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Axios-Gründer: „Ich würde Journalisten das Twittern verbieten“

Der Mitgründer der US-News-Seite Axios über den Wandel in der Politik, die Vertrauenskrise der Medien und neue Geschäftsmodelle für den Journalismus.

Für viele US-Medien waren die vergangenen zwölf Monate ein wirtschaftliches Desaster. Selbst die einstigen Hoffnungsträger Buzzfeed und Vice mussten zahlreiche Journalisten entlassen. Die junge amerikanische News-Seite Axios dagegen kam bislang ohne Blessuren durch die Krise: 180 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen knapp drei Jahre nach seinem Start.

Viele der Journalisten sind mit exklusiven Geschichten präsent: in eigenen Newsletters, nationalen TV-Shows und auf Konferenzen. „Wir fokussieren uns auf die Themen, die für die Menschen in den nächsten fünf Jahren wichtig werden“, sagt Axios-Mitgründer Jim VandeHei im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir erzählen die Geschichten so, dass wir keine Zeit unserer Leser verschwenden.“

Der CEO des jungen Medienunternehmens kennt den politischen Betrieb. Jahrelang hat er als Reporter aus Washington berichtet, unter anderem für das „Wall Street Journal“ und die „Washington Post“. Dann kündigte er seinen prestigeträchtigen Posten und startete 2007 zusammen mit einem Kollegen das Politikportal Politico, das längst zu einer der wichtigsten Quellen politischer Informationen in Washington und Brüssel geworden ist.

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2016 stieg VandeHei dort aus und gründete Axios. Das Handelsblatt traf er bei einem Deutschlandbesuch in Düsseldorf.

Herr VandeHei, Axios beschäftigt sich intensiv mit dem Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump. Warum ändert sich die öffentliche Meinung über den US-Präsidenten nicht – trotz immer neuer, pikanter Details in der Ukraineaffäre?
Die meisten Menschen in den USA haben eine feste, sehr emotionale Haltung zu Donald Trump: Entweder lieben sie ihn – oder sie hassen ihn. Es gibt wenig dazwischen. Deshalb ist auch die Zahl der Menschen klein, die sich im Laufe des Verfahrens noch umentscheiden könnten.

Das heißt auch: Die Republikaner werden sich nicht gegen ihren Präsidenten stellen.
Davon gehe ich aus.

Sie haben selbst als Reporter viele Jahre über Politik berichtet. Wie hat sich das Klima in Washington in den vergangenen Jahren verändert?
Früher war die politische Auseinandersetzung ganz anders, akademischer in gewisser Weise. Da ging es eher um Ideen und politische Konzepte, denen Menschen dann folgten oder eben nicht. Heute ist die Debatte vor allem emotional. Politische Einstellungen werden für die Menschen stärker als früher zum Kern ihrer Identität. Eine politische Haltung zu ändern wird dadurch viel schwieriger, weil es vergleichbar damit ist, seine Identität infrage zu stellen. Und letztlich ist die Politik in vielen Bereichen verrückt geworden.

„Politik wird zu einer Soap Opera“

Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel die Art, wie die Menschen auf Donald Trump reagieren. Seine Anhänger drehen durch, wenn man den Präsidenten kritisiert. Und Trumps Gegner gehen schon an die Decke, wenn sie nur seinen Namen hören. Was aber auch stimmt: Nie zuvor haben sich die Amerikaner so intensiv mit Politik beschäftigt.

Wegen Donald Trump?
Ich denke schon. Aber auch, weil Politik durch Social Media zu einer Art Soap-Opera geworden ist.

Social Media trägt aus Ihrer Sicht also eine Mitschuld an diesem Wandel in Washington?
Social Media macht uns alle verrückt. Auf Twitter haben die Menschen nur ein paar Worte, um ihre Meinung zu sagen. Sie müssen zugespitzt formulieren, um möglichst großen Beifall ihrer Fans zu bekommen. Es gibt dort wenig Raum für Ausgewogenheit. Ernsthafte Debatten kommen dadurch eher nicht zustande. Bei Facebook wiederum ist der ganze Algorithmus darauf ausgerichtet, dass Menschen immer mehr von dem sehen, was sie ohnehin denken und an was sie glauben. Das verändert die Diskussion – ob mit oder ohne Donald Trump. Wenn ich König für einen Tag wäre, würde ich Journalisten verbieten, auf Twitter aktiv zu sein.

Wieso das?
Weil sie dort in einer Blase leben. Zudem beobachte ich, dass Twitter Journalisten dazu verführt, ständig ihre Meinung zu sagen. Das halte ich für problematisch. Dadurch wird es für sie viel schwieriger, die ohnehin medienkritischen Amerikaner von der Qualität ihrer Informationen zu überzeugen. Rund jeder zweite Amerikaner traut den Medien nicht mehr. Das ist ein riesiges Problem. Journalisten sollten sich deshalb wieder mehr auf Fakten und ihre Recherchen konzentrieren.

Auch Axios-Journalisten sind ziemlich aktiv bei Twitter. Konnten Sie sich in Ihrem eigenen Laden noch nicht durchsetzen?
Wenn Sie bei Axios arbeiten – ob als Journalist oder in anderer Funktion – ist es Ihnen untersagt, Ihre persönliche Meinung öffentlich mitzuteilen. Das ist der Preis für einen Job bei uns. Nur sehr selten verstoßen unsere Mitarbeiter dagegen. Sie teilen bei Social Media ihre Geschichten und die Recherchen ihrer Kollegen. Aber sie kommentieren nicht. Auch auf der Webseite von Axios werden Sie keine Meinungsartikel finden.

Was ist gegen klar gekennzeichnete Meinungsartikel von Journalisten einzuwenden?
Gerade in der aktuellen Vertrauenskrise sollte Journalismus auf fast klinische Weise faktenbasiert sein, so sehen wir es jedenfalls bei Axios. Journalisten sollten ihre Recherchen für sich selbst sprechen lassen.

„Social Media hat das Gehirn der Menschen verändert“

Im Mission Statement von Axios heißt es, die Medienbranche sei kaputt. Was genau ist da kaputt?
Einerseits meinen wir damit die Vertrauenskrise zwischen Medien und Nutzern. Andererseits sind es die Produkte selbst, die aus unserer Sicht nicht mehr funktionieren. Viele News-Seiten sehen schrecklich aus. Ein Grund für den Erfolg sozialer Medien ist doch, dass Nutzer dort viel leichter Informationen konsumieren können, es gibt keine aufspringenden Fenster und keine Banner – die Plattformen bieten ein viel besseres Nutzererlebnis. Viele traditionelle Medienunternehmen entwickeln ihre Produkte noch nach den Regeln von vor 20 Jahren. Und sie setzen auf die Themen von damals.

Auf welche Themen setzt Axios?
Wir haben uns gefragt, was die Themen sind, die unser Leben in den nächsten fünf Jahren verändern werden. Axios berichtet deshalb intensiv über Künstliche Intelligenz, die Entwicklungen in China, die Globalisierung und über die Folgen der Erderwärmung. Bei uns schreiben mehr Reporter über Technologie als über Politik. Außerdem haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, wie Leser die Inhalte konsumieren wollen.

Und zwar?
Social Media hat das Gehirn der Menschen verändert. Selbst die intensiven News-Konsumenten erwarten die Nachrichten heute eher in einer Sprache, in der sie sich unterhalten würden. Und sie fordern eine andere, einfachere Darstellung der Inhalte. Nutzer haben letztlich doch immer die gleichen Fragen: Was ist neu? Was ist der Kontext einer Meldung? Warum ist das Thema wichtig?

Nach diesen Fragen ist praktisch jede Meldung bei Axios mit Hervorhebungen und Zwischentiteln gegliedert.
Und die Rückmeldungen der Nutzer zeigen, dass sie genau auf so etwas gewartet haben. Wir müssen uns eingestehen, dass wir Journalisten zu oft für unser eigenes Ego und für andere Journalisten schreiben. Nur sehr selten braucht man wirklich 1 800 Wörter, um eine relevante Geschichte zu erzählen.

Stattdessen hat Axios ein Interview mit Trump hinter 19 Spiegelstrichen zusammengefasst. Was gewinnt der Leser dadurch?
Die meisten Interviews haben doch ohnehin wenig Nachrichtenwert, man überfliegt sie schnell, um zu sehen, was wirklich neu ist – und die wenigen News sind dann auch noch in einem langen Text versteckt. Da ist es nur logisch, dass man die wichtigsten Aussagen nimmt, hierarchisiert und dem Leser aufbereitet, damit er sie schneller findet.

Kritiker nennen diese Erzählweise bei Axios spöttisch „Spiegelstrichjournalismus“. Dahinter steckt auch die Angst vor Verflachung.
Es ist doch viel schwieriger, straff zu schreiben, als einfach endlos Wörter aneinanderzureihen. Kurz heißt bei uns nicht flach, sondern effizient. Axios-Nutzer können sehr tief gehende Analysen lesen – sie kommen aber auch sehr schnell zum nächsten Thema. Beim Umgang mit Nutzern können Journalisten viel von Amazon, Facebook und Google lernen. Die haben viel investiert, um ihre Produkte so weiterzuentwickeln, damit die Kunden schnell an das kommen, was sie suchen.

„Ich glaube nicht an Paywalls“

Wer sind eigentlich die typischen Axios-Leser?
Uns lesen CEOs großer Technologiefirmen, CEOs von Fortune-500-Unternehmen, der US-Präsident, seine Mitarbeiter; sie alle finden diese Art, Nachrichten auf das Wesentliche zu konzentrieren – und zu hierarchisieren, nützlich. Aber so ein radikales Modell konnten wir nur starten, weil wir vor drei Jahren bei null angefangen haben. Nicht einmal habe ich seitdem unsere Website auf einem Computer angeschaut. Bei uns ist alles auf das Smartphone und auf unsere Newsletter optimiert.

Axios ist werbefinanziert, ein Modell, das immer schlechter funktioniert. Denken Sie über eine Paywall nach?
Nein. Eine Bezahlschranke kommt höchstens für spezialisierte Produkte infrage, die es noch nicht gibt. Alles, was heute kostenlos ist, wird kostenlos bleiben. Ich glaube generell eher nicht an Paywalls.

Warum?
Weil sie nicht funktionieren, Ausnahmen sind Wirtschaftsmedien und einige wenige Spitzenpublikationen. Wir bei Axios können wesentlich mehr mit Werbung verdienen.

Sie hatten zum Start von Axios mal einen Newsletter für 10.000 Dollar pro Jahr angekündigt. Wann kommt der?
Wir entwickeln gerade ein neuartiges, sehr teures Highend-Abo-Produkt. Die Menschen bezahlen bei diesem Modell nicht unbedingt nur für Inhalte, sondern möglicherweise für eine Technologie oder ein gewisses Maß an Beratung. Eine Reihe von Unternehmen testet das gerade.

Das klingt sehr kryptisch.
Ich weiß. Mehr kann ich noch nicht sagen. Wir wollen nicht zu viele Wettbewerber darauf aufmerksam machen.

Viele Medienunternehmen suchen gerade nach neuen Geschäftsideen, weil die alten Modelle nicht mehr funktionieren. Wie ist Ihre Prognose: Wird das gelingen?
Es wird schwierig. Google und Facebook dominieren das Werbegeschäft. Große Medienunternehmen wie „Washington Post“ und „New York Times“ werden noch weiter wachsen. Auf der anderen Seite werden sich Nischenpublikationen wie das Tech-Portal „The Information“ sehr gut entwickeln, weil Menschen bereit sind, für exklusive Informationen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Technologie Geld zu bezahlen. Alles dazwischen wird kollabieren.

Wozu zählt Axios?
Zu den spezialisierten Highend-Boutique-Anbietern. Und in dieser Nische läuft es sehr gut für uns.

„Podcasts rechnen sich für uns nicht“

Dann lassen Sie uns mal über ein paar Zahlen sprechen. Axios beschäftigt 180 Mitarbeiter. Sind Sie profitabel?
Ja. Wir haben 2018 rund 25 Millionen Dollar Umsatz gemacht, und dieses Jahr wird es noch einmal deutlich mehr sein. Unsere Newsletter haben 770.000 Abonnenten und eine Öffnungsrate von 45 Prozent, was branchenweit ein exzellenter Wert ist. Zudem besuchen einige Hunderttausend Nutzer unsere Seite jeden Tag.

Wäre Deutschland ein interessanter Markt für Sie?
Auf jeden Fall – Europa überhaupt. Die Deutschen sind überdurchschnittlich an Nachrichten interessiert. Aber wir werden im nächsten Jahr noch nicht in neuen Märkten starten.

Axios stellt das Smartphone in den Mittelpunkt der Strategie. Wie lange wird dieses Gerät für Nutzer noch so relevant sein? Technologie-Analysten sprechen schon vom Ende der Smartphone-Ära.
Definitiv noch in den nächsten drei bis fünf Jahren. Vielleicht werden Smartphones dann von Wearables, Hologrammen oder sprachgesteuerten Geräten abgelöst. Wer weiß das schon. Momentan sind Texte noch immer sehr wichtig für die Nutzer. Nichtsdestotrotz schauen wir uns natürlich auch Formate wie Podcasts genau an.

Wir haben nur einen Podcast bei Axios entdeckt…
Richtig. Mehr gibt es auch nicht. Wir müssen mit unseren Kapazitäten haushalten und immer genau entscheiden, worauf sich unsere talentiertesten Reporter konzentrieren sollen: auf einen unserer Newsletter, unsere TV-Show oder eben einen Podcast. In vielen Fällen hat sich bislang gezeigt, dass sich Podcasts für uns am wenigsten rechnen. Aber das kann sich durchaus ändern.

Würden Sie jungen Menschen heute raten, Journalist zu werden?
Wenn Sie in den USA Journalist werden und nach New York, Washington oder San Francisco gehen wollen, dann sind die Zeiten besser denn je. Es gibt aktuell mehr Journalistenjobs in Washington als vor zehn Jahren, weil es so viele Fachpublikationen gibt. Bei regionalen Zeitungen sieht es dagegen weniger gut aus. Aber um es klar zu sagen: Journalist zu sein ist der beste Job: Sie werden dafür bezahlt zu lernen, mächtige Menschen zur Rechenschaft zu ziehen und neugierig zu sein. Es ist einfach ein großartiger Beruf.

Herr VandeHei, vielen Dank für das Interview.