Fokus auf Messenger-Dienste: Warum Facebook plötzlich wie WeChat sein möchte
Große Ankündigung von einem der reichsten Männer der Welt: Mark Zuckerberg hat in der vergangenen Woche in einem langen Blog-Beitrag die Zukunftsvision von Facebook ausgerollt und dabei den Fokus auf den Schutz der Privatsphäre gelegt. Doch Nutzer sollten sich nichts vormachen: Der Facebook-Chef dürfte kaum eine Läuterung vollzogen haben – er will den Internetgiganten vor der Zerschlagung schützen.
“Eine auf Privatsphäre bedachte Vision für Social Networking”, betitelte Mark Zuckerberg sein mehr als 3000 Worte langes Elaborat, das durchaus als Neustart des inzwischen 15 Jahre alten Social Networks verstanden werden kann.
Für mehr als eine Dekade nämlich profitierte Facebook blendend von seinem 2006 eingeführten Newsfeed, in dem das aufstrebende US-Startup schnell seine Cashcow gefunden hatte. Anzeigen wurden zwischen die Posts geschoben und Beiträge in Sponsored Posts schließlich selbst beworben. Vor allem jedoch als Unternehmen und Prominente mit neuer Präsenz in Form von Fanpages angelockt wurden, begann das Werbegeschäft abzuheben, das Facebook in der Spitze zum 600-Milliarden-Dollar-Koloss machte.
Facebooks Geschäftsmodell steht nach Daten- und Fake News-Skandalen arg in der Kritik
Mit der Diskussion um Fake News und gezielte Einflussnahme bei der vergangenen US-Wahl kippte jedoch die Stimmung. Facebooks werbefinanziertes Geschäftsmodell und vor allem der Laissez-Faire-hafte Umgang mit Nutzerdaten bescherte dem fünftwertvollsten Konzern der Welt massive Kritik.
Die endlosen Daten- und Privatsphärenskandale im vergangenen Jahr, die den weltweit drittwertvollsten Internetkonzern bis Ende 2018 auf ein 18-Monatstief abstürzen ließen und rund 200 Milliarden Dollar an Börsenwert vernichtet haben, scheinen die Facebook-Führung nun zu einem radikalen Kurswechsel veranlasst zu haben.
Mark Zuckerberg 2010: Das Ära der Privatsphäre ist vorbei
Die Konsequenzen, die Zuckerberg nach dem Vertrauensverlust im Zuge der Datenskandale um Cambridge Analytica & Co mit einer gewissen Zeitverzögerung zieht, sind allerdings durchaus bemerkenswert.
Mehr als ein Jahrzehnt hat Mark Zuckerberg schließlich alles dafür getan, seine Nutzer zum Verzicht der Privatsphäre zu bewegen und sich so öffentlich wie möglich mitzuteilen. “Die Leute haben sich daran gewöhnt, immer mehr Informationen allerlei Art immer öffentlicher und mit mehr Leuten zu teilen”, verkündete der damals 25-Jährige bereits 2010 das Ende der Privatsphäre, die seiner Meinung nach “keine soziale Norm mehr” wäre.
Mark Zuckerberg 2019: “Die Zukunft der Kommunikation wird sich in private, verschlüsselte Dienste verschieben”
Nun folgt die 180-Grad-Wende. “Ich glaube, dass sich die Zukunft der Kommunikation in private, verschlüsselte Dienste verschieben wird, in denen Menschen darauf vertrauen können, dass das, was sie sagen, sicher ist und ihre Nachrichten und Inhalte nicht ewig verfügbar sind”, schreibt Zuckerberg in seiner Zukunftsvision für das weltgrößte Social Network.
“Privatsphäre gibt Leuten die Freiheit, sie selbst zu sein und sich auf natürlichere Weise zu verbinden, was der Grund ist, warum wir soziale Netzwerke entwerfen”, formuliert Zuckerberg nun eine fast totale Abkehr von der bisherigen Erfolgsgeschichte. Die Folge: Wie bereits vor Monaten angekündigt, arbeitet Facebook daran, seine drei Kommunikationsdienste, den Facebook Messenger, WhatsApp und Instagram zusammenzuführen und für Nutzer von allen drei Diensten erreichbar zu machen.
Zuckerberg lockt damit, Facebook “zum digitalen Wohnzimmer” zu machen, in dem man unter sich bleibe, weil Nachrichten künftig verschlüsselt ausgetauscht würden und sich gemäß automatischer Voreinstellung sogar nach einiger Zeit wieder löschen würden. “Wir sollten an einer Welt arbeiten, in der jeder privat und frei sprechen kann, wohl wissend, dass die Information nur von denen gesehen wird, die sie auch sehen sollen”, formuliert Zuckerberg pathetisch Facebooks neues Mantra.
Vernichtendes Echo auf Facebooks Neuausrichtung
Das Echo auf Zuckerbergs Rolle rückwärts fiel erwartungsgemäß aus. “Wie lange glaubt er selbst daran? Eine Stunde? Einen Tag?” watschte etwa Techreporter-Veteran Walt Mossberg den Facebook-Chef ab.
Mark Zuckerberg today: ”I believe we should be working towards a world where people can speak privately and live freely knowing that their information will only be seen by who they want to see it.” How long has he personally believed this? An hour? A day? https://t.co/2qmZjl8Iaq
— Walt Mossberg (@waltmossberg) March 6, 2019
“Warum fühle ich mich belogen #MarkZuckerberg” fasste unterdessen Marketing-Professor Scott Galloway das Unbehagen in Worte, das unzählige Nutzer nach den zahlreichen Daten- und PR-Skandalen umtreiben dürfte.
Why do I feel I’m being lied to #MarkZuckerberg https://t.co/XsLgiMirtJ
— Scott Galloway (@profgalloway) March 6, 2019
Scott Galloway: Facebook baut Unternehmen um, um eine Aufspaltung zu verhindern
Am Wochenende wurde der Bestseller-Autor (“The Four”) noch deutlicher. In einem Blogbeitrag erklärte er die eigentliche Motivation hinter dem Vorgehen des 34-Jährigen. “Zuckerberg versucht verzweifelt, eine Dreiteilung seines Unternehmens (Messenger, WhatsApp, Instagram) unmöglich zu machen, sodass er die Ärzte anflehen kann, seine Babys bei einer Operation nicht umzubringen”, erklärt Galloway metaphorisch.
Zuckerberg is desperately trying to make it impossible to separate his firm by conjoining his triplets (Messenger, WhatsApp & Instagram) so he can beg doctors not to kill his babies by operating.#nomercynomalicehttps://t.co/SKpi96cwJu
— Scott Galloway (@profgalloway) March 10, 2019
Was Galloway meint: Nach dem zuletzt immer größeren politischen Gegenwind könnte Facebook als erstem der großen Internetkonzerne möglicherweise eine Zerschlagung in verschiedene Unternehmensteile drohen und die zugekauften Töchter Instagram und WhatsApp wieder abgespalten werden, wie es die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren am Wochenende forderte.
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Ein Beitrag geteilt von Elizabeth Warren (@elizabethwarren) am Mär 8, 2019 um 6:02 PST
Mark Zuckerbergs Taktik besteht nun darin, seine Tochterunternehmen so schnell es geht so tief miteinander zu verzahnen, dass ein regulativer Eingriff technologisch kaum mehr zu rechtfertigen ist.
Umbau zum Universal-Messenger: Facebook soll so werden wie WeChat
Gleichzeitig scheint der Facebook-Chef den Umbau in Richtung eines Universal-Messengers voranzutreiben, für den es ein großes und höchst erfolgreiches Vorbild gibt: WeChat. Die zum chinesischen Internetriesen Tencent gehörende App gilt als Schweizer Taschenmesser der App-Ökonomie: Wer sich einmal in WeChat bewegt, hat kaum einen Grund mehr, noch eine andere App zu nutzen. Der Nutzer findet schließlich in WeChat alles: Social Network, Messaging-Dienste, E-Commerce-Angebote und direkte Bezahlmöglichkeiten von der Kinokarte bis zum Parkticket.
“WeChat ist Zuckerbergs Inspiration”, ist sich Marketing-Guru Galloway sicher. ” Die Messaging- / Commerce- / Bezahl- / Fahrdienst- / Küchenmaschinen-App hat zahlreiche Erlösströme (statt nur Werbung) erschlossen und ist nicht nur anziehend – sie ist selbstklebend”, folgert der 54-Jährige. “WeChat ist Zuckerbergs Traum eines Betriebssystems, das die Leben von einem Drittel der Menschen auf diesem Planeten kontrolliert”, entwirft Galloway eine apokalyptische Zukunftsvision von Facebook. Bleibt die Frage, ob die US-Politik es so weit kommen lässt…