Werbung
Deutsche Märkte schließen in 7 Stunden 56 Minuten
  • DAX

    18.706,04
    -36,18 (-0,19%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.070,71
    -8,25 (-0,16%)
     
  • Dow Jones 30

    39.431,51
    -81,29 (-0,21%)
     
  • Gold

    2.342,30
    -0,70 (-0,03%)
     
  • EUR/USD

    1,0790
    -0,0003 (-0,03%)
     
  • Bitcoin EUR

    57.337,86
    +184,26 (+0,32%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.275,70
    -15,69 (-1,22%)
     
  • Öl (Brent)

    79,06
    -0,06 (-0,08%)
     
  • MDAX

    27.067,49
    +243,55 (+0,91%)
     
  • TecDAX

    3.406,15
    +8,52 (+0,25%)
     
  • SDAX

    14.935,00
    +39,17 (+0,26%)
     
  • Nikkei 225

    38.356,06
    +176,60 (+0,46%)
     
  • FTSE 100

    8.419,66
    +4,67 (+0,06%)
     
  • CAC 40

    8.198,37
    -10,91 (-0,13%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.388,24
    +47,34 (+0,29%)
     

Strenge Passagierentschädigungen – Treibt die EU Airlines in die Pleite?

Small Planet, Azur Air, Primera Airlines, Cello Aviation, Cobalt Air – im Monatsrhythmus müssen europäische Fluggesellschaften Insolvenz anmelden. Ein Ende ist nicht in Sicht, der harte Winter mit der in der Luftfahrt so typischen Nachfrageschwäche kommt erst noch.

Ryanair-Chef Michael O’Leary prognostiziert deshalb weitere Pleiten und hat auch schon einen Kandidaten im Visier. „Norwegian dümpelt ja jetzt schon länger vor sich hin und geht im Winter in die Knie“, sagte er vor einigen Tagen dem Branchendienst Airliners.de.

Auch wenn beim Thema Pleite der Fingerzeig auf eine bestimmte Airline fragwürdig ist, mit seiner grundsätzlichen Einschätzung steht O’Leary nicht alleine. „Eine meiner größten Sorgen ist, dass es für weitere Airlines diesen Winter schwierig wird. Wir sehen ja bei allen im Markt, wie die schwierige Situation die Kosten in die Höhe getrieben hat“, sagt Roland Keppler, der Chef von Tuifly.

Immer stärker wird in der Branche deshalb ein Thema diskutiert: Sind die strengen Vorgaben der EU im Hinblick auf Entschädigungen bei Verspätungen und Flugausfällen mit Schuld am Airline-Sterben? Anbieter wie Primera Air oder Small Planet haben die hohen Kompensationszahlungen als einen der Gründe für den Gang zum Insolvenzgericht genannt.

WERBUNG

Passagierrechte wurden ausgeweitet

„Die EU-Passagierrechteverordnung ist ein wesentlicher Treiber der aktuellen Pleitewelle“, sagt Jens Bischof, CEO von SunExpress, einem Gemeinschaftsunternehmen von Lufthansa und Turkish Airlines: „Zweistellige Millionenbeträge pro Jahr für Fluggastkompensationen sind für eine kleinere Airline nicht so einfach wegzustecken. Das muss einmal klar gesagt werden.“ Und nicht alles liege in den Händen und der Verantwortung der Airlines.

Im Fokus ist die EU-Regulierung mit der Nummer 261/2004. Dort ist niedergeschrieben, dass Passagieren bei Verspätungen ab drei Stunden je nach Flugdistanz gestaffelte Entschädigungen zustehen. Jim Callaghan, der ehemalige Chefjustitiar von Etihad Airways und Partner bei der Luftfahrtberatung Croon Callaghan, hat die Vorgaben der EU in einem Beitrag auf dem Karriereportal Linkedin kritisch analysiert.

Zwar hätten die Pleiten viele Gründe, schreibt er. Aber ein Teil der Verbraucher-Rechtssprechung in der EU sei für die ausufernden Kosten von Airlines verantwortlich und in der Lage, „die sensible Balance zwischen Profitabilität und Insolvenz zu kippen“.

Callaghan kritisiert vor allem die kontinuierliche Ausweitung der Entschädigungsansprüche durch den Europäischen Gerichtshof. Ursprünglich sei die Vorgabe 261 lediglich für den Fall entwickelt worden, dass Fluggästen infolge von Überbuchungen das „Boarding“ verweigert oder der Flug gestrichen wurde.

Erst im sogenannten Sturgeon-Fall, bei dem eine Familie 2009 die Airlines Condor und Air France auf Entschädigung wegen einer 25stündigen Verspätung verklagt hatten, habe der EuGH entschieden, dass die Regulierung auch für Verspätungen ab drei Stunden gelte. In den Jahren danach hätten die EU-Richter die Vorgaben immer weiter verschärft – bis zu einem Punkt, an dem „Airlines in fast allen Fällen von Streichungen und Verspätungen über drei Stunden zahlen müssen“, so Callaghan.

Auf den ersten Blick mag die Argumentation, rechtliche Ansprüche von gestrandeten Passagieren für Pleiten verantwortlich zu machen, abenteuerlich sein. Es klingt nach reinem Lobbying der Luftfahrt-Branche. Fest steht allerdings: Die Entschädigungen haben die Kosten vieler Fluggesellschaften in diesem Chaos-Sommer in bislang unbekannte Höhen getrieben.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr beziffert die Summe, die Europas größte Airline im Jahr 2018 wahrscheinlich für Kompensationen und Dinge wie Hotelunterbringungen zahlen müsse, auf 250 Millionen Euro. Normal seien rund 100 Millionen Euro im Jahr. Ryanair wiederum nannte bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen vor einigen Tagen unter anderem hohe Entschädigungszahlungen als Grund für den ersten Gewinnrückgang seit fünf Jahren.

Die Folgen der EU-Regulierung sind also in den Bilanzen deutlich sichtbar.

Die Extraaufwendungen für Entschädigungen kommen zu einer Zeit, in der noch ein anderer großer Kostenblock Sorge bereitet: der für das Flugbenzin. Kostete Rohöl – die Basis für Kerosin – zu Jahresbeginn noch rund 30 Dollar je Fass (159 Liter), werden mittlerweile über 70 Dollar aufgerufen.

Weil die Airlines aber gleichzeitig viel Angebot in den Markt drücken, können sie die Mehrkosten nur begrenzt über die Ticketpreise weiterreichen. „Das wird den Druck auf die Airlines weiter verschärfen“, ist Lufthansa-Chef Spohr überzeugt.

Das große Problem aus Sicht vieler Airline-Manager: Wie beim Ölpreis können die Fluggesellschaften auch beim Thema Verspätungen in einigen Fällen die belastenden Faktoren selbst gar nicht steuern – zum Beispiel bei Engpässen in der Flugsicherung.

„Um die Kosten für Kompensationsleistungen so gering wie möglich zu halten, haben wir in diesem Sommer ein zusätzliches Flugzeug geleast“, beschreibt Keppler von Tuifly das, was möglich ist. Damit könne man schneller reagieren, um Verspätungen durch Slots oder aus anderen Ereignissen zu vermeiden.

Auch Lufthansa stellt mehr Reservejets bereit und hat zu Wochenbeginn unter Führung von Executive Vice President Detlef Kayser – einem früheren McKinsey-Berater – eine Initiative gestartet, um das Verspätungsdrama in den Griff zu bekommen. Vorstandsmitglied Harry Hohmeister hat zudem gefordert, die Kosten für die Verspätungen gerechter zu verteilen. Er will deshalb etwa mit den Flughäfen und der Flugsicherung über das Thema Gebühren sprechen.

Doch die Sorge, dass auch im kommenden Jahr hohe Belastungen aus den Passagieransprüchen drohen, ist in der Branche überall spürbar. Denn das straffe Regelwerk der EU treibt zuweilen seltsame Blüten. Die insolvente Primera Airlines etwa vermarktete zuletzt One-Way-Tickets von Europa in die USA für 149 Dollar.

Die entsprechende Kompensation habe für diese Strecke bei einer Verspätung von mehr als drei Stunden und bei Berücksichtigung aller Ansprüche bis hin zur Verpflegung wahrscheinlich bis zu 700 Dollar betragen, rechnet Callaghan vor: „In welcher anderen Industrie ist ein Lieferant verpflichtet, seinem Kunden das Vielfache dessen zurückzuzahlen, was dieser ihm bezahlt hat, und ihm dann dennoch seine Dienstleistung zu liefern?“

Trotz solcher erkennbaren Fehlentwicklungen geben nicht alle Branchen-Experten den Verbraucherrechten die Schuld an den Insolvenzen. „Die EU-Passagierrechte sind ein Beschleuniger, aber nicht die Ursache für die aktuelle Pleitewelle“, sagt Philip Goedeking, Managing Partner beim Luftfahrtberater Avinomics. Der weitaus größere Kostentreiber sei eine ineffiziente und fragmentierte Luftsicherung in Europa: „Die seit Jahrzehnten überfällige Konsolidierung findet nicht statt.“

Berater beklagen Management-Fehler

Zudem macht Goedeking Manager-Fehler für das Scheitern verantwortlich. So kritisiert er etwa die Entscheidungen von Primera Airlines und Norwegian, auf die noch nicht erprobten neuen Flugzeugtypen A321neo und Boeing 737 MAX zu setzen. „Als Mini-Airline sollte man nicht Launching-Customer für neue Flugzeugtypen spielen und das Unternehmen darauf verwetten, dass so ein Experiment klappt“, so der Experte.

Große Fluggesellschaften könnten Lieferverzögerungen verkraften, für kleine sei das brandgefährlich. „Wer als Unternehmer einer kleinen Airline solche Risiken eingeht, sollte auch dafür haften und nicht der Passagier“, sagt Goedeking.

Unabhängig davon, wie stark die EU-Passagierrechte nun die Airlines in die Enge treiben – die Pleiteserie in der Luftfahrt könnte sich für die Passagiere, die Brüssel eigentlich schützen will – bitter rächen. Denn der Wettbewerb schrumpft, und damit auch das Angebot.

Gängige Meinung sei zwar, dass eine Konsolidierung für die Airline-Branche gut sei, weiß Goedeking von Avinomics. „Aber wir nehmen dadurch Wettbewerb aus dem Markt, davon profitieren die Airlines, nicht aber die Verbraucher“, sagt er und fügt hinzu: „Wir schaffen Oligopole mit Anbietern, die „too big to fail“ sind. Welche Probleme das mit sich bringen kann, haben wir in anderen Branchen gesehen.“

Tatsächlich ist der Konkurrenzdruck in der Luftfahrt an vielen Stellen weniger ausgeprägt, als die ständigen Reibereien zwischen Airlines wie etwa Lufthansa und Ryanair vermuten lassen. Die IATA, der Welt-Dachverband der Fluggesellschaften, erklärte im Juni zwar stolz, dass der Wettbewerb gestiegen sei. Der Anteil der europäischen Routen, die von zwei und mehr Airlines bedient würden, sei von 2010 bis 2017 um fünf Prozentpunkte auf 30 Prozent gestiegen. Doch man kann diese Zahl auch anders lesen: 70 Prozent der Strecken in Europa sind Monopolverbindungen.

Luftfahrt-Kenner Goedeking empfiehlt deshalb, die Rahmenbedingungen für kleine Airlines zu verändern: „Man kann durchaus darüber nachdenken, die Bedingungen für Start-Up-Airlines zu verbessern. Es gibt sehr viele Regeln in dem Markt, die die Platzhirsche bevorzugen. Dazu zählt etwa die Vergabe von Slots nach den sogenannten Großvaterrechten.“

Großvaterrechte bezeichnet die EU-Regel, nach der etwa durch das Ausscheiden einer Fluggesellschaft freiwerdende Start- und Landerechte (Slots) zur Hälfte an jene Anbieter gehen müssen, die schon an dem jeweiligen Flughafen präsent sind. Die verbleibende Hälfte kann dann an Airlines gehen, die bislang noch nicht diesen Flughafen ansteuern.

Sein Kollege Callaghan ist allerdings davon überzeugt, dass sich dringend auch etwas beim Verbraucherschutz ändern muss: „Wie viele Pleiten muss es noch geben, bevor der EU-Gesetzgeber seine Rechtsprechung überdenkt?“