Werbung
Deutsche Märkte schließen in 4 Stunden 25 Minuten
  • DAX

    18.203,69
    +26,07 (+0,14%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.928,70
    -7,27 (-0,15%)
     
  • Dow Jones 30

    39.112,16
    -299,05 (-0,76%)
     
  • Gold

    2.319,90
    -10,90 (-0,47%)
     
  • EUR/USD

    1,0689
    -0,0026 (-0,25%)
     
  • Bitcoin EUR

    57.458,56
    +42,76 (+0,07%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.271,13
    -12,66 (-0,99%)
     
  • Öl (Brent)

    81,53
    +0,70 (+0,87%)
     
  • MDAX

    25.426,46
    -40,90 (-0,16%)
     
  • TecDAX

    3.340,68
    +32,94 (+1,00%)
     
  • SDAX

    14.373,75
    -40,31 (-0,28%)
     
  • Nikkei 225

    39.667,07
    +493,92 (+1,26%)
     
  • FTSE 100

    8.251,34
    +3,55 (+0,04%)
     
  • CAC 40

    7.623,94
    -38,36 (-0,50%)
     
  • Nasdaq Compositive

    17.717,65
    +220,84 (+1,26%)
     

Die deutsche Immobilienkrise fordert ihre ersten großen Opfer

(Bloomberg) -- Im Juli feierte Nürnberg das Richtfest des renovierten Quelle-Versandzentrums. Ein Wahrzeichen des Wirtschaftswunders soll unter dem trendigen Namen The Q wieder zum Leben erweckt werden und ab nächstem Jahr Büros, Geschäften, Behörden und Wohnungen eine neue Heimat bieten. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) freute sich vor laufenden Kameras über den entstehenden “Leuchtturm für die Stadtentwicklung im Nürnberger Westen”.

Weitere Artikel von Bloomberg auf Deutsch:

Zwei Monate später liegt ein Schatten über dem Bau. Eine Projektgesellschaft und der Bauherr, die Gerch-Gruppe, haben Insolvenz angemeldet. Im September wurden die Bauarbeiten gestoppt. Wann sie wieder aufgenommen werden können, ist unklar. Der Eröffnungstermin 2024 steht in Frage.

WERBUNG

Der Fall Gerch und The Q zeigt eine neue Front in der Krise des Immobilienmarkts, die sich mal schleichend, mal mit Getöse in Europa ausbreitet, seit die Währungshüter die Ära des billigen Geldes jäh beendet haben. Der neue Aspekt ist, dass nicht überschuldete Eigentümer und Vermieter im Rampenlicht stehen, sondern Bauträger, Entwickler, jene, die die Fundamente legen, die Wände hochziehen und die Dächer decken lassen. Sie sind am direktesten von der Insolvenz bedroht.

“Projektentwickler haben mit den gestiegenen Baukosten, den gestiegenen Zinssätzen und dem Preisverfall zu kämpfen”, sagt Marlies Raschke, Insolvenz-Spezialistin bei der Anwaltskanzlei Noerr in Dresden. “Wir haben in den letzten Wochen mehrere Projektentwickler gesehen, die Insolvenz angemeldet haben, und wir erwarten, dass weitere folgen werden.”

Zu den prominenten Fällen gehören neben Gerch die Münchener Euroboden, die ihre Edel-Wohnhäuser gerne mit Stararchitekten wie David Chipperfield baut, und die ein Sanierungsverfahren begonnen hat, oder die Nürnberger Project Immobilien, die im August mit mehreren ihrer Projektgesellschaften den Gang zum Insolvenzrichter antreten musste. Keine der drei Firmen reagierte auf Anfragen von Bloomberg.

Deutschland ist kein Sonderfall. Weltweit stehen Entwickler vor ähnlichen Problemen. In Australien gehört Porter Davis zu den Hausbauunternehmen, die in diesem Jahr wegen steigender Kosten und sinkender Nachfrage in Konkurs gegangen sind. In Schweden ist die steigende Zahl der Insolvenzen auf einen Einbruch der Bautätigkeit zurückzuführen. In Finnland dürfte die Zahl der Baubeginne auf ein Niveau sinken, das es seit den 1940er Jahren nicht mehr gegeben hat.

Nach Jahren der Niedrigzinsen, in denen das Geld auf der Suche nach Rendite in Immobilien floss, hat sich das Blatt gewendet. Bauträger wie Gerch konnten Projekt nach Projekt mit billigen Krediten finanzieren und auf einem Markt verkaufen, auf dem die Preise immer weiter stiegen.

Jetzt hat sich der Wind gedreht. Transaktionen mit Büro- und Einzelhandelsimmobilien in Deutschland sind laut Daten von Savills im Zwölfmonatsvergleich auf dem niedrigsten Stand seit mindestens 2014. Der größte börsennotierte Vermieter Vonovia stellte in seinem Halbjahresbericht fest, dass Neubauprojekte “wirtschaftlich kaum noch darstellbar” seien.

“Die Geschwindigkeit der Korrektur ist signifikant”, sagt Henning Koch, der Chef von Commerz Real, der Immobilienfonds-Sparte der Commerzbank. “Die Rezession auf dem deutschen Immobilienmarkt begann vor eineinhalb Jahren, und jetzt, in den letzten zwei bis drei Monaten, sehen wir, wie immer mehr Bauträger pleite gehen.”

Mehr zum Thema: Immofonds sind der nächste Krisenherd - Auszahlungen steigen

Ein Problem für die Entwickler ist der Einbruch bei den Grundstückspreisen, der ihr Risiko weiter steigert. Die höheren Zinsen bewirken, dass Investoren höhere Mietrenditen erwarten, was den Preis drückt, den sie für das fertig gebaute Objekt zu zahlen bereit sind. Schließlich schießen die Baukosten in die Höhe und die Bauträger müssen mehr für unerwartete Ausgaben zur Seite legen.

Unterm Strich lasten alle diese Faktoren auf dem Wert von Baugrundstücken. Der Preisverfall bedeutet in manchen Fällen, das alleine die Fertigstellung eines Gebäudes einen Verlust bedeutet. Aggregate Holdings, die Immobilienfirma des österreichischen Geschäftsmanns Cevdet Caner, musste unlängst das Projekt QH Track im Berliner Quartier Heidestraße an den Gläubiger Oaktree Capital Management abgeben, nachdem Kostenüberschreitungen und Verspätungen eine Refinanzierung scheitern ließen.

Der Bauboom der letzten Jahre in Deutschland wurde zum Teil von Mezzanine-Kreditgebern wie Corestate Capital angeheizt, die bereit waren, Entwicklern mit wenig Eigenkapital hohe Darlehen zu gewähren. Das funktionierte, als teilweise gebaute oder noch nicht einmal begonnene Projekte an Pensionsfonds verkauft werden konnten, die bereit waren, schon vor der Fertigstellung den Preis für das vollendete Projekt zu zahlen. Die Marktkorrektur lässt Bauträger ohne abgeschlossene Vorverkäufe in der Luft hängen, belastet mit teuren Schulden und ausufernden Kosten.

“Normalerweise versuchen wir, frisches Geld von den bestehenden Geldgebern zu bekommen — von Aktionären und anderen Investoren —, um das Projekt fertigzustellen”, sagt Christoph Morgen von der Hamburger Kanzlei Brinkmann & Partner, der als Insolvenzverwalter für einige kleinere Bauträger tätig war. “Das führt in der Regel zu einem Zeitverlust, es unterbricht den Bauprozess. Und es wird immer teurer.”

Die Banken stellen sich darauf bereits ein. Ein hochrangiger Banker berichtet von Versuchen, mit den stabileren Bauträgern ins Gespräch zu kommen, damit diese kriselnde Projekte im Zweifel übernehmen können.

Gigantische Bauruinen können auch zu einem Schandfleck für die Stadt und zu einem politischen Problem werden, wenn sie zu lange brachliegen. Der Nürnberger Bürgermeister ist “zuversichtlich”, dass das Projekt The Q fortgesetzt wird, nachdem es von den verschiedenen Eigentümern der verschiedenen Teile des riesigen Komplexes positive Signale erhalten hat.

“Die Eigentümer wollen ihre Projekte unabhängig von der Insolvenz der Gerch-Gruppe realisieren”, heißt es in einer Erklärung. “Seitens der Stadt unterstützen wir dies durch die Fortführung aller Planungs- und Verwaltungsprozesse.”

Die Interessen von Kleinanlegern und kleineren Pensionsfonds, die während der Boomzeit in Immobilien investiert haben, eröffnen eine weitere politische Flanke. Wenn sie involviert sind, können Umschuldungen kompliziert werden, vor allem wenn frisches Geld benötigt wird. Anwältin Raschke von Noerr sagt, dass deutsche Pensionsfonds aus aufsichtsrechtlichen Gründen teilweise nur begrenzt mehr Liquidität bereitstellen können.

Einige Kleinanleger sind über Hochzinsanleihen bei Bauträgern engagiert. Bei Euroboden etwa steht eine Gläubigerversammlung an, bei der viele Privatpersonen vertreten sein werden. Sie befinden sich häufig in einer schwächeren Position als andere Gläubiger. Während Bankfinanzierungen in der Regel mit Projekten oder Gebäuden gesichert sind, werden Anleihen häufig von einer Holdinggesellschaft mit kaum Sicherheiten begeben. Bei einer Insolvenz bleibt da kaum etwas übrig.

“Aus Sicht der Anleihegläubiger war die Verzinsung dieser Anleihen in den letzten Jahren viel zu niedrig”, sagt Daniel Bauer, Vorsitzender des Vereins Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. “Sie sind ein aktienähnliches Risiko eingegangen.”

Die Zahlungsausfälle von Bauträgern werden auch der Immobilienbranche insgesamt schaden. Mehr als jedes fünfte vom Ifo-Institut befragte Bauunternehmen berichtet von gestrichenen Projekten. Das ist der schlechteste Wert seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1991.

“Das ist ein Warnsignal für den Baustoff- und Bausektor”, sagt Ralf Moldenhauer, Senior Partner bei der Boston Consulting Group in Frankfurt. “Wir gehen davon aus, dass es auch in diesem Sektor zu mehr Stress kommen wird.”

Überschrift des Artikels im Original:Germany’s Property Meltdown Claims Its First Big Victims

--Mit Hilfe von Stephan Kahl und Neil Callanan.

©2023 Bloomberg L.P.