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„Northern Lights“: Wie Norwegen CO2 in großem Stil verbuddeln will

Norwegen will Kohlendioxid in alte Öl- und Gasfelder pressen und so den Klimawandel bekämpfen. Die verwendete Technologie ist allerdings umstritten.

Mit dem CCS-Verfahren wird Kohlendioxid in alte Öl- und Gasfelder gepumpt. Foto: dpa
Mit dem CCS-Verfahren wird Kohlendioxid in alte Öl- und Gasfelder gepumpt. Foto: dpa

Hier soll eines der größten Probleme unserer Zeit gelöst werden? Kollsnes, knapp 50 Kilometer nordwestlich von Bergen, sieht zunächst alles andere als zukunftsweisend aus. Kilometerlange Rohrsysteme, dampfende Ventile, gigantische Tanks in der Fjordlandschaft muten eher wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten an.

Und doch könnte dieser Ort Teil der Lösung für eines der drängendsten Zukunftsprobleme der Menschheit werden: den Klimawandel. Denn in der Nähe der bestehenden Gasanlage soll Kohlendioxid (CO2), der Klimakiller Nummer eins, in einer unvorstellbaren Dimension entsorgt oder lapidar verbuddelt werden.

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Das Projekt

„Northern Lights“ ist bislang einmalig auf der Welt. Hier in Kollsnes soll das erste Kohlendioxid-Zwischenlager entstehen. Das umweltschädliche Treibhausgas, das unter anderem bei der Verbrennung von Erdgas und Erdöl entsteht, wollen die Norweger durch enormen Druck verflüssigen und dann in Tankschiffen nach Kollsnes bringen.

Von dort wird es über die bereits bestehenden Pipelinesysteme in leere Öl- und Gasfelder gepumpt. CCS, Carbon Capture and Storage, nennt sich das Verfahren. „Die Entscheidung für Kollsnes basierte auf Sicherheitsaspekten, technischen und kommerziellen Voraussetzungen sowie den Möglichkeiten eines weiteren Ausbaus“, sagt Sverre Overå, verantwortlich für das Projekt. Denn die Norweger denken groß.

Das CCS-Verfahren hat sich bisher in einigen Testanlagen in und außerhalb Norwegens bewährt. So werden beispielsweise in Hammerfest im hohen Norden des Landes schon seit mehr als zehn Jahren jährlich rund 700.000 Tonnen CO2 bei der Erdgasförderung abgeschieden und dahin zurückgepumpt, woher sie kamen: in das Gasfeld.

In anderen Öl- und Gasfeldern wurde durch das Hineinpumpen von CO2 erfolgreich der Druck noch einmal erhöht, sodass aus bereits leer geglaubten Feldern doch noch weiter gefördert werden konnte. Zahlreiche Tests haben gezeigt, dass sich leer gepumpte Öl- und Gasfelder sehr gut für die Lagerung des Kohlendioxids eignen. An dem Projekt sind die Energiekonzerne Equinor (vormals Statoil), Shell und Total beteiligt.

Der Klimarat der Vereinten Nationen geht davon aus, dass die in Paris beschlossenen Klimaziele ohne CCS nicht mehr zu erreichen sind. Auch das Umweltbundesamt erklärte im vergangenen Jahr, es sei strittig, „ob globale Klimaschutzziele international langfristig ohne CCS erreicht werden können“.

Vor einigen Jahren gab es in Deutschland jedoch massive Proteste gegen vier geplante CCS-Testanlagen. Kritiker der Technologie befürchteten eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken, da man ja das CO2 abscheiden würde. Mit dem beschlossenen Kohleausstieg fällt dieses Argument weg.

Es bleibt aber die Furcht, das gespeicherte CO2 könnte irgendwann wieder entweichen und dann die Umwelt schädigen. „Eine Zeitbombe im Boden“ nennen die Kritiker die CO2-Speicher. Bislang gibt es in Deutschland nur eine einzige CO2-Speicher-Testanlage in Ketzin im Havelland.

Die Vision

In den riesigen Öl- und Gasfeldern vor der norwegischen Küste könnten Equinor-Berechnungen zufolge die CO2-Emissionen sämtlicher EU-Länder über die kommenden 300 bis 400 Jahre dauerhaft aufgenommen werden. Allerdings ist die Technologie der CO2-Speicher unter dem Meeresboden kompliziert und vor allem kostspielig. In Norwegen rechnet die Regierung mit Investitionen von mehreren Milliarden Euro.

Langfristig aber hofft das Land, mit der CO2-Speicherung Geld zu verdienen. „Theoretisch können wir sämtliche Emissionen der europäischen Industrie hier im Nordatlantik speichern“, sagt Trude Sundset, Chefin der staatlichen Behörde Gassnova, die das Northern-Lights-Projekt betreut.

„Das Problem sind nicht fehlende Lagerkapazitäten, sondern das Geschäftsmodell. Es muss kommerziell vertretbar sein.“ Die konservative norwegische Regierungschefin Erna Solberg verhandelt derzeit mit der EU über eine Beteiligung an dem Projekt. „Es wird sehr viel Geld kosten. Aber wenn wir ein Versuchsland werden sollen, werden sie sich vielleicht an diesem Versuch beteiligen“, argumentiert sie.

Auch die Regierung in Norwegen selbst muss im kommenden Jahr noch endgültig über das Northern-Lights-Projekt entscheiden. Gibt sie die Fördermittel frei, kann ab 2023 oder 2024 der zu Heidelberg Cement gehörende Zementhersteller Norcem mithilfe des nach dem Nordlicht, der Aurora borealis, benannten Projekts als erstes Unternehmen sein Treibhausgas bereits in der Produktionsphase abscheiden und in die gigantischen Reservoirs im Nordatlantik pumpen. Die Zementindustrie steht weltweit für rund fünf Prozent aller Treibhausgase, in etwa so viel, wie auch die weltweite Luftfahrt ausstößt.

Für Deutschland, dass seine Klimaziele aller Voraussicht nach nicht erreichen wird, bietet sich die Möglichkeit, CO2 über die bestehenden Pipelines nach Norwegen zu schicken, wenn man selbst keine CCS-Anlagen bauen will.

Die Strategie

Norwegen, das jahrzehntelang als einer der größten Öl- und Gasexporteure für enorme Mengen CO2 verantwortlich war, kann als CO2-Speicher für Europa eine Art Wiedergutmachung leisten und von Kollsnes aus die Schadstoffe dorthin zurückführen, woher sie kamen.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der Öl- und Gasexporte steht Nachhaltigkeit für das Land seit Langem und unabhängig von den jeweiligen Regierungen ganz weit oben auf der Agenda. Ein höherer Anteil an Elektrofahrzeugen oder eine CO2-Steuer, worüber in Deutschland diskutiert wird: Norwegen hat all dies bereits.

So haben Subventionen für Elektro-Autos zu einem Marktanteil der Stromer in Norwegen von rund 50 Prozent geführt. Ein Tesla kostet durch die Zuschüsse und die Befreiung von der Mehrwertsteuer kaum mehr als ein VW Golf mit Benzinmotor. Experten sehen in den hohen Subventionen und einem sehr gut ausgebauten Ladestationen-Netz den Grund für die große Akzeptanz der E-Autos.

Ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren wird vermutlich gar nicht nötig sein. Auch der Fährverkehr in den Fjorden wird derzeit elektrifiziert. Und Kreuzfahrtschiffe dürfen künftig nur noch in bestimmte Fjorde einlaufen, wenn sie einen Hybridantrieb haben. Zur Klimaschutzstrategie zählt auch eine CO2-Steuer.

Während in Deutschland noch über ihre Einführung diskutiert wird, gibt es diese Steuer in Norwegen bereits seit 1991. Die Steuer ist unterschiedlich hoch, je nach Branche und Sektor. Für die meisten Energieträger beträgt sie umgerechnet rund 51 Euro pro Tonne CO2. Auch der innernorwegische Flugverkehr ist von der CO2-Steuer nicht ausgenommen. Die Einführung der CO2-Steuer vor fast 30 Jahren wurde von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert — auch deshalb, weil die Regierung gleichzeitig andere Steuern wie Erbschaft- und Kapitalertragsteuern senkte. Die Belastung für den Einzelnen stieg also nicht durch die Einführung der CO2-Steuer.

Oslo ist in diesem Jahr die Ökostadt der EU. Die Hauptstadt will die CO2-Emissionen bis Ende 2020 um 36 Prozent senken im Vergleich zum Niveau von 1990. 2030 sollen gar 95 Prozent der Emissionen eliminiert sein. Oslo arbeitet dafür streng nach einem Klimabudget. CO2-Ausstoßzahlen werden ebenso streng verbucht wie monetäre Budgetausgaben.

Klimaschutz hat vielleicht gerade wegen der hohen Emissionen durch die Öl- und Gasförderung mittlerweile bereits Tradition in Norwegen. Schon 1987 gab die ehemalige Regierungschefin Gro Harlem Brundtland im Auftrag der Vereinten Nationen den sogenannten Brundtland-Bericht heraus, in dem erstmals der Begriff der Nachhaltigkeit definiert wurde. Von Kollsnes aus können jetzt den Worten die Taten folgen.

Über die Serie: Der Kampf gegen die globale Erderwärmung kann nur gewonnen werden, wenn die Länder der Welt ihr Wissen und ihre Anstrengungen bündeln. Das Handelsblatt stellt Klimapioniere und ihre Projekte sowie die Umweltstrategie ihrer Heimatländer vor. Kommende Woche: Biogas und Solar in Südafrika