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Warum Übernahmen so oft scheitern

Deutsche Unternehmen kaufen gerade reichlich zu. Doch zwei Drittel aller Fusionen und Übernahmen scheitern – vor allem am Faktor Mensch. Beispiele aus der Praxis.

In Übernahmezeiten ist Kommunikation fast alles. Das weiß auch René Benko. „Wir werden an einer gemeinsamen Kultur arbeiten, das ist doch klar“, versicherte der Karstadt-Eigentümer neulich noch im Handelsblatt. Wenn sein Fusionscoup mit Konkurrent Kaufhof erst einmal von den Behörden genehmigt sei, werde man die Sache „ernsthaft und nachhaltig“ angehen.

Das war im Oktober. Im November hat das Kartellamt der Hochzeit zwischen Karstadt und Kaufhof seinen Segen gegeben. Doch sonderlich nahe sind sich die beiden frischvermählten Partner bislang nicht gekommen.

Ganze zwei Rundmails zum Stand des Zusammenschlusses sind seither an die Mitarbeiter gegangen. Dass bei Kaufhof 2.600 Vollzeitstellen wegfallen sollen und der Tarifvertrag gekündigt werden soll, hat selbst der Betriebsrat nur aus der Zeitung erfahren. Kommunikation, war da was?

„Fusionen sind die Königsdisziplin des Managements“

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Wenn Firmen zusammengehen, geht oft etwas schief. Und das liegt seltener an strategischen Fehlern als am Faktor Mensch. Schließlich müssen nicht nur große Teams beider Seiten zusammenfinden. Auch die Kunden und Investoren wollen bei der Stange gehalten werden.

Und das ein oder andere Egospielchen kommt auch dazu: „Mancher Topmanager wird von Machtgelüsten getrieben oder will sich mit einem Megadeal ein Denkmal setzen“, sagt Florian Bauer, Professor für Strategie, Unternehmertum und Innovation an der Lancaster University Management School in Großbritannien.

Mit anderen Worten: Gerade auf der psychologisch-kommunikativen Ebene kann bei Fusionen und Übernahmen sehr viel schiefgehen. „Fusionen sind die Königsdisziplin des Managements“ – und die beherrsche nun einmal nicht jeder, sagt der Ökonom Lars Schweizer, der an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt.

Schweizer hat zahlreiche Studien zu dem Thema ausgewertet. Ergebnis: „Zwei von drei Unternehmensübernahmen scheitern.“ Gerade bei Großfusionen wie Karstadt/Kaufhof sei das Risiko zu scheitern besonders hoch. Und davon gab es in jüngster Zeit reichlich (siehe Grafik).

So landete Bayer im Sommer mit seiner rund 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme des US-Saatgutherstellers Monsanto den größten Zukauf eines deutschen Konzerns im Ausland. Kurz danach unterzeichneten Thyssen-Krupp und Tata Steel ihren Vertrag zur Zusammenlegung der europäischen Stahlsparten.

In der Gasindustrie ist aus Linde und Praxair das neue Unternehmen Linde plc geworden. In der Energiebranche teilen RWE und Eon den Versorger Innogy unter sich auf. Billig verfügbares Kapital schürt das Fusionsfieber in Deutschland, und oft sind es erbitterte Konkurrenten, deren Belegschaften da plötzlich miteinander kuscheln sollen.

Siehe Karstadt/Kaufhof: Die Blauen (Karstadt) und die Grünen (Kaufhof), wie sie sich selbst nannten, waren jahrzehntelang in herzlicher Abneigung verbunden. Der heftige Wettbewerb färbte auf die Unternehmenskulturen ab. Wo es ging, wollte man sich abgrenzen. Dieses Gegeneinander zu überwinden, darin sind sich Experten einig, ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Zusammenschluss zweier Firmen.

Sieger-Verlierer-Mentalität

Doch wie genau Karstadt die Integration gestalten will, bleibt unklar. Auf Anfragen, ob es einen Fusionsmanager geben wird und wie die Teams und Bereiche miteinander verwoben werden sollen, gibt das Unternehmen keine Antwort.

Das hat offenbar einen Grund: Hinter vorgehaltener Hand berichten Mitarbeiter, dass bei Karstadt von blau-grünem Teamgeist wenig spürbar sei. Vielmehr erinnere die vermeintliche Fusion an eine feindliche Übernehme von Kaufhof durch Karstadt. So wurde fast die gesamte oberste Führungsebene von Kaufhof ausgetauscht.

Manager, die nicht bereit waren, in die zweite Reihe zurückzutreten und an ihr Gegenüber bei Karstadt zu berichten, mussten das Unternehmen verlassen. Auch die Zentralfunktionen wurden weitgehend nach Essen verlagert – dem Standort von Karstadts Hauptverwaltung.

„Eine Sieger-Verlierer-Mentalität sendet nie ein gutes Signal an die Mitarbeiter“, sagt Fusionsforscher Schweizer. Und nicht nur das: Der vermeintliche Sieger verliere so möglicherweise auch wertvolles Wissen über die internen Abläufe beim einstigen Konkurrenten – „das kann sich ein Manager von außen gar nicht so schnell erarbeiten“.

Astrid Latzel, Partnerin bei der international tätigen Unternehmensberatung A.T. Kearney in Berlin, rät Unternehmen in der Transformation deshalb, Schlüsselpersonen und Know-how-Träger immer als Erstes zu identifizieren und ihnen eine persönliche Perspektive im neuen Unternehmen aufzuzeigen. In verfahrenen Konkurrenzsituationen könne sogar ein kleiner Rollentausch helfen: „Dabei sagen sich die Ex-Konkurrenten, was sie als besondere Stärke ihres Gegenübers sehen.“ Diese Offensive helfe, die Wertschätzung füreinander zu steigern.

Wie viel Unsicherheit sich nach einer Fusionsankündigung im Management und den Ebenen darunter Bahn bricht, kann man derzeit in der Energiebranche beobachten. Rückblick, März 2018: Die Chefs von Eon und RWE, Johannes Teyssen und Rolf Martin Schmitz, kündigen überraschend an, den deutschen Elektrizitätsmarkt neu zu ordnen. In diesem Zuge soll auch die RWE-Tochter Innogy unter den beiden Konkurrenten aufgeteilt werden.

Die Genehmigung der EU-Wettbewerbskommission für den Deal steht noch aus. Zwar wird in Konzernkreisen mit einer Genehmigung gerechnet. Doch vermutlich wird es hohe Auflagen für die Stromhochzeit geben.

Das macht die Vorbereitungen schwierig. Seit das Innogy-Management im vergangenen Sommer den Widerstand aufgegeben und sich hinter das Projekt gestellt hat, geht der Zusammenschluss zwar tatsächlich voran, aber nur in Bereichen, die kartellrechtlich nicht sensibel sind.

Rund 20 sogenannte „Workstreams“ wurden aufgesetzt, die aus Teams mit Mitarbeitern beider Unternehmen bestehen und für einzelne Bereiche wie Controlling, Recht oder Investor-Relations verantwortlich sind. Regelmäßig treffen sich die Teams, um eine gemeinsame Organisation der einzelnen Bereiche vorzubereiten.

Die Fusion sorgt für Unruhe bei Eon und Innogy

Gerade in großen Feldern wie dem Vertrieb kann eine effektive Zusammenarbeit aber erst nach dem Okay aus Brüssel beginnen. In diesen Abteilungen werden auch die Führungskräfte erst dann erfahren, wer seinen Job behält und wer nicht. Die Unruhe ist dabei groß. Denn wenn es bei Eon/Innogy irgendwo Doppelbesetzungen gibt und ein Manager nicht freiwillig zurückzieht, müssen sich beide Führungskräfte für den Posten bewerben – auch die Manager vom größeren Eon-Konzern. Die ersten Stellen sollen bald ausgeschrieben werden. Bis zum Sommer sollen die meisten Top-Führungskräfte Klarheit haben, ob und wie es weitergeht.

Allen Kartellhürden zum Trotz sei Eon mit seiner „Workstream“-Lösung nah am Lehrbuch, erklärt Schweizer. Demnach sollte das Topmanagement im Zuge einer Fusion mit Vertretern aus beiden Unternehmen ein übergeordnetes Komitee bilden, das den Zusammenschluss auf höchster Hierarchieebene legitimiert. Im Mittelmanagement würden dann die Führungskräfte Projekte an den Start bringen, um beide Firmen in verschiedenen Geschäftsbereichen zu verzahnen. Und auf operativer Ebene müssen die Mitarbeiter – idealerweise in gemischten Teams – die Aufgaben umsetzen. So weit die Theorie.

Wie die Praxis aussehen kann, hat Oliver Sanchez miterlebt. Der Fresenius-Manager hatte bei der Übernahme des spanischen Klinikbetreibers Quirónsalud auf ein fünfköpfiges Integrationskomitee gesetzt. Mit 5,8 Milliarden Euro Transaktionsvolumen ist der Deal bis heute der größte in der Fresenius-Geschichte. Das Komitee steuerte einzelne Projektteams, in denen deutsche und spanische Mitarbeiter gemeinsam die Ziele und Standards der Fusion erarbeiteten.

Mit der Zeit fiel auf, dass bestimmte Kulturunterschiede historisch gewachsen waren. Beispiel Strukturen: Während bei Fresenius in Deutschland die Regionalmanager der Kliniken große Entscheidungskompetenz haben, musste bei Quirónsalud die Zentrale in Madrid wichtige Entscheidungen abnicken.

Geändert hat Sanchez daran auch nach dem Zusammenschluss nichts: „Nur weil es Quirónsalud anders macht als wir, bedeutet es ja nicht zwingend, dass es falsch oder schlechter ist“, sagt der 39-Jährige. Der Fresenius-Manager plante die Projekte einfach so, dass immer ein Mitglied aus der Zentrale in Madrid eingebunden war. So konnte er die Integration fortsetzen und sicherstellen, „dass sich die spanischen Kollegen in ihrer Unternehmenskultur wohlfühlen“. Ein Schlüssel dafür, dass die Integration heute als Erfolg angesehen wird.

Vollständige kulturelle Integration muss nicht das Ziel sein

Tatsächlich wird gerade bei internationalen Fusionen häufig angestrebt, Parallelkulturen bestehen zu lassen, statt einem Unternehmen die Mentalität des anderen überzustülpen. So gehe es nur noch bei etwa einem Fünftel der weltweiten Fusionen und Übernahmen um „vollständige kulturelle Integration“, so Strategieexperte Bauer: „Drückt zum Beispiel ein Konzern einem Start-up seine starren Formalien und Richtlinien auf, ist es mit Gründergeist und Innovation schnell vorbei.“

Ökonomieprofessor Schweizer rät Firmenlenkern außerdem zu kleineren Übernahmen, bevor sie Megadeals schmieden, quasi als Generalprobe: „Unternehmen profitieren, wenn sie eine kleine Übernahme pro Jahr abschließen. Mit diesem Wissen können sie sich systematisch auf eine Großfusion vorbereiten.“

Pascal Volz, 40, große Brille, wenig Haare, war zwar nicht Teil einer Fusion. In ein neues Unternehmen einfinden musste er sich dennoch. Seit einem Jahr ist Volz Geschäftsführer bei Fischer Appelt Performance, der Onlinemarketing-Tochter der Kommunikationsagentur Fischer Appelt. 20 Mitarbeiter führt der Manager.

Zusammen wächst nur, wer auch zusammenarbeitet

Von Volz lässt sich im Kleinen lernen, wie man Teams zusammenbringt. Denn die Hälfte seiner Mitarbeiter kennt der Manager schon länger. Er hat mit ihnen bereits bei seinem alten Arbeitgeber Air Berlin zusammengearbeitet. Nach der Pleite der Airline ging ein Teil von Volz’ Truppe gemeinsam mit dem Manager zu Fischer Appelt.

Die wohl wichtigste Kommunikationsaufgabe hat Volz schon vorab erfüllt: Bei Diskussionen im gemeinsamen Lieblingscafé hat der Manager nach der Air-Berlin-Pleite bei seinem Team vorgefühlt, wer genau auf einen Wechsel zur Agentur Lust hat – und wer nicht. „Viele hatten Vorurteile gegenüber der Agenturwelt, andere wollten unbedingt wieder zu einer Airline“, erinnert sich Volz. „Uns war deshalb relativ schnell klar, dass wir es nicht schaffen werden, als komplettes Team zu wechseln.“ Die erste große Erkenntnis.

Was der einstige Konzernmanager außerdem in seinem ersten Agenturjahr lernte: Zusammen wächst nur, wer auch zusammenarbeitet – und das darf man durchaus räumlich verstehen. So saß Volz’ Truppe aufgrund von Bauarbeiten anfangs isoliert im sechsten Stock der Berliner Fischer-Appelt-Dependance. Zwar hatten die Neuen einen Agenturmanager im Team, der bei der Verzahnung der Kulturen helfen sollte. Das eigentliche ‧Leben spielte sich jedoch ein Stockwerk tiefer ab.

Als klar wurde, dass die Umbauten sich weiter verzögerten, entschied die Geschäftsleitung: Alle Mitarbeiter sollen näher zusammenrücken. „Das sind einfach Hürden beim Zusammenwachsen“, sagt Fischer-Appelt-Vorständin Franziska von Lewinski, die die Integration begleitet hat. „Mir war wichtig, dass die neuen Kollegen das nicht allein schultern müssen.“

Und siehe da: Als sich Volz und seine Leute endlich unter die Kollegen mischten, nahm auch die Zahl der Projekte zu, an denen die neue Einheit beteiligt war. Heute betreut Volz’ Onlinemarketing-Mannschaft 16 Kunden, ungefähr die Hälfte hat sie selbst neu gewinnen können. Integration also geglückt? „Schon“, sagt Volz, „aber es gab eben auch Herausforderungen.“ Nicht nur die Großen haben also Probleme.