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Das Geschäftsmodell der Industrieversicherer steht auf dem Spiel

Die prekäre Lage ihrer Industriesparte wird für die Versicherer zunehmend zum Problem. Selbst der eigentliche Hoffnungsträger hängt hinterher.

An den 1. September vergangenen Jahres erinnern sich die Menschen östlich von Ingolstadt mit Schrecken. Eine gewaltige Explosion erschütterte an diesem Samstag nach fünf Uhr morgens die Raffinerie von Bayernoil nahe dem Städtchen Vohburg. 17 Tage dauerte es, bis das letzte Feuer gelöscht war. Noch heute untersucht die Staatsanwaltschaft die beschädigte Anlage, 1.100 Anwohner haben seither Schäden gemeldet.

Die Explosion nahe Ingolstadt war im vergangenen Jahr der mit Abstand größte industrielle Feuerschaden in Deutschland. Das komplette Ausmaß ist noch immer nicht erfasst. Hinzu kam eine Vielzahl kleiner und mittlerer Schäden. In der Summe führte das bei vielen Industrieversicherern zu roten Zahlen. „Die Branche hat seit sieben Jahren in der industriellen Feuerversicherung kein Geld mehr verdient, wenn man die Kapitalkosten berücksichtigt“, sagt Jan-Oliver Thofern, der Chef der Rückversicherungssparte beim Makler Aon.

Weil Schäden durch Naturkatastrophen sowie eine steigende Zahl von Cyberangriffen hinzukamen, steht die Branche unter gewaltigem Druck. Für das abgelaufene Jahr errechnete der Branchenverband GDV eine verheerende Schaden-Kosten-Quote von 129 Prozent. Es wurde demnach fast ein Drittel mehr für Schäden ausgezahlt als an Beiträgen eingenommen.

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Die Folge für Industriekunden sind seither höhere Prämien, steigende Selbstbehalte oder eine geringere Absicherung bei gleichbleibenden Prämien. „Sofern die Forderungen moderat ausfielen, wurden sie mehrheitlich akzeptiert, ansonsten führten Marktausschreibungen zu Versichererwechseln“, heißt es beim britischen Maklerhaus Marsh.

Erste Folgen zeigen sich. Die Talanx-Tochter HDI, die im letzten Jahr besonders unter Druck stand, hat in den vergangenen Monaten gerade in der Feuerversicherung die Preise massiv erhöht und sich von Kunden getrennt. Auch Chris Fischer Hirs, der Chef der Allianz-Industrietochter AGCS, betrachtet es als oberste Priorität, in diesem Jahr die Profitabilität wiederherzustellen. Der Zustand der einst profitablen Tochter hatte im erfolgsverwöhnten Allianz-Konzern zuletzt für deutliches Murren gesorgt. Immerhin lag die AGCS im vergangenen Jahr mit einer Schaden-Kosten-Quote von 101,5 Prozent in Sichtweite der versicherungstechnischen Gewinnzone.

Schonungslose Analyse

All die eingeleiteten Schritte können indes nur der Anfang für einen weitreichenden Restrukturierungsprozess der gesamten Branche sein. Das wissen die Versicherer. Deswegen läuft überall im Land derzeit eine schonungslose Bestandsaufnahme. Der Chef der Erstversicherungssparte beim Makler Aon, Kai-Frank Büchter, sieht so neue Szenarien auf die Branche zukommen. Vor allem, weil die Digitalisierung alle Wirtschaftszweige stark durchdrungen hat. „Die Industrie ist schneller unterwegs und bereits weiter, als es die Versicherer sind“, mahnt Büchter.

Dadurch steht das bisherige Geschäftsmodell der Industrieversicherer auf dem Spiel. Früher war es ein großer Vorteil, dass die Branche durch eine Vielzahl von Daten ein Risikoszenario besser einschätzen konnte als ihre Kunden. Jetzt ist Umdenken angesagt. „Versicherer waren lange auf Historien angelegt, künftig müssen wir viel stärker Trends analysieren“, gibt AGCS-Chef Fischer Hirs die Stoßrichtung vor.

Ausgerechnet bei einem Hoffnungsträger zeigen sich aber Probleme. Cyberversicherungen sollten für die Branche in den kommenden Jahren zum Wachstumstreiber werden, hieß es vielerorts. Schätzungen zufolge solle der Markt im kommenden Jahr acht bis neun Milliarden Euro ausmachen. „Unser Marktanteil liegt hier bei mehr als zehn Prozent. Damit verdoppeln wir unser gezeichnetes Geschäft“, schürte Munich-Re-Chef Joachim Wenning beim Aktionärstreffen im Frühjahr Hoffnungen.

Am Weltmarkt Nummer eins musste die Branche allerdings die Erwartungen dämpfen: In den USA sind die Prämien für Cyberversicherungen im vergangenen Jahr nur um acht Prozent gestiegen, nachdem es ein Jahr davor 37 Prozent waren. „Künftige medienwirksame Cyberangriffe werden aber nach einem anspruchsvolleren Risikomanagement verlangen und die damit verbundenen höheren Preise dem Segment Auftrieb geben“, beschwichtigt Gerry Glombicki von der Ratingagentur Fitch.

Die Realität sieht allerdings im Moment anders aus. Zwar steigen die Prämien kräftig an, das gilt jedoch auch für die Anzahl und Schadenhöhen der Cyberattacken. Das zeigen Zahlen des britischen Spezialversicherers Hiscox. Demnach wurden 61 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland im vergangenen Jahr Opfer einer Cyberattacke. Ein Jahr davor waren es noch 48 Prozent. In diesem Zusammenhang zogen auch die Kosten pro Attacke deutlich an. Bei 369.000 Dollar lagen sie 2018 pro Vorfall, ein Jahr davor waren es noch 229.000 Dollar. „Cyberrisiken werden Auslöser Nummer eins für Betriebsunterbrechungen sein“, prophezeit Aon-Chef Büchter.

Altverträge sind ein Risiko

Hinzu kommt, dass wegen der ständig wechselnden Gefahrenlage und der raschen Fortentwicklung in der Hackerszene nicht immer klar zu bestimmen ist, ob ein Angriff in seiner speziellen Form versichert ist oder nicht. „Silent Cyber“ nennt die Branche das Phänomen, mit dem sie seit geraumer Zeit konfrontiert ist. Viele Risiken wurden demnach weder vom Versicherer noch vom Kunden als solche überhaupt wahrgenommen. Weil es sie entweder zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht gab oder weil niemand ein solches Risiko bislang für realistisch hielt. „Dieser Umstand führt dazu, dass in Versicherungspolicen regelmäßig Cyberrisiken nicht erwähnt werden oder nicht explizit ein- oder ausgeschlossen sind“, heißt es bei den Experten von Marsh.

Die Börsenaufsicht Bafin ist deswegen alarmiert und hat angekündigt, sich das Silent-Cyber-Risiko genauer anzusehen. Seither durchforsten Versicherer ihre Policen und passen die Regelungen an. Ein aufwendiger und teurer Prozess, der häufig während der Umstellung schon wieder an neue Herausforderungen angeglichen werden muss. Gleichzeitig gelten bei Neuabschlüssen angepasste Regeln, nach denen beispielsweise Cyberrisiken in der Sachversicherung oder der Haftpflicht explizit benannt und definiert werden.

Bei der Allianz-Tochter AGCS geht man dabei den Weg, den der Konzern mit seiner neuen Strategie „Simplicity wins“ im November vorgegeben hat. Im Wachstumsmarkt der mittelgroßen Unternehmen sollen einfache und standardisierte Produkte angeboten werden. „Bei Großkonzernen führen wir dagegen oft Gespräche über zwei Jahre bis zum Abschluss“, erzählt AGCS-Chef Fischer Hirs aus der Praxis. Hier seien die Anforderungen der Kunden einfach zu unterschiedlich.