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Milliardenschweres Gasgeschäft mit China – Russland drängt nach Asien

Der kremlnahe Konzern Novatek eröffnet in der russischen Arktis eine neue Produktionsanlage für Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, kurz: LNG). Das Gas ist vor allem für den asiatischen Markt bestimmt und ein Zeichen der seit langem vom Kreml propagierten Wendung nach Osten.

Es ist das dritte Terminal der LNG-Anlage, das in Betrieb genommen wird. Damit fährt die Anlage auf voller Kraft. Die entlädt sich in einem dröhnenden Rauschen, als das Terminal die Befüllung des eisbrechenden Gastankers „Christophe de Margerie“ startet.

Die VIP-Gäste klatschen, darunter der russische Premier Dmitri Medwedew, Novatek-Großaktionär Leonid Michelson, Total-Chef Patrick Poyanné, aber auch Wirtschaftsdelegationen aus China und Japan, die die Zeremonie im Gemeindesaal von Sabetta verfolgen.

Das Projekt Jamal LNG ist trotz der Extrembedingungen ein Jahr früher fertig geworden als geplant. Medwedew betont die strategische Bedeutung: „Schon ein halbes Jahrhundert lang kooperiert unser Land erfolgreich mit seinen europäischen Nachbarn, nun gehen wir auch auf den asiatischen Markt“, sagt der russische Premier.

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Etwa eine Flugstunde von Sabetta entfernt verschwindet die Sonne am südlichen Horizont. Obwohl es erst zwei Uhr mittags ist, hier im äußersten Norden Sibiriens auf der Halbinsel Jamal, ist es bereits so dunkel wie mitten in der Nacht.

„Die Sonne habe ich das letzte Mal hier vor eineinhalb Monaten gesehen“, sagt Kellner Jewgeni, der gewöhnlich in der Kantine der Montagesiedlung arbeitet. Aufgehen wird sie erst wieder Ende Januar. „Am 25./26. Januar zeigt sich zum ersten Mal die Sonnenscheibe am Horizont und wir feiern hier die Sonnenwende“, erklärt Geologe Wassili.

Wassili ist ein „alter Polarhase“. Schon 1982 war er das erste Mal auf Jamal. „Damals haben wir hier noch in Zelten gehaust und das bei Tiefsttemperaturen von 46 Grad unter Null“, erzählt er. Damals, zu Sowjetzeiten, haben die Geologen auch das Gasfeld Juschno-Tambejskoje (Süd-Tambejsk) gefunden, das mit seinen geschätzten Reserven von 1,4 Billionen Kubikmeter Gas als Rohstoffbasis für das gigantische LNG-Projekt „Jamal LNG“ dient.

Erst jetzt wird mit der Ausbeutung begonnen. Entgegen seiner Bezeichnung liegt Süd-Tambejsk selbst für Jamal noch hoch im Norden über dem 71. Breitengrad. Dort, wo sich der Strom Ob in die arktische Karasee mehr schiebt als ergießt. Am Strand tauchen auch heute noch ab und an Eisbären auf.

In Zelten lebt heute aber niemand mehr: Innerhalb von sieben Jahren hat Novatek, der zweitgrößte russische Gaskonzern nach Gazprom, hier eine Gasverflüssigungsanlage, einen Hafen, einen Flughafen und eine auf Stelzen stehende Siedlung für mehrere Tausend Arbeiter aus dem Dauerfrostboden gestampft. Sogar eine orthodoxe Kirche steht in dem Ort Sabetta, der nördlicher als Hammerfest in Norwegen oder Barrow (Utqicvik) in Alaska liegt.

Im Prinzip gibt es alles in Sabetta, was man braucht: Strom und Wärme, ein reichhaltiges Essenangebot, einen Fitnesssaal und – freilich ziemlich schwaches – Internet. Dauerhaft lebt trotzdem kaum jemand in Sabetta.

Die Wohnheime werden schichtweise belegt. Arbeiter sind hier 30 bis 45 Tage, dann geht es für etwa die gleiche Zeit wieder zurück „aufs Festland“, wie sie hier sagen. Gebaut, gebohrt und verladen wird aber auch im Winter – zumindest bis zu minus 32 Grad.

Bei der Eröffnung des dritten Terminals steht die 27 Milliarden Dollar teure LNG-Anlage im Blickpunkt der Prominenz. Das strategische Ziel des Ausbaus ist der asiatische Markt.

Asien gilt – zumindest noch – als besonders lukrativ, da die dortigen Verbraucher wegen ihrer Abgeschiedenheit von großen Rohstoffquellen einen Obolus zahlen. 16,5 Millionen Tonnen Gas kann Jamal LNG pro Jahr verflüssigen. Das entspricht 23 Milliarden Kubikmetern Gas.

Russland braucht neue Abnehmer in Asien

Zum Vergleich: Über die Pipeline Jamal – Europa kommen 33 Milliarden Kubikmeter unter anderem bis nach Deutschland. Doch Pipelines haben einen strategischen Nachteil: Sie sind standortgebunden, LNG-Tanker hingegen können rund um die Welt fahren. Und dank der Klimaerwärmung auch immer länger durch die Nordostpassage bis nach China und Südostasien.

Auch wenn Total-Chef Poyanné nicht müde wird, zu betonen, dass ein Teil des Gases nach Europa komme, und sein Konzern immerhin 20 Prozent an Jamal LNG hält: Der Anteil der Chinesen ist größer. Der chinesische Staatskonzern CNPC hält ebenfalls 20 Prozent, der Seidenstraßenfonds noch einmal 9,9 Prozent.

Zudem haben sich die Chinesen mit Krediten an den Mehrheitsaktionär Novatek auch Langzeitverträge über riesige Mengen Gas gesichert.

Es ist das erste Großprojekt Russlands, das tatsächlich die geplante und rhetorisch im Kreml schon lange vollzogene Diversifizierung der Energielieferungen verwirklicht. Die andauernden Konflikte in Europa sorgen für Unsicherheit. Darum braucht Russland neue Abnehmer in Asien. Die von Gazprom gebaute Pipeline „Sila Sibiri“ (Kraft Sibiriens) wird wohl erst im nächsten Jahr in Betrieb gehen.

Mittlerweile hat Novatek den großen Konkurrenten Gazprom auch beim Wettlauf gen Osten überholt. Beim Geschäft mit dem Flüssiggas LNG ist der Konzern, an dem auch der Putin-Vertraute Gennadi Timtschenko beteiligt ist, der schwerfälligen staatlichen Gazprom ohnehin weit voraus.

Und die Pläne sind gigantisch: Novatek-Großaktionär Michelson plant nun, die Kapazität von Jamal LNG weiter aufzustocken. Darüber hinaus hat der Multimilliardär – 2018 immerhin noch die Nummer drei unter Russlands Oligarchen – am Ostufer des Ob auf der Jamal gegenüberliegenden Halbinsel Gydan ein weiteres milliardenschweres LNG-Projekt, „Arctic LNG-2“, in Arbeit.

Bis 2030 wolle Novatek die LNG-Produktion auf 65 bis 70 Millionen Tonnen steigern, erklärte Michelson. Das entspricht schon fast 100 Milliarden Kubikmetern – und beinahe doppelt so viel wie durch die Pipeline Nordstream in Deutschland ankommt.

Bis dahin soll auch die Eistankerflotte deutlich ausgebaut werden. Der Kreml selbst will Umschlagplätze in Murmansk und auf Kamtschatka aufbauen, damit die teuren Eistanker tatsächlich nur auf der Nordostpassage verkehren und das Gas anschließend auf normalen Tankern weiter verfrachtet wird – dort, wo es gerade am teuersten ist.

Ein paar Jahre wird es also noch dauern, bis Russland die Diversifizierung seiner Energielieferungen endgültig erreicht.