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Der mächtigste Bahnchef aller Zeiten

Eigentlich sollte Richard Lutz die Bahn nur so lange führen, bis ein Nachfolger gefunden wurde. Nun bleibt der Übergangskandidat dauerhaft Bahnchef. Und seine Machtfülle überstrahlt die seiner Vorgänger.

Einmal im Jahr lädt die Deutsche Bahn zum Neujahrsempfang nach Berlin. Aus ganz Deutschland kommen ausgewählte Journalisten meist im Januar in die Hauptstadt. Der damalige Bahnchef Rüdiger Grube hielt dann jedes Jahr eine Rede über die Herausforderungen der Deutschen Bahn, die vergangenen Monate und die Pläne für die Zukunft. Anschließend standen er und seine Vorstandskollegen den Medienvertretern in Hintergrundgesprächen Rede und Antwort.

In der Regel bildete sich dann beim anschließenden Empfang um Grube schnell eine neugierige Menschentraube. Auch der frühere Infrastrukturvorstand Volker Kefer und sein Nachfolger Ronald Pofalla zogen viele Interessierte an. Um Richard Lutz dagegen versammelten sich meist weniger Journalisten. Das lag weniger an seiner Person als vielmehr an seinem Ressort, das er leitete: Das Finanzressort begeistert aus Tradition eher weniger der meist produktverliebten Bahnjournalisten.

Doch das Interesse an Lutz wird sich nun schlagartig ändern. Der 52-Jährige ist nicht nur neuer Chef der Deutschen Bahn, sondern bleibt in Personalunion auch Finanzchef des Konzerns. Lutz erhält damit mehr Aufgaben und Kompetenzen als Grube und Hartmut Mehdorn. Er stellt sogar all seine Vorgänger in Sachen Machtfülle deutlich in den Schatten. Nie gab es einen mächtigeren Bahnchef als Richard Lutz - innen und außen.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ist damit ein Coup gelungen, der nach außen unspektakulär daher kommt, für die Zukunft der Deutschen Bahn aber eine große Rolle spielen wird.

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Vorgezeichnet war das nicht. Lutz ist auch nicht das typische Beispiel einer internationalen Managerkarriere. Eigentlich trägt sein Lebenslauf sogar nur zwei Stationen: Universität und Deutsche Bahn. Der 52-Jährige promovierte am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre in Kaiserslautern und wechselte bereits 1994 zur Bahn. Den Grundstein für seinen Aufstieg zum Finanzvorstand legte Lutz in seiner Zeit als enger Vertrauter des langjährigen Bahn-Finanzvorstands Diethelm Sack. Bereits als 39-Jähriger übernahm Lutz die Leitung des Bereichs Konzerncontrolling. Dann folgte er Sack 2010 auf den Vorstandsposten.

Lutz kennt den Konzern daher besser als jeder andere Vorstand, geschweige denn jeder andere Bahnchef vor ihm. In den letzten Jahren schnupperte er sogar in die Konzernsparten Arriva und Schenker hinein. Eigentlich wollte die Bahn die Töchter in Teilen verkaufen. Lutz verantwortete den Prozess. Es kam zwar nicht mehr dazu, weil der Brexit etwa den Wert der britischen Nahverkehrstochter drückte. Doch dafür bekam Lutz nun sogar einen wichtigen Schnupperkurs in Sachen operatives Geschäft auf der Schiene – und wertvolle Erkenntnisse für seine neue Rolle als Bahnchef.

Dass Lutz im Hintergrund seit Jahren wichtige Fäden zog, wissen nur wenige. So hatte der Manager auch bei der überraschenden Eigenkapitalspritze durch den Bund im Herbst 2016 seine Finger im Spiel. 2,7 Milliarden Euro schießt der Staat in den nächsten Jahren zu. Die Bahn braucht deshalb auch Schenker nicht versilbern. Und die Verschuldung bleibt erst einmal unter Kontrolle. Lobby-Vorstand Pofalla soll die Politik zu dem Schritt überredet haben, heißt es. Doch Lutz hat mindestens den gleichen Anteil daran. In Berlin ist der neue Bahnchef schon lange wichtiger Kontaktmann – und in Zukunft sowohl für den Verkehrs - als auch den Finanzminister Ansprechpartner Nummer eins bei der Deutschen Bahn.


Lutz' neue Aufgaben

Seine ersten Amtshandlungen als neuer Bahnchef werden nun mit Spannung erwartet. Zunächst wird Lutz am Donnerstag die Jahreszahlen für 2016 präsentieren. Für den 52-Jährigen ist das eher eine Routineaufgabe, auch wenn er als neuer Bahnchef nun im neuen Licht erscheint. Dennoch hat er bereits in den Vorjahren immer nach Grube gesprochen und die Bilanzzahlen konkretisiert.

In diesem Jahr wird Lutz der Öffentlichkeit erklären müssen, wie die Bahn die zahlreichen Herausforderungen meistern will. Der Umsatz legte nur minimal auf 40,6 Milliarden Euro zu, womit die ursprünglichen Planungen um fast zwei Milliarden Euro verfehlt wurden. Bei den Güterbahnen in Deutschland und Europa hält die Krise weiter an. Der Verlust konnte hier nur durch den Verkauf von fast 200 Loks begrenzt werden. Die wichtigste Sparte Regionalverkehr, in der die Bahn Aufträge verliert, verbuchte weniger Gewinn. ICE und Intercity konnten nach einer Talfahrt wegen der Fernbuskonkurrenz dank zahlreicher Sonderangebote 2016 dagegen wieder leicht zulegen.

Spannender wird die Besetzung neuer Vorstandsposten. Lutz muss entscheiden, mit wem er künftig zusammen arbeiten will. Und er darf gleich zwei neue Manager in das oberste Führungsgremium holen – auch eine Möglichkeit, gleich neue starke Akzente zu setzen.

Zum einen wird es einen neuen Vorstand für den Güterverkehr geben. Zum anderen soll es einen neuen Vorstand für Technik und Digitalisierung geben. Für beide Posten sind bereits Namen gefallen: Sigrid Nikutta, Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für Cargo und Siegfried Russwurm von Siemens für das Digitalgeschäft. Doch hält Lutz wirklich an den Namen fest? Oder überrascht er möglicherweise Politik und Aufsichtsrat? Gegen die Doppelrolle gibt es inzwischen auch Widerstand. Die Arbeitnehmerseite unterstütze Lutz zwar formal. Allerdings halte man die Doppelfunktion weiter für falsch und wolle im Zuge des ohnehin anstehenden Vorstandsumbaus wieder einen eigenen Finanzvorstand.

Ist der mächtigste Bahnchef aller Zeiten damit also nur ein vorübergehendes Phänomen? Das Bundesverkehrsministerium jedenfalls spricht seine volle Unterstützung für Lutz aus – inklusive der Doppelrolle, die Dobrindt bewusst mitgetragen habe. Im Ministerium heißt es außerdem: Lutz sei „kein Übergangskandidat“.

KONTEXT

Was der neue Bahnchef Lutz jetzt angehen muss

Pünktlicher werden

2016 wurde das Ziel knapp verfehlt, dass 80 Prozent der Fernzüge pünktlich sein sollen - wobei die „Unpünktlichkeit“ nach Bahn-Definition erst sechs Minuten nach der Fahrplanzeit beginnt. Langfristiges Ziel sind 85 Prozent. Dafür ist einiges angeschoben, etwa Störungssensoren für Weichen und besser gebündelte Bauvorhaben. Und die Türen schließen jetzt 20 Sekunden, bevor der Uhrzeiger auf Abfahrtzeit springt.

Kunden besser informieren

Immer mehr Bahnsteige erhalten mehrzeilige Zuganzeiger, damit Kunden früher sehen, ob sie richtig stehen. 108 Bahnhöfe bekommen bis 2020 neue „DB Information“-Stände, wo es neben persönlicher Beratung Selbstbedienungsschalter gibt. Die Reiseauskunft per Internetseite und App wird mit aktuellen Verkehrsdaten gefüttert, um schnell entscheiden zu können. Auch die zweite Klasse im ICE hat kostenloses WLAN erhalten.

Mehr Qualität in Zug und Bahnhof

Immer mehr Fernzüge kommen zum „Reset“, einer Grundreinigung mit Reparaturen und teils Sitzaustausch. Nach und nach löst der neue ICE4 ältere ICE-Züge auf den wichtigen Strecken ab. Zusätzliches Geld fließt, um große Bahnhöfe besser zu putzen, Sensoren sollen Störungen an Fahrstühlen und Rolltreppen melden.

Konkurrenz im Schach halten

Niedrige Spritpreise, Billigflieger und Fernbusse haben es dem Fernverkehr lange schwer gemacht. Zuletzt fuhren aber wieder Menschen mit ICE- und Intercity, vor allem weil es mehr Sparpreis-Fahrscheine gibt. Bei der Bilanzvorlage am Donnerstag wird Lutz verkünden, dass der Umsatz im Fernverkehr vergangenes Jahr um rund 100 Millionen Euro auf mehr als vier Milliarden Euro gewachsen ist. Schub dürfte auch die neue Verbindung Berlin-München bringen, die der neue Chef im Dezember eröffnet. Fahrtzeit: vier Stunden.

Ideen sind notwendig im Regionalverkehr, wo sich Bahn zuletzt bei Ausschreibungen immer mal wieder geschlagen gegeben musste, weil Konkurrenten günstiger waren. Im vergangenen Sommer lag der Bahn-Marktanteil am Regionalverkehr noch bei 70,8 Prozent.

Güterbahn sanieren

DB Cargo ist seit Jahren ein Sanierungsfall. Abgesehen von Gütern wie Eisenerz und Kohle sind viele Transporte kleinteilig, es mangelt an Effizienz. Der Marktanteil sank auf 60,9 Prozent im vergangenen Sommer. 2016 gaben Umsatz und Transportleistung noch einmal nach. Ein eigener Vorstand soll den Sanierungsplan durchziehen.

Stuttgart 21 im Griff halten

Der Bau des Tiefbahnhofs und der Tunnelstrecken in und um Stuttgart bleibt ein Termin- und Kostenrisiko. Platzt der Rahmen von 6,7 Milliarden Euro, droht Streit darum, wer die Mehrkosten finanziert. In der Bahn-Führung liegt das Projekt bei Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla, dem Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt wurden.

Schulden begrenzen

Lutzsteht auch für einen bis Mitte 2016 auf 18,1 Milliarden Euro gestiegenen Schuldenberg. Der Bahn-Eigentümer Bund kündigte im September an, dem Unternehmen in den kommenden vier Jahren 2,4 Milliarden Euro extra für Züge und Technik zur Verfügung zu stellen.

Am Tag vor Lutz' Wahl forderte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) aber auch dringend, dass die Finanzsituation stabilisiert werde. Hier steckt Lutz in einer Zwickmühle. Als er vor einem Jahr tiefrote Zahlen präsentierte, sagte er: „Qualität mag Geld kosten. Aber Nichtqualität würde Kunden und damit die Zukunft kosten.“