Immigration und Arbeitskräftemangel - Stresstest für Deutschland

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(Bloomberg) -- Bei einem Schluck türkischem Schwarztee vor seinem Dönerladen am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg erzählt Faruk Can von den vielen neuen Gesichtern im Viertel. “Es gibt immer noch eine Menge regulärer und sogar irregulärer Migration aus der Türkei nach Deutschland”, sagte er. “Jeden Tag kommt einer in meinem Laden vorbei, jede Woche treffe ich 10 bis 20 Türken, die mich fragen, wie sie sich hier niederlassen können.”

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Menschen mit türkischen Wurzeln sind zwar seit der westdeutschen Arbeitskräfte-Anwerbung der 1950er bis 1970er Jahre die größte Gruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland — zuletzt mit etwas mehr als 2,7 Millionen. Den größten Teil der aktuellen Zuwanderer machen sie aber schon lange nicht mehr aus, erst recht nach dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Doch auch wenn sich die konkrete Herkunft der Menschen über die Zeit verändert: das Dilemma der Migrationspolitik bleibt über Jahre und Jahrzehnte relativ stabil. Sie schwankt zwischen Problemen für Grenzregime, Asylverfahren, Sozialsysteme, Schulen, Wohnungsmarkt oder öffentliches Leben einerseits — und der Chance oder sogar Notwendigkeit für einen Zustrom angesichts eines Mangels an vorhandenen Arbeitskräften andererseits.

Wie schon seine Vorgängerin und ihre Vorgänger versucht auch Bundeskanzler Olaf Scholz den Spagat: Härte gegen irreguläre Migration gleichzeitig mit dem Versuch, qualifizierte Ausländer zum Arbeiten nach Deutschland zu locken.

Allein in diesem Jahr werden etwa 320.000 Menschen mehr das Rentenalter erreichen als erwachsen werden — mit anderen Worten, die Arbeitskräfte werden weniger, die Renten, die sie erwirtschaften müssen, mehr. Arbeitsminister Hubertus Heil sagte im April vor dem Bundestag, dass bis 2035 bis zu 7 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden — fast ein Zehntel der Wohnbevölkerung und ungefähr so viel wie Berlin, Hamburg und München zusammen an Einwohnern haben. Die Ampel will deshalb jedes Jahr 400.000 qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben.

Zugleich kämpft das Land mit der Aufnahme der rund 1,25 Millionen Menschen, die im Jahr 2022 gekommen sind — nach Angaben des Innenministeriums rund 1 Million aus der Ukraine und fast 245.000 Asylbewerber, hauptsächlich aus Afghanistan und Syrien. Kommunen schlagen Alarm, dass Schulen überlastet sind und es nicht genug Wohnraum gibt, um die Menschen unterzubringen.