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Deutsche Patienten zahlen am meisten für Medikamente

 

Die Deutschen zahlen von allen EU-Bürgern am meisten für Medikamente
Bild: dpa

Die Deutschen zahlen von allen EU-Bürgern am meisten für Medikamente. Schuld daran ist vor allem eine gesetzliche Regelung.

Wenn Josef Morgen seine Medizin holt, dann nie ohne EC-Karte – und einen großzügigen Kreditrahmen seiner Bank. Die Apotheke am Leipziger Platz in Berlin hat regen Zulauf.

Mittel gegen Allergien gehen über die Theke, gegen Kopfschmerzen oder Blähungen. Mal sind es sechs Euro, mal 18 oder auch mal 30. Und dann kommt Josef Morgen, und das Display der Kasse benötigt vier Stellen: 5803 Euro.

Der 65-jährige Morgen leidet seit 21 Jahren an Multipler Sklerose. Alle vier Monate muss der Privatpatient deshalb zwölf Patronen des Mittels Rebif kaufen, eines Bestsellers des Pharmakonzerns Merck. Eine Situation, die Morgen massiv ärgert.

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Weil der Preis so hoch ist, weil er zulasten aller Versicherten geht – aber vor allem, weil sein Mittel im Ausland viel billiger ist. In Schweden zahlen Patienten für dasselbe Medikament 3000 Euro weniger.

Tatsächlich sind Medikamente im EU-Vergleich hierzulande am teuersten – obwohl der deutsche Markt der größte in Europa ist. Nicht nur das: die Medikamentenpreise steigen und steigen. Laut einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse beträgt die jährliche Teuerungsrate bei neuen Mitteln bis zu 73 Prozent.

 

Dabei kommen häufig Mittel auf den Markt, die gar nicht besser wirken als bereits vorhandene. Das Arzneimittelsystem in Deutschland, so zeigen Recherchen von Handelsblatt und dem ARD-Magazin Plusminus, hat selbst dringend eine Medizin nötig. Eine Medizin, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Milliarden einsparen könnte.

40 Milliarden Euro jährlich

Alljährlich nimmt die TK im Innovationsreport die Arzneimittel-Landschaft unter die Lupe. In ihrem Bericht 2017 kommt sie zu einem erschreckenden Ergebnis: „Wenn wir uns anschauen, was die gesetzlichen Kassen vor fünf Jahren für Medikamente ausgaben, waren das etwa 30 Milliarden Euro. Jetzt nähern wir uns den 40 Milliarden Euro“, sagt TK-Chef Jens Baas. Schultern müssen das die Beitragszahler – diejenigen, die das Gesundheitssystem finanzieren.

Insbesondere Krebsmittel treiben die Kostenspirale, sie machen mittlerweile ein Drittel aller neu zugelassenen Mittel aus. Bei Hepatitis C schlagen die Hersteller ebenfalls zu. So zahlten Patienten 2014 für das Medikament Sovaldi bei seiner Einführung 700 Euro – pro Pille.

Auch das MS-Medikament von Herrn Morgen ist ein trauriges Beispiel. 2013 war es in Deutschland knapp 500 Euro billiger, in Schweden ist es heute nach Angaben von Merck rund 3000 Euro günstiger.

Warum ist das so? Merck beruft sich auf Wechselkursschwankungen und länderspezifische Erstattungsregeln. Dem aber widerspricht der Berliner Gesundheitsökonom Reinhard Busse. Zusammen mit Medizinern und Pharmakologen gibt er jährlich den Arzneiverordnungsreport heraus. Dort seien derartige Faktoren ebenso wie unterschiedliche Umsatzsteuern schon berücksichtigt. Dennoch sei Deutschland seit Jahren EU-Hochpreisland, sagt Busse. Etwa 30 Prozent teurer als in Schweden oder 20 Prozent teurer als in Österreich. Einsparvolumen: 3,1 Milliarden Euro.

 

Einen der größten Preistreiber, erzählt Busse, gebe es nur in Deutschland: Die Arzneimittelhersteller können im ersten Jahr ab Zulassung eines Mittels jeden Preis verlangen, der ihnen vorschwebt. Eine Korrektur dieser „Mondpreise“ erfolgt erst nach zwölf Monaten, wenn das Mittel auf seinen Zusatznutzen untersucht wurde – also darauf, ob es mehr kann als vorhandene Arzneien.

Das geht aber nicht rückwirkend. Stelle sich heraus, dass das neue Mittel gar keinen Zusatznutzen habe, müsse „der Hersteller auch nichts zurückzahlen“, klagt Busse. Das müsse sich dringend ändern.
Denn diese Situation kommt offenbar häufig vor. Das für die Nutzenprüfung zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat festgestellt: Von den ab 2011 zugelassenen Mitteln weisen 60 Prozent keinen Zusatznutzen auf.

Zusätzlich ärgert Busse die Häufigkeit, mit der Medikamente in Deutschland verschrieben werden. „Wir haben heute 60 Prozent mehr Verschreibungen als noch vor zwölf Jahren.“ Sind wir heute auch um 60 Prozent kränker? Busse lacht.

Wenn das alles so bleibe, „dann haben wir irgendwann die Situation, dass wir nur noch auf den Preis gucken und dann vielleicht zu falschen Entscheidungen kommen.“ Was er meint, sind Ausgabenstopps. Auch dort, wo es um Menschenleben geht.

Was ist ein Leben wert?

Etwa auf der Krebs-Station 42 der Uniklinik Hannover. Dort macht Professor Arnold Ganser Visite, soeben hat er das Zimmer von zwei Frauen verlassen, die an Leukämie leiden.

Wie geht es den Frauen? Das gehöre zu jenen Themen, die auf der Station tabu seien, sagt Ganser. Ebenso wie die Frage: Was ist ein Menschenleben wert? Der Arzt am Krankenbett dürfe das nicht entscheiden. Aber natürlich müsse man über Arzneipreise diskutieren, „wenn es darum geht, ob neue Therapien bezahlbar bleiben“. Das jedoch sei eine gesellschaftspolitische Aufgabe.

In anderen Ländern gebe es finanzielle Limits, in Deutschland sei das zu Recht nicht der Fall. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Mittel, die neu zugelassen würden, wirklich mehr nutzten als bereits vorhandene. Oder eben nicht teurer sein dürften.

Wie aber ist dieses Dilemma, das sich zwischen Kostendisziplin, Patientenhoffnungen und Industrieinteressen abspielt, zu lösen? Wolf-Dieter Ludwig ist Chef der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft. Vor allem die freie Preisfestlegung im ersten Jahr sei ein großer Fehler, sagt auch Ludwig. Wenn sich der Zusatznutzen eines Mittels nicht bestätige, müssten die Pharmafirmen Gelder zurückzahlen.

Deren Verband hält dagegen. Eine Rückzahlungspflicht gefährde den schnellen Zugang zu Arzneimitteln, heißt es beim Herstellerverband vfa: „Weil sich nicht jeder Pharmaunternehmer auf Rückerstattungsrisiken einlassen würde.“

 

Kaum ein Medikament in Deutschland schaffe es, im ersten Jahr große Umsätze zu erzielen. Die Techniker Krankenkasse hat allerdings in ihrem Report festgestellt, dass sich die Umsätze neuer Mittel im Jahr nach der Markteinführung „fast verfünffacht“ hätten.

Ludwig fordert außerdem mehr Transparenz bei der Preisbildung. Die Unternehmen sollten natürlich Gewinne machen dürfen. Aber sie würden der Versichertengemeinschaft nicht nur die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aufs Auge drücken, sondern insgeheim auch viele Millionen Euro an Marketingkosten mit einberechnen.

Es wird sich nichts ändern

Ein Vorwurf, dem der vfa ebenfalls widerspricht. Handelsblatt und Plusminus haben den Verband deshalb um Zahlen zu den Entwicklungskosten gebeten. Antwort: „Diese Kalkulationen werden aus wettbewerblichen Gründen nicht offengelegt.“

Lösen kann das Problem wohl nur die Politik. Der neue Gesundheitsminister Spahn jedoch lehnt ein Interview zu dem Thema ab. Man habe bereits zahlreiche Maßnahmen zur Kostensenkung eingeführt, antwortet sein Ministerium. „Beispielsweise wurde das geltende Preismoratorium für Arzneimittel ohne Preisregulierung bis Ende 2022 verlängert.“

Die Mondpreise im ersten Jahr betrifft diese Regelung aber gar nicht. Zudem sagt das Ministerium kein Wort dazu, ob oder wie es künftig der Pharmaindustrie mehr Kostentransparenz abverlangen will. Ergo: Es wird sich nichts ändern.

Josef Morgen frustriert das. Er muss auch künftig alle vier Monate knapp 6000 Euro für seine Medizin vorstrecken – in dem Wissen, dass er zum Beispiel in Schweden 2000 Euro sparen könnte, aber nicht darf. Re-Importe sind illegal. „Es sind dieselben Medikamente“, sagt Morgen. „Aber meine Bekannten dort dürfen sie mir nicht mitbringen.“