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Angst vor Macrons Wut: Nato-Gipfel wird vom Streit der Partner überschattet

Trump, Macron, Erdogan: Die Nato fürchtet gleich drei Unruhestifter beim Jubiläumsgipfel in London. Osteuropa hofft auf Vermittlung durch Merkel.

Polizisten patrouillieren vor dem „The Grove Hotel“ in Watford bei London. Am 3. und 4. Dezember findet dort der Nato-Gipfel statt. Foto: dpa
Polizisten patrouillieren vor dem „The Grove Hotel“ in Watford bei London. Am 3. und 4. Dezember findet dort der Nato-Gipfel statt. Foto: dpa

Für diese Woche war in London eigentlich ein feierliches Jubiläumstreffen zum 70. Geburtstag der Nato geplant: Empfang der 29 Nato-Regierungschefs bei der Queen im Buckingham-Palast, gemeinsames Essen an diesem Dienstag, am Mittwoch eine kurze Arbeitssitzung mit freundlicher Abschlusserklärung zur Bedeutung des weltgrößten Militärbündnisses.

Doch gleich drei Regierungschefs drohen das Fest empfindlich zu stören: US-Präsident Donald Trump hält die deutschen Verteidigungsausgaben weiterhin für viel zu niedrig. „Deutschland ist das einzige Land, das immer noch keinen Plan zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels vorgelegt hat“, sagte US-Botschafter Richard Grenell am Montag dem Handelsblatt. Trump selbst wiederum sagte kurz vor seinem Abflug zum Gipfel, die USA zahlten „viel zu viel“.

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Noch größere Sorge hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinem Verlangen nach einer Grundsatzdiskussion im Nato-Plenum über Sinn und Zweck des Bündnisses ausgelöst. In einem Interview vor drei Wochen holte er zum Rundumschlag aus und nannte die Nato „hirntot“. Schlimmer noch: Er stellte den Beistandsartikel 5 des Bündnisses infrage, verlangte mehr europäische Unabhängigkeit von den USA und eine Annäherung an Russland.

Aus der Türkei wiederum verlautete, Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte die Einstufung der syrischen Kurdenmiliz YPG als Terrororganisation zur Bedingung für die Zustimmung zu allen Beschlüssen machen. Im Nato-Hauptquartier jedenfalls herrschte vor dem Gipfel Ärger und Unverständnis – vor allem über Macron.

Die „Hirntot“-Wortwahl sei unpassend, hieß es in Brüssel. Macrons „disruptiver Ansatz“ passe nicht zu einer Organisation, die auf tiefem Konsens beruhe. Vor allem in Polen und im Baltikum herrscht Alarmstimmung: Die Europäer seien auf die USA angewiesen, hieß es dort.

Seit Macrons gemeinsamer Pressekonferenz mit Jens Stoltenberg am vergangenen Donnerstag ist die Verwirrung über Frankreichs Ziele komplett. „Ist Russland unser Feind? Oder China? Ist es die Mission der transatlantischen Allianz, sie zu Feinden zu erklären? Ich glaube nicht“, hatte Macron gesagt.

Die von ihm vorgeschlagene Annäherung an Russland läuft vor allem dem Interesse der Osteuropäer zuwider, die aus Angst vor dem Riesenreich nach dem Ende des Kalten Krieges der Nato beigetreten sind und vor allem auf den Schutz der Militärmacht USA setzen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte vergangene Woche ebenfalls, dass sich die Europäer alleine, ohne US-Unterstützung, nicht verteidigen könnten.

Besonnener Reflexionsprozess gefordert

Im Kanzleramt und im Außenministerium arbeitet man fieberhaft daran, die Konflikte zu entzerren. Über den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien, den Auslöser von Macrons Wut, werden am Dienstagnachmittag Merkel, Großbritanniens Regierungschef Boris Johnson, Macron und Erdogan noch vor dem eigentlichen Gipfelbeginn reden.

Das Verhältnis von Macron und Erdogan allerdings trübte sich zu Wochenauftakt noch mehr ein: Die Türkei kritisierte Macrons Gesprächsbereitschaft gegenüber einem syrischen Kurdenpolitiker, den Ankara als Terroristen betrachtet. An Macron gerichtet sagte Erdogan: „Sie sollten prüfen, ob Sie hirntot sind.“ Frankreichs Regierung bestellte daraufhin den türkischen Botschafter ein: Erdogans Worte seien eine „Beschimpfung“, hieß es in Paris.

Die von Macron verlangte Grundsatzdebatte über die Nato soll ebenfalls aus dem Plenum ausgelagert werden: Für die Arbeitssitzung der Regierungschefs am Mittwoch wartet die Bundesregierung mit dem Vorschlag von Außenminister Heiko Maas (SPD) für einen externen Expertenarbeitskreis auf.

Ganz in Ruhe solle in einem „Reflexionsprozess“ bis 2021, und damit bis nach der nächsten US-Wahl, ausgelotet werden, wie die Nato politisch gestärkt und die Konsultationen verbessert werden könnten. Um das Kerngeschäft der Nato, die militärische Zusammenarbeit, solle es dabei allenfalls am Rande gehen, hieß es aus dem Kanzleramt. Die Bundesregierung stellt sich damit an die Seite der Osteuropäer, die vehement verlangt hatten, die Grundsatzdebatte aus der Nato auszulagern.

Den schwelenden Ärger mit Trump über das deutsche Verteidigungsbudget wiederum hofft die Bundesregierung, auf ein bilaterales Treffen zwischen Merkel und Trump nach dem eigentlichen Nato-Treffen begrenzen zu können. „Hirntot“, hieß es aus dem Kanzleramt, sei das Bündnis ganz und gar nicht. Im Gegenteil habe die Nato in den fünf Jahren seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Gipfel in Wales militärisch „einen Stärkungsprozess durchlaufen, der weitergehen wird“, sagte ein hoher deutscher Beamter am Dienstag.

China bedarf besonderer Aufmerksamkeit

Europäer und Kanadier würden in diesem Jahr 130 Milliarden Dollar mehr für Verteidigung ausgeben als 2014. Auch Deutschland nähere sich dem Ziel, dafür zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben, kontinuierlich: von 1,38 Prozent 2019 über 1,42 Prozent 2020 bis 1,5 Prozent 2024. Und Anfang der 2030er-Jahre, erinnerte er an Aussagen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), würden die zwei Prozent erreicht.

Kramp-Karrenbauer, war wiederum von US-Diplomaten zu hören, genieße in der Trump-Regierung Wertschätzung: Ihr Vorschlag, eine UN-Blauhelmmission in Nordsyrien mit Bundeswehr-Soldaten unterstützen zu wollen, sei positiv aufgenommen worden, hieß es. Nach wie vor allerdings handelt es sich dabei nicht um einen Vorschlag der Bundesregierung: Die Lage in Nordsyrien erfordere „strategische Geduld“, so Merkel. Außenminister Maas kritisierte den Vorstoß hart.

Das Treffen der Nato-Regierungschefs soll mit einer zweiseitigen „Londoner Erklärung“ enden. Neben dem „Reflexionsprozess“ ist im Entwurf des Dokuments nach Angaben des deutschen Regierungsbeamten ein klares Bekenntnis zur Beistandspflicht des Nato-Vertrags enthalten.

Außerdem soll gegenüber Russland die bisherige Doppelstrategie aus Abschreckung und Dialogbereitschaft bekräftigt werden. China wird ebenfalls erwähnt – als ein Land, das angesichts seiner Aufrüstung der Beobachtung durch die Nato bedürfe, hieß es weiter.

Mitglieder der Bundesregierung gaben sich zuversichtlich, dass mit dieser Tagesordnung ein Gipfel ohne Eklats möglich werden könnte. Sicher aber ist das nicht. Trump, Macron und Erdogan – alle drei gelten nicht gerade als berechenbar.