Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.068,21
    +66,19 (+0,37%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.880,42
    +41,28 (+0,85%)
     
  • Dow Jones 30

    38.689,79
    +100,63 (+0,26%)
     
  • Gold

    2.329,80
    -19,30 (-0,82%)
     
  • EUR/USD

    1,0727
    +0,0018 (+0,17%)
     
  • Bitcoin EUR

    61.458,69
    -605,14 (-0,98%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.378,35
    -9,81 (-0,71%)
     
  • Öl (Brent)

    79,77
    +1,32 (+1,68%)
     
  • MDAX

    25.483,51
    -235,92 (-0,92%)
     
  • TecDAX

    3.322,72
    -30,54 (-0,91%)
     
  • SDAX

    14.472,36
    +105,30 (+0,73%)
     
  • Nikkei 225

    38.102,44
    -712,12 (-1,83%)
     
  • FTSE 100

    8.142,15
    -4,71 (-0,06%)
     
  • CAC 40

    7.571,57
    +68,30 (+0,91%)
     
  • Nasdaq Compositive

    17.802,40
    +113,51 (+0,64%)
     

Die Bauern ziehen vor das Tor und wollen die Ampel abschalten

(Bloomberg) -- Am Montag um 5 Uhr morgens wird Cynthia Frey in ihren 300-PS-Traktor steigen und durch die Dunkelheit ins Zentrum von Berlin fahren. Dort wird sie gemeinsam mit Hunderten von anderen Landwirten am Brandenburger Tor den Rücktritt von Bundeskanzler Olaf Scholz fordern.

Weitere Artikel von Bloomberg auf Deutsch:

“Ohne uns wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern” steht auf einem Plakat, das die 26-jährige alleinerziehende Mutter für die Demonstration vorbereitet hat.

WERBUNG

Eine Woche lang blockierten sie Autobahnen im ganzen Land. Doch statt Unmut auf sich zu ziehen, finden die deutschen Bauern für ihren Protest bundesweit Unterstützung — quer durch Branchen und Bevölkerungsgruppen. Was als Widerstand gegen drohende Subventionskürzungen in der Landwirtschaft begann, wurde schnell zum Ventil für die Wut auf die Ampelkoalition, die unbeliebteste Regierung seit der Wende.

“Die geplanten Subventionskürzungen beim Agrardiesel haben das Fass zum Überlaufen gebracht”, sagte Frey am Donnerstag bei einer Protestveranstaltung in Meseberg. Sie stand vor einem riesigen Fendt 930 Traktor, dessen Motor sie laufen ließ.

Die Proteste sind die bisher lauteste Manifestation eines Kulturkampfes, der in Ländern wie den USA alte Allianzen erschüttert und nun auch Deutschland erfasst hat.

Am selben Tag, an dem Frey die 70 km nach Berlin fährt, werden im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt 2023 veröffentlicht, die wahrscheinlich zeigen werden, dass das Jahr in einer Rezession endete. Dabei ist es den Landwirten, die an der Spitze der Proteste stehen, im Vergleich zur Gesamtwirtschaft jüngst selten so gut gegangen.

Die Gewinne je landwirtschaftlichen Betrieb sind laut Bauernbund im Wirtschaftsjahr 2022/23 dank der Lebensmittelinflation um 45% auf 115.400 Euro gestiegen — ein Rekordergebnis. Im laufenden Wirtschaftsjahr wird dieses Allzeithoch zwar wohl nicht mehr erreicht werden, doch werden erneut überdurchschnittliche Ergebnisse erwartet, so die Bauernlobby. Die Subvention für den Agrardiesel, von dem Schlepper wie der von Frey 14 Liter pro Stunde verbrauchen liegt laut Daten des Finanzministeriums im Schnitt pro Betrieb bei weniger als 3.000 Euro pro Jahr. Alleine ums Geld geht es den Bauern nicht.

Im In- und Ausland lange als Anker der Stabilität in Europa wahrgenommen, hat sich seit der Wahl von Scholz im Jahr 2021 die Erkenntnis durchgesetzt, dass Deutschland ein zunehmend geteiltes Land ist. Die Regierung verstrickt sich in Streitigkeiten über Wirtschaft und Finanzen, während die politischen Extreme zunehmen.

Vor wenigen Tagen sorgte ein Bericht des Rechercheportals Correctiv über ein Treffen von AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmern für Aufregung, auf dem Strategien wie die Deportation von Nichtdeutschen und nicht ausreichend assimilierten Deutschen diskutiert wurde. Einen Tag später landete die Rechtsaußen-Partei in einer YouGov-Umfrage bei 24%, nur fünf Punkte hinter den Unionsparteien. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums versucht Sahra Wagenknecht, die politische Statik des Landes zu erschüttern.

Doch nicht nur an den Rändern der Gesellschaft wird die Regierung als realitätsfremd wahrgenommen. Die Bundesregierung hat “deutliche Kürzungen im Agrarbereich beschlossen. Es gab aber vorab keinen Versuch, mit den Landwirten darüber zu reden”, sagte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). “Sie fühlen sich in dem Eindruck bestätigt, dass in Fragen, die für sie von größter Bedeutung sind, kein Austausch stattfindet. Der Frust sitzt also viel tiefer.”

Als Scholz am Donnerstag ein Eisenbahnwerk in Cottbus besuchte, wurde er von protestierenden Landwirten und Hunderten von Traktoren mit einem Hupkonzert begrüßt. Doch er zeigte sich von den Protesten wie gewohnt unbeeindruckt und lobte stattdessen den Erfolg der deutschen ICE-Hochgeschwindigkeitszüge.

Dass sich auch die Lokführer in Deutschland in einem dreitägigen bundesweiten Streik befanden, griff Scholz mit einer ironischen Bemerkung auf. Bahnfahren sei im Moment “ein spannendes Abenteuer”, witzelte er.

Im Anschluss an seine Rede traf sich Scholz mit Vertretern der örtlichen Bauernlobby, machte aber laut seinem Sprecher Steffen Hebestreit noch einmal deutlich, dass er nicht bereit sei, die geplanten Subventionskürzungen zurückzunehmen. Einen anderen Einschnitt bei Agrarsubventionen — die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung — hatte die Ampel schon vor Jahresende gekippt.

Einer der Gründe, warum die Bauern nicht aufgeben, liegt darin begründet, dass sie die Schwäche einer Regierung spüren, die in den letzten Monaten einen enormen Autoritätsverlust erlitten hat.

Einer Umfrage für die ARD zufolge sind mehr als 80% der Deutschen mit ihrer Regierung unzufrieden. Scholz’ persönliche Zustimmungsrate sank um einen Punkt auf 19 %, der niedrigste Wert für einen deutschen Bundeskanzler seit Beginn der Umfrage im Jahr 1997. Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen, der früher der Star des Kabinetts war, fiel um sechs Punkte auf 24%.

Die protestierenden Bauern verachten die Grünen vor allem wegen ihrer Klimaschutzagenda, die zu belastenden Umweltauflagen geführt hat.

“In den letzten zwei Jahren haben wir so viele neue Bestimmungen bekommen. Erde, Fruchtfolge, etc. Das bekommen wir von irgendwelchen Leuten erzählt, die keine Ahnung haben”, beschwert sich Bernhard Schaal, ein Landwirt aus der Eifel.

Habeck erlebte diese Wut am eigenen Leib, als eine Gruppe von rund 100 Landwirten ihn Anfang des Monats an der Nordseeküste seines Heimatlandes Schleswig-Holstein daran hinderte, eine Fähre zu verlassen. Der Grünen-Politiker veröffentlichte später ein Video, in dem er behauptete, der Protest sei von Rechtsextremisten gekapert worden, und warnte, die Demokratie in Deutschland sei in Gefahr.

“Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien, extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt”, so Habeck in dem 8-minütigen Video.

Doch Habecks Video hat die Wut nur weiter angeheizt. Viele Landwirte sehen es als Beweis dafür, dass Scholz’ Koalitionspartner ihre Probleme nicht verstehen. “Es ist ein billiger Schachzug, uns mit Rechtsextremen in einen Topf zu werfen, nur weil wir mit dieser links-grünen Regierung nicht einverstanden sind”, sagte Björn Heinemann, ein 48-jähriger Kartoffelbauer aus Liebenwalde, bei den Protesten am Donnerstag.

“Diese Regierung ist so weit weg von den Menschen und hat keine Ahnung, was auf unseren Feldern passiert.”

Die AfD und andere rechte Gruppen haben in der Tat versucht, die Protestwelle mitzureiten. Symbole wie die schwarze Fahne der Landvolkbewegung, einer völkischen Bewegung im Schleswig-Holstein der 1920er Jahre, die als Wegbereiterin der NSDAP gilt, sind mitunter zwischen Bildern einer Ampel zu sehen, die am Galgen baumelt. In Ostdeutschland hat die AfD höhere Umfragewerte als im Rest des Landes, und viele befürchten, dass sie bei den in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen von den Unruhen profitieren könnte.

Die Mehrheit der protestierenden Landwirte sind keine Extremisten, sondern eine Gruppe, die die Hauptlast der jüngsten wirtschaftlichen Veränderungen zu tragen hat, so der Soziologe Rolf Heinze. “Gerade die Menschen auf dem Land spüren, wenn die Spritpreise hochgehen.”

Die Demonstranten hoffen auf radikale Veränderungen wie einen Sturz der Regierung, die nach Ansicht von Heinze wahrscheinlich nicht eintreten werden. “Meine Sorge ist, dass viele am Ende enttäuscht wieder nach Hause fahren werden”, so der Soziologe.

Für Frey ist klar, dass sie nicht so schnell aufgeben wird. “Wir machen so lange weiter, bis die Ampel weg ist”, sagte sie.

Überschrift des Artikels im Original:Agrarians at the Gate Lead Revolt Against Scholz’s Government

--Mit Hilfe von Michael Nienaber, Iain Rogers, Zoe Schneeweiss und Aine Quinn.

©2024 Bloomberg L.P.