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Handwerksverband und Regierungsbeauftragter stellen Beherbergungsverbot infrage

Der Unmut über das Verbot wird immer größer. Erste Verbände prüfen rechtliche Schritte, Abgeordnete wollen mehr Mitsprache.

Die neuen Maßnahmen stoßen auf noch stärkere auf Kritik. Foto: dpa
Die neuen Maßnahmen stoßen auf noch stärkere auf Kritik. Foto: dpa

Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, hat in der Debatte um coronabedingte Beschränkungen das Beherbergungsverbot infrage gestellt. Mit Blick auf die Beratungen der Ministerpräsidenten am morgigen Mittwoch schrieb der CDU-Politiker auf Twitter. „Das Beherbergungsverbot muss noch mal auf den Prüfstand.“ Gerade Hotels hätten „in einem großen Kraftakt die Hygienemaßnahmen umgesetzt und für mehr Sicherheit gesorgt“, fügte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium hinzu.

Das Beherbergungsverbot einiger Bundesländer für Menschen aus Risikogebieten mit vielen Corona-Infektionen stößt aber nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft auf Kritik: „In Wissenschaft und Politik wachsen die Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Angemessenheit dieser in zahlreichen Bundesländern gültigen Regelung – zu Recht“, sagte der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, dem Handelsblatt.

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Die Regelung sei ein neuerliches Beispiel für den zwischenzeitlich sprichwörtlichen Flickenteppich bei den Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Das Handwerk setze darauf, dass das Beherbergungsverbot beim Gespräch zwischen der Kanzlerin und den Regierungschefs der Länder noch einmal grundsätzlich überprüft werde: „Regelungen, deren Sinnhaftigkeit und Umsetzung nicht wirklich überzeugen, gefährden das gesellschaftliche Vertrauen in die bisher doch insgesamt sehr erfolgreiche Anti-Corona-Politik.“

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnt vor den Folgen der Reisebeschränkungen für das Gastgewerbe: „Der wirtschaftliche Schaden für die arg gebeutelte Branche ist enorm und dürfte dadurch vielfach ein existenzbedrohendes Ausmaß erreichen“, sagte der Ökonom dem Handelsblatt.

Es scheine so, dass „parteipolitischer Aktionismus“ die Krisenpolitik dominiert habe. Die innerdeutschen Beherbergungsverbote seien „in der Sache nicht gut begründet“, denn sie stellten die Hygienekonzepte der Hotels in Frage. „Die aber sind seit dem Ende des Lockdowns im Mai erprobt und haben auch im Sommer keine Probleme erkennen lassen“, sagte der IW-Chef.

Brandenburg hält an Beherbergungsverbot fest

Während zahlreiche Politiker eine Rücknahme der Maßnahmen fordern, strebt die CSU eine bundesweit einheitliche Lösung an. „Bei Beherbergungsverboten gilt: Diese müssen nachweislich wirksam, verhältnismäßig und nachvollziehbar sein“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Christsozialen im Bundestag, Volker Ullrich, dem Handelsblatt.

„Auch wenn das Infektionsgeschehen in Deutschland regional unterschiedlich ist, so wären bundeseinheitliche Regelungen wohl zielführender als ein Nebeneinander unterschiedlicher Vorschriften.“ Es sei daher überlegenswert, das bundeseinheitlicher zu regeln. Insbesondere müssten hier die Parlamente mehr Verantwortung übernehmen, forderte Ullrich.

Die meisten Bundesländer hatten vergangene Woche beschlossen, dass Bürger aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen bei Reisen innerhalb von Deutschland nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorlegen können. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. An dieser Regelung gibt es jedoch vermehrt Kritik.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) meldeten Gesprächsbedarf für die Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch an. Das Land Brandenburg verteidigte die Maßnahme. „Wir verstehen, dass das Beherbergungsverbot für viele eine große Belastung darstellt“, sagte Regierungssprecherin Eva Jobs dem Handelsblatt. „Angesichts der rasant steigenden Zahlen von Neuinfektionen gilt es aber, alles zu tun, um die Verbreitung einzudämmen.“ Hierzu zähle auch die Reduzierung von Reisetätigkeiten.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Die Sprecherin von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erinnerte zudem daran, dass in Brandenburg ein Beherbergungsverbot bereits seit Ende Juni bestehe. Dieses Vorgehen sei damals zwischen den Bundesländern so vereinbart worden. „Das Beherbergungsverbot ist aber kein Einreiseverbot“, fügte Jobs hinzu. „Das Bewegen von Berlin nach Brandenburg zur Arbeit, zum Einkaufen und zur Erholung ist weiterhin möglich.“

Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Montag, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werde sich Argumente aller Seiten anhören. Es handle sich aber um Länderregelungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte ebenfalls ein einheitliches Vorgehen bei dem Streitthema.

Allerdings bestehen seitens des Koalitionspartners der Union generell verfassungsrechtliche Bedenken. „Diese Maßnahme ist nicht mehr verhältnismäßig, weil sie kaum Wirkung zeigt“, sagte der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Grünen-Rechtspolitikerin Katja Keul. „Innerdeutsche Beherbergungsverbote sind auch aus meiner Sicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil ihnen eine gewisse Willkür innewohnt“, sagte Keul dem Handelsblatt. „Wir können und wollen den innerdeutschen Aufenthalt der Bürgerinnen und Bürger nicht flächendeckend kontrollieren und sind schlicht auf Akzeptanz und eine gewisse Freiwilligkeit angewiesen“, betonte die Grünen-Politikerin.

FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann warf einigen Landesregierungen vor, sich bei pauschalen Beherbergungsverboten allein von Infektionszahlen treiben zu lassen. „Wichtiger wäre es, die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und die Auslastung der Krankenhäuser in den Blick zu nehmen“, sagte Buschmann dem Handelsblatt. „Denn die Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems ist ja die Hauptgefahr, die wir bekämpfen.“

Kein „konsistentes Schutzkonzept“

Im Fall der Beherbergungsverbote lägen hingegen kaum Argumente zur Wirksamkeit für die Bekämpfung von Covid-19 vor. „Zugleich greift die Maßnahme tief in die Freiheit der potenziellen Gäste und der Beherbergungsbetriebe ein.“

Deshalb hält auch der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart die Maßnahmen für „nicht gerechtfertigt“. Sie griffen nicht nur in die Grundrechte der Betriebe sowie der Reisenden ein. Es werde auch bestritten, dass die Verbote dazu beitragen könnten, die Verbreitung des Virus ernsthaft zu behindern. „Zwar hat die Verwaltung beim Erlass einer Verordnung gewisse Einschätzungsspielräume“, sagte Degenhart dem Handelsblatt. Die „Geeignetheit“ der Beherbergungsverbote sei aber offenbar „nicht plausibel belegt“. „Ich sehe hier auch kein konsistentes Schutzkonzept.“

Die Wirtschaft registriert bereits negative Folgen auf die bereits arg gebeutelten Firmen in der Gastronomie und Tourismusbranche. „Nach den ersten Auswertungen unserer noch unveröffentlichten DIHK-Herbstumfrage erwartet jeder dritte Beherbergungsbetrieb im laufenden Jahr Umsatzrückgänge von mehr als 50 Prozent“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, zu Reuters. Bei den Reisevermittlern seien es sogar 86 Prozent. Die Sorge vor behördlichen Beschränkungen trübe auch die Erwartungen der Branche für das nächste Jahr ein.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), sprach denn auch von einer nicht durchdachten Regelung, an die man noch mal rangehen müsse. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Brandenburg prüft bereits juristische Schritte gegen ein coronabedingtes Beherbergungsverbot. Und das aus gutem Grund. Die kurzfristig angekündigten Maßnahmen führen dazu, dass nicht alle Unterkünfte storniert werden können.

Für den Staatsrechtler Degenhart steht außer Frage, dass nun die Parlamente „in deutlich stärkerem Maße als bisher“ eine Mitsprache bei Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bekommen müssen. Seit Ausbruch der Coronakrise würden über Rechtsverordnungen „intensivste Grundrechtseingriffe“ angeordnet. „Elementare Grundrechte werden im Wege von Notverordnungen außer Kraft gesetzt“, sagte der Jurist. „Dies widerspricht an sich dem Grundsatz, dass über grundrechtswesentliche Fragen der Gesetzgeber selbst entscheiden muss.“

Abgeordnete wollen Entscheidungsbefugnisse zurück

In den ersten Phasen der Unsicherheit sei dies hinzunehmen gewesen. Nun aber sei man in der zweiten Welle und wieder beschlössen Länderchefs und die Bundeskanzlerin „intensive Grundrechtsbeschränkungen auf generalklauselartiger Ermächtigungsgrundlage“, während Stimmen der Parlamente kaum vernehmbar seien. Es wäre daher „verfassungsrechtlich dringend geboten, tragfähige gesetzliche Grundlagen zu schaffen“, mahnte Degenhart. „Es verwundert, dass der Bundestag die Entspannungsphase nach dem Abklingen der ersten Welle nicht dazu genutzt hat.“

Doch die Abgeordneten sind nun offenbar gewillt, sich Entscheidungsbefugnisse zurückzuholen. Die SPD-Fraktion plant laut ihrem Rechtsexperten Fechner eine Initiative zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, damit der Bund etwa bei Reisebeschränkungen einheitliche Regelungen erlassen kann. Zudem müsse das Parlament in diesen Fragen viel mehr Mitsprache haben.

Die Opposition unterstützt das Vorhaben. „Es ist gut, wenn Vertreter der Großen Koalition erkennen, dass das Parlament gestärkt werden muss“, sagte der FDP-Politiker Buschmann. „Der schnellste Weg dazu wäre eine Beendigung der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite, die das Parlament aus wichtigen Entscheidungen heraushält.“

Auch die Grünen-Abgeordnete Keul ist dafür, dass die Parlamente die wesentlichen Regelungen durch Gesetz beschließen müssen. „Auf einer solchen Grundlage wären dann auch einheitlichere Verordnungen bundesweit zulässig“, sagte sie.