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„Ich würde gerne politisch arbeiten“

Karen Heumann, Mitgründerin der Hamburger Agentur Thjnk, kritisiert das Werbeverhalten von Unternehmen. „Die Verhaltensstarre ist erstaunlich“, sagte Heumann dem Handelsblatt. Einerseits machten sich Unternehmen Sorgen, in einem digitalen Umfeld von Fake News und Hassparolen nicht selbst beschmutzt zu werden. Andererseits gäben sie ihre Werbebudgets unverdrossen zu großen Tech-Konzernen wie Facebook und Google.

Heumann nahm auch zu dem Appell von Julia Jäkel Stellung. Die Chefin des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr hatte vor einem Jahr an die werbetreibende Wirtschaft appelliert, ihr Werbeverhalten zu überdenken – und damit nicht zuletzt die Qualitätsmedien zu stärken.

„Vielleicht ist es dann eine politische Frage, vielleicht brauchen wir eine Art Demokratieabgabe. Oder man muss Qualitätsmedien tatsächlich über Stiftungen finanzieren“, sagte Heum ann dazu. Die Werberin glaubt fest an die Zukunft der Qualitätsmedien. „Schauen Sie sich nur an, wie etwa die Marke „Tagesschau“ auch bei jüngeren Zielgruppen wieder gewinnt, unabhängig vom Medium TV.“

Im Handelsblatt-Interview zeigte sich Heumann als Verfechterin der Marke Demokratie. „Ich würde überhaupt gern politisch arbeiten. Die neuen Populisten sind doch Gewinner einer Krise politischer Repräsentation insgesamt. Sie brauchen gar nicht viel zu tun, nur die Unzufriedenen einzusammeln. Darauf würde ich gern Einfluss nehmen.“

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Sie denke an die Marke Demokratie, die Marke Europa, die Marke „Aufklärung“. Es gehe darum, „deutlich zu machen, was für unglaubliche Werte wir hier haben, die wir im Begriff sind, leichtfertig wegzuwerfen.“

Lesen hier das komplette Interview:

Frau Heumann, was hat der Verkauf Ihnen und der Firma gebracht?
Steile Lernkurven.

Wie kam es überhaupt zu dem Geschäft?
Eines Tages hatte ich Martin Sorrell am Telefon …

… den Gründer und damaligen Chef von WPP. Das ist, mit Verlaub, als würde der Papst bei einem Dorfpfarrer anrufen, oder?
Mindestens, aber Martin ist Unternehmer, der nimmt den Hörer tatsächlich selbst in die Hand. Er wollte sein Netzwerk auf dem deutschen Markt verstärken, den er in Brexit-Zeiten für besonders wichtig hielt. Nur ein paar Tage später trafen wir uns in Berlin.

Das Gründerteam um Sie, Armin Jochum und Michael Trautmann hat alle Anteile abgegeben …
… genauso wie die fast 30 Talente, die wir an Thjnk beteiligt hatten. Uns ging es nicht ums Geld, sondern um eine entscheidende strategische Weichenstellung. Vernetzung ist in unserer DNA, wir haben bereits verschiedene Joint Ventures, unter anderem mit Publicis für McDonald’s. Jetzt interessierte uns vor allem das Instant-Spezialisten-Know-how bei Themen wie Media, Data und Tech. Durch den Schritt ist unsere Biosphäre mit einem Schlag reicher und internationaler geworden.

Nach wenigen Tagen waren Sie sich einig über den Verkauf. Wie lange dauerten dann die Vertragsverhandlungen?
Rund ein Jahr.

Wow!
Das ist nicht unnormal, denn es geht dann ja in die Details. Wir waren sehr schnell gewachsen, da wurde nicht jeder Urlaubsantrag erfasst und abgelegt, und plötzlich schauen Fachleute von außen drauf und fragen: Wieso habt Ihr dies und das? Warum macht Ihr das nicht so und so? Wir konnten manchmal nur mit den Schultern zucken, haben aber viel gelernt – auch und gerade über uns selbst.

WPP ist eine Werbe-Maschine mit 200.000 Beschäftigten und rund 17 Milliarden Euro Umsatz. Welche Reaktionen rief Ihr Verkaufsplan in der eigenen Agentur hervor?
Erst Verwirrung. Unsere Branche ist ein People’s Business. Wenn unsere Leute gesagt hätten, das sei nicht mehr ihr Modell, dann hätten wir es nicht gemacht. Aber unterm Strich haben alle die Chancen gesehen.

Weniger toll war dann wahrscheinlich der Moment, als Ihnen WPP-Chef Sorrell abhandenkam.
Sein Abgang war zunächst ein Schock für uns, wir schätzen ihn sehr.

Schmiss er hin, oder wurde er rausgeworfen?
Das können nur die beantworten, die dabei waren.

Was erwarten Sie sich von Sorrell-Nachfolger Mark Read?
Dass die Partnerschaft so fruchtbar bleibt.

Das bedeutet?
Augenhöhe und unternehmerische Freiheit im Verbund der Besten. Inzwischen haben wir Mark getroffen. Er ist der richtige Mann.

Setzt Ihnen der Konzern WPP Ziele?
Die Ziele setzen wir uns selbst. Aber wir stimmen sie natürlich ab und sind gehalten, sie zu erreichen, klar. Wir stehen jetzt unter Beobachtung, was ich persönlich wohltuend finde. Viele Augen sehen einfach mehr. Und wir liefern.

Für den Konzern hat Read einen mauen Ausblick gegeben. Prompt brach die WPP-Aktie ein. Ist so ein klassisches Werbe-Network womöglich gar nicht für die neuen Herausforderungen gemacht?
Märkte sind eben Gespräche, und wenn das Narrativ kurz stolpert, schlingert der vermeintliche Wert. Aber die Assets von WPP sind schlagend, und Marks Vision ist es auch. Wie alle Unternehmen mit Zukunft wird WPP immer mehr zu einer Plattform, oder sagen wir lieber zu einem Verbund, in dessen Mitte der Kunde steht. Dazu müssen die einzelnen Agenturen mit ihren Fähigkeiten optimal beitragen. Ob wir ein „klassisches“ Network bleiben, das haben wir selbst in der Hand.

Sie sind eine Fachfrau für Marken. Wie kann eine Marke heute überhaupt noch zu den Endkunden durchdringen, wenn Google, Amazon, Facebook oder Apple – die nach ihren Anfangsbuchstaben sogenannten Gafas – doch zusehends alle Kommunikationskanäle steuern?
Indem man sie virtuos nutzt und zugleich maximal unabhängig bleibt. Stark verkürzt: Man sollte immer auch selbst Plattform und Kanal sein. Vor allem aber eine gezielte Präsenz im analogen Raum. Marken tatsächlich zu erleben wird wichtiger, je mehr sich das Kaufen ins Netz verlagert. Flagship-Stores zum Beispiel waren noch vor zehn Jahren etwas Bemerkenswertes: „Hast du gesehen, ein Laden nur mit Kölln Flocken!“ Heute sind sie fast alltäglich und boomen auch auf kleinen Flächen, um die Marke anfassbar zu machen. Auch Pop-up-Stores funktionieren zunehmend als Marken-Appetizer.

Also kein Digital kontra Analog?
Nein, schon längst nicht mehr. Auch reine Online-Brands fangen an, offline stattzufinden, so wie Amazon mit 4-Star, wo es nur die Produkte gibt, die mindestens eine 4-Sterne-Bewertung haben. Sie nennen diesen neuen Weg „Amazon Physical Retail“. Die ganze Welt ist vernetzt, und manches darin ist physisch existent, manches nicht.

Kann man heute noch eine Marke machen?
Und wie! In einer viel größeren Geschwindigkeit und sogar viel leichter als je zuvor.

Warum das denn?
Weil jeder rund um die Uhr Zugriff auf die Kanäle hat. Früher ging das nur mit viel Geld. Wer etwas Spannendes hat oder macht, kann heute aus dem absoluten Off kommen. Ein Youtube-Video kann als Start reichen. Nichts ist skalierbarer als die richtige Geschichte, perfekt inszeniert und dann gut verbreitet. Kleine, agile, digitale Marken, die sogenannten Micro Brands, sind sogar fast eine eigene Kategorie der Instant-Marken. Der Rasierklingenversender Mornin’ Glory zum Beispiel.

Was bedeutet das für tradierte Marken?
Die haben es einerseits leichter, weil sie im Gedächtnis der Kunden abrufbar sind. Andererseits sind manche in ihren Reflexen gefangen, setzen zu wenig echte Impulse, schreiben keine neuen Geschichten mehr. Die Gefahr ist, „customer centricity“ zu verwechseln mit „Machen, was die Masse vermeintlich will“. Gerade tradierte Marken müssen auch immer wieder überraschen, müssen Erwartungen eher übertreffen. Von 70 Prozent der existierenden Marken sagen die Menschen, dass es nicht schlimm wäre, wenn sie weg wären. Dagegen hilft eine spürbare eigene Energie und durchaus auch Kantigkeit.

Können Sie Beispiele nennen?
Sixt zum Beispiel hat das. Die Marke steht für Unerschrockenheit, spießt aktuelle Ereignisse frech für sich auf, will gar nicht sympathisch sein, sondern für Gewinner gemacht. Das ist unverwechselbar in Botschaft und Tonalität. Bei Nike konnte man zuletzt schön sehen, wie es ist, wenn man seine Kante schärft …

… als der Konzern den gefallenen Footballstar Colin Kaepernick engagierte …
… ja, und damit den US-Präsidenten und die ganze amerikanische Rechte gegen sich aufbrachte. Die Botschaft war: Hier ist die Marke derer, die es wagen, die es machen! Ist nicht ohne Risiko. So was kann man auch vergeigen. Aber es sieht so aus, als wäre bei Nike eine sehr entscheidungsfreudige kleine Führungsmannschaft am Start. In dem Moment, wo man solche Entscheidungen in großen Gremien trifft, wird das nie was. Die meisten Menschen riskieren nichts, wenn sie nicht müssen.

Wie haben sich Ihre Auftraggeber verändert? Werden sie ratloser?
Sie sind nicht ratlos, aber umstellt von zu vielen potenziellen Ratgebern und Leuten, die ihnen den neuesten heißen Scheiß umhängen wollen. Nicht alles, was neu ist, ist Fortschritt. Hier eine Meinung zu entwickeln, eine Strategie zu entwerfen ist ungleich komplexer als noch vor zehn Jahren. Es braucht sehr viel mehr Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungskraft. Mir macht es Freude, hier unterstützen zu können ...

... und vielleicht selbst mal auf die Industrieseite zu wechseln?
Das habe ich nie gewollt. Einfach, weil ich sehr viel daraus beziehe, gleichzeitig unterschiedliche Marken zu betreuen. Mittlerweile gibt es kaum noch ein Segment, in das ich nicht eingetaucht bin. Und weil von uns erwartet wird, dass wir vor der Welle sind, dass wir dabei helfen, immer wieder die Weichen für die Zukunft zu stellen, darf unsere Lernkurve keine fünf Minuten abflachen. Das ist zwar irre anstrengend, aber es wird nie langweilig. Dass alles so „schwierig“ ist, ist der Grund, warum ich es mache.

Marketing ist eines der Berufsfelder, für die die Prognosen auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz noch exzellent sind. Warum können Computer nicht lernen, was Sie machen?
Weil es immer auch darum geht, Sehnsüchte nicht nur zu befriedigen, sondern sie neu zu entfachen. Oder sogar neue zu erschaffen. Dazu muss man Schwingungen spüren und seine Fantasie einsetzen. Und jeder Mensch sieht und spürt anders. Wie soll eine Maschine begreifen und den Menschen erklären, warum etwas komplett Neues, eine Innovation, deren Leben verbessert oder warum in einer Sache ein bestimmter Kick liegt? „Alles im Leben ist Vibration“, ich glaube, das war Einstein. Computer können diese Vibration nicht.

Einerseits machen sich die Unternehmen wachsende Sorgen, in einem digitalen Umfeld von Fake News und Hassparolen nicht selbst beschmutzt zu werden. Andererseits pumpen sie ihre Werbebudgets unverdrossen zu den großen Tech-Konzernen. Ist das nicht paradox?
Ich erlebe durchaus, dass sich immer mehr Unternehmen ihrer Verantwortung bewusst werden. Parallel sollten etablierte Medien Reinheitsgebote für sich entwickeln. Die Grauzone zwischen Werbung und Redaktion ist doch heute vielerorts zu groß, und darunter leidet wiederum die Glaubwürdigkeit. Es braucht da klarere Trennungen …

… sagt ausgerechnet die Topwerberin Karen Heumann …
… die auch Staatsbürgerin ist. Die Demokratie braucht glaubwürdige, wirklich unabhängige Medien.

Was halten Sie von dem Appell von Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel an die Werbekunden, ihre Budgets stärker in solche etablierten Medienmarken zu investieren?
Alle, die ich kenne, geben ihr in der Analyse recht. Ich sowieso. Die Verhaltensstarre ist dennoch erstaunlich. Vielleicht ist es dann eine politische Frage, vielleicht brauchen wir eine Art Demokratieabgabe. Oder man muss Qualitätsmedien tatsächlich über Stiftungen finanzieren.

Welche Zukunft haben glaubwürdige Medien?
Eine sehr große! Vielleicht nicht in ihren Ursprungskanälen, aber sicher als grundsätzliche Ansteuerungstonne. Schauen Sie sich nur an, wie etwa die Marke „Tagesschau“ auch bei jüngeren Zielgruppen wieder gewinnt, unabhängig vom Medium TV. Menschen honorieren, wenn sich die Arbeit gemacht wird, möglichst objektiv berichten zu können. Umgekehrt gibt es leider zum Teil kampagnenartige Feldzüge und peinliches Clickbaiting bei manchen, die sich selbst als Qualitätsmedien einstufen. Das schadet diesen Marken und ist eine Art modernes Sturmgeschütz gegen die Demokratie – denn weil das Schlechte, das Angstmachende besser verkauft und die Medien um ihr Leben kämpfen, wird es nach vorn gestellt.

Würden Sie gern mal für die Marke Demokratie arbeiten?
Ich würde überhaupt gern politisch arbeiten. Die neuen Populisten sind doch Gewinner einer Krise politischer Repräsentation insgesamt. Sie brauchen gar nicht viel zu tun, nur die Unzufriedenen einzusammeln. Darauf würde ich gern Einfluss nehmen. Die Marke Demokratie, die Marke Europa, die Marke „Aufklärung“ – deutlich zu machen, was für unglaubliche Werte wir hier haben, die wir im Begriff sind, leichtfertig wegzuwerfen.

Die Marke Karen Heumann – wie viel investieren Sie da?
Marke bedeutet ja vor allem, dass jeder weiß, wofür sie steht. Ich versuche, nur das zu machen, woran ich glaube.

Frau Heumann, vielen Dank für das Interview.