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„Heilmittel schlimmer als das Problem“: Trump stößt Debatte um Corona-Maßnahmen an

Der US-Präsident will die Maßnahmen zur Eindämmung der Virus-Pandemie rasch lockern. Auch in Deutschland gibt es einzelne Befürworter. Mediziner halten die Idee für verheerend.

Das Epizentrum der Coronakrise in den USA ist der Großraum New York. Dort ist laut Regierung mittlerweile ein Promille der Bevölkerung infiziert. Foto: dpa
Das Epizentrum der Coronakrise in den USA ist der Großraum New York. Dort ist laut Regierung mittlerweile ein Promille der Bevölkerung infiziert. Foto: dpa

Wie so oft bei Donald Trump begann alles mit einem Tweet. Am Sonntagabend, kurz vor Mitternacht amerikanischer US-Ostküstenzeit, sandte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in Großbuchstaben seine Botschaft in die Welt: „Wir können die Therapie nicht schlimmer werden lassen als das Problem selbst.“

Mitte März hatte Trump eine 15-tägige Periode der Einschränkungen verkündet: Für gut zwei Wochen sollen die Amerikaner darauf verzichten, sich in Gruppen zu treffen. Schulen, Universitäten und Museen sollen geschlossen bleiben, der Arbeitsplatz soll wenn möglich ins Homeoffice verlegt werden, und Restaurants sollen nur Essen zum Mitnehmen oder Liefern anbieten.

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Es handelt sich nur um Empfehlungen, doch das Land ist ihnen weitgehend gefolgt. Die Gouverneure vieler Bundesstaaten haben noch weit schärfere Vorschriften erlassen: Derzeit gelten in 16 der 50 US-Bundesstaaten strikte Ausgangsbegrenzungen, bei denen es nur noch erlaubt ist, die eigenen vier Wände für die wichtigsten Grundbedürfnisse zu verlassen.

Anfang der kommenden Woche läuft die 15-Tage-Periode der Regierung aus. Doch bereits in der Mitte dieses Zeitraums scheint Trump die Geduld zu verlieren angesichts der ökonomischen Verheerungen, die die Ausgangssperren in den USA anrichten. „Wir müssen das Land wieder zurück an die Arbeit bringen“, sagte Trump dem Sender „Fox News“ am Dienstag. „Dieses Heilmittel ist schlimmer als das Problem. Noch einmal: Menschen, viele Menschen – meiner Meinung nach mehr Menschen – werden sterben, wenn wir das weiter geschehen lassen.“

Und nicht nur im Weißen Haus, sondern in der gesamten westlichen Welt beginnt allmählich eine Debatte um die Verhältnismäßigkeit der Corona-Interventionen. Ist die Strategie, das Sozial- und Wirtschaftsleben einzufrieren, wirklich alternativlos?

Es ist eine heikle Debatte. Denn es geht um Menschenleben. In diesem Fall um das der älteren und vorerkrankten Bürger, für die eine Infektion mit dem Coronavirus besonders oft tödlich verläuft. Es gilt abzuwägen zwischen dem Schutz der Gesundheit jedes Einzelnen und dem Schutz der Gesellschaft vor der schwersten Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

In Deutschland sind es bislang nur Einzelne, die solche Überlegungen anstellen. Etwa der Private-Equity-Unternehmer und ehemalige Deutschlandchef der Investmentbank Goldman Sachs, Alexander Dibelius, der im Interview mit dem Handelsblatt sagte: „Ist es richtig, dass zehn Prozent der – wirklich bedrohten – Bevölkerung geschont, 90 Prozent samt der gesamten Volkswirtschaft aber extrem behindert werden, mit der unter Umständen dramatischen Konsequenz, dass die Basis unseres allgemeinen Wohlstands massiv und nachhaltig erodiert?“ Auch der Vorsitzende des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, bekannte in einem Beitrag für die hauseigene „Welt“ mit Bezug auf die Corona-Maßnahmen: „Ich habe Zweifel.“

Um welche ökonomischen Dimensionen es geht, hat das Ifo-Institut Anfang der Woche klargemacht. Die Münchener Wirtschaftsforscher halten einen Einbruch der deutschen Wirtschaft von bis zu 20 Prozent in diesem Jahr für möglich. Ifo-Präsident Clemens Fuest glaubt, dass die Kosten dieser Krise „voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist“. Es müsse darum gehen, einen schrittweisen Exit aus dem Shutdown so zu gestalten, dass die Pandemiebekämpfung so wenig wie möglich beeinträchtigt werde.

Auch der mächtigste Politiker der westlichen Welt muss diese Abwägung machen. Täglich wohnt Trump mittlerweile den Briefings seiner Corona-Taskforce bei, die US-weit von den großen Nachrichtensendern übertragen werden.

Der US-Präsident nutzte dieses Forum am Montagabend, rund 18 Stunden nach seinem Tweet, um die Nation an seinen Überlegungen teilhaben zu lassen. „Wenn es nach den Ärzten ginge, würden die sagen: Lasst alles geschlossen, schließt die ganze Welt, und lasst sie geschlossen. Das können wir nicht machen“, sprach Trump in die Fernsehkameras. Dann kündigte er an: „Wir werden unser Land innerhalb eines kürzeren Zeitrahmens als einige Monate wieder öffnen.“

Die US-Regierung erwägt laut Trump, die Anti-Corona-Empfehlungen in einigen weniger betroffenen Landesteilen zu lockern, in den „Hotspots“ der Krise aber beizubehalten oder sogar noch zu verschärfen. Eine andere Überlegung im Weißen Haus, über die die „Washington Post“ berichtet: Die Ausgangsbeschränkungen könnten zunächst für Menschen unter 40 oder unter 50 Jahren gelockert werden, bei denen die Corona-Krankheit nur selten tödlich verläuft.

Trumps Äußerungen kamen am Ende eines Tages, an dem in den USA erstmals mehr als 100 Menschen an den Folgen des Coronavirus starben und die Fallzahlen erneut stiegen. Vor diesem Hintergrund, so berichten es übereinstimmend mehrere US-Medien, sah sich Trump widersprüchlichen Forderungen seiner Berater ausgesetzt.

Der medizinische Corona-Krisenstab im Weißen Haus drängt darauf, die Beschränkungen aufrechtzuerhalten oder sogar noch zu verschärfen. Die Wirtschaftsberater des US-Präsidenten forderten hingegen zunehmend ungeduldig eine Perspektive, wann die US-Ökonomie wieder in den Normalmodus zurückkehren kann.

Mit dieser Ungeduld fanden sie offenbar Gehör bei einem Präsidenten, der im November um seine Wiederwahl kämpfen muss und dessen Kernbotschaft stets lautete: Unter meiner Führung sind die Vereinigten Staaten wirtschaftlich erfolgreich.

Wichtigster Maßstab dieses Erfolgs waren für Trump immer die steigenden Aktienkurse an der Wall Street. Daran gemessen hatten seine Äußerungen den gewünschten Effekt: Der Dow Jones schloss am Dienstag über elf Prozent und damit mit den kräftigsten Aufschlägen seit 1933. Allerdings war die Rally vor allem getrieben von der Hoffnung, dass der Kongress endlich ein gewaltiges Stimuluspaket im Umfang von knapp zwei Billionen Dollar für die US-Wirtschaft beschließt.

Was ist ein Leben wert?

Wie realistisch sind Trumps Überlegungen angesichts einer Pandemie, die sich in den USA mit ungebremstem Tempo ausweitet? Das Epizentrum der Coronakrise in den USA ist der Großraum New York. Dort ist laut der Corona-Koordinatorin im Weißen Haus, Deborah Brix, mittlerweile ein Promille der Bevölkerung infiziert – fünfmal so viele wie im Schnitt des Landes.

Die Zahl der Infizierten verdoppelt sich in New York alle drei Tage. Der demokratische Gouverneur Andrew Cuomo wendet sich entschieden gegen Trumps Trade-off zwischen ökonomischen und medizinischen Interessen. „Es ist eine falsche Alternative, die öffentliche Gesundheit gegen den Neustart der Wirtschaft zu setzen“, sagte Cuomo bei CNN. „Und wenn man diese Alternative aufmacht, dann muss man sich für die öffentliche Gesundheit entscheiden, denn man kann den Wert eines menschlichen Lebens nicht mit Geld bemessen.“

Das mag unter ethischen Gesichtspunkten richtig klingen. In der Praxis wird dem menschlichen Leben jedoch sehr wohl ein materieller Wert zugemessen. Etwa bei der Abwägung, wie viel Aufwand zur Vermeidung von Unglücksfällen getrieben wird.

Bei entsprechenden Kosten-Nutzen-Analysen wird in den USA meist ein Wert von rund neun Millionen Dollar pro gerettetem Leben veranschlagt. Das geplante Rettungspaket für die US-Wirtschaft hätte in dieser Betrachtungsweise den Gegenwert von etwa 200.000 Menschenleben. Das klingt zynisch – und vor allem stellt sich die Frage, ob der Trade-off in dieser Form tatsächlich existiert.

Die meisten Mediziner in den USA sind von Trumps Überlegungen entsetzt. Sie warnen, dass sich bei einem zu frühen Lockern der Beschränkungen das Virus schon bald wieder rasant ausbreiten werde – mit tödlichen Folgen: Die Krankenhäuser wären schnell überlastet, die Opferzahlen allein in den USA würden in die Hunderttausende gehen.

Es droht das Italienszenario

Spätestens dann müssten auch die Beschränkungen des öffentlichen Lebens wieder verschärft werden. Es droht das Italienszenario: unermessliches Leid bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Stillstand.

Als positives Gegenbeispiel verweist Trump auf Südkorea, wo es nach dem Corona-Ausbruch innerhalb weniger Wochen gelungen ist, das Leben wieder zu normalisieren. Doch Voraussetzungen dafür waren die flächendeckenden Coronatests in Südkorea.

Sie haben es möglich gemacht, die genaue Ausbreitung des Virus im Land zu erfassen und die Infizierten vom Rest der Bevölkerung zu isolieren. Mit solchen flächendeckenden Tests könnte auch Trumps Hotspot-Idee funktionieren. Doch bislang gilt auch in den USA: Getestet wird nur, wer bereits Symptome aufweist.

Am Ende sind es die Gouverneure der Einzelstaaten, die über die Anti-Corona-Maßnahmen in ihrem Gebiet entscheiden. Und bei denen zeigt sich wenig Neigung, die Beschränkungen aufzuheben, im Gegenteil: Der Staat Florida hat gerade erst eine 14-tägige Zwangsquarantäne für alle erlassen, die aus dem Corona-Hotspot New York in das beliebte Urlaubsziel im Süden der USA reisen.