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Der „Morgan-Faktor“: Frauenanteil in deutschen Vorständen steigt stärker

Markiert die Berufung von Jennifer Morgan zur Co-Chefin von SAP einen Zeitenwechsel? Daten des DIW-Institut liefern erste Hinweise. Im Finanzsektor tut sich wenig.

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte Jennifer Morgan als neue Co-Chefin des Softwarekonzerns SAP an diesem Mittwoch ihren Auftritt. Morgan ist seit Oktober die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns. Doch ist der Karriereschritt der 48-jährigen Amerikanerin die große Ausnahme für die deutsche Wirtschaft oder markiert ihre Berufung tatsächlich die Wende hin zu nachhaltig mehr Frauen in Führungspositionen?

Das Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) liefert dazu erste Hinweise. Fazit: Der Frauenanteil in den Vorständen großer Unternehmen in Deutschland ist im vergangenen Jahr etwas stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. Demnach überschritten die 200 umsatzstärksten Unternehmen erstmals die Zehn-Prozent-Marke: 94 von 907 Vorstandsposten hatten Frauen inne, das entspricht einem Anteil von 10,4 Prozent.

Nach Einschätzung von Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin, zeigt sich hier jedoch nicht nur ein „Morgan-Faktor“. „Das allein erklärt den Anstieg nicht“, sagte Wrohlich. „Auch abseits der Personen im Rampenlicht sehen wir, dass es voran geht.“

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Die Daten des DIW stammen aus dem Herbst 2019. Bei über 500 Unternehmen wurde untersucht, inwieweit Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vertreten sind.

„Allerdings muss ich auch gleich Wasser in den Wein schütten“, sagte Wrohlich bei der Vorstellung der Befunde am Mittwoch in Berlin. Bei genauerem Hinsehen vollziehe sich die Entwicklung in den Chefetagen nach wie vor auf einem extrem niedrigen Niveau.

Dies gelte vor allem, wenn mehrjährige Zeiträume betrachtet würden. „Geschlechterparität in den Vorständen der größten Unternehmen in Deutschland ist nach wie vor in weiter Ferne“, bilanzierte Wrohlich. Es könne auch noch keine Rede davon sein, dass in sämtlichen Chefetagen das Umdenken begonnen hätte.

So ging es laut DIW-Studie in den Aufsichtsräten, anders als in den meisten Jahren zuvor, im Vergleich zu den Vorständen langsamer nach oben. In den Top-200-Unternehmen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung 28,2 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen. Das ist eine Zunahme um mehr als einen Prozentpunkt gegenüber dem Jahr zuvor.

In Deutschland gilt seit 2016 für die Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen eine verbindliche Geschlechterquote in Höhe von 30 Prozent. Sie betrifft derzeit rund 100 Unternehmen. Frei werdende Posten müssen hier so lange an Frauen vergeben werden, bis die Quote erreicht ist.

„Durchsickereffekte“

Diesen Vorschriften billigen DIW-Forscherin Wrohlich und Mitautorin Anja Kirsch von der Freien Universität Berlin positive Auswirkungen zu. Denn in einem Unternehmen mit Quotenbindung sei der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten konstant höher als in vergleichbaren Unternehmen.

Außerdem meinen die Forscherinnen auch „Durchsickereffekte“ auszumachen: Es verdichten sich demnach die Anzeichen dafür, dass die gesetzliche Quote für Aufsichtsräte mehr und mehr auch auf die Vorstände ausstrahlt.

Denn Aufsichtsratsmitglieder können die Besetzung von Vorstandsposten entsprechend beeinflussen, weil sie etwa direkt an Personalentscheidungen beteiligt sind oder Zielgrößen für den Frauenanteil in Vorständen festlegen.

Die Zahlen: Unter den Top-200-Unternehmen ist der Frauenanteil im Vorstand jener Unternehmen, die der Quotenregelung für Aufsichtsräte unterliegen, im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, und zwar von acht auf 12,3 Prozent. Sie liegt damit nun höher als bei jenen Unternehmen innerhalb der Top-200-Gruppe, die nicht an die Quote gebunden sind. Dort stagnierte der Anteil der Vorständinnen im vergangenen Jahr bei gut neun Prozent.

„Die neuen Zahlen des DIW bestätigen, dass Handlungsbedarf besteht“, sagte Giffey am Mittwoch nach Veröffentlichung der neuen Daten. Bei den Vorständen, wo es keine verbindliche Regelung gebe, bleibe Deutschland auf extrem niedrigen Niveau. „Wir können es uns nicht leisten, nur im Schneckentempo voranzukommen“, sagte die Ministerin. Es gehe nicht nur um die einzelne Führungsposition, sondern um eine große Signalwirkung auf das ganze Unternehmen und die Gesellschaft.


„Sorgenkind“ Finanzsektor

Auch belegten weitere Berechnungen, dass der Frauenanteil im Aufsichtsrat eines Unternehmens positiv mit dem Frauenanteil in dessen Vorstand einige Jahre später zusammenhängt.

Allerdings bleiben die Aussagen hier vorsichtig: „Ob es einen kausalen Zusammenhang gibt, lässt sich nicht sicher sagen“, betonte Wissenschaftlerin Kirsch. „Aber eine Korrelation ist da. Es gibt eine Strahlkraft.“ Auch öffentliche Diskussionen hätten den Druck erhöht.

Liegt Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) also angesichts der Befunde richtig, wenn sie nun auch eine Frauenquote für Vorstände fordert? „Eine gesetzliche Geschlechterquote für Vorstände wäre sicherlich ein geeignetes Mittel“, sagt DIW-Forscherin Wrohlich. Allerdings gebe es rechtlich hohe Hürden. „Es dürfte also schwer werden, das umzusetzen.“

Ein „Sorgenkind“ bleibt laut DIW-Studie der Finanzsektor. Banken hinken bei der Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten mit Frauen anderen Branchen hinterher. So zeigt der Vergleich des Frauenanteils in den Vorständen und Aufsichtsräten der 100 größten Banken und der 100 größten Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, wie wenig dynamisch die Entwicklung hier verläuft.

2006 war der Frauenanteil in allen Vorständen verschwindend gering, bei den 100 größten Banken mit 2,5 Prozent aber immerhin höher als in den Top-100-Unternehmen mit 0,2 Prozent, rechnet das DIW vor. Bis 2012 hätten sich beiden Unternehmensgruppen in etwa parallel entwickelt. Seit 2014 sei jedoch der Frauenanteil in den Vorständen der Top-100-Unternehmen fast jedes Jahr um mindestens einen Prozentpunkt gestiegen, während die Zunahme bei den 100 größten Banken deutlich geringer ausgefallen sei.

Die aktuellen DIW-Zahlen: 2019 lag der Frauenanteil in den Vorständen der Top-100-Unternehmen mit 11,6 Prozent über dem der Top-100-Banken mit 9,8 Prozent.

öffentlich-rechtliche Banken steigern Anteil am stärksten

Noch stärker ausgeprägt zeigt sich dieses Muster demnach für die Aufsichtsräte, sodass schließlich 2019 der Wert bei den Banken bei knapp 23 Prozent lag – und damit um fast sieben Prozentpunkte geringer war als der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 100 umsatzstärksten Unternehmen der anderen Wirtschaftssektoren.

Das DIW hat auch die einzelnen Bankengruppen untereinander verglichen. Das Ergebnis: Die öffentlich-rechtlichen Banken steigerten ihren Frauenanteil in Vorständen am stärksten, von 7,2 Prozent im Jahr 2018 auf zuletzt 9,3 Prozent. Anteilig die meisten Vorständinnen haben mit fast elf Prozent allerdings die Privatbanken, ein Prozentpunkt plus. Bei den Genossenschaftsbanken sank hingegen der Frauenanteil in den Vorständen von 10,7 Prozent im Jahr 2018 auf zuletzt 9,1 Prozent.

In den Aufsichtsräten ist das Bild hingegen umgekehrt. In diesen Gremien sank der Frauenanteil laut DIW-Berechnungen zuletzt sowohl bei den öffentlich-rechtlichen Banken von 22,3 auf 21,2 Prozent als auch bei den Privatbanken von 27,7 auf 27,3 Prozent. Bei den Genossenschaftsbanken stieg der Frauenanteil im Aufsichtsrat hingegen von 21,8 Prozent im Jahr 2018 auf 23,1 Prozent im Jahr 2019.

Der Finanzsektor sei „mittlerweile abgehängt“, urteilt das DIW. Diese Entwicklung ist besonders erstaunlich, weil Frauen die Mehrzahl der Beschäftigten im Finanzsektor ausmachen.

Die Erklärungsversuche der DIW-Forscherin Wrohlich: „Im Finanzsektor gibt es eine besonders männlich geprägte Unternehmenskultur. Belohnt werden überlangen Arbeits- und Präsenzzeiten.“ Das erschwere es zum Beispiel Müttern, Karriere zu machen.

Darum plädieren die Studienautorinnen auch insgesamt für neue Formen der Arbeitsorganisation, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. „Ist es wirklich notwendig, dass diese Stellen mit einer so enormen Arbeits- und zeitlichen Belastung einhergehen?“, fragte Wrohlich. „Wenn sich hier etwas verändert, dann würde vermutlich der Frauenanteil in diesen Positionen nachhaltig steigen.“

Trotzdem zieht das DIW eine zuversichtliche Bilanz: Das Jahr 2019 könnte sich im Nachhinein als das Jahr herausstellen, in dem eine nachhaltig höhere Dynamik auf dem Weg zu mehr Frauen in Führungspositionen einsetzte.

Als Beleg listet das Wirtschaftsforschungsinstitut nicht nur Jennifer Morgan von SAP auf, sondern auch Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin und Christine Lagarde als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank.

Mehr: Sylvie Nicol, die neue Personalvorständin von Henkel, spricht im Interview mit dem Handelsblatt über die Revolution in der Führungskultur, Investitionen in Digitalisierung und den Kampf gegen Plastikmüll.