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So vermeiden Sie hohe Bußgelder auf Ihrer Dienstreise

Regeln, die spielen eine große Rolle in dem Leben von Robert Reinermann. Schließlich ist er Geschäftsführer von Deutschlands größtem Institut für Unternehmenssicherheit. Und doch hat der Manager der Kölner VdS Schadenverhütung jahrelang eine europäische Richtlinie verletzt – ohne es zu wissen.

Bis er vor Kurzem über eine Verordnung der Europäischen Union (EU) las, über strenge Kontrollen und saftige Strafen, die drohen, wenn ein Dienstreisender in Europa ein spezielles Formular nicht dabeihat. „Ich konnte das anfangs gar nicht glauben“, sagt der Manager. Also fragte er seine Anwälte. Und die sagten: Stimmt.

Wie Reinermann dürfte es vielen Fach- und Führungskräften gehen, die zum ersten Mal von der sogenannten A1-Bescheinigung hören. Eigentlich sollte das Papier die Entsendung von Mitarbeitern innerhalb Europas vereinfachen und verhindern, dass Sozialversicherungsbeiträge falsch abgeführt werden.

Doch was als gute Idee gedacht war, um Sozialdumping einzudämmen, ist inzwischen zu einer bürokratischen Falle mutiert, die jederzeit zuschnappen kann – bei Selbstständigen, Managern, aber auch bei einfachen Angestellten. Seit Kurzem verhängen einige Länder im Zusammenhang mit A1 und weiteren Regelungen Bußgelder, die mehrere Tausend Euro kosten können.

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Strafzahlungen wegen einer Dienstreise – noch dazu in Europa? „Für mich ist das nur schwer mit dem europäischen Gedanken von Reisefreiheit zusammenzubringen“, sagt Reinermann, der dienstlich viel in Skandinavien, Osteuropa und Frankreich unterwegs ist. Aber Vorschrift ist nun mal Vorschrift.

Und so hält er sich nun daran. Bei einem Kundenbesuch in der Schweiz neulich hatte er die Bescheinigung zum ersten Mal dabei. „Ein bisschen unwohl war mir aber schon, als ich darüber nachgedacht habe, wie oft ich vorher ohne das Formular geschäftlich unterwegs war.“

Etwa 118 Millionen Mal verreisen die Deutschen im Jahr dienstlich, meist für einen Tag oder kürzer. Rund jede achte Reise davon geht ins Ausland. Wer dabei wie Reinermann einen Geschäftstermin im EU-Ausland sowie in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz wahrnimmt, muss eine A1-Bescheinigung mit sich führen.

„Im Prinzip reicht schon die Grenzüberschreitung“, erklärt Julia Tänzler-Motzek, Senior Associ‧ate bei der Großkanzlei CMS Hasche Sigle. Heißt: Theoretisch kann schon das Tanken im Anzug in Österreich für Geschäftsreisende zum Problem werden. Mehr kontrolliert wird jedoch in Messen, Seminaren oder in den Betrieben selbst. Auch in Hotels und an Flughäfen werde verstärkt nach der Bescheinigung gefragt. Allein das Problem ist: „Die Angestellten wissen von der Regelung oft gar nichts“, so Tänzler-Motzek.

Es stellt sich die Frage: Warum braucht man die Bescheinigung eigentlich, und wie bekomme ich sie? Wie wahrscheinlich ist es, dass man tatsächlich kontrolliert wird? Und wer zahlt ein Bußgeld, wenn es hart auf hart kommt? Das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum brauche ich eine A1-Bescheinigung?

Arbeitet eine Fach- oder Führungskraft im Ausland, müsste sie in die Sozialversicherungssysteme des anderen Landes einzahlen. Um diese Doppelbelastung innerhalb Europas zu vermeiden, gibt es die A1-Bescheinigung. Sie bestätigt, dass ein Arbeitnehmer für die Zeit seiner Beschäftigung im Ausland in seinem Heimatland bereits Beiträge zahlt. Die Bescheinigung hat somit „rein deklaratorischen Charakter“, sagt Tänzler-Motzek.

Offiziell gilt die Regelung für Angestellte und Selbstständige bereits seit Mai 2010. Die Vorgabe der EU kann jeder Staat so streng oder großzügig auslegen, wie er meint. Die Mitgliedstaaten sind lange Zeit pragmatisch mit dem Thema A1 umgegangen und haben vorwiegend in solchen Branchen kontrolliert, in denen es üblicherweise gehäuft Fälle von Lohn- und Sozialdumping gibt, wie etwa der Baubranche. In einigen Ländern wird seit Kurzem sehr viel breiter kontrolliert. Deswegen ist das Problem auch erst jetzt für viele Personalabteilungen akut geworden.

Woher bekomme ich eine A1-Bescheinigung?

Bislang konnten Arbeitgeber die A1-Bescheinigung über einen dreiseitigen Papiervordruck bei der Krankenkasse des Angestellten beantragen. Seit Anfang des Jahres müssen die Anträge jedoch elektronisch übermittelt werden. Bei Privatversicherten ist die Deutsche Rentenversicherung zuständig. Die Übergangsphase dafür läuft noch bis Ende Juni. „Auf diesem Weg ist das Thema bei vielen Personalabteilungen aufgetaucht“, sagt Tänzler-Motzek.

Und das macht sich auch bei den Krankenkassen bemerkbar. So ist bei vielen von ihnen die Zahl bearbeiteter A1-Anträge in diesem Jahr sprunghaft angestiegen (siehe Grafik). So gibt zum Beispiel die Techniker Krankenkasse an, aktuell zwischen 800 und 1600 A1-Anträgen zu bearbeiten – und zwar täglich.

In Deutschland gibt es die Vorschrift, dass die Kassen den Antrag binnen drei Arbeitstagen bearbeitet haben müssen. „Sollte die Bescheinigung nicht rechtzeitig eintreffen, kann eine Kopie der Antragstellung sinnvoll sein“, rät Michaela Felisiak, Partnerin bei der Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt in München. Im allergrößten Zweifel, so die Expertin, kann eine A1-Bescheinigung auch noch im Nachgang beantragt werden, da diese rückwirkende Bindungswirkung hat.

Gerade in großen Unternehmen kümmert sich in der Regel die Personalabteilung um die Abwicklung des Papierkrams. Doch dafür müssen Fach- und Führungskräfte erst einmal von dem Problem wissen. Viele Konzerne wie der Chiphersteller Infineon oder die Deutsche Telekom sind deshalb seit einigen Monaten dazu übergangen, die Angestellten über Newsletter und Schulungen über das Thema zu informieren.

„Für viele Mitarbeiter ist unverständlich, warum gerade Reisen innerhalb der EU diesen Aufwand verursachen“, sagt ein Telekom-Sprecher. Schließlich konterkariert das Formular die Grundfesten eines europäischen Binnenmarkts, in dem Reisefreiheit und Dienstleistungsfreiheit gelten.

Welche Regelungen muss ich zusätzlich zu A1 beachten?

Frédéric Carrière ist Referent für Auslandsmärkte und Zoll bei der IHK Südlicher Oberrhein, dem südwestlichsten Kammerbezirk der Republik. Carrière hat eine Umfrage bei den Unternehmen in seiner Region gestartet und dabei festgestellt: „Tatsächlich ist für viele die A1-Bescheinigung nicht allein das Problem.“ Mindestens genauso lästig seien die vielen einzelnen Registrierungspflichten, die von Land zu Land unterschiedlich sind.

Besonders hohe Hürden stellt Frankreich auf. Dort sind zusätzlich zur A1-Bescheinigung unter anderem eine Übersetzung des Arbeitsvertrags in französischer Sprache und ein fester Ansprechpartner vor Ort nötig, der für den Empfang und die Versendung von Dokumenten und Mitteilungen mit den örtlichen Behörden zuständig ist. Selbst bei kleinen Betrieben kann das auf mehrere Mitarbeiter gerechnet im Jahr schnell Zehntausende Euro kosten.

Außerdem müssen in der Grande Nation selbst Führungskräfte Lohnnachweise vorgelegen – obwohl es das Gesetz eigentlich sicherstellen möchte, dass der Mindestlohn eingehalten wird. Das stelle „Personalabteilungen vor die Frage, wie sie mit der Übermittlung von sensiblen Daten umgehen sollen, um der EU-Gesetzgebung zu entsprechen“, sagt Sandra Ludwig, Spezialistin für Entsendungen beim Industriedienstleister Bilfinger. Schließlich gilt neben Reisevorschriften auch der europäische Datenschutz.

In Spanien, wo ebenfalls ein Repräsentant zur Verhandlung mit den Behörden nötig ist, kann es aufgrund der Lokaldialekte vorkommen, dass ein Ansprechpartner vor Ort mit mehreren Stellen im Land in verschiedenen Sprachen kommunizieren muss. Und in Österreich, wo seit zwei Jahren das „Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz“ gilt, haben Kontrollen im Zusammenhang mit A1-Bescheinigungen massiv zugenommen.

Wo wird kontrolliert – und wer zahlt im Zweifel das Bußgeld?

Auch wenn es hin und wieder Fälle in Frankreich oder der Schweiz gibt: Die höchste Wahrscheinlichkeit, wegen der A1-Bescheinigung kontrolliert zu werden, besteht in Österreich. Denn hier haben die Kontrollen aufgrund der Gesetzeslage System. Viele Arbeiter aus der benachbarten Slowakei und Ungarn kommen auch tagweise über die Grenze nach Österreich.

„Die strengen Regeln sollen dazu dienen, Lohn- und Sozialdumping und damit Wettbewerbsverzerrung zu verhindern. Die Vorschriften und Kontrollen gelten dabei natürlich nicht nur für Arbeiter aus osteuropäischen Ländern, sondern genauso für jene aus Deutschland“, erklärt Sissi Eigruber von der Deutschen Handelskammer in Österreich.

Allein 2018 hat die Finanzpolizei in der Alpenrepublik mehr als 2100 Kontrollen im Zusammenhang mit dem Entsendeformular durchgeführt. Greift die Behörde einen Geschäftsreisenden ohne A1-Bescheinigung auf, darf sie Sozialversicherungsbeiträge nach dem Landesrecht erheben – und zusätzliche Bußgelder fordern. „Diese liegen zwischen 1000 und 10.000 Euro“ – pro Angestellten, erklärt Tänzler-Motzek.

Wobei die Höchstgrenze wirklich nur in Extremfällen ausgereizt werde. Insgesamt hat die Finanzpolizei im Jahr 2018 mehr 4,7 Millionen Euro Bußgeld im Zusammenhang mit A1 eingesammelt. „Generell besteht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Angestellten“, sagt Tänzler-Motzek. Das heißt: Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht ausreichend über seine Pflichten im Zusammenhang mit A1 aufgeklärt, muss das Unternehmen für Bußgelder seiner Angestellten aufkommen.

Strittig wird es, wenn ein Unternehmen ausführlich über die Vorschrift aufgeklärt hat und ein Mitarbeiter dennoch dagegen verstößt. „Bisher hat aber noch kein Gericht über einen solchen Fall entschieden.“

Gibt es Hoffnung, dass die Regelung wieder gelockert wird?

Ja, aber nur leise. Im Frühjahr hatten sich zwar Europäisches Parlament, Kommission und Rat darauf verständigt, die EU-Verordnung zur A1-Bescheinigung zu überarbeiten – und vor allem kurzfristige Geschäftsreisen innerhalb Europas zu erleichtern. Allerdings ist diese Einigung wenig später doch noch von Ratsseite gekippt worden.

„Die Kommission bleibt davon überzeugt, dass wir eine gute und ausgewogene Einigung erzielt hatten, die Arbeitskräftemobilität unterstützt, unnötige Bürokratie abbaut und gleichzeitig dem Missbrauch einen Riegel vorschiebt“, erklärt ein Sprecher der Kommission auf Nachfrage des Handelsblatts. Man werde deshalb weiter mit Parlament und Rat zusammenarbeiten, um nun nach den Wahlen rasch eine endgültige Einigung zu erzielen.

Doch bis dahin heißt es erst einmal weiter: Vorsicht vor der Bürokratie-Falle.

Mehr: Viel mehr Mitarbeiter als gedacht genießen ihre Dienstreise. Lesen Sie hier, was Unternehmen dafür tun können, dass sie erfolgreich verläuft.