mit jährlich 16 Millionen Besuchern den Spitzenplatz, gefolgt von der Türkei mit acht Millionen islamischen Gästen pro Jahr. Malaysia und die Emirate kamen zuletzt jeweils auf 5,5 Millionen.

Andere Destinationen investieren mehr

Deutschland dagegen rangiert weit hinter diesen Werten. So zählte das Statistische Bundesamt 2017 gerade einmal 0,7 Millionen Ankünfte aus den arabischen Golfstaaten, die als größte Gruppe für ein Drittel der weltweiten Halal-Reiseausgaben in Deutschland stehen. Aus der Türkei kamen weitere 0,3 Millionen Reisende.

Auf den Ansturm muslimischer Reisender scheint die Bundesrepublik ohnehin mäßig vorbereitet. Die auf „Halal Travel“ spezialisierte Forschungsfirma Crescent-Rating, die international die Serviceleistungen für Urlauber aus islamischen Ländern verglich, bewertete Deutschland mit Rang 35. Selbst unter den nicht-islamischen Ländern lag die Bundesrepublik abgeschlagen auf Platz acht, weit hinter Singapur, Großbritannien oder Japan.

Das Sehnsuchtsland vieler Muslime scheint den Anschluss zu verpassen. Denn in anderen Ländern investiert die Konkurrenz längst kräftig in das boomende Urlaubssegment. Allen voran in der Türkei, die sich mit 28 als halal ausgewiesenen Beach-Resorts, darunter die prominenten Destinationen Adenya Beach Resort und Wome Deluxe, in die Spitzenposition gebracht hat.

Die Nachfrage nach halal geführten Urlaubseinrichtungen scheint damit lange nicht befriedigt. So untersuchte der „State of the Islamic Economy Report 2018/19“ die Zufriedenheit islamischer Reisender in Amerika und Europa – und zwar anhand von Meinungsäußerungen auf Facebook.

Das Ergebnis scheint alarmierend: 67 Prozent der Postings rund um das Themengebiet „Moslem“ fielen negativ aus. Im Zusammenhang mit Begriffen wie „Flugbegleiter“, „American Airlines“ und „Delta Airlines“ waren es sogar fast 100 Prozent.

Darauf reagieren nicht nur Fluggesellschaften wie Qatar Airways, die damit werben, ihre Bordverpflegung ausschließlich halal zu servieren. Zahlreiche Hotelketten nutzen den gefühlten Mangel außerdem zur Expansion. Von Dubai aus hat sich die Hotelkette Shaza, eine Beteiligung von Kempinski, seit ihrer Gründung 2010 auf sieben Hotels im Nahen Osten vergrößert, 20 sollen es werden. Hinzu kommen Anlagen wie das Porto Maina in Ägypten, Lagoon in Jordanien oder das Regency in Kuwait.

Warteliste gegen Over-Tourismus

Das Allerheiligste beim „Halal Travel“ aber wird den Reiseunternehmen weiterhin verschlossen bleiben. Die Pilgerfahrten – neben dem Hadsch gehört dazu die bescheidenere Umrah nach Mekka, Medina oder Jerusalem – stehen zwar für ein Zehntel aller islamischen Reisen, während allein Saudi-Arabien vergangenes Jahr 19,2 Milliarden US-Dollar daran verdiente. „Diese Wallfahrten aber haben nichts mit Tourismus zu tun“, stellt Ayse Aydin, Sprecherin der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), klar.

Auch als Wachstumssegment fallen die frommen Pilgerfahrten aus – und das nicht nur, weil sie laut Ditib allein über islamische Einrichtungen gebucht werden können. Anders als viele westliche Top-Destinationen gehen die Saudis rabiat gegen drohenden Over-Tourismus vor: Wer den Hadsch antreten will, entschieden die Organisatoren, muss bis zu zehn Jahre auf die Warteliste.