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Warum der Kampf gegen Alzheimer so schwierig ist

Gemessen an den Erfahrungen der Vergangenheit hätte man die Mitteilung durchaus auch als Routinemeldung abtun können: Als die US-Firma Biogen und ihr japanischer Partner Eisai vor zwei Wochen Tagen verkündeten, dass sie zwei große Studien mit dem potenziellen Alzheimer-Medikament Aducanumab mangels Erfolgsaussichten einstellen, reagierten Investoren dennoch schockiert. Die beiden Firmen verloren zusammen mehr als 25 Milliarden Dollar Börsenwert.

Auch viele Mediziner werten den Flop als herben Rückschlag. Viele hatten gehofft, dass nach einer langen Serie von Misserfolgen der Wirkstoff von Biogen doch zumindest einen gewissen Fortschritt für die Alzheimer-Therapie bringen könnte.

„Wir waren sicherlich alle heftig enttäuscht und geschockt, aber wir dürfen das auch nicht überdramatisieren“, sagt der Münchner Biochemie-Professor Christian Haass, der zu den führenden Grundlagenforschern auf dem Gebiet zählt.

Richard Dodel, Alzheimer-Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, spricht unterdessen von einem „Schlag in die Magengrube“. Als Geriatrie-Professor am Universitätsklinikum Essen ist der gelernte Neurologe auch mit der medizinischen Praxis eng vertraut. „Wenn man die vielen Patienten sieht, die wir hier betreuen, spürt man den enormen Druck, endlich Behandlungsmöglichkeiten zu finden.“

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Die Pharmabranche steht diesem Druck weiter mit leeren Händen gegenüber. Anstatt einen ersten Erfolg zu liefern, bestätigte nun auch Aducanumab die extrem enttäuschende Forschungsbilanz: Seit Ende der 90er-Jahre sind rund 150 Produktkandidaten in den klinischen Tests gescheitert. Alzheimer erweist sich damit als das risikoreichste Therapiefeld für die Pharmabranche.

Nur wenige Wochen vor Biogen stellten die italienische Biotechfirma AC Immune und ihr Partner Roche zwei große Studien mit dem Wirkstoff Crenezumab ein, der sich ebenfalls in fortgeschrittener Entwicklung befand. AC Immune, an der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp mit rund 27 Prozent beteiligt ist, kostete dieser Flop fast zwei Drittel des Börsenwerts.

Im vergangenen Jahr mussten unter anderem Astra Zeneca, Eli Lilly, Johnson & Johnson sowie Merck & Co fortgeschrittene Projekte mangels Erfolgsaussicht aufgeben. Die letzte Neuzulassung im Bereich Alzheimer liegt inzwischen 15 Jahre zurück. Und selbst bei diesem Produkt, dem Wirkstoff Memantine von der Frankfurter Firma Merz, handelte sich nur um ein Mittel, das einige Symptome lindert, aber nicht gegen die eigentliche Erkrankung wirkt.

Riesiges Marktpotenzial

Trotz der miserablen Erfolgsquote gibt die Pharma- und Biotechbranche den Kampf gegen das Vergessen bisher nicht verloren. „Das Scheitern von Aducanumab ist kein Indikator dafür, dass Erfolge grundsätzlich nicht möglich wären. Wir sind daher nicht entmutigt“, sagt Ulrich Dauer, Chef der Biotechfirma Probiodrug aus Halle, die an mehreren Kandidaten gegen die Demenzerkrankung arbeitet.

Ähnlich demonstriert auch AC-Immune-Chefin Andrea Pfeiffer trotzige Zuversicht: „Wir sind weiter optimistisch mit Blick auf das Potenzial von Crenezuzmab“ erklärte sie unter Verweis auf eine weitere Studie mit dem Produkt bei Menschen mit einer erblich bedingten Disposition für Alzheimer. Probiodrug und AC Immune gehören zu weltweit mehr als zwei Dutzend Biotechfirmen, die weiter nach Therapien gegen die Demenzerkrankung suchen.

Auch etliche große Pharmafirmen bleiben zumindest in gewissem Umfange am Ball. Zwar hat sich Branchenführer Pfizer inzwischen komplett aus der Alzheimer-Forschung verabschiedet, andere Konzerne wie Roche, Novartis, Eli Lilly, Abbvie, Johnson & Johnson und auch Boehringer sind dagegen weiter engagiert auf dem Feld, wenn auch zum Teil in reduziertem Umfang. Biogen und Eisai haben fast zeitgleich mit dem Aducanumab-Flop eine neue große Studie mit einem alternativen Produktkandidaten angekündigt.

Anreiz dafür gibt der riesige medizinische Bedarf – und damit auch das theoretisch enorme Marktpotenzial – für eine Alzheimer-Therapie oder Prophylaxe. Erfolgreiche Medikamente könnten ohne weiteres auf höhere zweistellige Milliardenumsätze hoffen.

Nach Schätzung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben alleine in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen, die Mehrzahl davon mit Alzheimer. Weltweit wird die Zahl der Betroffenen auf rund 40 Millionen und die Zahl der Neuerkrankungen auf jährlich fast zehn Millionen geschätzt.

Alles in allem hat die Pharmabranche daher ihre klinische Forschung auf dem Gebiet trotz der hohen Flop-Rate in den letzten Jahren offenbar nur moderat vermindert. Auf akademischer Ebene werden die Engagements sogar teilweise verstärkt. Die amerikanischen National Institutes of Health (NIH) etwa planen, ihr Budget für die Alzheimer-Forschung in diesem Jahr von 1,9 auf 2,3 Milliarden Dollar aufzustocken.

Einer Analyse des US-Pharmaverbandes PhRMA zufolge befanden sich gegen Ende des vergangenen Jahres bei Pharma- und Biotechfirmen insgesamt knapp 90 potenzielle Wirkstoffe gegen Demenzerkrankungen in Entwicklung, gegenüber rund 100 im Jahr 2012.

Die Datenbank clinicaltrials.gov listet aktuell insgesamt knapp 480 laufende oder geplante klinische Studien im Bereich Alzheimer auf, wobei es dabei zum Teil aber auch um Tests mit neuen Diagnoseverfahren geht. Das vergleicht sich mit rund 20.000 Studien mit Krebsmedikamenten und knapp 3000 im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Amyloid-Strategien auf dem Prüfstand

Mehrere Faktoren machen die Medikamentensuche zu einem besonders kniffligen Puzzle. Zum einen sind die biologischen Mechanismen der Erkrankung bisher nicht vollständig aufgeklärt. Zum anderen fehlt es an so genannten „Tiermodellen". Das heißt, es ist nicht möglich, die Krankheit eins zu eins bei Versuchstieren nachzuahmen. Hinzu kommt die generelle Schwierigkeit, Wirkstoffe über die Blut-Hirn-Schranke an den Ort des Geschehens, ins Gehirn, zu bringen.

Die zentrale These der Alzheimer-Forschung besteht bislang darin, dass spezielle Eiweiß-Substanzen für die Degeneration der Nervenzellen verantwortlich sind, so genannte Beta-Amyloide (kurz auch Abeta genannt), die sich im Gehirn ansammeln und verklumpen. Amyloide entstehen als Abbauprodukt aus anderen, größeren Proteinen.

Schon dem Frankfurter Arzt Alois Alzheimer, der die Krankheit Anfang des letzten Jahrhunderts erstmals beschrieb, waren diese Eiweißablagerungen aufgefallen.

Insbesondere genetische Studien sprechen für einen engen Zusammenhang. So zeigten etwa skandinavische Untersuchungen, dass Menschen, bei denen als Folge spezieller Mutationen weniger Amyloide im Körper gebildet werden, selbst im hohen Alter praktisch nie an Alzheimer erkranken.

Umgekehrt wurden bei Menschen mit einer erblichen Form von Alzheimer Genveränderungen identifiziert, die zu einer besonders starken Produktion von Amyloid beitragen. Die Betroffenen erkranken praktisch zu 100 Prozent an Alzheimer, und dies in relativ jungen Jahren.

Für die Medikamenten-Entwicklung indessen haben diese Erkenntnisse bisher noch so gut wie nichts gebracht. Alle Wirkstoff-Kandidaten, die an den Amyloid-Plaques ansetzten, darunter nun auch Aducanumab und der AC Immune-Wirkstoff Crenezumab, sind vielmehr gescheitert.

Wissenschaftler verwerfen Amyloid-Hypothese noch nicht

Vor diesem Hintergrund flammt nun die Debatte neu auf, ob Forscher und Pharmakonzerne mit der Amyloid-Hypothese wirklich auf dem richtigen Weg sind. „Es ist an der Zeit, anderen therapeutischen Zielen zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit eine Chance zu geben“, fordert Christian Leibinnes, Sprecher der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative, die sich als größter privater Forschungsförderer auf dem Gebiet betrachtet. Manche Analysten wie etwa Steve McGarry von HSBC erklärten das Konzept schon vor Jahren für tot.

Pharmafirmen haben den Ansatz bisher noch nicht aufgegeben. Roche etwa testet weiterhin den gegen Amyloid gerichteten Wirkstoff Gantenerumab in einer Phase-III Studie bei Frühformen von Alzheimer. Auch Biogen verfolgt noch zwei weitere Studien mit Substanzen, die am Amyloid ansetzen, ebenso wie Novartis und einige andere Firmen.

Auch aus Sicht vieler Wissenschaftler gibt es nach wie vor keinen Anlass, die Amyloid-Hypothese zu verwerfen. Zu stark sind die genetischen Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Demenzerkrankung. „Wir müssen erst einmal die genauen Ergebnisse der Aducanumab-Studien abwarten“, sagt Dodel.

Der Münchner Alzheimer-Fachmann Christian Haass warnt unterdessen nachhaltig vor einer Abkehr von der Amyloid-Hypothese. „Das wäre kompletter Unsinn. Die Genetik sprich zu 100 Prozent dafür.“

Die Eiweißablagerungen sind aus seiner Sicht klar der entscheidende Auslöser für die Alzheimer-Erkrankung. Sie lösen danach eine Kaskade von Folgewirkungen aus, die zum Absterben der Hirnzellen führen und womöglich mit dem Abbau der Plaques gar nicht mehr zu stoppen sind.

Der Prozess beginne vermutlich schon zehn oder zwanzig Jahre, bevor sich konkrete Symptome der Alzheimer-Erkrankung offenbaren. Ein entscheidendes Problem besteht aus Sicht vieler Experten daher darin, dass die bisherigen Therapieversuche im Grunde alle zu spät kommen und Alzheimer womöglich sogar nur durch präventive Strategien zu vermeiden ist.

Mit großem Interesse verfolgen Forscher daher mehrere Testreihen, bei denen Wirkstoffe als prophylaktische Mittel bei erblich vorbelasteten, aber kognitiv noch völlig gesunden Probanden getestet werden. Dazu gehören etwa zwei Studien des Schweizer Pharmariesen Novartis.

Er prüft bei solchen Patienten zum einen Wirkstoff, der die Produktion von Amyloid bremst, zum anderen einen Impfstoff, der das Immunsystem gegen Amyloide aktivieren soll. Die Washington University in St. Louis wiederum testet den Einsatz von Anti-Amyloid-Wirkstoffe wie Gantenerumab und Crenezumab bei genetisch prädisponierten Menschen. Die Daten dieser Studien dürften indessen erst 2021 vorliegen.

Ein anderer Grund für das Scheitern aller bisherigen Therapieversuche könnte nach Einschätzung mancher Beobachter aber auch darin liegen, dass die Wirkstoffe nicht die wirklich relevanten, toxischen Amyloid-Varianten beseitigten. Andere Substanzen, wie etwa der von Biogen und Eisai getestete Wirkstoff Ban240, so die Hoffnung, könnten in dieser Hinsicht vielleicht doch noch besser abschneiden.

Alternative Ansätze

Darüber hinaus richtet sich das Augenmerk nun aber auch verstärkt auf alternative Ansätze. Eine ganze Reihe von Medikamenten-Kandidaten (unter anderem von Biogen, Lilly, Johnson & Johnson und AC Immune) zielen auf so genannte Tau-Proteine, die in den Hirnzellen von Alzheimer-Patienten – offenbar als Folge der Amyloid-Ablagerungen – deformieren und dadurch womöglich ebenfalls zur Degeneration beitragen. Aber auch diese Annahme konnte durch die bisherigen klinischen Tests noch nicht belegt werden.

Forscher von Probiodrug gehen unterdessen davon aus, dass Vorgänge im Vorfeld der Abeta-Ablagerungen eine entscheidende Rolle spielen. „Man muss eine Ebene tiefer schauen und die Prozesse genauer analysieren“, so Probiodrug-Chef Dauer. Das Biotechunternehmen testet daher eine Substanz, die das Enzym Glutaminylzyklase blockiert, das für die Synthese von schädlichen Amyloiden verantwortlich ist.

Nachdem der Wirkstoffkandidat PQ912 in ersten klinischen Tests positive Signale lieferte, will Probiodrug das Mittel nun in zwei größeren Studien in Europa und den USA prüfen. Eine davon wird von den amerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit 15 Millionen Euro gefördert.

Andere neue Strategien im Kampf gegen Alzheimer basieren auf der Annahme, dass Fehlsteuerungen im Immunsystem für Alzheimer mitverantwortlich sein könnten. Großes Interesse konzentriert sich inzwischen auf den Rezeptor Trem2, der eine wichtige Steuerungsfunktion für die Immunzellen des Gehirns, so genannte Mikroglia, ausübt.

Durch Manipulation des Trem2-Rezeptors, so die Hoffnung, könnte man die Mikrogliazellen dazu anregen, die Amyloid-Ablagerungen besser und frühzeitiger zu beseitigen. Dieser Strategie etwa folgt auch ein Entwicklungsprojekt, das der US-Konzern Abbvie kürzlich mit der kalifornischen Biotechfirma Alector vereinbart hat. Die Wirkstoff-Entwicklung befindet sich indessen durchweg noch im präklinischen Stadium.

Neuen Zuspruch hat in den letzten Jahren auch die These erhalten, das letztlich versteckte Infektionen die Ursache für Alzheimer sein könnten und dass die Amyloid-Ablagerungen nur eine Reaktion auf diese Infektionen sind.

Als ein potenzieller Verursacher gilt dabei unter anderem das Herpes-Simplex-Virus (HSV), das zum Beispiel auch für die den typischen Lippenherpes verantwortlich ist. Auch andere Mundinfektionen werden mit Alzheimer in Verbindung gebracht. Aber für diese Annahme gibt es bisher keine klaren klinischen Belege, geschweige denn Arzneiwirkstoffe, die klinisch getestet werden.

Weitgehend einig sind sich Experten inzwischen darin, dass Alzheimer eine sehr komplexe Erkrankung ist, bei der diverse Faktoren eine Rolle spielen. Ähnlich wie in der Krebsbehandlung zeichnet sich damit ab, dass man auch den Kampf gegen das Vergessen – wenn überhaupt - nur mit einer Kombination von mehreren Arzneien gewinnen kann.

Womöglich bestehe die einzige reelle Chance, so Haass, am Ende sogar nur darin, die Ursachen der Krankheit, und das heißt die Amyloid-Ablagerungen, von vorneherein zu verhindern.