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"Der nächste Lebensmittelskandal ist programmiert"

WirtschaftsWoche: Herr Minister, vier Monate sind die ersten Fipronil-Meldungen nun her. Wie ist der aktuelle Stand bei dem Skandal?
Christian Meyer: Es ist davon auszugehen, dass nach Deutschland rund 100 Millionen belastete Eier gelangt sind. Allein in Niedersachsen gab es bislang 18 sogenannte stille Rückrufe. Es wurden große Mengen verarbeitete Eiprodukte gesperrt. 25 von 28 EU-Staaten sind betroffen, insgesamt rund 30 Millionen Eier in Deutschland wurden vernichtet. Es kam zu riesigen wirtschaftlichen Schäden und einem enormen Vertrauensverlust bei den Verbrauchern. Lebensmittel sind ein großes, europaweites Geschäft, deshalb ist eine schärfere Kontrolle notwendig. Man wird sowas nie verhindern können, aber man kann es besser machen.

Klingt nicht so, als sei das Krisenmanagement ideal gelaufen.
Es gab viele Schwierigkeiten. Da hat der Bundesminister wochenlang nicht reagiert und sprach von regionalem Geschehen. Es war sehr schwierig, mit dem Berliner Landwirtschaftsministerium zusammenzuarbeiten. Wir in Niedersachsen haben uns beispielsweise sehr früh entschlossen, betroffene Eier-Codes zu veröffentlichen, auch aus den Niederlanden. Das Bundesministerium hat sich dagegen gesträubt. Da gab es viele Unstimmigkeiten in den Bund-Länder-Telefonkonferenzen. Berlin sieht ja bis heute keine Gesundheitsgefahr, wir schon, zumindest bei Kindern. Die Bundes-Institute sind sich indes bis dato immer noch nicht einig. Deshalb hat Niedersachsen eine Null-Toleranz-Strategie verfolgt. Der Vorwurf des Bundes, Niedersachsen habe die Aufklärung des Skandals verschleppt, läuft daher vollkommen ins Leere. Das Gegenteil ist der Fall: Von Anfang an hat bundesweit eine koordinierende Hand gefehlt. Wir Länder fühlten uns da vom Bund ziemlich im Stich gelassen.

Was war das Problem?
Der Streit um die verarbeitete Eiprodukte wie Eierlikör, Kuchen oder Nudeln zeigt die Schwierigkeiten ganz gut. Es gibt eine europaweite Grenze, ab der Eier nicht mehr als verkehrsfähig gelten. Diese liegt bei 0,005 Milligramm Fipronil pro Kilogramm Ei. Wir interpretieren das so, dass diese Grenze sowohl für rohe Eier, als auch für in Produkten steckende verarbeitete Eier gilt. Deshalb will Niedersachsen alle Ei-Produkte gleich behandeln und hat auch Waren und Betriebe gesperrt. Die Nahrungsmittelkonzerne sahen das anders, beschwerten sich in Berlin – und bekamen vom Landwirtschaftsministerium dort eine Einschätzung, dass die EU-Grenze nur für rohe, nicht aber für verarbeitete Eier gelten solle, obwohl das Läusegift sich durch Verarbeitung nicht abbaut.

Welchen Sinn hat das?
Laut Bundesagrarministerium kann man ein zu hoch mit Fipronil belastetes Ei soweit verarbeiten und verdünnen, bis im Endprodukt der EU-Grenzwert nicht mehr überschritten wird. In der Lesart des Bundes kann ich also aus einem fünfmal zu hoch belasteten faulen Ei, das für sich genommen nicht verkehrsfähig ist, einfach einen Kuchen backen mit einem Eianteil unter einem Fünftel und diesen dann ganz legal verkaufen.

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Warum sieht Berlin das anders als sie?
Aus meiner Sicht drängt sich doch sehr der Eindruck auf, dass es sich um eine Gefälligkeit für einzelne Wirtschaftsunternehmen handelt. Denn schließlich erspart ja ein solches Vorgehen den großen Lebensmittel-Produzenten, Millionen Eier und Ei-Produkte zu vernichten. Ich gehe von mindestens 100 Millionen Eiern aus, die allein in Deutschland belastet sind. Die Unternehmen machen da politisch richtig Druck. Auf Grundlage der Einschätzung aus Berlin, die aus niedersächsischer Sicht rechtswidrig ist, drohten uns nun große namhafte Hersteller, deren Produkte gesperrt worden sind, gar mit Klagen.


"Der Verbraucherschutz ist mit dem gemeinsamen Binnenmarkt nicht mitgewachsen"

Die Verbraucher essen also weiter Ei-Produkte, die womöglich mit Fipronil belastet sind?
Davon ist auszugehen. In Frankreich etwa gab es schon sehr früh eine öffentliche Liste mit mehr als 40 Produkten, die nicht verkehrsfähig sind. In Niedersachsen und Deutschland waren das viel weniger. Aber es sind immer noch viele Eier im Verkehr, die mit Fipronil belastet sind. Diese Produkte sind teilweise noch mehr als ein Jahr haltbar. Die Belastung mit Fipronil bleibt also. Aber die Unternehmen wollen natürlich partout einen Imageschaden vermeiden, den ein möglicher Rückruf zur Folge hätte. Und die Bundesregierung musste eben auch während des Bundestagswahlkampfs keinen öffentlichen Rückruf starten.

Die Lebensmittelaufsicht liegt bei den Ländern. Sie können den Bund überstimmen.
Wir bleiben natürlich bei unserer Auffassung und sperren die Betriebe weiter. Aber das wird am Ende vor Gericht entschieden. Das kann dauern. Was uns daran stört ist, dass der Bund mit zweierlei Maß misst: Auf der einen Seite lobt Berlin den Föderalismus und die Lebensmittelkontrolle in den Ländern. Auf der anderen Seite stellen sie der Wirtschaft ein Schreiben aus und mischen sich so direkt in das Geschehen ein. Das geht nicht.

Was muss die Konsequenz aus dem Skandal sein?
Es gibt einen europäischen Binnenmarkt, und dieser Skandal hat europaweite Dimensionen. Doch eine europäische Lebensmittelkontrolle fehlt. Deshalb plädiere ich dringend für eine Art Europol Verbraucher- und Lebensmittelschutz. Die Zusammenarbeit in Deutschland war schlecht, aber auch zwischen Belgien und den Niederlanden gab es Streit – zu Lasten der Verbraucher. Da würde ich mir eine starke, koordinierende EU wünschen, die einheitliche Grenzwerte, Rückrufe und Kontrollen festlegt. Eine Europol Verbraucher- und Lebensmittelschutz wäre auch unabhängiger von Unternehmensinteressen. Da würden wir gerne Kompetenzen abgeben, um die Verbraucher überall in Europa zu schützen. In Rumänien etwa wird gerade ganz viel Fipronil gekauft. Wozu? Darum kümmert sich niemand, EU-weite Ermittlungen sind Fehlanzeige. So ist der nächste Lebensmittelskandal programmiert. Der Verbraucherschutz ist mit dem gemeinsamen Binnenmarkt nicht mitgewachsen.

KONTEXT

Zur Person

Christian Meyer

Christian Meyer (42) ist seit 1994 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Bis 2002 studierte er Volkswirtschaftslehre, Öffentliches Recht, Politik- und Medienwissenschaften an der Universität Göttingen mit dem Abschluss Diplomsozialwirt. Seit 2008 war Christian Meyer Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag und bis Februar 2013 stellvertretender Vorsitzender und Sprecher für Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Naturschutz und Tierschutz. Seit Anfang 2013 ist Christian Meyer niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.