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Positive Zwischenbilanz im Insolvenzverfahren der Greensill-Bank – Kommunen können auf Millionen hoffen

 - Copyright: picture alliance/dpa | Sina Schuldt
- Copyright: picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Der Fall Greensill ist einer der Superlative: Es ist der größte Zusammenbruch einer deutschen Bank seit der Finanzkrise im Jahr 2008. Einer der bekanntesten Insolvenzverwalter Deutschlands übernimmt nach dem Kollaps und bekommt gemeinsam mit seinem großen Mitarbeiterstab eine Entlohnung von sagenhaften 250 Millionen Euro. Business Insider berichtete exklusiv.

Gleichzeitig hat das Ende der Bremer Bank alle Zutaten eines Krimis. Insider sprechen von einem betrügerischen Geschäftsmodell, deutsche Kommunen und Kleinanleger drohten durch die Insolvenz Milliarden zu verlieren. Insolvenzverwalter Michael Frege begab sich in den Monaten nach dem Zusammenbruch der Bank auf die Jagd nach dem Geld, stieg in die Schattenwelt der Finanzbranche ein und dealte mit indischen Stahlmagnaten und US-Gouverneuren. Monatlich zwei Millionen Euro soll er ausgegeben haben, um an die Dokumente der Muttergesellschaft zu kommen.

Wochenlange Recherchen von Business Insider rekonstruieren, was nach dem Zusammenbruch der Bank passierte, welche bisher unbekannten Großkonzerne auf Greensill hereinfielen und ob geprellte Kommunen sich womöglich Hoffnung machen können, ihr Geld wiederzusehen. Es geht um hunderte Millionen Euro Steuergeld.

Das Greensill-Ende

Die Geschichte von Greensill beginnt im Jahr 2011, als der geborene Bauernsohn und ausgebildete Investmentbanker Lex Greensill in London die Firma Greensill Capital gründet um Lieferketten zu finanzieren. Es ist ausgerechnet jene Art der Finanzierung, von der auch die Landwirtschaftsbranche seiner Eltern abhängig war.

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Sein Modell war simpel: Greensill Capital streckt Firmen Barmittel vor und bezahlt ihre Rechnungen bei Lieferanten sofort. Für die prompte Zahlung gibt es einen kleinen Discount von gewöhnlich einem Prozent. Später fordert Greensill den vollen Rechnungsbetrag vom Kunden zurück und streicht den Gewinn ein.

Um Kapital zu verleihen, braucht Greensill selbst verlässliche Geldquellen. 2013 steigt das Fintech daher beim Institut NordFinanz Bank in Bremen ein und benennt sie ein Jahr später in Greensill Bank um. Die Einlagen deutscher Sparer bilden fortan die Finanzierungsbasis für das Geschäft. Mit relativ hohen Zinssätzen lockt das Institut Neukunden an, auch zahlreiche deutsche Kommunen. Von 2017 bis 2019 verzehnfacht sich die Bilanzsumme des Instituts auf 3,8 Milliarden Euro. Insider sagen heute: Das war eine gefährliche Blase.

Das Geschäft floriert und Lex Greensill steigt in die höchsten gesellschaftlichen Sphären auf. Er berät den damaligen britischen Premierminister David Cameron, um die Lieferbeziehungen der Behörden effizienter zu machen. Und er freundet sich mit dem Stahlunternehmer Gupta an, der weltweit Stahlwerke aufkauft und für die Expansion immer neue Finanzmittel sucht.

In der Branche, aber auch in Ermittlerkreisen drängt sich ab 2019 der Verdacht auf, dass viele Forderungen, die Greensill aufgekauft hat, gar nicht existieren. Die Kontrolleure untersagen den Aufkauf weiterer Forderungen, 2021 fällt ein wesentlicher Versicherungsschutz der Bank weg und die Bafin verhängt ein Moratorium über die Bank und stoppt alle Ein- und Auszahlungen. Game Over.

Auftritt Frege und CMS Haschle Sigle

Der erfahrene und wohl bekannteste deutsche Insolvenzverwalter Michael Frege übernimmt das Insolvenzverfahren. Frege kennt große, komplizierte Fälle: Er hat die Tochtergesellschaft der Bank Lehmann Brothers durch die Insolvenz geführt, auch Neckermann und die Maple Bank. Im Rücken hat er die Kanzlei CMS Hasche Sigle, bei der er Partner ist, und mehr als hundert Mitarbeiter. Recherchen von Business Insider zeigen, dass Frege fast bei Null anfing, als er die Arbeit bei der Pleite-Bank aufnahm.

Das Problem bei Greensill war, dass die Bremer Bank lediglich das operative Geschäft machte, das Know-how lag bei der Dependance in England. Frege und seine Leute haben über Monate recherchiert, wie überhaupt die Strukturen bei Greensill aussahen – und wer an welcher Stelle Verantwortung trug. Zugriff auf Dokumente hatten sie zunächst nicht, die lagen in England. Insider berichten übereinstimmend, dass der Insolvenzverwalter rund zwei Millionen Euro pro Monat zahlte, um sich Dokumente von der englischen Dependance zu besorgen und das Geschäftsmodell und die einzelnen Geschäfte nachvollziehen zu können.

Insider sehen keine andere Erklärung als: Betrug

Wenn man Insider des Insolvenzverfahrens heute nach dem Geschäft der Greensill Bank fragt, verfinstert sich ihr Gesicht. Sie berichten von dutzenden Krediten, die für Lieferkettengeschäfte vergeben wurden, die nie stattgefunden hätten. All diese Kredite hätten knapp unter der meldepflichtigen Grenze von einer Million Euro gelegen. Die Insider sprechen von einem Betrug. Entscheiden müssen das freilich Staatsanwaltschaft und Bafin. Die Finanzierung von Lieferketten sei ohnehin anfällig für Betrug, sagen mit dem Insolvenzverfahren vertraute Personen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Bremen ließ einen Fragenkatalog zu dem Thema unbeantwortet.

Frege versucht mit seinen Mitarbeitern für die Gläubiger, vor allem für die Kommunen und Kleinanleger, möglichst viel Geld zu sichern. Die interne Zielmarke beträgt zwei Milliarden Euro, heißt es. Dafür jettet der Insolvenzverwalter mit seinen Angestellten um den halben Globus und versucht, an die großen Fische zu gelangen: den Stahlmilliardär Sanjeev Gupta etwa, den republikanischen US-Gouverneur Jim Justice  - und an den Telekommunikationskonzern Vodafone. Recherchen von Business Insider zeigen, dass auch Vodafone mit der dubiosen Bank gearbeitet und sich bei den Bremern einen Kredit in dreistelliger Millionenhöhe besorgt hat.

Ein Sprecher von Vodafone bestätigt unsere Recherche auf Anfrage. "Wir haben die Zusammenarbeit mit Greensill komplett eingestellt im Jahr 2021, etwa zu der Zeit, als der Konzern Insolvenz angemeldet hat. Greensill war einer von zwei Kreditgebern für unsere Lieferkettenfinanzierung." Der zweite Finanzier war die Citibank, ergänzt der Sprecher.

Insider berichten, dass Vodafone seine Schulden im Rahmen der Insolvenz allerdings fristgerecht und in voller Höhe begleicht.

Der Fall Gupta

Ein besonders komplizierter Fall ist der indische Stahlmilliardär Gupta. Vor dem Kollaps von Greensill war Gupta in den höchsten Sphären der britischen Gesellschaft und galt als enger Vertrauter des Ex-Premierministers David Cameron. Insider des Insolvenzverfahrens bezeichnen ihn als Spieler, der in Hinterzimmern agiere und dessen Geschäft mit Greensill nicht ganz sauber gelaufen sei. Die Bafin hat der Greensill Bank etwa kurz vor dem Kollaps verboten, Verbindlichkeiten von Gupta aufzukaufen. Der Greensill-Bank schuldet er heute 2,4 Milliarden Euro. Sein Geschäft ist über den Erdball verteilt, das deutsche Insolvenzrecht endet im Zweifel an der deutschen Grenze.

Wie also Gupta dazu bewegen, seine Milliardenschulden bei der Greensill Bank zu begleichen? Ein Drahtseilakt, berichten Insider. Wäre Frege zu hart vorgegangen, wäre Gupta wahrscheinlich abgetaucht. Nettigkeit hätte der Milliardär nicht ernst genommen, er soll Klarheit respektieren. Tatsächlich haben Freges enge Mitarbeiter Gupta mittlerweile dutzende Male an unterschiedlichen Orten auf der Welt getroffen und zwei Rollen angenommen: die des „bad cop“ und des „good cop“. Der „bad cop“ verdeutlichte demnach Gupta, dass bei Nichteinhalten von Zahlungsfristen ein Titel gegen ihn erhoben werde. Die Drohung hat offenbar gewirkt, er soll bis heute keine einzige Frist gerissen haben. Rund 170 Millionen Euro sollen bisher geflossen sein, dafür hat Gupta einige seiner Beteiligungen verkauft. Freges „good cop“ achtet hingegen penibel darauf, dass Guptas Firmengeflecht nicht überfordert wird. Es stand vor einigen Monaten nämlich selbst kurz vor der Pleite. Falls Guptas Stahlimperium kollabiert, fließt kein Geld in die Insolvenzkasse, warnen Insider.

Ein Sprecher von einer von Guptas Stahlfirmen Liberty antwortet auf unseren Fragenkatalog: "Liberty macht gute Fortschritte bei der Restrukturierung seiner weltweiten Aktivitäten. Im April 2023 unterzeichnete Liberty ein Term Sheet über eine vollständige Umschuldungsvereinbarung mit der für die Verwaltung der Greensill Bank AG zuständigen Partei."

Der Insolvenzverwalter musste auch mit dem republikanischen US-Gouverneur Jim Justice verhandeln, der ein Unternehmensgeflecht in der Kohlebranche hat. Justice hatte mehr als 700 Millionen Dollar Schulden bei Greensill und verklagte die Bank wegen Betrug in den USA. Nach Informationen von Business Insider gibt sich der Gouverneur im Hintergrund aber konziliant und zahlt seinen Schulden still und leise in vereinbarten Tranchen ab.

Mittlerweile hat Frege rund 1,2 Milliarden Euro eingesammelt. Bisher fließt das Geld an die Einlagenversicherung, die rechtlich zuerst ausbezahlt werden muss aus der Insolvenzkasse. Danach sind allerdings die Kommunen dran. Es fehlen nur noch wenige hundert Millionen Euro, bis die Einlagensicherung ihren Betrag hat, ab da fließt das Geld zurück zu den Kämmerern der Kommunen.

Fraglich ist allerdings, ob die großen Fische ihre Schulden in Gänze begleichen. Intern ist die Rede davon, dass die „low hanging fruits“ in dem Verfahren langsam geerntet seien. Das heißt im Klartext, dass die großen Geldsummen von großen Schuldnern nun angezapft sind. Nun würden die noch komplizierten Fälle anstehen. Etwa die Frage, ob die Ausfallversicherungen, die es bei Greensill gab, für den entstandenen Schaden aufkommen. Mit dem Verfahren vertraute Personen stellen auch die Frage, ob die Versicherungen nicht selbst ein Betrug waren – das heißt, wie wasserdicht diese Versicherungen wirklich sind. Womöglich dienten sie nur dem Zweck, die Kredite der Bank seriöser und sicherer wirken zu lassen, sagen Insider.

Zu diesen Fragen ist ein Verfahren in Australien anhängig, das sich allerdings noch über Jahre ziehen wird. Insider sprechen davon, dass die Insolvenz insgesamt noch mehr als zehn Jahre andauern könnte.

Eine weitere Kernfrage ist: Ist Lex Greensill und seine Familie haftbar für den Kollaps seines Konzerngeflechts? Der Australier ist jedenfalls abgetaucht. Auch diese Frage wird gerichtlich geklärt, eine Antwort gibt es bisher nicht.