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Wirtschaftsweise Monika Schnitzer fordert höheres Renteneintrittsalter

Die Staatsschulden wachsen in der Coronakrise immens. Im Handelsblatt-Interview spricht Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sich darum gegen Frührenten aus.

Die Wirtschaftsweise spricht sich für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aus. Foto: dpa
Die Wirtschaftsweise spricht sich für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aus. Foto: dpa

Monika Schnitzer blickt auf ein bewegtes erstes Jahr zurück. Kaum war die Ökonomin eine von fünf Wirtschaftsweisen geworden, brach die Coronakrise los – und stellte die ökonomische Welt auf den Kopf.

Im Interview mit dem Handelsblatt fordert die Wirtschaftswissenschaftlerin die Politik auf, sich nach der akuten Krisenbekämpfung schnell um die längerfristigen Folgen der Krise zu kümmern. So fordert sie etwa eine rasche Erhöhung des Renteneintrittsalters.

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„Wir werden nicht umhinkommen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Und da müssen wir rasch handeln, weil es leichter zu akzeptieren ist, wenn die Menschen wissen: Diese Verlängerung setzt erst in ein paar Jahren ein“, sagte Schnitzer.

Die Politik müsse sich dringend stärker mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen, „erst recht nach der Krise, weil sich durch die vielen Hilfsmaßnahmen die Staatsschulden enorm erhöhen werden“.

Die Schulden dürfe die Politik „nicht allein der nächsten Generation aufbürden und ihr dann auch noch zumuten, die zunehmende Anzahl an Rentnerinnen und Rentnern zu finanzieren“. Schnitzer plädiert daher auch dafür, notwendige höhere staatliche Investitionen „im Rahmen der Schuldenbremse zu verstetigen“.

Kritik übte die Wirtschaftsweise an den Plänen der EU zur Regulierung der amerikanischen IT-Konzerne. Der Vorstoß der EU-Kommission mit dem Digital Market Act sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, weil dadurch einheitliche Regeln für die ganze EU gelten.

Doch Schnitzer hält die Vorgehensweise der US-Politik für stimmiger. „Ich will nicht generell der Zerschlagung der Konzerne das Wort reden, aber eine Aufspaltung etwa von Facebook und WhatsApp wäre unter Umständen zielführender, als über Regulierung den Wettbewerb anzuregen.“

Lesen Sie hier das ganze Interview mit Monika Schnitzer

Frau Schnitzer, wie blicken Sie auf Ihr erstes Jahr als Wirtschaftsweise zurück?
Durch die Pandemie blieb keine lange Einarbeitungszeit, gleichzeitig war es sehr spannend, gerade in einer solchen Ausnahmesituation über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise und mögliche Lösungswege zu diskutieren.

Macht es einen Unterschied, dass jetzt zwei Frauen im Gremium sitzen?
Diese Frage müssten Sie eigentlich den Herren stellen. Meine Wahrnehmung ist, dass wir in der neuen Zusammensetzung Dinge diskutiert haben, die früher nicht so ausführlich diskutiert worden sind, weil klar war, wo die Fronten verlaufen und wo die Mehrheiten liegen. Das war für die, die schon länger dabei sind, sicher eine neue Erfahrung. Vielleicht ist Ihnen bei der Lektüre des Jahresgutachtens aufgefallen, dass sich der Schreibstil etwas geändert hat und die Aussagen zu manchen Themen nicht mehr so apodiktisch klingen. Auch dass wir uns beim Titel „Coronakrise gemeinsam bewältigen“ darauf verständigt haben, das Wort „gemeinsam“ aufzunehmen, zeigt, dass die Diskussionskultur etwas anders ist als früher.

Eine Volkswirtin-Kollegin sagte neulich, Sie seien als Wirtschaftsweise Vorbild für junge Ökonominnen. Sehen Sie sich selbst so?
Ich bekomme viele Zuschriften von Frauen, die mir bestätigen, dass das so ist. Für die es eine wichtige Erfahrung ist, eine Frau zu erleben, die öffentlich auftritt und Stellung bezieht, auch in Talkshows. Deshalb nehme ich solche Anfragen gerne an, auch wenn das heißt, dass zu Hause der Stapel mit ungelesenen Büchern immer höher wird.

Nicht nur die Wirtschaftsweisen, auch die Vorstandsetagen großer Unternehmen sollen durch eine neue Frauenquote weiblicher werden. Kann das neue Gesetz da etwas bewirken?
Das Gesetz ist wichtig, aber machen wir uns keine Illusionen, es wird keine Wunder wirken. Eine einzige Frau im Vorstand bewirkt noch nicht so viel, die Forschung zeigt, es braucht eine kritische Masse. Das Gesetz zwingt aber Unternehmen, systematisch weibliche Führungskräfte aufzubauen. Wenn Unternehmen sich jetzt über die Quote als Belastung beklagen, haben sie falsche Personalpolitik betrieben.

Die Quote wird außerdem jungen Frauen Motivation geben, sich um Topjobs zu bemühen. Zuvor haben es ja nur wenige bis ganz nach oben geschafft, und von denen wurden viele unschön abserviert. Vor allem aber ändert die Quote Stereotype. Studien belegen, die Qualität von Frauen wird schlechter eingeschätzt als die von Männern, bei objektiv gleicher Qualifikation. Das ändert sich, wenn man mit mehr Frauen in Führungspositionen konfrontiert ist.

„Wir werden nicht umhinkommen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern“

Vor einem Jahr – Corona kannte noch keiner – sagte uns der frühere Wirtschaftsweisen-Chef Christoph Schmidt, 2020 werde der demografische Wandel das beherrschende Thema werden. Hatte er damit grundsätzlich recht?
Ich hätte das vermutlich vor einem Jahr nicht genauso gesagt, sondern auch den Klimawandel und die Digitalisierung genannt. Aber natürlich müssen wir uns mit dem demografischen Wandel beschäftigen, erst recht nach der Krise, weil sich durch die vielen Hilfsmaßnahmen die Staatsschulden enorm erhöhen werden. Wir dürfen diese Schulden nicht allein der nächsten Generation aufbürden und ihr dann auch noch zumuten, die zunehmende Anzahl an Rentnerinnen und Rentnern zu finanzieren.

Was schlagen Sie vor?
Wir werden nicht umhinkommen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Und da müssen wir rasch handeln, weil es leichter zu akzeptieren ist, wenn die Menschen wissen: Diese Verlängerung setzt erst in ein paar Jahren ein. Polit-ökonomisch ist eine solch unpopuläre Entscheidung in einem Wahljahr natürlich schwierig. Aber solche Entscheidungen aufzuschieben macht die Sache ja nicht besser.

Das Problem beim länger Arbeiten ist doch für viele, dass sie ab 55 kaum noch einen Arbeitsplatz bekommen oder halten können.
Das ist in der Tat genau das Problem. Wenn man eine längere Lebensarbeitszeit erreichen will, muss man die Menschen in die Lage versetzen, tatsächlich länger arbeiten zu können, und die Unternehmen dazu bringen, sie auch länger zu beschäftigen. Es wird wegen des technologischen Wandels ohnehin nötig sein, auch ältere Beschäftigte auf neue Tätigkeiten und Berufe umzuschulen. Wir haben Strukturwandel bisher häufig so bewältigt, dass wir die Älteren in den Vorruhestand geschickt haben. Das ist grundverkehrt. Man darf es den Unternehmen nicht zu leicht machen, ihre älteren Beschäftigten in den Ruhestand zu schicken, sondern sollte sie dazu anhalten, ihr Personal frühzeitig weiterzuqualifizieren.

Seit einer gefühlten Ewigkeit redet die Politik vom lebenslangen Lernen. Passiert ist eher wenig. Wie kommt man da ans Umsetzen?
Da könnte jetzt die Demografie helfen. In dem Maße, indem ich keine qualifizierten jungen Menschen mehr finde, muss ich mehr in meine aktuelle Belegschaft investieren. Im Silicon Valley gibt es längst Ausbildungszentren, in denen Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise zu Data-Scientists umschulen lassen können. Genau solche Angebote brauchen wir auch hier.

„Wir brauchen Regeln“

Hat das Homeoffice in diesem Jahr einen Digitalisierungsschub gebracht?
Ja. Einer der wichtigsten Effekte war, dass viele Unternehmen ihre Vorbehalte gegen Arbeiten im Homeoffice überwunden haben, die sich vorher massiv dagegen gesperrt haben. Viele Unternehmen haben in der Pandemie auch rasch ihre Arbeitsweise umgestellt und beispielsweise ihre Produkte und Abläufe in ein digitales Format gebracht, sodass Vertragsabschlüsse auch digital abgewickelt werden können.

Digitalisierung heißt auch, dass einige US-Konzerne sehr große Marktmacht haben. Die EU-Kommission will dagegen nun vorgehen. Hat sie die richtigen Mittel gefunden, um die Datenmonopole zu knacken?
Es ist ganz essenziell, dass man in diesem Bereich für mehr Wettbewerb sorgt. In Europa wird viel darüber diskutiert, wie sich neben den amerikanischen Big-Tech-Unternehmen unsere eigenen Unternehmen behaupten können und ob wir nicht deutsche oder europäische Champions fördern sollten. Ich halte es für keine gute Idee, hier allein auf unsere etablierten Unternehmen zu setzen, in der Hoffnung, dass sie das neue digitale Zugpferd werden.

Wer dann?
Wir müssen auf die Start-ups schauen. Was wir brauchen, sind Märkte, die offen sind, sodass neue Unternehmen überhaupt eine Chance haben, sich zu entwickeln. Aktuell ist es stattdessen so, dass die großen Plattformunternehmen potenzielle Wettbewerber in für sie interessanten Märkten systematisch aufkaufen. Die von der EU-Kommission gerade genehmigte Fusion von Google und Fitbit ist ein solches Beispiel. Viele Ökonomen sehen diese Entscheidung kritisch, auch ich. Ein anderes Problem ist, dass Unternehmen wie beispielsweise Amazon die Daten von Anbietern, die auf ihren Plattformen tätig werden, nutzen, um konkurrierende Produkte anzubieten, die sie auf ihrer Website dann auch noch begünstigen.

Was kann man dagegen tun?

Wir brauchen Regeln, die das verhindern. Insofern ist der Vorstoß der EU-Kommission mit dem Digital Market Act ein Schritt in die richtige Richtung, vor allem, weil dadurch einheitliche Regeln für die ganze EU gelten und wir so den digitalen Binnenmarkt stärken. Das ist wichtig, um unsere europäische Marktgröße auszuschöpfen in der Konkurrenz zu den USA und China.

Beschwört die EU so nicht auch Protektionismus herauf?
Dass die großen Plattformen ihre Marktmacht missbrauchen, sehen auch die amerikanischen Wettbewerbshüter so. Innerhalb weniger Wochen wurden zwei Wettbewerbsverfahren eingeleitet, gegen Google und gegen Facebook. Dabei ist sogar von einer möglichen Zerschlagung die Rede. Ich will nicht generell der Zerschlagung der Konzerne das Wort reden, aber eine Aufspaltung etwa von Facebook und WhatsApp wäre unter Umständen zielführender, als über Regulierung den Wettbewerb anzuregen. Unsere eigene Forschung zeigt, dass die Zerschlag von AT & T 1984 in den USA einen enormen Innovationsschub ausgelöst hat, die Regulierung in den Jahren davor war weit weniger effektiv.

„Der Staat sollte sich grundsätzlich technologieneutral verhalten“

Neben den US-Unternehmen werden auch die chinesischen Digitalkonzerne immer größer. Wird Europa unter diesen Bedingungen noch stärker eine aktive Industriepolitik betreiben müssen?
Wenn es keine gleichen Bedingungen für Unternehmen aus China und Europa gibt, muss man dieses Problem handelsdiplomatisch lösen. Die Lösung kann nicht sein, die eigenen Unternehmen zu bevorzugen. Wenn es eine Errungenschaft der EU gibt, dann die scharfen Wettbewerbsregeln, die Staatsbeihilfen klar begrenzen.

Ihre Ökonomen-Kollegin Maria Mazzucato sagt, der Staat soll noch eine viel stärkere Rolle in der Wirtschaft übernehmen, weil er ein sehr guter Anschubinnovator sei. Stimmen Sie ihr zu?
Ich tue mich schwer mit dieser Aussage. Woher nimmt der Staat die Information, in was er investieren soll? Von Unternehmen, die für sich werben? Da kommt es ganz schnell zu Lobbyismus. Von Wissenschaftlern, die für ihre eigenen Erfindungen werben? Ich denke, der Staat sollte sich grundsätzlich technologieneutral verhalten.

Aber ohne das Pentagon gäbe es doch kein Internet.
Der Staat kann durch seine Nachfrage durchaus einen Innovationsschub anregen. In Deutschland wäre es eine gute Idee, wenn er endlich die Verwaltung digitalisieren und entsprechend investieren würde. Dann kämen auch die passenden Entwicklungen von Unternehmen. Davon könnte auch der Mittelstand profitieren.

In Deutschland war das letzte IT-Start-up von Weltrang SAP. Wie lässt sich die Gründerkultur hierzulande beleben?

In dem wir bessere Grundlagen dafür schaffen. Wir geben deutlich weniger Geld für Bildung aus als andere Staaten. Gerade erst kam wieder eine Studie heraus, wonach unsere Grundschülerinnen und -schüler im internationalen Vergleich schlechter in Mathematik sind. Das ist ein Armutszeugnis. Gleichzeitig gibt es erhebliche Widerstände von Eltern- und Lehrerverbänden, Kinder frühzeitig digital fit zu machen. Die Kinder sollten erst mal lesen und schreiben lernen. Als ob sich das gegenseitig ausschließen würde. Da darf man sich nicht wundern, wenn wir nicht so viele Digitalgenies haben.

Corona hat die Schulden Deutschlands in die Höhe getrieben. Wie kommen wir von der hohen Verschuldung wieder runter?
Die aktuelle Verschuldung ist weniger problematisch als manche befürchten, weil wir mit einem vergleichsweise niedrigen Schuldenstand in die Krise gegangen sind. Wie nach der Finanzkrise können wir auch nach Corona aus den Schulden herauswachsen, wenn sich die Konjunktur gut entwickelt, wir die Hilfen zurückfahren können und den Haushalt wieder ausgleichen. Mit der Haushaltskonsolidierung dürfen wir aber nicht zu früh anfangen, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. Es wäre keine gute Idee, 2022 die Steuern zu erhöhen.

Der Bund hat in diesem Jahr sieben Milliarden Euro mit der Aufnahme von Schulden verdient, weil die Zinsen negativ sind. Hat es da angesichts der Herausforderungen nicht Sinn, auch nach Corona viele Schulden zu machen?
Nein, der Staat hatte vor der Krise hohe Einnahmenüberschüsse. Wenn wir nach der Krise eine ähnliche Entwicklung haben, wäre eine weitere Verschuldung nicht nötig. Wir haben kein Problem fehlender Investitionsmittel, sondern ein Problem fehlender Umsetzung. Viele Investitionsmittel fließen nicht ab, weil Planungs- und Baukapazitäten fehlen. Damit es sich lohnt, diese aufzubauen und vorzuhalten, ist es wichtig, die Investitionsausgaben zu verstetigen.

Aber genau das schlagen die Ökonomen, die höhere Schulden fordern, ja auch vor.
Anders als diese Ökonomen denke ich aber, dass man die Investitionen im Rahmen der Schuldenbremse verstetigen sollte. Entscheidend ist ja nicht, einfach viel Geld auszugeben, sondern wofür man das Geld ausgibt. Man hätte in den vergangenen Jahren durchaus mehr investieren können, wenn man auf die eine oder andere teure Rentenreform verzichtet hätte.

2021 wird ein neuer Bundestag gewählt. Welches Projekt sollte die neue Regierung als Erstes angehen?
Klimawandel, Digitalisierung, Rentenreform: In allen drei Bereichen brauchen wir dringend Fortschritte. Wir brauchen aber nicht nur die passenden Regeln und Finanzmittel, sondern vor allem eine zügige Umsetzung.

Mehr: Die Krise ist noch lange nicht vorbei