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Siemens Healthineers steuert mit Milliardenübernahme auf den Dax zu

Die Siemens-Tochter Healthineers zahlt 16,4 Milliarden Dollar für das US-Medizintechnik-Unternehmen Varian. Die Übernahme wird teilweise mit einer Kapitalerhöhung finanziert.

Die Premiere der Siemens Healthineers auf dem Aktienparkett verlief holprig. Als Vorstandschef Bernd Montag im März 2018 in Frankfurt die Börsenära des Siemens-Ablegers einläuten wollte, standen die Systeme erst einmal still. Wegen technischer Probleme startete das Handelssystem Xetra erst mit 40 Minuten Verspätung. Der sportbegeisterte Montag, der früher in der Basketball-Bundesliga spielte, nutzte die Gelegenheit, ein wenig mit Ehrengast Manuel Neuer vom FC Bayern München zu plaudern.

Als dann doch noch alles gut über die Bühne ging, sagte Montag: „Durch die Börsennotierung erhalten wir die notwendige unternehmerische Flexibilität, um das Fundament für weiteres Wachstum zu legen.“ Denn der IPO hatte vor allem einen Zweck: Die Siemens-Medizintechnik-Tochter wollte sich mit der eigenen Aktie eine Akquisitionswährung verschaffen. In der Medizintechnik-Branche sind die Unternehmensbewertungen hoch. Mit den ebenfalls hoch bewerteten eigenen Aktien könnten dann teurere Übernahmen gestemmt werden, lautete das Kalkül.

In den ersten zwei Jahren hielten sich die Healthineers noch zurück. Die einzige größere Übernahme wurde bar bezahlt. Doch nun holt die Siemens-Tochter zum großen Schlag aus: Healthineers übernimmt für 16,4 Milliarden Dollar den US-Krebstherapie-Spezialisten Varian. Es ist die größte Übernahme, die Siemens je getätigt hat. Siemens nutze damit auch die Akquisitionschancen, die sich im Zuge der Corona-Pandemie ergeben, hieß es am Sonntag in Industriekreisen.

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Mit dem Megadeal steigen nun die Chancen deutlich, dass Healthineers in den Dax aufsteigen. Ähnlich wie bei Fresenius und Fresenius Medical Care wären dann Mutterkonzern und Tochtergesellschaft in der ersten Börsenliga vertreten. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 44 Milliarden Euro gehörten die Healthineers bereits zu den wertvollsten Unternehmen. Doch bislang sprach vor allem der geringe Streubesitz gegen eine Dax-Aufnahme der Healthineers.

Doch der Kauf von Varian soll nun teilweise mit einer Kapitalerhöhung sowie mit Krediten finanziert werden. Der Siemens-Anteil an den Healthineers sinkt dadurch von 85 auf 72 Prozent. Er sei sich sicher, dass es „nur eine Frage der Zeit ist, wann wir in den Dax aufgenommen werden“, sagte Montag.

Ein großer Schritt nach vorn für Siemens Healthineers

Nach dem Börsenstart hatten sich die Healthineers zunächst auf organisches Wachstum und das Liefern zuverlässiger Zahlen konzentriert. Vor allem in der einst teuer zusammengekauften Diagnostiksparte waren zudem noch viele Integrationshausaufgaben zu machen. In der Bildgebung ist Siemens mit Computertomografen und Röntgengeräten stark vertreten. Doch die Markteroberung in der Diagnostik verlief mühsam, die Einführung der neuen Plattform Atellica machte Probleme.

Doch nun wagt sich Healthineers an die große Erweiterung des Produktspektrums. „Durch die Akquisition von Varian entsteht ein weltweit führendes Unternehmen auf dem Gebiet der Krebstherapeutik, an dem die Siemens AG als starker und langfristiger Mehrheitsaktionär beteiligt ist“, sagte Siemens-Vizechef Roland Busch.

Varian ist in der Strahlentherapie bei Krebs und der dazugehörigen Software aktiv. Das Unternehmen kam zuletzt auf etwa 3,2 Milliarden Dollar Umsatz und eine bereinigte operative Marge von 17 Prozent. Das durchschnittliche Umsatzwachstum in den vergangenen drei Jahren lag bei elf Prozent – und damit höher als bei den Healthineers. Varian beschäftigt rund 10.000 Mitarbeiter und hat seinen Firmensitz in Palo Alto, Kalifornien.

„Durch den Zusammenschluss unserer beiden führenden Unternehmen machen wir mit einem Schritt zwei große Sprünge nach vorn: einen Sprung im Kampf gegen Krebs und einen Sprung in unserer Bedeutung für die Gesundheitsversorgung insgesamt“, sagte Healthineers-Chef Montag. Mit der Übernahme löse man das Versprechen vom Börsengang ein, „die Zukunft des Gesundheitswesens zu gestalten“.

Auch Varian-CEO Dow Wilson wählte große Worte: Die Zusammenarbeit mit Siemens sei der richtige Weg „unseren Aktionären unmittelbaren und überzeugenden Wert zu bieten und uns gleichzeitig unserer Vision einer Welt ohne Angst vor Krebs noch näher zu bringen“.

Mit dem Zukauf setzt Siemens-Chef Joe Kaeser seinen radikalen Umbau weiter um. Künftig gibt es außer der verbleibenden Siemens AG, den Healthineers und der Windkrafttochter Siemens Gamesa mit Siemens Energy einen weiteren Ableger an der Börse. Die Energietechniksparte soll Ende September im Zuge eines Spin-offs an die Börse kommen und gilt als Kandidat zumindest für den MDax. Kaeser hatte betont, er wolle die Geschäftsfelder so auch für ein „Merger Endgame“ bereit machen. Die einzelnen, fokussierten Unternehmen sollen also in ihren Branchen bei der Konsolidierung eine entscheidende Rolle spielen. Mit der Milliardenübernahme durch Healthineers werde nun ein Teil der Versprechen eingelöst, hieß es in Industriekreisen.

Varian gilt als Marktführer bei der Krebstherapie mit Röntgenstrahlen, außer der Chemotherapie das wichtigste Verfahren zur Behandlung von Krebs. Hauptkonkurrent ist das schwedische Unternehmen Elekta. Laut Branchenschätzungen wächst der Markt jährlich um etwa sechs bis zehn Prozent, Software spielt eine immer größere Rolle für die individualisierte Behandlung. Den adressierbaren Markt bezifferte Varian auf mehr als 20 Milliarden Dollar.

Der Bedarf an Therapien dürfte wegen des demografischen Wandels weiter steigen. Studien prognostizieren, dass die Zahl der Krebserkrankungen von 14 Millionen im Jahr 2010 auf 25 Millionen Fälle im Jahr 2030 steigen dürfte.

Siemens und Varian arbeiten schon seit einigen Jahren auf Kooperationsbasis zusammen. Vom Zugang zum Vertriebs- und Forschungsnetzwerk von Siemens könne das US-Unternehmen nun noch stärker profitieren, sagte Montag. Der Kaufpreis – der eine Prämie von 24 Prozent auf den letzten Kurs bedeutet – sei „sehr vernünftig“. Varian sei „eine Ikone unserer Branche“.

Im Umfeld von Siemens wurde betont, Healthineers könne nun immer stärker die gesamte klinische Kette abbilden – von der Prävention über die Diagnostik zum Beispiel mit Röntgengeräten und Computertomografen bis hin zur Therapie. In die ähnliche Richtung ging bereits der Kauf von Corindus im vergangenen Jahr: Healthineers übernahm bei der bis dahin größten Akquisition seit dem Börsengang für 1,1 Milliarden Dollar die US-Firma Corindus Vascular Robotics. Diese ist auf die Technik für roboterassistierte gefäßchirurgische Eingriffe spezialisiert.

Der Kaufpreis galt allerdings als sehr ambitioniert. Die Robotermedizin ist zwar ein großer Wachstumsmarkt. Doch Corindus machte zum Zeitpunkt der Übernahme gerade einmal Umsätze von elf Millionen Dollar und unter dem Strich Verluste. Es ist also eine Wette auf die Zukunft, auf die sich die Healthineers damit einließen.

Dagegen ist Varian ein schon reifes, wenn auch weiter innovations- und wachstumsstarkes Unternehmen. Die Übernahme soll schon innerhalb der ersten zwölf Monate nach Vollzug des Erwerbs einen positiven Effekt auf das bereinigte unverwässerte Ergebnis je Aktie haben. Healthineers strebt operative Synergien von mindestens 300 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2025 an. Laut Mitteilung wird die Siemens Healthineers AG sämtliche Aktien von Varian für 177,50 Dollar pro Aktie in bar erwerben.

Siemens wird der Tochter in einem ersten Schritt einen Brückenkredit über 15,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Etwa die Hälfte davon soll dann über eine Kapitalerhöhung und die Ausgabe neuer Aktien abgelöst werden. Die neuen Anteilsscheine sollen noch in diesem Kalenderjahr platziert werden. „Die Ausgabe neuer Aktien wird den Anteil des Streubesitzes und voraussichtlich auch das Handelsvolumen von Siemens Healthineers Aktien erhöhen“, hieß es.

Nach der Aufsichtsratssitzung, die die Übernahme absegnete, legte Healthineers am Sonntag auch die Quartalszahlen vor. Dabei zeigte sich, dass die Siemens-Tochter deutlich unter der Corona-Pandemie leidet. Der Umsatz sank im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2019/20 (30. September) um vergleichbar knapp sieben Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. Der Gewinn nach Steuern brach um knapp ein Viertel auf 271 Millionen Euro ein. Die bereinigte operative Umsatzrendite ging von 15,1 auf 13,9 Prozent zurück.

Diagnostiksparte leidet unter Corona

Dabei hielten sich die Bildgebung – traditionell die große Stärke der Healthineers – und die Advanced Therapies vergleichsweise gut. In der Diagnostiksparte sanken die Erlöse dagegen um vergleichbar knapp 17 Prozent auf 869 Millionen Euro. Zudem schrieb Diagnostics einen operativen Verlust von 32 Millionen Euro.

Healthineers führte dies vor allem auf ein „geringeres Volumen an Tests für Routine-Untersuchungen“ während der Corona-Pandemie zurück. Dies habe man nur zu einem kleinen Anteil durch den Umsatz mit Covid-19-Tests kompensieren können. Im Gesamtjahr erwarten die Healthineers einen „flachen Umsatzverlauf“ und einen leichten Rückgang des bereinigten unverwässerten Ergebnisses je Aktie.

Die Geschäfte sind also derzeit für die Siemens-Tochter nicht einfach. Zudem muss die Integration von Varian schneller und reibungsloser verlaufen als bei den teuren Milliardenzukäufen in der Diagnostik. Doch damals, sagte ein Insider, habe man ja mehrere Akquisitionen integrieren müssen, weil unter anderem die Diagnostik-Sparte von Bayer und die US-Firma Dade Behring gekauft wurden. Diesmal dürfte die Integration etwas einfacher sein, zudem sollten die Erfahrungen mit Dade Behring helfen.

Healthineers-Chef Montag jedenfalls ist überzeugt, dass das Projekt gelingt. Er sprach vom „entscheidenden Moment in der Geschichte unserer Unternehmen“.

In Finanzkreisen rechnet man derzeit nicht damit, dass bei dem Deal noch etwas dazwischen kommt. Da sich die Produktpaletten ergänzen, gebe es kein größeres Kartellrisiko. Ein Gegenangebot sei zwar theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. „Das ist auch gar nicht so einfach, wenn eine Offerte vom Board unterstützt wird.“ Vor allem aber könnten im derzeitigen Umfeld gar nicht so viele andere Unternehmen ein 16-Milliarden-Dollar-Gebot stemmen. Healthineers habe da von der Zugehörigkeit zum Siemens-Konzern profitiert.

Im Umfeld der beteiligten Investmentbanken geht man davon aus, dass Siemens vor der Coronakrise womöglich einen noch höheren Preis hätte zahlen müssen. „Es gibt schon eine gewisse Unsicherheit am Markt.“ Die Bewertung von Varian liege bezogen auf den Umsatz und die operative Ertragskraft im Industriedurchschnitt, „vielleicht auch leicht darunter“.