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Smartphones „made in Germany“ – kann das funktionieren?

Die Handbewegung ist routiniert: Bevor die Mitarbeiterin den Pappkarton auf den Transportwagen schiebt, bringt sie an einer Ecke einen kleinen Aufkleber an. „Made in Germany“ steht darauf in Großbuchstaben, die ersten beiden Wörter trennt ein schwarz-rot-gelbes Fähnchen. Und auf den Stapel damit!

Es ist ein kleiner Schriftzug, aber ein großes Symbol. Der Elektronikhersteller Gigaset, der für Festnetztelefone bekannt ist und seit einigen Jahren auch mobile Geräte verkauft, stellt seit vier Wochen das Smartphone GS185 in seiner Fabrik im münsterländischen Bocholt her. Nicht im chinesischen Shenzhen, wo Weltkonzerne wie Apple produzieren.

Damit bricht Gigaset das ungeschriebene Gesetz, dass Elektronikprodukte wie PCs, Fernseher und Handys in Fernost produziert werden, wo die Arbeiter für wenig Lohn arbeiten und die Zulieferer parat stehen. Moderne Roboter, die den Mitarbeitern zur Hand gehen, sollen die Fertigung im Hochlohnland Deutschland bezahlbar machen.

Für den Konzern ist es ein Experiment. Aber ein wichtiges: „Hier kommen neue technologische Dinge zum Einsatz, die für uns wegweisend sind“, sagt Finanzchef Stefan Mathys. Die moderne Produktionstechnik könnte helfen, die große Fabrik auszulasten – und so die Arbeitsplätze am Standort zu halten.

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Das Geschäft schrumpft

Geräte der Marke Gigaset sind in zahlreichen Büros und Wohnzimmern zu finden: Die frühere Siemens-Sparte ist bei Telefonen fürs Festnetz in Europa die Nummer eins und weltweit die Nummer zwei. Doch das Geschäft hat eine ungewisse Zukunft, immer mehr Menschen nutzen das Smartphone, selbst zu Hause.

Dieser Niedergang lässt sich an den Kennzahlen von Gigaset nachvollziehen: 2010 erwirtschaftete der Hersteller noch mehr als eine Milliarde Euro, 2017 nur noch knapp 300 Millionen Euro. Als die Verluste 2013 die Existenz des Unternehmens gefährdeten, verkaufte es sich in aller Not an den chinesischen Geschäftsmann Pan Sutong mit seinem Goldin Fund. Nach mehreren Restrukturierungen ist das Unternehmen heute wieder stabil.

„Wir wissen, dass das Kerngeschäft mit Festnetztelefonen zurückgeht“, sagt Finanzchef Mathys, der im Dezember die anspruchsvolle Aufgabe übernommen hat. Diesem Trend kann sich kaum ein Unternehmen widersetzen. „Die Herausforderung besteht darin, in andere Geschäftsfelder zu gehen, um das auszugleichen.“

Mit Telefonanlagen für Unternehmen hat Gigaset bereits ein stabiles Standbein aufgebaut. Eines Tages soll das Smart Home für gute Geschäfte sorgen, für das der Hersteller vernetzte Rauchmelder, Sicherheitskameras und Steckdosen anbietet – bislang ohne große Resonanz. Die größte Hoffnung ruht aber auf Smartphones wie dem GS185, mit dem Gigaset auch in den Taschen der Menschen präsent sein will.

Der Roboter macht 70 Prozent der Arbeit

Erst das Display mit den Drähten auf der Rückseite, dann die Platine mit Metallelementen, später der Akku und die Plastikhülle: An der Produktionslinie gehen die Mitarbeiter von Station zu Station, um diese Teile zusammenzusetzen. Nach ein paar Minuten liegt ein vollständiges Smartphone vor ihnen.

Die meisten Arbeitsschritte machen die Gigaset-Mitarbeiter in Halle 33 allerdings nicht selbst: Gelenkige Roboterarme setzen Komponenten automatisch zusammen und bringen filigrane Schrauben an. „Wir haben aktuell einen Automatisierungsgrad von 70 Prozent“, ruft Jörg Wissing gegen das Summen, Surren und Zischen in der Halle.

Wissing ist in seinem Element, er ist Leiter der Automatisierungstechnik. „Die Montagelinie haben wir selbst gebaut“, sagt er stolz. Gemeinsam mit den Mitarbeitern habe er den Prozess entwickelt – das Wissen aus der Fertigung von Festnetztelefonen in Kombination mit dem aktuellen technischen Know-how half dabei.

Nur 400.000 Euro habe die Anlage gekostet, ein Bruchteil der sonst üblichen Kosten. Eine große Ersparnis: Moderne Roboter können mit den Menschen zusammenarbeiten, ohne dass eine Abtrennung oder Sicherheitszone nötig wäre. „Cobots“ nennen Experten diese Geräte, die auch in Bocholt ihren Dienst tun.

Hohe Automatisierung, wenig Fehler: Das macht sich bezahlt. In Deutschland koste die Fertigung kaum mehr als in China, betont Wissing – „und das wird durch die Vorteile bei der Logistik ausgeglichen“. Wenn man so rechnet, ist „Made in Germany“ zumindest nicht teurer als „Made in China“.

Am Label müsste allerdings ein Sternchen stehen, das auf das Kleingedruckte verweist. Die meisten Komponenten muss Gigaset aus Fernost importieren. Es gibt in Deutschland zum Beispiel keine Hersteller von Smartphone-Displays. Das ist bei anderen Produkten wie Autos indes auch nicht anders.

Partnerschaft mit dem FC Bayern

Für Gigaset ist es nicht der erste Versuch, Smartphones zu verkaufen. 2015 stellte das Unternehmen auf der Elektronikmesse Ifa mehrere Modelle vor. „Unser Anspruch ist es, uns im Premiumsegment zu positionieren“, sagte der damalige Firmenchef Charles Fränkl dem Handelsblatt. „Hochqualitative, gut designte Produkte“ versprach er, entworfen in Deutschland, produziert in China.

Eine Partnerschaft mit dem FC Bayern München unterstrich diese Ambitionen: Bei einem Werbetermin ließen sich Thomas Müller und Kollegen mit den Smartphones ablichten. Als sie einige Monate später bei den Double-Feiern Selfies machten, waren diese jedoch nicht mehr im Einsatz.

Auch jenseits des Fußballs war von den Gigaset-Geräten bald nicht mehr viel zu sehen. Der chinesische Investor Pan Sutong liebte zwar den Glanz, den solche PR-Termine auf ihn warfen. Aber er scheute offenbar die Investitionen in Entwicklung und Marketing, die es gebraucht hätte, um Apple und Samsung oder auch Sony und HTC Konkurrenz zu machen.

In solchen Dimensionen denkt das heutige Management nicht. Das einstige Top-Modell Gigaset ME ist nicht mehr Angebot, die Partnerschaft mit dem Rekordmeister läuft nur noch in einem kleinen Rahmen. „Wir wollen den Verdrängungswettbewerb nicht mitspielen“, sagt Andreas Merker, Chef der Smartphone-Sparte. „Es reicht uns, wenn wir langsam wachsen.“ Das ist auch eine Frage der Finanzen: Der Mehrheitseigner Sutong stellt für die Expansion kein Kapital zur Verfügung.

2017 erwirtschaftete Gigaset mit Smartphones 20,6 Millionen Euro, somit dürfte das Unternehmen zwischen 100.000 und 200.000 Geräten verkauft haben. In den Statistiken von Marktforschern wie Gartner und IDC taucht es damit noch nicht einmal unter „Sonstige“ auf: Die Hersteller verkauften im vergangenen Jahr zusammen knapp 1,5 Milliarden Smartphones.

„Wir können relativ einfach skalieren“, betont Merker. Die acht Mitarbeiter bauen rund 2000 Smartphones pro Woche, also rund 100.000 im Jahr. Wenn die Nachfrage steige, werde Gigaset weitere Geräte in Bocholt herstellen – und dafür die Kapazitäten ausbauen. Angesichts der niedrigen Kosten könne das Geschäft aber auch so profitabel sein.

Autos, Maschinen, Smartphones?

Wenn es um Autos oder Fabrikausrüstung geht, wird deutsche Ingenieurskunst bewundert, selbst in Zeiten des Dieselskandals noch. Aber gilt das auch für Smartphones, die in China oder anderswo in Fernost in tadelloser Qualität montiert werden? Selbst Apple lässt dort die iPhones bauen, auch wenn auf der Packung „Designed in California“ steht.

Die Fertigung in Deutschland, so klein sie noch ist, verschafft Gigaset Aufmerksamkeit – für ein Mittelklassemodell wie das GS185 würden sich selbst die Technikportale im Netz nur wenig interessieren. Als PR-Gag will Smartphone-Chef Andreas Merker die Produktion im Münsterland aber nicht verstanden wissen.

Er zählt mehrere Vorteile auf. Gigaset bietet eine schnelle Reparatur an. Die Geräte können auf Wunsch der Kunden angepasst werden – beispielsweise mit einer individuellen Gravur. Und wenn die Nachfrage steigt, kann der Hersteller zahlreiche Varianten anbieten, wie es bei Festnetztelefonen mit bunten Schalen und unterschiedlicher Ausstattung üblich ist.

Für den Elektronikhersteller selbst geht es um mehr: Wenn es gut läuft, kann er Jobs sichern, in der Fertigung wie auch in Produktentwicklung, Qualitätskontrolle und Service. Im Geschäft mit Festnetztelefonen werden kaum neue Stellen entstehen, die letzte Restrukturierung ist erst wenige Monate her. „Made in Germany“ bedeutet auch Hoffnung für die Mitarbeiter, dass es nicht immer so weitergeht.

Ob das gelingt? Die Konkurrenz ist groß. Für 100 bis 200 Euro bekommen Käufer dutzende verschiedene Modelle, die alle ähnlich ausgestattet sind und fast gleich aussehen. Das GS185 ragt aus der Masse nicht hervor – es „zieht die Wurst kaum vom Teller“, urteilt etwa das Portal „Inside Handy“ angesichts der geringen Leistungsfähigkeit.