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Roche-Verwaltungsratschef: „Es braucht Geduld und Geld“

Umsatz und Gewinn steigen bei Roche stetig. Verwaltungsratschef Franz erklärt im Interview, wie dem Konzern dabei die Balance zwischen Wachstum und Patientenwohl gelingen soll.

Die Skyline der Stadt Basel bestimmt seit vier Jahren ein treppenartiger, sich nach oben verjüngender Turm. 178 Meter hoch ist das weiße Gebäude, das die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron entworfen haben. Es ist seit 2015 der herausragende Teil des Firmensitzes von Roche. Christoph Franz, seit fünfeinhalb Jahren der Verwaltungsratspräsident des Pharmakonzerns, hat nicht die Chance ergriffen, aufzusteigen.

Franz hat sein Büro nicht in den 41. Stock des neuen Wolkenkratzers verlagert, sondern residiert weiter im zweiten Stock des historischen Firmengebäudes aus den 1930er-Jahren. Über einen tiefen, lindgrünen Teppich und vorbei an Bildern der klassischen Moderne geht es in seinen Bürotrakt. „Nein, nein, das wäre das falsche Zeichen gewesen. Im neuen Turm sitzen unsere Forscher. Die Spitze für die Spitze“, erzählt Franz, und lacht.

Diese Demut kann sich der 59-Jährige im besten Sinne des Wortes leisten. Der von ihm strategisch mit geführte Konzern hat sich prächtig entwickelt. Umsatz und Gewinn steigen stetig, an der Börse ist Roche inzwischen 212 Milliarden Euro wert. Läge der Firmensitz wenige Meter weiter im badischen Teil der Stadt, wäre der Konzern das wertvollste Unternehmen Deutschlands.

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Doch Wachstum allein oder Gewinnmaximierung um jeden Preis können gerade bei einem Pharmakonzern wie Roche nicht das zentrale Ziel sein. Zu groß, zu hehr sind die Erwartungen der Gesellschaft. Es gilt auf dem schmalen Grat von Sinn und Gewinn sicher zu wandeln.

Wie schafft das ein Mann wie Franz, der einerseits erfahrener Topmanager ist – so führte er vor Roche drei Jahre lang die Deutsche Lufthansa als Vorstandsvorsitzender – und andererseits umsichtig und gebildet Zeitgenosse, der soeben auch in das Präsidium des Schweizer Roten Kreuzes gewählt wurde?

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Franz, „Doing now what patients need next!“ – mit diesen schönen Worten beginnt das Leitbild von Roche. Demgegenüber steht eine Umsatzrendite von 18,5 Prozent. Priorisieren Sie tatsächlich ihre Forschungsansätze nach medizinischen Notwendigkeiten? Oder doch eher nach betriebswirtschaftlichen Kriterien?
Unser Leitbild bringt zum Ausdruck, dass alles, was wir hier machen, zum Wohle des Patienten geschieht.

Das beantwortet noch nicht die Frage...
Der Impuls für neue Forschungsansätze geht immer von unseren Wissenschaftlern aus. Und wenn uns unsere Forscher neue Ansätze oder Überlegungen präsentieren, die aus medizinischer Sicht schlüssig und geboten erscheinen, dann machen wir das. Niemand bei Roche fragt in diesem Moment, ob sich das zehn Jahre später auch positiv in der Bilanz niederschlagen wird. Bei uns gilt: We follow the science. Wenn wir ein neues Medikament entwickeln, das Patienten hilft, hat es meist auch betriebswirtschaftlich positive Auswirkungen. Es stimmt aber sicher nicht, dass wir vor allem und zunächst auf die Zahlen schauen, wenn es darum geht, innovative, aber womöglich auch kostenintensive Forschungsansätze zu beschließen.

Wenn das so ist: Warum geraten gerade die multinationalen Pharmakonzerne immer heftiger unter gesellschaftlichen Druck, weil sie sich vorwerfen lassen müssen, dass sie zu wenig Geld in die Erforschung von Krankheiten stecken, an denen global gesehen eher arme und eher wenige Menschen erkranken?
Grundsätzlich gilt: Wir sind ein Unternehmen, das nachhaltig gute betriebswirtschaftliche Ergebnisse erwirtschaften muss, damit wir uns auch in Zukunft die aufwendige Forschung für neue Medikamente und Therapien leisten können. Genauso gilt aber auch: Wir sind weltweit das Gesundheitsunternehmen mit dem größten Forschungs- und Entwicklungsbudget. Und wir schließen grundsätzlich keine Medizinfelder aus, nur weil in diesen Disziplinen womöglich später das Risiko des Scheiterns mit einem teuren Forschungsansatz besonders groß ist. Das ist den beiden Eigentümerfamilien Hoffmann und Oeri genauso wichtig wie mir und unseren Führungskräften und Mitarbeitern. Unser Leitbild ist an dieser Stelle kein bloßer Marketing-Slogan, sondern echtes Bekenntnis: Wir wollen mit unserer Arbeit den Menschen helfen.

Ein Beispiel bitte für die Arbeit in einer Hochrisikodisziplin…
Denken Sie an die extrem aufwendige und damit teure Alzheimer-Forschung. Da ist die Branche wissenschaftlich ungefähr so weit wie in der Krebsforschung vor 30 Jahren. Will sagen: Erfolge sind wohl noch lange schwer absehbar. Aber wir investieren da dennoch jedes Jahr hohe Beträge.

Aber das tun Sie ja nicht aus idealistischen Motiven, sondern weil die Medikation von Alzheimer einen milliardenschweren Markt verspricht?
Sicher wird jenes Unternehmen, das als erstes eine Therapie gegen Alzheimer findet, auch einen finanziellen Erfolg erzielen. Aber der ist überhaupt noch nicht absehbar, so dass es auch möglich sein kann, dass alle Anstrengungen vergeblich sein werden. Wir mussten leider erst zu Beginn des Jahres mit dem weit vorangeschrittenen Wirkstoff Crenezumab abbrechen, von dem wir uns bis dahin einiges zur Bekämpfung von Alzheimer versprochen hatten. Aber wir geben nicht auf.

Was ist mit Antibiotika? In diesem Bereich ist generell ja nicht sonderlich viel Geld zu verdienen.
Die Medizin dachte lange, Infektionskrankheiten seien unter Kontrolle. Das hat sich als trügerisch erwiesen. Bis zum Jahr 2050 werden weltweit mehr als zehn Millionen Todesfälle pro Jahr aufgrund solcher Krankheiten vorhergesagt. Deshalb haben wir bei Roche unsere Forschungsanstrengungen in diesem Bereich im Jahr 2013 wieder aufgenommen und investieren als eines der wenigen großen Unternehmen in die Erforschung neuer Antibiotika.

Wann können Sie erste Erfolge vermelden?
Wir sind auf gutem Wege, geben Sie uns noch ein paar Jahre Zeit. Leider war bei einem unserer Ansätze, die Wirksamkeit nicht so breit, wie von uns erhofft. Forschung ist nun mal langwierig und risikoreich. Es braucht Geduld und Geld.

Und Demut?
Absolut. Die Königsdisziplin von Medikamenten ist natürlich die Heilung, also ein Wunderheilmittel zu finden. Vielen Menschen ist aber auch schon sehr geholfen, in dem wir aus tödlichen Krankheiten chronisch verkraftbare machen. Beispiel Aids: Bisher kann niemand diese Krankheit heilen. Wir können sie aber unterdrücken, sodass die Betroffenen ein nahezu normales Leben führen können. Aber wir entwickeln nicht nur Medikamente. Wir sind auch in der Diagnostik aktiv. Beispiel Superkeime. Es wäre doch ein Riesenerfolg, wenn es einen Schnelltest für diese multiresistenten Keime geben würde. So könnte ein davon beeinträchtigter Patient im Krankenhaus direkt isoliert werden – bevor er andere Patienten oder das Personal ansteckt.

Generell gelten die Roche-Forscher in der Branche als „Weltklasse-Einheit“. Genügend Geld verdient der Konzern auch. Im vergangenen Jahr waren es 10,9 Milliarden Franken. Sind Sie gemessen an diesen Ressourcen mit dem Innovationstempo zufrieden?
Sie können nur Dreierlei tun: Erstens ein innovationsfreundliches Klima für die Wissenschaftler schaffen. Zweitens die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen, was wir mit einem Forschungsbudget von zuletzt jährlich elf Milliarden Franken auch tun. Das entspricht genau unserem Gewinn. Und drittens können und müssen sie versuchen, die besten Köpfe für das Unternehmen zu gewinnen. Das alles passt schon ganz gut bei uns zusammen. Bin ich deshalb zufrieden mit dem Tempo? Ich würde liebend gern jedes Jahr vier statt wie bisher zwei große neue Medikamente auf den Markt bringen, die vielen tausenden oder Millionen Patienten das Leben erleichtern.

Bei allen Möglichkeiten die Roche hat: Was tun, wenn Sie einen vielversprechenden Ansatz beispielsweise bei einer sogenannten „seltenen“ Krankheit sehen, Sie sich bei der internen Priorisierung dann aber doch gegen weitere Forschung in diesem Gebiet entscheiden? Ein Medikament aber unbedingt von den vielleicht wenigen Patienten gebraucht wird?
Dann bleiben immer noch zwei Möglichkeiten. Sie lizensieren die Forschungsergebnisse an einen vielleicht hoch spezialisierten Partner aus, was wir immer wieder tun. Oder Sie arbeiten mit anderen Organisationen eng zusammen.

Organisationen?
Ja, beispielsweise arbeiten wir mit gemeinnützigen Organisationen wie UNAIDS, der Clinton Health Access Initiative und anderen zusammen, um den Zugang zu Diagnostika zu verbessern. Ich zeige ihnen etwas, ...

Christoph Franz kramt in seiner Jackettasche und zieht eine kleine Karte aus verstärkter Pappe heraus. Darauf befinden sich drei weiße Kreise...

... auf diese drei Stellen können Sie drei Tropfen Blut geben. Und damit können Sie bestimmen, ob jemand mit HIV infiziert ist oder nicht. Für weite Teile des ländlichen Afrikas ist das ein Riesenschritt in der Diagnostik. Bislang mussten Blutproben auf dem Weg ins Labor gekühlt werden, was in Afrika eine große Herausforderung bedeutet. Unser Test widersteht Temperaturen von bis zu 45 Grad, und die Probe bleibt bis zu 28 Tage geschützt. Um unsere Plasma Separation Card und andere lebensrettende Diagnostika verfügbar zu machen, arbeiten wir mit unseren Partnern zusammen. Wir werden in Zukunft Millionen davon produzieren. Derzeit verdienen wir sehr wenig daran, aber wir ermöglichen damit den Zugang zu diagnostischen Tests und folgen den Worten unseres Leitbildes – das ist Dienst an den Patienten. Und Teil unserer DNA.


„Ich bin ein Fan der direkten Schweizer Demokratie“

Roche hat früh auf Biotech gesetzt und mit der amerikanischen Tochtergesellschaft Genentech insbesondere auf dem Gebiet der Onkologie bemerkenswerte Erfolge erreicht. Jetzt wollen Sie für bis zu 4 Milliarden Franken mit Spark Therapeutics einen weiteren Gentechnikspezialisten übernehmen. Was versprechen Sie sich davon? Was kann Spark, was Genentech und ihre anderen Biotech-Beteiligungen nicht schon können?
Spark ist stark auf dem Gebiet der Gentherapie, also dabei, ein womöglich geschädigtes Gen durch ein gesundes zu ersetzen. Gelingt das, reden wir möglicherweise über echte Heilung. Es ist noch ein relativ neues Feld. Da wollen und werden wir investieren.

...auch um den zu erwartenden Umsatzrückgang ihrer derzeitigen Blockbuster-Medikamente aus der Onkologie, bei denen der Patentschutz abläuft oder bereits abgelaufen ist, durch neue Produkte aufzufangen?
Unser Ziel ist natürlich, die durch die Patentabläufe zu erwartenden Erlösrückgänge unserer drei Medikamente Avastin, Herceptin und Mabthera mehr als auszugleichen. Aber darüber hinaus müssen wir stets an die nächsten Innovationen denken und heute die Entscheidungen treffen, die dann womöglich erst in fünf bis zehn Jahren Wirksamkeit entfalten.

Dass jetzt die Konjunktur weltweit zu schwächeln beginnt, ist da sicher nicht hilfreich – oder?
Das Auftreten von Krankheiten folgt keinen Konjunkturzyklen.

Wenn Sie eines Tages als Verwaltungsratspräsident zurücktreten – welche Spuren wollen Sie dann hinterlassen haben? Betriebswirtschaftliche Rekordergebnisse? Oder die Entwicklung eines Medikaments für eine bis dahin unheilbare Krankheit?
Wissen Sie: Der betriebswirtschaftliche Erfolg stellt sich fast zwangsläufig ein, wenn Sie mit Innovationen erfolgreich sind. Wir sind ja durch den Ablauf des Patentschutzes unserer erfolgreichen Medikamente quasi immer und immer wieder zu Innovationen gezwungen. Und ich bin zuversichtlich, dass uns bald auch wieder ein Erfolg gelingt, bei dem sich sagen lässt: Heilung möglich. Denken Sie an Hepatitis C. Die Krankheit galt bis vor wenigen Jahren als unheilbar. Heute ist in vielen tausenden Fällen eine vollständige Heilung möglich.

Seit einiger Zeit haben Sie auch einen Schweizer Pass. Warum eigentlich?
Weil ich hier jetzt seit vielen Jahre arbeite und lebe. Ich bin zudem ein Fan der direkten Schweizer Demokratie. Sie können hier an den regelmäßigen Volksabstimmungen nur teilhaben, wenn sie Staatsbürger sind. Hier zu leben und nicht mit abstimmen zu können – das fühlt sich ein wenig nach Eunuch an. Ich bin außerdem Mitglied der Versammlung und des Rats des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Und das kann man nur werden, wenn man den Schweizer Pass hat.

Aber als echten Schweizer sieht man Sie noch nicht – oder?
Wie kommen Sie darauf?

Das dürften Sie gespürt haben, als es nach einem Interview Ihrerseits, indem Sie sich nachdrücklich für ein baldiges Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ausgesprochen haben, massive Kritik an Ihrer Meinung gab. Sie hätten, sinngemäß, die Schweizer Seele nicht verstanden und würden für ein paar Hundert Millionen Franken mehr Gewinn bei Roche die Unabhängigkeit und Werte des Landes verkaufen?
Die Diskussion um das Rahmenabkommen wird viel zu sehr schwarz und weiß geführt. Die Schweiz ist Teil einer globalisierten Welt. Mir ist natürlich sehr klar, dass die Schweiz eigenständig ist und sich bewusst gegen einen EU-Beitritt ausgesprochen hat. Aber ich plädiere, jetzt auch als Staatsbürger, sehr stark dafür, dass die enge Verflechtung der Märkte erhalten bleibt. Und da würde das Rahmenabkommen sicher helfen.

Wie halten Sie es grundsätzlich als Top-Manager mit einer öffentlichen Meinung zu politischen Themen? Brexit, Handelszölle, Hongkong-Krise – es gibt ja gerade viele Themen, die sich geradezu anbieten, Haltung zu zeigen?
Die Zeiten, in denen sich Topmanager bei politischen Themen vornehm zurückhalten können, sind vorbei. Haltung zu zeigen, halte ich für wichtig. Dabei kommt es aber sehr auf den Stil an. Ich würde niemals eine Wahlempfehlung abgeben. Ich muss und will aber relevante Konsequenzen für unser Unternehmen sachlich aufzeigen. Deshalb wird es ziemlich sicher auch künftig von mir öffentliche Äußerungen zu politischen Themen geben.

Reizt Sie ein politisches Amt?
Kaum. Ich habe zwar zeitlebens in staatlich regulierten Konzernen und Branchen gearbeitet, wie der Logistik mit Deutscher Bahn und Lufthansa und jetzt im Gesundheitssektor mit Roche, und ich habe aufgrund dieser Erfahrungen großen Respekt für die Fähigkeit von Politikern, um Kompromisse zu ringen. Doch bin ich mir nicht sicher, ob mir das beruflich liegen würde.

Sehen wir Sie noch einmal in der deutschen Wirtschaft?
Ich bin bei Roche sehr glücklich.
Herr Franz, herzlichen Dank für das Gespräch.