Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 1 Stunde 39 Minute
  • Nikkei 225

    38.032,77
    +404,29 (+1,07%)
     
  • Dow Jones 30

    38.085,80
    -375,12 (-0,98%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.901,32
    +82,67 (+0,14%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.384,46
    +1,89 (+0,14%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.611,76
    -100,99 (-0,64%)
     
  • S&P 500

    5.048,42
    -23,21 (-0,46%)
     

Zug und seine ‘dunkle Seite’: Russische Rohstoffe in der Schweiz

(Bloomberg) -- Die Stadt Zug in der Zentralschweiz ist selten Schauplatz von politischem Protest. Letzte Woche jedoch gingen auch hier Bürger auf die Straße. Auf ihren Transparenten und Plakaten stand “Nein zu Putins Krieg” und “Blutgeld”, und sie kritisierten auch ihre eigene Stadt, die eine der höchsten Konzentrationen russischer Unternehmen außerhalb Russlands hat.

“Wir fordern die Schweiz auf, die Ukraine zu unterstützen und keine Geschäfte mehr mit Russland zu machen”, sagte Tetiana in der Abenddämmerung zu der Menschenmenge. Die Ukrainerin, die in der Schweiz lebt und deren Familie in Kiew festsitzt, wollte aus Angst vor Repressalien ihren Nachnamen nicht nennen.

Etwa 80% aller russischen Rohstoffe werden über die Schweiz gehandelt. Für russische Exporte ist das Land damit von entscheidender Bedeutung. Letzten Monat hatte die Schweiz ihre zuvor geheiligte Neutralität aufgegeben und sich den Sanktionen der Europäischen Union angeschlossen. Der Rohstoffhandel blieb bei den bisherigen Maßnahmen allerdings außen vor. Für russische Unternehmen in Zug ist daher vorerst alles wie gehabt.

Lesen Sie mehr: Refugium reicher Russen in der Schweiz seit Montag Geschichte

WERBUNG

Über dem Haupteinkaufszentrum von Zug befindet sich das Büro der Metal Trade Overseas AG, der Vertriebssparte von Norilsk Nickel, deren größter Investor Wladimir Potanin ist, laut Bloomberg-Milliardärs-Index der reichste Russe. Ein paar Türen weiter, gegenüber vom Bahnhof, sitzen Rusal Marketing GmbH und Rusal Products GmbH, die wichtigsten Handels-Töchter des Aluminiumproduzenten United Co. Rusal International. Rusals Holdinggesellschaft wurde einst von Oleg Deripaska kontrolliert, der bereits 2018 von den USA sanktioniert wurde.

Nicht weit davon entfernt sitzt auch die EuroChem Group AG, die Mineraldünger und landwirtschaftliche Produkte herstellt. Dessen Gründer Andrei Melnitschenko hat sich am Mittwoch aus dem Vorstand und als kontrollierender Aktionär zurückgezogen, nachdem er in die jüngste Welle von EU-Sanktionen einbezogen worden war. Melnitschenko habe “keine Beziehung zu den tragischen Ereignissen in der Ukraine” und “keine politischen Verbindungen”, sagte sein Sprecher.

Einen Kilometer die Baarerstraße hoch sitzt die East Metals AG. Sie handelt Stahl für Evraz Plc, dessen größter Aktionär Roman Abramowitsch ist, vielen besser bekannt als Besitzer des Fussballvereins FC Chelsea. Abramowitsch wurde zusammen mit Deripaska am Donnerstag auf die britische Sanktionsliste gesetzt. Am Freitagmorgen traten alle nicht-geschäftsführenden Direktoren von Evraz als Reaktion auf die Sanktionen zurück. Die Aktie war in London vom Handel ausgesetzt.

Als Grund für die Sanktionen gegen Abramowitsch gab die britische Regierung an, dass Evraz Stahl an das russische Militär geliefert und damit den Krieg von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine unterstützt hätte. Doch weder er noch andere Metallmagnaten oder ihre Unternehmen stehen auf der Sanktionsliste der EU und damit auch nicht auf der der Schweiz.

Dieser Umstand ärgert die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt. Die Stadt trage indirekt zu Putins Kriegswirtschaft bei, behauptet sie. Gemeinsam mit ihren Kollegen von den Grünen drängt auf eigene Sanktionen gegen die Rohstoffhändler.

‘Kriegskasse’

“Wir müssen noch weiter gehen”, sagt Weichelt. “Putin hat seine Kriegskasse mit Geldern von Zuger Firmen gefüllt und nun fließen Gelder aus Zug in den Krieg gegen die Ukraine.”

Die Unternehmen bestreiten freilich, dass sie beim Einmarsch Russlands in die Ukraine eine Rolle spielen. “Wir können Ihnen versichern, dass die East Metals AG weder mit dem russischen Militär zusammenarbeitet noch Waren für russische militärische Zwecke liefert”, sagte Evraz in einer E-Mail und fügte hinzu, dass das Unternehmen “niemandem außerhalb von Evraz” Finanzmittel zur Verfügung stellt.

Ein Sprecher von Rusal erklärte in einer E-Mail, das Unternehmen stehe “weder mit Regierungen in Verbindung, noch finanzieren unsere Handelsaktivitäten irgendeine Form der Kriegsführung”. Das Unternehmen bestätige monatlich, dass es unabhängig von sanktionierten Personen ist, sagte er.

Eine Empfangsdame bei Metal Trade Overseas sagte, dass niemand für eine Stellungnahme zur Verfügung stünde, während die Muttergesellschaft Norilsk Nickel auf Anfragen nicht antwortete. Potanin selbst ging jedoch auf dem Telegram-Kanal von Norilsk Nickel an die Öffentlichkeit - mit einer Breitseite.

Er kritisierte Putins Vergeltungsmaßnahmen, die von der Androhung der Verstaatlichung ausländischer Vermögenswerte bis zu Beschränkungen bei der Rückzahlung von Auslandsschulden reichten. Er rief stattdessen zu “kalibrierten, pragmatischen” Gegenmaßnahmen seitens Russlands auf, statt einer Reaktion, die nur auf die heimische Wirtschaft zurückfallen würde.

“Wir müssen seriös und gelassen auftreten und unsere Bemühungen sollten nicht darauf gerichtet sein, die Tür zuzuschlagen, sondern die wirtschaftliche Position Russlands auf den Märkten zu erhalten, die wir so lange beherrscht haben”, sagte er.

Der Kanton Zug orientiert sich an den Vorgaben des Bundes zu den Sanktionen und wird allfällige neue Maßnahmen umsetzen, sagt Silvia Thalmann-Gut, Leiterin der Volkswirtschaftsdirektion. Darüber hinaus habe die örtliche Verwaltung nicht genug Informationen, um zu entscheiden, welche Unternehmen sanktioniert werden sollten, sagte sie.

Das wahre Ausmaß russischer Aktivitäten in Zug ist schwer einzuschätzen, da die Schweizer Meldevorschriften nur wenig Informationen verlangen. Mindestens 40 Unternehmen werden in Verbindungen mit Russland gebracht, vielleicht sind es noch viel mehr.

Zwanzig vom Kanton als russisch identifizierte Firmen zahlten 2020 31 Millionen Schweizer Franken (30 Millionen Euro) an kantonalen und kommunalen Steuern. Das mag nicht viel erscheinen. Aber es ist das System niedriger Steuern, welches aus dem einst verschlafenen Dorf im letzten halben Jahrhundert ein globales Zentrum für den Rohstoffhandel gemacht und umstrittene Persönlichkeiten angelockt hat wie den Gründer von Glencore Plc, Marc Rich. Mit 127.000 Einwohnern kommen in Zug auf zwei Steuerzahler fast ein registriertes Unternehmen. Zug hat den niedrigsten Unternehmenssteuersatz aller Schweizer Kantone.

Nord Stream 2

Das prominenteste Opfer der Stadt ist bislang der Betreiber von Nord Stream 2. Zug betrachtet das Unternehmen als “de facto” insolvent, da seine 106 Mitarbeiter entlassen wurden, so Thalmann-Gut. Am Hauptsitz ist die russische Flagge auf dem Vorplatz eingeholt worden, das Firmenlogo wurde von den Trikots der Zuger Eishockeymannschaft entfernt.

Finanzdirektor Heinz Tännler spielt den Einfluss der russischen Unternehmen herunter. Wenn sie Zug verließen, würde das den Kanton nicht in finanzielle Bedrängnis bringen, sagt er.

Aber die Unternehmen scheinen auf absehbare Zeit gar kein Interesse daran zu haben, irgendwo anders hin zu gehen. Einheimische wie Michael Kalauz ärgert das.

“Ich bin in Zug geboren und aufgewachsen und jeder kennt die dunkle Seite der Wirtschaft hier”, sagt der 35-jährige Sicherheitsspezialist einer lokalen Bank. “Es ist offensichtlich, dass sie diesen Krieg finanziert.”

Überschrift des Artikels im Original:

Russia Inc.’s Swiss Trading Hub Wrestles With Its ‘Dark Side’

More stories like this are available on bloomberg.com

©2022 Bloomberg L.P.