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Die Staatsanwaltschaft zweifelt an den Goldreserven der Karatbars-Gruppe

Der Goldhändler machte einen Ex-Geschäftspartner für den Kurssturz der Kryptowährung KBC verantwortlich und zeigte ihn an. Die Ermittlungen werden zum Bumerang.

Deni G. ist ein Mann fürs Grobe. Er saß bereits wegen räuberischer Erpressung im Gefängnis. Am 5. Juni 2019 betrat der Kroate eine Dienststelle der Polizei in Mainz, um einen angeblichen Kriminellen anzuschwärzen. Er wies sich als Bevollmächtigter des Stuttgarter Goldhändlers Karatbars aus und erstattete Strafanzeige gegen einen ehemaligen Geschäftspartner, Marvin Steinberg (32).

Steinberg war mit der Markteinführung des Karatgold Coin (KBC) betraut, jener angeblich mit Gold gedeckten Kryptowährung, mit der die Karatbars-Gruppe nach eigenen Angaben über eine Stiftung in Belize bis zu 90 Millionen Euro einsammelte. Zunächst lief alles nach Plan. Der Kurs des KBC stieg von 0,4 Cent bei Ausgabe Ende März 2018 auf elf Cent Anfang Juli 2019, dann stürzte er in einem Jahr um mehr als 96 Prozent ab.

Im November 2019 ordnete die Finanzaufsicht Bafin schließlich an, den KBC in Deutschland abzuwickeln. Die Stiftung klagt dagegen. So ein Rechtsstreit kann Investoren verunsichern.

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Doch Schuld am Kurseinbruch ist aus Sicht von Karatbars jemand anderes: Marvin Steinberg. Der Ex-Partner habe 400 Millionen Coins im Wert von mindestens 15 Millionen Euro veruntreut und auf den Markt geworfen, um den Preis zu drücken. Das ist die Version von Firmenchef Harald Seiz (57). Er sagte im November 2019 dem Handelsblatt: „Der hat seinen Fokus darauf gerichtet, uns zu zerstören.“

Dem Verdacht der Untreue ist die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nun intensiv nachgegangen. Das Ergebnis der Ermittlungen, das dem Handelsblatt vorliegt, wird für die Karatbars-Gruppe allerdings zum Bumerang. Die Behörde hat ihr Verfahren gegen Steinberg eingestellt. Ein strafbares Verhalten könne dem Ex-Partner nicht nachgewiesen werden.

Die Begründung belastet jedoch Karatbars-CEO Harald Seiz schwer. Aus dem Dokument geht hervor, wie wenig professionell er seine Kryptowährung aufgelegt haben soll, wie wenig er sich um zentrale Vorgänge geschert haben soll – und wie Gold-Coins im Millionenwert versickert sein könnten.

Köder für die Anleger

Ein Fazit der Behörde ist für Seiz besonders heikel: Das Versprechen von Karatbars, gekaufte Coins mit Gold abzusichern, erscheine fragwürdig. „Nach Aktenlage ist höchst zweifelhaft, ob tatsächlich Goldwerte in nennenswerter Größenordnung vorhanden waren oder ob mit diesem Versprechen lediglich Anleger ,geködert' werden sollten.“ Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Anzeigeerstatter versuchten, mit Steinberg „einen Sündenbock für die geprellten Anleger und den enormen Wertverlust des KBC-Coins zu präsentieren“.

Die Behörde sieht darüber hinaus Anhaltspunkte, die sie an der Glaubwürdigkeit aller Beteiligten zweifeln lässt. So seien Deni G. und Seiz „erheblich vorbestraft, insbesondere wegen Vermögensdelikten“. Der Karatbars-Chef hatte zuletzt Vorstrafen wegen rechtswidriger Kundenwerbung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeräumt.

Wenig seriös wirkt, was laut Einstellungsbescheid hinter den Kulissen der Firmen von Seiz lief. Das beginnt schon mit dem Vertrag zwischen Karatbars und Steinberg, in dem „alle Kompetenzen“ für Entwicklung, Verkauf und Vermarktung des KBC auf den neuen Partner übertragen wurden. Das Papier sei jedoch nur vier Seiten dick, wunderten sich die Beamten. Trotz der Multimillionen-Euro-Pläne („Marktkapitalisierung in Höhe von wenigstens 120 Millionen Euro“) sei keinerlei Wert darauf gelegt worden, Rechte und Pflichten im Detail zu regeln.

Absprachen seien überwiegend mündlich getroffen worden, weshalb die Vereinbarungen für die Ermittler bis zum Schluss „nebulös“ blieben. Offenbar sei den Verantwortlichen zu spät aufgefallen, dass Steinberg mit der Programmierung der Software für die Kryptowährung „erheblich überfordert“ gewesen sei.

Wäre es so gewesen, strafbar wäre das nicht, zumal Seiz seinen Partner kaum kontrollierte. Zeugen berichteten der Kripo, der Karatbars-Geschäftsführer sei ein Mann des Handschlags. Er habe Steinberg viel Freiraum gelassen. Der wiederum habe losgelegt und dann „öfter mal Screenshots geschickt“.

Mangelnde Professionalität

Die mangelnde Professionalität rächte sich: Im Frühjahr 2018 überschatteten massive Fehler die Verteilung der KBC. „Viele Kunden erhielten trotz Zahlung keine Coins, andere Kunden erhielten ein Vielfaches der bezahlten Coins“, schrieben die Ermittler. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Beschuldigte hier schlicht jeglichen Überblick verloren hatte.“ Steinberg habe jedoch versucht, die Fehler händisch zu beheben und diverse Kunden per Mail angeschrieben.

Ein Zeuge berichtete sogar, dass wegen Fehler in der Programmierung 700 Millionen Coins nicht an Kunden gegangen seien, obwohl diese bereits dafür bezahlt hätten. Rechnet man mit einem Preis von 0,5 US-Cent pro Coin, wie er beim Beginn des „Initial Coin Offering“ (ICO) Ende März 2018 verlangt wurde, dann wären mehr als 30 Millionen Euro ohne Gegenleistung geflossen.

Nachprüfen lässt sich das nicht. Einzelne Buchungen sind der Staatsanwaltschaft zufolge nicht nachvollziehbar, weil die Datenbanken nicht mehr existierten.

Auch sonst saß das Geld bei den Karatbars-Verantwortlichen locker: Marvin Steinberg wurde von einer Partnerfirma mit einem Bentley Continental als Dienstwagen ausgestattet. Karatbars-Chef Harald Seiz, dessen Gehalt angeblich 150.000 Euro im Monat beträgt, inszenierte auf Instagram sein Luxusleben: Er posierte auf der Motorhaube seines Lamborghini, reiste an exotische Orte und wohnte in einer Zehn-Millionen-Euro-Villa in Sindelfingen. Mittlerweile sind viele Fotos gelöscht.

Auffällig ist auch, dass Seiz immer wieder betonte, die unabhängige „Karatbit Foundation“ im Karibikstaat Belize sei Emittent der Gold-Coins. Niemand könne deshalb den KBC rückabwickeln. Seiz kündigte an, die Anordnung der Finanzaufsicht nicht hinzunehmen. Die Foundation legte Widerspruch ein.

Inzwischen ist auch das Widerspruchsverfahren abgeschlossen. Die Bafin blieb bei ihrer Linie. Karatbars muss das Geld den Anlegern in Deutschland zurückzahlen. Die Stiftung klagt dagegen beim Verwaltungsgericht Frankfurt, wie das Gericht bestätigte.

Doch ist die Stiftung wirklich der Emittent des Coins? Steinberg, der die technische Umsetzung und das Marketing des Gold-Coins übernahm, schloss den Ermittlungen in Koblenz zufolge seinen Vertrag mit der in Stuttgart ansässigen Gesellschaft Karatbars International. Auch die Behörde kritisiert, das Firmengeflecht von Seiz. Es sei „kompliziert und undurchsichtig“ aufgebaut - mit Hauptsitzen beteiligter Firmen in Belize, Dubai und Singapur.

Statt hinter den Kulissen für Ordnung zu sorgen, trat Firmenchef Seiz lieber in Werbevideos auf. Darin sprach er von einer Mine auf Madagaskar mit gigantischen Goldreserven, der eigenen Kryptobank in Florida, Goldbarren in Hongkonger Tresorräumen und einem zukünftigen Umtauschkurs von 100 KBC zu einem Gramm Gold. Damit heizte er die Nachfrage nach den Coins an. Karatbars arbeitete mit einem weltweiten Strukturvertrieb.

Fragwürdige Versprechen

Nachdem das Handelsblatt Anfang des Jahres über die fragwürdigen Versprechen berichtet hatte, löschte Karatbars die Filme aus dem Youtube-Kanal. Wiederholte Anfragen zu den aktuellen Goldbeständen und wo diese lagern, hat Seiz in den vergangenen Monaten nicht beantwortet.

Auf die Frage, ob die Koblenzer Strafverfolger nun angesichts der neuen Erkenntnisse Ermittlungen gegen Verantwortliche der Karatbars-Gruppe einleiten werden, verwies die Behörde an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft in Stuttgart. In Baden-Württemberg hüllen sich die Strafverfolger jedoch seit Monaten in Schweigen, wenn sie auf Karatbars angesprochen werden.

Er habe auf den Tag lange gewartet, sagte Steinberg dem Handelsblatt. „Aber ich wusste, dass die Wahrheit irgendwann an Licht kommt.“ Sein Anwalt, Michael Heuchemer aus Bendorf, betonte, wie sorgfältig die Behörden ermittelt hätten. „Die Einstellungsverfügung bestätigt unsere Auffassung vollends und zeigt deutlich, dass die möglicherweise rechtswidrig Handelnden im ,Karatbars-Universum' anderswo zu suchen sind als bei meinem Mandanten.“

Die Einstellungsgründe in Koblenz nennt Heuchemer „eindrucksvoll“. Er hat wegen falscher Verdächtigung, übler Nachrede und Verleumdung Strafanzeige gestellt.

Deni G. hat Fragen zu den Ermittlungsergebnissen nicht beantwortet. Harald Seiz ließ seinen Anwalt, den Berliner Presserechtler Johannes Eisenberg, einen Teil der Fragen des Handelsblatts beantworten. Der Jurist schränkte jedoch ein: Er verbiete „auch nur die indirekte publizistische Nutzung“ der Auskünfte.

Die Monate der Unsicherheit sind für die Anleger, die KBC gezeichnet haben, noch lange nicht vorbei. Marvin Steinberg könnte die Episode Karatbars mit der Einstellung seines Verfahrens dagegen eigentlich abhaken. Doch auch bei ihm wirkt das Engagement bis heute nach.

Im Juni 2019 eskalierte der Streit mit seinem Auftraggeber um angeblich verschwundene Gold-Coins. Karatbars verfolgte ihn damals mit einer Zivilklage, die später in allen Instanzen scheiterte. Steinberg gab den Ermittlern jedoch auch zu Protokoll, dass er und seine Familie sich von Karatbars-Verantwortlichen „erheblich bedroht“ fühlten.

An einem Samstag Mitte Juni 2019, kurz vor Mitternacht, gaben Unbekannte in einer Tiefgarage im Mainzer Neubaugebiet Zollhafen mindestens zwei Schüsse auf das Auto von Steinberg ab. Der Vorfall ging durch die Lokalpresse. Sein Fahrer blieb unverletzt, sonst saß niemand in dem Auto.

Obwohl die Kripo wegen des Mordversuchs die „Soko Zollhafen“ einrichtete, fehlt vom Täter bis heute jede Spur. Steinberg sagte dem Handelsblatt, dass er Ex-Geschäftspartner aus dem Karatbars-Reich verdächtige.

Seiz präsentierte dem Handelsblatt hingegen im November seine eigene Version, was in Mainz vorgefallen sein könnte. Er bestätigte, dass ihn die Kripo dazu vernommen habe. Er glaube jedoch, dass der Ex-Partner den Angriff inszeniert habe. „Es ist fingiert, ganz einfach, fingiert von ihm selbst. Der macht alles, um uns zu zerstören, damit er sich nicht rechtfertigen muss.“