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Tabubruch von oben: Union läuft Sturm gegen Braun-Vorstoß zur Schuldenbremse

Der Vorstoß aus dem Kanzleramt, die Schuldenbremse noch Jahre auszusetzen, stößt in der Union auf heftigen Widerstand. Auch der neue CDU-Chef Laschet positioniert sich.

Der Vorschlag sorgt für hitzige Debatten in der Union: Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) plädierte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt dafür, die Schuldenbremse für mehrere Jahre auszusetzen und dafür das Grundgesetz zu ändern. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, schrieb er. Ausgerechnet einer der engsten Vertrauten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will die in der Union bisher sakrosankte Regel aufweichen.

Entsprechend groß die Empörung. „Dies ist keine mehrheitsfähige Position in der Unionsfraktion“, sagte deren Vorsitzender Ralph Brinkhaus (CDU). „Wir sehen ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse sehr skeptisch“, so Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder.

Der neue CDU-Chef Armin Laschet stellte sich in einer Sitzung der Unionsfraktion ebenfalls gegen den Vorstoß: „Die Schuldenbremse sollte erhalten bleiben, ebenso wie wir Steuererhöhungen ablehnen“, zitieren ihn Teilnehmer der Runde. „Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung ändern zu wollen, sollten sie das vorher in Zukunft mit Partei und Fraktion abstimmen.“

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In der CDU empfinden es viele als befremdlich, dass das Kanzleramt kurz nach Übernahme des CDU-Vorsitzes durch Laschet eine solche Neupositionierung anstoßen will.

Entspannter geht der Koalitionspartner mit dem Vorstoß des Kanzleramts um. Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte, Brauns Vorschlag habe „viele Vorzüge“.

„Eine persönliche Meinungsäußerung“

Den ganzen Dienstagmorgen über wurde in der Unionsfraktion heftig diskutiert, wie mit dem Vorschlag von Braun umzugehen sei. Es wurde über Sinn und Zweck des Vorstoßes gerätselt, Motivsuche betrieben, Statements wurden formuliert. Einen Grundpfeiler der Haushaltspolitik der Union infrage zu stellen, das war weder mit Fraktionschef Brinkhaus noch mit dem neuen CDU-Vorsitzenden Laschet abgesprochen.

Am Mittag traf sich Brinkhaus wie jeden Dienstag mit seinen parlamentarischen Geschäftsführern, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und den Vorsitzenden der Arbeitsgruppen, um die Fraktionssitzung vorzubereiten. Dominierendes Thema war der Gastbeitrag des Kanzleramtschefs im Handelsblatt, der einmütig von allen abgelehnt wurde. „Das Thema haben wir schnell und deutlich abmoderiert“, berichteten Teilnehmer der Runde. „Da wird sich niemand von uns bewegen.“ Diese Botschaft sollte Brinkhaus für die Fraktion transportieren.

Und das tat er dann auch, als er am Nachmittag vor der Fraktionssitzung erklärte, dass Brauns Position nur „eine persönliche Meinungsäußerung“ sei. „Wir bleiben bei unserer Linie“, machte der Unionsfraktionschef deutlich. Und die heißt: Die Schuldenbremse soll so schnell wie möglich wieder eingehalten werden.

Finanzminister Scholz hatte schon für 2022 in Aussicht gestellt, dieses Ziel zu erreichen. Doch das wird schwieriger, als man es sich im Finanzministerium noch vor einigen Monaten dachte. Wegen der sich hinziehenden Pandemie könnte es auch im kommenden Jahr große Belastungen geben und der Aufschwung – und damit die Erholung der Steuereinnahmen – sich verzögern. In der Finanzplanung von Scholz klaffen jedenfalls Milliardenlücken. Und noch fehlt eine Idee, wie sie geschlossen werden sollen.

„Durch die zweite Welle der Pandemie wachsen die Herausforderungen“, sagte Scholz in Reaktion auf Brauns Gastbeitrag. Es gebe nun mehrere Optionen, wie man damit umgehe. Der Finanzminister schloss für die SPD „Kürzungen in den sozialstaatlichen Sicherungssystemen“ ebenso aus wie ein Absenken der Investitionen. Blieben noch Steuererhöhungen, mit denen die Sozialdemokraten ohnehin liebäugeln – und eben mehr Schulden.

Die Union lehnt zusätzliche Belastungen für Bürger und Unternehmen hingegen ab. Braun will seinen Vorstoß in diesem Sinne als „strategische Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung“ verstanden wissen.

Das Motto: lieber vorübergehend mehr Schulden als baldige Steuererhöhungen, die den Wirtschaftsaufschwung gefährden. „Um eine schnelle Erholung und einen verlässlichen Rahmen für Investitionen zu haben, ist es sinnvoll, die Sozialabgaben bis Ende 2023 zu stabilisieren und auch auf Steuererhöhungen zu verzichten“, betonte der Kanzleramtschef im Gastbeitrag.

Im März soll das Kabinett die Eckwerte für den Haushalt 2022 und die Finanzplanung bis 2025 beschließen. „Bis dahin muss klar sein, für welche Option wir uns entscheiden“, sagte Scholz. Der Finanzminister machte damit deutlich, dass er durchaus offen ist für Brauns Vorstoß, die Schuldenbremse noch länger auszusetzen.

Schwarze Null als Markenkern

Für die Union geht es allerdings nicht nur um Eckwerte, sondern um eine politische Grundüberzeugung. Seit der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den schuldenfreien Bundeshaushalt erreichte, ist die schwarze Null für CDU und CSU zum Markenkern geworden. Mit ihr will man Wahlkämpfe gewinnen. Deshalb ist es für viele Unionspolitiker schon schwer genug, die derzeitigen Rekordschulden mitzutragen: 2020 waren es beim Bund 130 Milliarden Euro, für dieses Jahr sind weitere 180 Milliarden Euro geplant.

Dafür wurde die Ausnahmeregel der Schuldenbremse für Naturkatastrophen genutzt. Aber jetzt noch eine Aufweichung per Grundgesetzänderung? Das ist für viele Unionspolitiker zu viel.

Und so begaben sie sich auf Motivsuche. Warum hat Braun es nicht Scholz überlassen, eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse zu fordern? Ein Erklärungsversuch: Im Kanzleramt habe man geglaubt, dass der Vorstoß in der Union eher akzeptiert werde, wenn er von Merkel komme und nicht von Scholz. Sollte das der Plan gewesen sein, ist er nicht aufgegangen.

Oder ging es um eine Machtdemonstration in Richtung des neuen CDU-Vorsitzenden? Am Montag hatte Laschet das erste Mal als neuer CDU-Chef die Präsidiumssitzung geleitet. Die Schuldenbremse war kein Thema. Eine Vorwarnung von Merkel soll es nicht gegeben haben. Umso größer war dann am Dienstag der Ärger.

Öffentlich schwieg Laschet zunächst, in der Fraktionssitzung fand er dann deutliche Worte. „Die Schuldenbremse ist eine der großen Errungenschaften, die uns jetzt in der Krise das Handeln ermöglicht haben“, sagte Laschet laut Teilnehmern. Dann folgte sein Satz, dass sich Regierungsmitglieder in Zukunft besser mit Partei und Fraktion abstimmen sollten, wenn sie das Grundgesetz ändern wollten. Politisch wäre eine solche Grundgesetzänderung ein heikles Unterfangen. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit.

Union, SPD und Grüne haben nicht genug Stimmen. Die FDP wird kaum helfen: „Die Position des Kanzleramtschefs hat den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation“, kritisierte Fraktionschef Christian Lindner Brauns Vorstoß. Damit blieben nur die Linke und die AfD – mit beiden verbietet sich für die Union eine Zusammenarbeit.

Brinkhaus betonte denn auch in der Fraktionssitzung, er sei sich mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einig, „dass wir keine grundgesetzliche Änderung an der sehr erfolgreichen Schuldenbremse vornehmen wollen“. Dann fügte er laut Teilnehmern an: „Ich hoffe, dass die Diskussion zu diesem Thema damit durch ist.“

Echo außerhalb der Union fiel freundlicher aus

Aber nicht alle wollen so schnell zur Tagesordnung übergehen. Der Schock sitzt bei den Haushalts-, Wirtschafts- und den Finanzpolitikern tief. „Die Regierung wird von uns beauftragt werden, die grundgesetzliche Schuldenbremse in Zukunft einzuhalten“, stellte Christian von Stetten, Chef des Parlamentskreises Mittelstand, klar. „Das heißt aber nicht, dass wir Steuererhöhungen zustimmen werden“, sagte er.

Außerhalb der Union fiel das Echo auf den Vorstoß von Braun freundlicher aus. Kritik an der Schuldenbremse gibt es schließlich schon länger. Bereits 2019 hatten sich Wirtschaft und Gewerkschaften in einer ungewöhnlichen Allianz zusammengefunden. Der damalige Industriepräsident Dieter Kempf und DGB-Chef Reiner Hoffmann stellten die Initiative „Öffentliche Investitionen für ein zukunftsfestes Deutschland“ vor.

Die Partner forderten ein auf mehrere Jahre angelegtes Programm für deutlich höhere öffentliche und private Investitionen. Schon damals hatte Hoffmann betont, dass ein großes Investitionsprogramm ohne Weiteres finanzierbar sei, wenn man die selbst auferlegten Schuldenregeln flexibilisiere.

Nun sagte er zum Vorstoß von Braun: „Es ist gut, dass sich das Kanzleramt vom Diktat der Schuldenbremse löst.“ Sie müsse durch eine Änderung des Grundgesetzes korrigiert werden. Hoffmann verwies auf den riesigen Investitionsbedarf bei Infrastruktur, Forschung, Gesundheit, Bildung und sozialem Wohnungsbau.

„Jede nicht getätigte Investition ist eine Bürde für junge Menschen und verspielt die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft“, sagte der DGB-Chef. Für notwendige Investitionen dürfe es kein Ablaufdatum geben – deswegen solle auch das Aussetzen der Schuldenbremse nicht fest terminiert sein.

Noch weiter geht Verdi-Chef Frank Werneke: Er forderte die komplette Abschaffung der Bremse. Zur Überwindung der enormen Folgen der Coronakrise brauche es verstärkte Investitionen. „Eine haushaltspolitische Daumenschraube wie die Schuldenbremse steht diesem Ziel im Weg“, sagte Werneke. „Die Schuldenbremse muss raus aus dem Grundgesetz.“

Solche Forderungen sind weit entfernt vom Ansinnen Brauns. Angesichts des Empörungssturms erklärte der Kanzleramtschef am Dienstagnachmittag auf Twitter, dass es ihm doch gerade um einen „verbindlichen“ Weg zurück zur schwarzen Null gehe, statt die Schuldenbremse noch Jahre über die Notfallklausel auszusetzen. Er liebe die Schuldenbremse, schrieb Braun. Und das mit Herzchen im Tweet.

Mehr: Das ist der Plan für Deutschland nach Corona - Ein Gastbeitrag von Kanzleramtsminister Helge Braun