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Teure Attacke auf den Etat: Minister übermitteln Scholz Wunschliste im Wert von 200 Milliarden Euro

Die geforderten Zusatzausgaben übertreffen die schlimmsten Befürchtungen von Scholz' Haushaltsexperten. Der Minister gibt sich daher erstmal stur.

Der Finanzminister sieht sich mit einer langen Wunschliste konfrontiert. Foto: dpa
Der Finanzminister sieht sich mit einer langen Wunschliste konfrontiert. Foto: dpa

Olaf Scholz (SPD) war auf schwierige Verhandlungen mit seinen Ministerkollegen zum Haushalt 2022 gefasst. Die anhaltende Coronakrise macht milliardenschwere Zusatzausgaben notwendig. Im März, wenn der Etat 2022 im Kabinett beschlossen wird, sei „die Stunde der Wahrheit“, sagt der Vizekanzler. Vorher aber sind die Wochen der exorbitanten Wünsche.

Die geforderten Zusatzausgaben, die derzeit im Bundesfinanzministerium eingehen, übertreffen die schlimmsten Befürchtungen von Scholz’ Haushaltsexperten. Die Forderungen seien teils „übel“, heißt es im Haus.

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So sind im Bundesfinanzministerium bei der Haushaltsaufstellung nach Handelsblatt-Informationen für die Jahre 2022 bis 2025 zusätzliche Ausgabenwünsche von nahezu 200 Milliarden Euro angemeldet worden. Manche Minister kalkulieren offenbar mit dem Corona-Bonus: Sie wollen im Windschatten der Pandemie auch noch andere, lang ersehnte Projekte auf den Weg bringen.

Aus der Wunschliste sticht vor allem einer heraus: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er fordert rund 120 Milliarden Euro zusätzlich von Scholz, davon allein für das kommende Jahr rund 25 Milliarden Euro. Den überwiegenden Teil braucht Spahn, um mit Steuerzuschüssen höhere Kranken- und Pflegebeiträge zu vermeiden.

Aber auch im laufenden Jahr tun sich bereits neue Haushaltslöcher auf. So könnte das Geld für die Überbrückungshilfen III womöglich nicht reichen. Auch deshalb braucht Finanzminister Scholz einen Nachtragshaushalt.

Auch für Armin Laschet gilt die normative Kraft des Faktischen. Kurz nach seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden hatte Laschet die Schuldenbremse eisern verteidigt. Den Vorstoß von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), die Regel länger auszusetzen und dafür das Grundgesetz zu ändern, wies Laschet energisch zurück. „Wenn Regierungsmitglieder die Verfassung ändern wollen, sollten sie das künftig absprechen“, giftete er.

Am Mittwoch räumte Laschet nun aber ein, zumindest für 2022 erneut die Notfalloption bei der Schuldenbremse ziehen zu müssen, die eine höhere Verschuldung erlaubt. Die Ironie dabei: Dass Laschet dies tun muss, liegt maßgeblich auch an seinen eigenen Leuten.

Während Partei und Fraktion die Schuldenbremse für sakrosankt erklären, stellen die CDU-Bundesminister in den Haushaltsverhandlungen hohe Forderungen nach mehr Geld. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert 30 Milliarden Euro mehr für die nächsten vier Jahre, Entwicklungshilfeminister Gerd Müller zehn bis 15 Milliarden Euro, Verkehrsminister Andreas Scheuer zehn bis 20 Milliarden Euro.

Und auch die SPD-Minister haben lange Wunschzettel: So fordert Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) allein für 2023 einen höheren Rentenzuschuss in Höhe von zehn Milliarden Euro.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) steckt nun in einer Zwickmühle. Er hat zwar den Ausgabenwünschen in Briefen an die jeweiligen Minister erst einmal eine Absage erteilt. Gleichzeitig hält Scholz in seiner Rolle als SPD-Kanzlerkandidat einen Sparkurs aber nicht für angebracht. Keinesfalls dürfe bei den Investitionen und beim Sozialstaat gekürzt werden, sagt er.

Angriff auf die Schuldenbremse

Das hören Gesundheitsminister Spahn und Arbeitsminister Heil gerne. Sie fordern in den kommenden Jahren zusätzliche Milliarden aus dem Bundeshaushalt für die Sozialversicherung. Union und SPD hatten vereinbart, dass die Beiträge zur Sozialversicherung nicht über 40 Prozent steigen sollen. Denn höhere Sozialbeiträge könnten die Erholung nach der Pandemie gefährden, so die Sorge. Diese Abmachung gilt bisher bis Ende 2021, die Union würde sie aber gerne verlängern.

Die Ausgabenwünsche der Kabinettsmitglieder, die Äußerungen von Laschet und Scholz – aus Sicht des scheidenden Chefs der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, fügt sich das alles ins Bild: „CDU und SPD haben schon begonnen, die Schuldenbremse zu schleifen“, sagt der Ökonom.

Besonders einer geht bei den Forderungen nach Mehrausgaben in die Vollen: Gesundheitsminister Spahn. Der 40-Jährige verantwortet die Gesundheitspolitik seit dem Frühjahr 2018 – und konkurriert nach einer Amtszeit um den Titel des teuersten Gesundheitsministers in der Geschichte der Bundesrepublik.

So fordert Spahn für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im kommenden Jahr 18 Milliarden Euro zusätzlich. Die Summe steigt über die Jahre weiter, 2025 will er dann rund 28 Milliarden mehr.

Krankenkassen am Limit

Die steigenden Ausgaben lassen sich keineswegs nur auf Corona schieben. Einen beträchtlichen Teil der Kostensteigerungen hat Spahn mit seinen Reformen selbst ausgelöst. Finanzexperten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) schätzen, Spahns Gesetze würden auch ohne die Corona-Effekte zusätzliche Belastungen von mehr als 30 Milliarden Euro zwischen 2019 bis 2022 bedeuten. Viele seiner Reformen wie die zusätzliche Vergütung für Ärzte bei schneller Terminvergabe an Kassenpatienten werden ihre volle Finanzwirkung darüber hinaus erst in den kommenden Jahren entfalten.

„Die gesetzliche Krankenversicherung wird weiter unter massivem Finanzierungsdruck bleiben“, sagte AOK-Bundeschef Martin Litsch. Wenn es für die nächste Regierung im Gesundheitsbereich „ein Minimum an Gestaltungsmöglichkeiten geben soll und die Beitragszahler nicht noch weiter geschröpft werden sollen, muss die Politik bereits heute die Weichen für eine nachhaltige Lösung des Ausgabenproblems stellen“.

Vor der Pandemie lag der Steuerzuschuss an die GKV bei 14,5 Milliarden Euro. Nun will Spahn ihn mehr als verdoppeln. Der Verband der Ersatzkassen (VDEK), der unter anderem die Branchengrößen TK, DAK und Barmer vertritt, sieht keine Alternative: „Da die Vermögen der Krankenkassen weitgehend aufgebraucht sind, besteht das Risiko, dass sich die Zusatzbeitragssätze für 2022 nahezu verdoppeln“, sagte die VDEK-Vorsitzende Ulrike Elsner. Die Finanzlücke wird in Kassenkreisen auf 17 Milliarden Euro geschätzt.

Spahn begründet die Mehrforderungen dem Vernehmen nach auch damit, die GKV brauche einen angemessenen Ausgleich, weil sie die Bezieher von Arbeitslosengeld II mitversichere. Laut Schätzungen beträgt die zusätzliche Belastung der GKV dadurch bis zu zehn Milliarden Euro jährlich. „Die Deckungslücke zwischen den Behandlungskosten, die durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden, und den Beiträgen, die wir für jeden ALG-II-Empfänger erhalten, ist gravierend“, sagt die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, dem Handelsblatt. „Wir brauchen entweder ausgabendeckende Beiträge oder einen entsprechend erhöhten Bundeszuschuss.“

Schwierig ist auch die Lage der Pflegeversicherung, die in diesem Jahr ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro erwartet. Steigende Leistungsausgaben und die Alterung der Gesellschaft dürften den Finanzdruck deutlich erhöhen. Spahn will noch vor der Bundestagswahl eine Pflegereform erreichen, einen Gesetzentwurf hat er aber noch nicht vorgelegt.

Die Anmeldungen bei Scholz decken sich aber mit den Reformplänen, die Spahn in einem Eckpunktepapier skizzierte. So soll offenbar ein dauerhafter Bundeszuschuss für die Pflege von rund sechs Milliarden Euro jährlich eingerichtet werden. Erst im Vorjahr hatte die Pflegeversicherung überhaupt erstmalig einen Steuerzuschuss von 1,8 Milliarden Euro enthalten.

Coronakrise könnte noch teurer werden

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, warnt davor, die Ausgaben weiter hochzuschrauben. Die demografische Wende werde ab dem Jahr 2025 die Staatskassen deutlich belasten, zudem müssen dann Tilgungsverpflichtungen aus der Coronakrise erfüllt werden. „Die öffentlichen Haushalte jetzt weiter auszudehnen bedeutet letztlich, die nachfolgenden Regierungen entweder auf einen deutlichen Sparkurs zu zwingen oder die Schuldenbremse zur Disposition zu stellen“, so Felbermayr.

Zumal die Coronakrise auch noch teurer werden könnte. So werden die für dieses Jahr eingeplanten 50 Milliarden Euro für die Überbrückungshilfe III nach Handelsblatt-Informationen nicht reichen, da die Hilfen nicht für so einen langen Lockdown konzipiert sind. Zugleich wurden die Obergrenzen der Hilfen angehoben und die Zugangsbedingungen gelockert.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) drängt zudem darauf, dass sich die Länder nicht wie geplant zur Hälfte an dem neuen Härtefallfonds beteiligen. Der Fonds soll Unternehmen auffangen, die durch den Rost aller Hilfsprogramme fallen.

Finanzminister Scholz stellte etwa bei einem Besuch in der CSU-Landesgruppe diese Woche in Aussicht, Brauerei-Gaststätten durch den Fonds aufzufangen. Zugleich räumten Bund und Länder ihren Streit über höhere Abschreibungsregeln für Software und Hardware aus. Die Regeln treten damit rückwirkend zum 1. Januar in Kraft. Kosten bis 2024: 11,6 Milliarden Euro.

Zwei Dinge scheinen damit klar: In diesem Jahr braucht Scholz einen Nachtragshaushalt, 2022 wird die Notfalloption der Schuldenbremse gezogen. Über die Zeit danach mag derzeit niemand sprechen. „Ob wir noch länger den finanziellen Ausnahmezustand erklären müssen, hängt vom weiteren Pandemieverlauf ab“, sagt Laschet. Und der Ausgabendisziplin der Bundesminister.

Mehr: Olaf Scholz plädiert für höhere Steuern – und riskiert damit viel