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Fast 600 Millionen Euro Schulden: Gericht eröffnet Insolvenzverfahren des Apothekenabrechners AvP

4000 Gläubiger bangen um ihr Geld: Jahrelange Misswirtschaft hat beim Apothekenabrechner AvP zur Insolvenz geführt. Doch der Absturz hat auch kriminelle Hintergründe.

Die Insolvenz des Apothekenabrechners AvP trifft die Branche hart. Manchen Apotheken fehlen einige Hunderttausend Euro, anderen Millionen. Foto: dpa
Die Insolvenz des Apothekenabrechners AvP trifft die Branche hart. Manchen Apotheken fehlen einige Hunderttausend Euro, anderen Millionen. Foto: dpa

Hätten sie nur ihre Bücher ordentlich geführt – die mutmaßliche Masche der beiden Apotheken-Manager wäre womöglich nie aufgeflogen. Jahrelang, so legen Recherchen des Handelsblatts nahe, sollen zwei Führungskräfte des Abrechnungsunternehmens AvP in die eigenen Taschen gewirtschaftet haben.

Der eine bediente sich offenbar direkt von den Konten, der andere soll eine private Firma genutzt haben, auch um mit Daten aus dem Apothekengeschäft sein Hobby zu pflegen: die Fliegerei. Im Laufe der Zeit sollen Millionen abgeflossen sein. Und dennoch: Grund für den AvP-Zusammenbruch vor sechs Wochen war offenbar nicht in erster Linie etwaiger Betrug oder Untreue, sondern Unvermögen. Nun hat das Amtsgericht Düsseldorf das Insolvenzverfahren eröffnet.

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Aufgeflogen ist der Betrug am Ende wegen des „Apothekenrabatts“, einer Art Skonto. Eine simple Buchhaltungspraxis, so legen interne Unterlagen nahe, wurde dem Management zum Verhängnis.

Die AvP stand als Dienstleister zwischen den Apotheken und den Krankenkassen, wickelte den Zahlungsverkehr ab. Den angeschlossenen Apotheken wurde zu Monatsbeginn ein Vorschuss in Höhe von 80 Prozent des Vorvormonats ausgezahlt. Die Apotheken kauften damit Medikamente im Großhandel ein, gaben sie an Patienten gegen Rezepte ab und leiteten die Verschreibungen an die AvP weiter. Die restlichen 20 Prozent folgen bis zum 15. eines Monats.

Für ihre Dienstleistungen berechnete die AvP je nach Vertrag eine fixe Rezeptgebühr oder einen prozentualen Anteil am monatlichen Umsatz der Apotheke. Das Düsseldorfer Unternehmen gab den Krankenkassen dabei einen Abschlag, wenn sie die Rechnung schnell bezahlten, zum Beispiel fünf Prozent, wenn sie innerhalb von zehn Tagen überwiesen.

Der Apothekenrabatt ist gesetzlich vorgesehen, die Branche hat damit also reichlich Erfahrung. Bei der AvP aber ging diese Praxis schief. Es nahmen sich auch solche Krankenkassen Skonto, die gar nicht zügig zahlten. Wenn dann Beträge fehlten, sollen die Krankenkassen nicht etwa angemahnt worden sein. Stattdessen ist offenbar per Umbuchungen von verschiedenen Konten der Zustand hergestellt worden, der ein ausgeglichenes Ergebnis darstellte. Diese Praxis wurde beibehalten – und der eigentliche Fehlbetrag so immer größer.

Kunden hatten vor einiger Zeit stockende Auszahlungen bei dem Abrechnungsunternehmen beklagt. Politik und Aufsicht wurden schnell hellhörig. Als Dienstleister für mehr als 3500 Apotheken gilt die AvP als einer der neuralgischen Punkte im Gesundheitssystem. Am 14. September setzte die Finanzaufsicht einen Sonderbeauftragten bei der AvP Deutschland GmbH ein. Einen Tag später stellte der Sonderbeauftragte einen Insolvenzantrag.

Erhebliche strukturelle Defizite bei AvP

Insolvenzverwalter Jan-Philipp Hoos wollte lediglich bestätigen: Ein wesentlicher Grund der Insolvenz des Unternehmens waren erhebliche strukturelle Defizite in der Vergangenheit. Sein Gutachten liegt bei Gericht. Es enthält keine komplette Aufarbeitung des Falls, aber doch Andeutungen, die bei der AvP eine besondere Art der Insolvenz nahelegten: eine Kriminalinsolvenz.

Sein Mandant sei von sich aus auf die Staatsanwaltschaft zugegangen, gibt der Verteidiger des beschuldigten Hobbyfliegers an, und werde auch weiterhin mit ihr kooperieren. Auch für den anderen Beschuldigten äußert sich sein Anwalt: Es sei zutreffend, dass ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen seinen Mandanten geführt werde. Dies führe sie aber nicht im Zusammenhang mit der Insolvenz der AvP-Gruppe.

Gleichwohl sollen es laut Handelsblatt-Informationen Vorwürfe gegen den Mandanten gewesen sein, weshalb die Staatsanwaltschaft schon 2018 auf die AvP aufmerksam wurde. Ein Insider hatte den Manager offenbar gemeldet, der sich aus der Kasse bedient haben soll. Ermittlungen begannen, stockten aber, als sich ein AvP-Verantwortlicher für den mutmaßlichen Missetäter aussprach. Der Fehlbetrag von einigen Hunderttausend Euro sei auch anders zu erklären – es läge sicher kein grobes Vergehen vor. Die Staatsanwaltschaft zog wieder ab.

Heute gibt es eine Erklärung für die erstaunliche Milde, mit der die Spitze der AvP die mutmaßlichen Untreuedelikte behandelte: Auch die zweite Führungskraft soll mit eigenen Karten gespielt haben.

Die AvP wertete die Millionen von Rezepten aus, die durch ihr System gingen. Diese Daten wurden anonymisiert an die Pharmawirtschaft verkauft – dies ist ein zulässiger und üblicher Vorgang im Apothekenwesen. Bei der AvP allerdings soll das Geschäft über Bande gelaufen sein. Insider berichten, das Unternehmen habe die Rechte an der Datenerhebung einer Drittfirma übertragen.

Diese soll das Geschäft ausgeführt und dabei einen erheblichen Teil der Erlöse für sich behalten haben. Warum? Die Drittfirma gehörte offenbar der so gütig gestimmten Führungskraft der AvP. Mit den Geldern aus dem Datenverkauf soll der Apotheken-Manager die Fliegerei finanziert haben.

Offenbar Selbstbedienungsmentalität bei Managern

Insider bei der AvP nehmen an, beide Führungskräfte hätten von den Nebengeschäften des jeweils anderen gewusst und kein Interesse, dass Außenstehende sich die Buchhaltung des Unternehmens im Detail anschauten. Beide waren demnach froh, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft keinen Alarm schlug. Sie testierte die lückenhaften Bilanzen Jahr für Jahr.

Ende 2019 hielt das mutmaßliche Stillhalteabkommen in der AvP-Spitze nicht mehr stand. Der Mann, der sich in den Jahren zuvor einige Hunderttausend Euro abzweigt haben soll, griff offenbar im größeren Umfang zu. Sein Verteidiger gibt auf Nachfrage an, dass sein Mandant mit Blick auf die laufenden Ermittlungen öffentlich keine Angaben mache.

Als ein Unbekannter erneut die Staatsgewalt rief, soll die andere Führungskraft ihre Position geändert haben. Sie nahm die Rolle des Aufklärers ein, der erste Manager musste gehen. Die Hoffnung, die Sache sei damit ausgestanden, erfüllte sich allerdings nicht. Die kreditgebenden Banken schalteten das Düsseldorfer Beratungsunternehmen Andersch ein, dann ging es schnell.

Die Berater, Experten für Krisensituationen, warnten vor einer drohenden Insolvenz der AvP. Die Finanzaufsicht wurde hinzugerufen. Am 10. September wies die Behörde das Unternehmen an, keine Transaktionen mehr zu tätigen, um die Insolvenzmasse nicht zu verringern. Trotzdem soll der verantwortliche AvP-Manager einen Geschäftsführer beauftragt haben, noch rund 127 Millionen Euro an die treuesten Kunden der AvP zu überweisen. Der weigerte sich offenbar und wurde gefeuert. Die Gelder – größtenteils Abschlagzahlungen an Apotheken – wurden abgebucht. Vier Tage später setzte die Bafin den Sonderbeauftragten ein. Das Spiel war aus.

Nun sind sowohl der bis zum Schluss agierende AvP-Manager als auch der schon deutlich vorher ausgeschiedene Manager Beschuldigte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Das Bündnis ist anscheinend ganz gebrochen – bei Befragungen sollen sich die beiden gegenseitig Verfehlungen vorgeworfen haben. Der Schaden ihres Handelns ist immens. Laut Angaben von Gläubigern liegen die offenen Forderungen gegen die AvP bei fast 600 Millionen Euro. Es gibt fast 4000 Gläubiger, die meisten davon Apotheken.

Manchen Apotheken fehlen Millionen

Bei Sabine Kranz (Name geändert) ist im September kein Geld mehr eingegangen. „Uns fehlt ein Monatsumsatz“, sagt die Apothekerin, das seien in ihrem Fall etwa 300.000 Euro. Die Apotheken seien zu 100 Prozent mit ihrem gesamten privaten Vermögen haftbar. „Kein Geschäftsmann würde solche Risiken eingehen“, sagt sie. Gleichzeitig seien die Apotheken aber auf Abrechnungsdienstleister wie die AvP angewiesen: Ohne sei es nicht zu schaffen, denn dann müssten die Apotheken die Rezepte mit jeder Krankenkasse einzeln abrechnen.

Nach Handelsblatt-Informationen haben nur einige Apotheken von der AvP für den Abrechnungsmonat August Anfang September einen Vorschuss erhalten, anschließende Zahlungen sollen nicht mehr erfolgt sein. Manchen Apotheken fehlen einige Hunderttausend Euro, anderen Millionen. Im Schnitt schuldet die AvP den Apotheken 120.000 Euro.

Inzwischen steht die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Sonderkredite zur Verfügung. Diese können über die Hausbank angefordert werden. „Dass die KfW hier bereitsteht, ist gut“, sagt Reiner Kern von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.

Es könne aber sein, dass bestimmte Betriebe nicht alle Kriterien für die Vergabe eines benötigten Kredites erfüllen. Dem Handelsblatt sagten verschiedene Apotheken bereits, Kredite würden nicht helfen, da diese schließlich zurückgezahlt werden müssten. Sie fordern stattdessen einen Rettungsschirm für die Betroffenen.