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Der oberste Bankenaufseher der Bafin räumt Fehler im Wirecard-Skandal ein

Laut Raimund Röseler hätte die Behörde intensiver nach Wegen zur Kontrolle von Wirecard suchen müssen. Andere Vorwürfe weist er zurück. Brisant ist die vertrauliche E-Mail eines Mitarbeiters.

Die Spitzen der Finanzaufsicht Bafin werden vermutlich erst im März im Wirecard-Untersuchungsausschuss aussagen. Doch bereits zum Jahresstart gewinnt der Streit zwischen Oppositionspolitikern und der Behördenleitung über die Versäumnisse der Bafin im größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte an Schärfe.

Der oberste Bafin-Bankenaufseher Raimund Röseler weist die Kritik der Opposition an der Bafin-Entscheidung, Wirecard nicht als Finanzholding einzustufen, zurück. An anderer Stelle räumt Röseler im Gespräch mit dem Handelsblatt jedoch Fehler ein. „Mit dem Wissen von heute muss man sagen, dass wir intensiver nach Wegen hätten suchen müssen, um beim Eigentümer Wirecard AG stärker reinzugucken.“

Direkt beaufsichtigt hat die Bafin nur die Tochter Wirecard Bank, nicht den Mutterkonzern Wirecard AG. Die Behörde hat jedoch die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit von Bankeigentümern im Rahmen eines sogenannten Inhaberkontrollverfahrens zu prüfen.

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Wirecard ist im vergangenen Sommer zusammengebrochen, nachdem bekannt geworden war, dass Umsätze und Barmittel in Milliardenhöhe in Wirklichkeit nie existierten. Die Finanzaufsicht steht seitdem in der Kritik. Bafin-Präsident Felix Hufeld hat eingeräumt, dass seine Behörde im Fall Wirecard nicht effektiv genug gearbeitet habe. Ein Aufsichtsversagen sieht er jedoch nicht.

Die Oppositionspolitiker Danyal Bayaz (Grüne), Florian Toncar (FDP) und Fabio De Masi (Linke), die zu den treibenden Kräften im Wirecard-Untersuchungsausschuss zählen, sehen das anders. Sie gehen der Frage nach, ob die Bafin die Möglichkeit hatte, die Wirecard AG als Finanzholding einzustufen – und in der Folge strenger zu kontrollieren.

„Die Aussagen sind brisant“

Aus ihrer Sicht deutet eine interne E-Mail eines Bafin-Mitarbeiters darauf hin, dass die Finanzaufsicht die Chance verstreichen ließ, den Auslandstöchtern des Zahlungsdienstleisters genauer auf die Finger zu schauen. „Die Aussagen sind brisant“, sagt der Grünen-Finanzexperte Bayaz.

„Sie legen den Schluss nahe, dass die Bafin die Möglichkeit gehabt hätte, Wirecard intensiver zu kontrollieren.“ Der FDP-Abgeordnete Toncar sieht das ähnlich. „Das Dokument ist aus meiner Sicht ein weiterer Beleg dafür, dass es der Bafin bei Wirecard mitnichten an Befugnissen fehlte, sondern dass die bestehenden Befugnisse nicht ansatzweise ausgenutzt wurden.“

Die vertrauliche E-Mail eines Mitarbeiters von Röseler, in der es offensichtlich um die interne Aufarbeitung des Wirecard-Skandals bei der Bafin geht, liegt dem Handelsblatt vor. Verschickt wurde sie am 26. August 2020 an Thorsten Pötzsch, der als Exekutivdirektor für Bankenabwicklungen sowie den Kampf gegen Geldwäsche und unerlaubte Geschäfte zuständig ist.

In der E-Mail macht Röselers Mitarbeiter deutlich, dass die Bafin nach Einschätzung der Abteilung Bankenaufsicht (BA) das Recht hat, ausländische Töchter von deutschen Unternehmen als Zahlungsinstitut einzustufen – auch wenn diese keine entsprechende Lizenz in der Europäischen Union besitzen. Der Mitarbeiter beruft sich dabei auf den Artikel 23 der EU-Aufsichtsverordnung CRR.

„Aus Sicht der BA können aufgrund des Art. 23 CRR grundsätzlich u. a. alle Zahlungsinstitute weltweit für die Zwecke der Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis gemäß den einschlägigen Bestimmungen der CRR einbezogen werden“, heißt es in der E-Mail. Dies gelte auch für Firmen, die „keine Zulassung für die unionsweite Erbringung und Ausführung von Zahlungsdiensten haben, weil sie Zahlungsdienste beispielsweise in einem Drittstaat anbieten“.

Nach Meinung des Grünen-Politikers Bayaz zeigt das Schreiben, dass die Bafin die Möglichkeit gehabt hätte, Wirecard-Tochtergesellschaften zu beaufsichtigen, die im Ausland Zahlungsdienste angeboten haben. „Die Bafin hätte dort dann stärker durchgreifen können und so bessere Chancen gehabt, dem Betrug auf die Schliche zu kommen“, sagt Bayaz. Sein Parlamentskollege De Masi sieht das ähnlich. „Die Finanzaufsicht hatte umfassende Prüfungsmöglichkeiten – auch für das Auslandsgeschäft.“

Eine andere Bewertung der ausländischen Töchter hätte der Bafin nach Einschätzung von Bayaz eventuell auch die Möglichkeit eröffnet, die Wirecard AG als Ganzes als Finanzholding einzustufen. „Dann hätte die Finanzaufsicht das Unternehmen intensiver kontrollieren und wie bei Banken vor Ort Sonderprüfungen durchführen können.“

Meinungsverschiedenheiten in der Bafin

Bafin-Bankenaufseher Röseler widerspricht dieser Darstellung. „Die Wirecard AG war keine Finanzholding“, sagt er. „Das setzt nämlich voraus, dass es sich bei den Töchtern nach bestimmten vorgegebenen Kriterien hauptsächlich um Finanzinstitute handelt. Dies war aber nicht der Fall – auch bei einer weltweiten Betrachtung.“

Die Bafin hat Wirecard 2017 als Technologiekonzern eingestuft und nicht als Finanzholding. Bei der Entscheidung wurden nach Angaben der Behörde auch ausländische Wirecard-Töchter mit einbezogen, darunter Gesellschaften in den USA, Indien und Singapur.

Das zeigt, dass die Bankenaufsicht der Bafin bei der Einstufung von Unternehmen bereits in der Vergangenheit internationale Töchter berücksichtigt hat. An anderer Stelle gab es in der Behörde dazu jedoch offenbar andere Ansichten, weshalb es im August zu einer Abstimmung zwischen den Abteilungen von Röseler und Pötzsch kam.

Aus Sicht von Toncar hätte die Bafin neben der Einstufung von Wirecard als Finanzholding noch weitere rechtliche Möglichkeiten gehabt, das Unternehmen härter ranzunehmen. Im Rahmen eines Marktmissbrauchsverfahrens nach Paragraf 6 des Wertpapierhandelsgesetzes wären eine Durchsuchung von Wirecard und die Beschlagnahmung von Beweismitteln wie Akten, elektronischen Dateien und E-Mails möglich gewesen, sagt der promovierte Jurist.

Darüber hinaus hätte die Behörde das Wirecard-Bilanzkontrollverfahren von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) an sich ziehen sollen, „da die DPR objektiv nicht zu einer ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung geeignet war“, argumentiert Toncar. Zudem hätte die Bafin aus seiner Sicht eine Sonderprüfung bei der Wirecard AG als Eigentümerin der Wirecard Bank durchführen können.

Bankchefs im Untersuchungsausschuss

Im Wirecard-Untersuchungsausschuss wird am Dienstag Lars-Hendrik Röller, der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts, angehört. Am Donnerstag sind dann Deutschlands Top-Banker vorgeladen, die Wirecard und dessen CEO Markus Braun zum Teil großzügig Kredite gewährt hatten: darunter Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, Ex-Commerzbank-Chef Martin Zielke und der Chef der KfW-Tochter Ipex, Klaus Michalak. Sollte sich die Sitzung erneut bis Mitternacht hinziehen, könnte sie unterbrochen und am Freitag fortgesetzt werden.

Auf Referentenebene werden im Bundestag bereits die weiteren Sitzungen geplant. Am 28. und 29. Januar könnten wichtige Zeugen aus Bayern angehört werden, darunter Vertreter der Bezirksregierung Niederbayern, die sich zeitweise als zuständige Geldwäsche-Aufsicht für Wirecard sah, und der ermittelnden Staatsanwaltschaft München 1. Auch wird überlegt, den Chef der Geldwäschespezialeinheit FIU, Christof Schulte, und den Wirecard-kritischen Shortseller Matthew Earl vorzuladen.

Im Februar oder März könnten, so es die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zulassen, die Wirecard-Manager Stephan van Erffa und Oliver B. aussagen. Das hatten die beiden inhaftierten Verdächtigen Ende November dem Untersuchungsausschuss in Aussicht gestellt. Offen ist, ob auch Ex-CEO Braun erneut erscheinen muss: Der Bundesgerichtshof muss entscheiden, ob dieser die Aussage so umfänglich hätte verweigern dürfen wie Ende November geschehen.

Auch soll es dann erneut um die Rolle der Wirtschaftsprüfer, vor allem aber um das Handeln der Finanzaufsicht Bafin gehen. Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele soll zum Erlass eines umstrittenen Leerverkaufsverbots von Wirecard-Aktien im Februar 2019 Stellung beziehen, Bafin-Präsident Felix Hufeld zur Frage, ob die Behörde etwa über ein Inhaberkontrollverfahren Wirecard nicht stärker hätte auf die Finger schauen können. Vor der Leitungsebene sollen die zuständigen Fachreferenten angehört werden.

Erst ganz zum Schluss sollen dann die prominentesten Zeugen vorgeladen werden: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die über die politische Rückendeckung für den Konzern Auskunft geben sollen.

Die Vertreter der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD wollen die Zeugenbefragungen Beteiligten zufolge möglichst bis April beenden, um eine Kollision mit dem beginnenden Bundestagswahlkampf auszuschließen.

Kritik daran kommt von Linken-Mitglied De Masi: „Die Zeugenbefragung ist erst dann zu Ende, wenn der Untersuchungsauftrag erfüllt ist“, sagt er. „Es gibt sehr viel aufzuklären über das System Wirecard, die Rollen von Markus Braun und der deutschen Bundesregierung.“

„Abneigung gegenüber angloamerikanischer Kapitalmarktkultur“

Die Bafin steht nicht nur in der Kritik, weil sie den Betrugsskandal bei Wirecard nicht aufgedeckt hat. Sie ist rechtlich auch gegen Journalisten und Investoren vorgegangen, die frühzeitig auf Unregelmäßigkeiten bei dem Zahlungsdienstleister hingewiesen hatten. Dazu zählt unter anderem Fraser Perring, der Wirecard bereits 2016 im zunächst anonym veröffentlichten Zatarra-Report unsaubere Machenschaften vorwarf.

Dass es in der Bafin große Vorbehalte gegen die sogenannten Shortseller gab, die im Rahmen des Zatarra-Reports auf fallende Aktienkurse gewettet hatten, wird aus einer E-Mail der Behörde an das Finanzministerium im Mai 2016 deutlich.

„Auffällig ist, dass die verdächtigen Personen (darunter neben natürlichen Personen auch anglo-amerikanische Hedgefonds) dem Anschein nach einen recht einheitlichen kulturellen Hintergrund haben – überwiegend israelische und britische Staatsangehörige“, heißt es in der Mail, die dem Handelsblatt vorliegt und über die zuerst die „Financial Times“ berichtet hatte. „Daher ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine netzwerkartige Struktur (Insiderring) handelt.“

Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten Bayaz zeigt die E-Mail, dass es in der Bafin eine „Abneigung gegenüber angloamerikanischer Kapitalmarktkultur“ gibt. „Dass eine offizielle Stellungnahme der Bafin Marktmanipulation tatsächlich mit dem kulturellen Hintergrund israelischer und britischer Hedgefondsmitarbeiter erklärt, ist erschütternd.“

Die Bafin räumte auf Anfrage ein, dass die gewählte Formulierung „unglücklich und leicht fehlinterpretierbar“ war. „Kultureller Hintergrund oder Staatsangehörigkeit haben bei Untersuchungen oder Anzeigen der Bafin keinerlei Relevanz“, erklärte die Behörde. „Was tatsächlich damit gemeint war, waren Gemeinsamkeiten, die ein Zusammenwirken der Verdächtigen nahelegten.“

Hinweise dazu habe es unter anderem durch Verdachtsanzeigen von Finanzinstituten gegenüber einer anderen europäischen Aufsichtsbehörde gegeben, teilte die Bafin mit. „Die darin von den Instituten identifizierten auffälligen Handelsteilnehmer zeichneten sich beispielsweise durch geografische Nähe aus, verwendeten ähnliche E-Mail-Adressen, nutzten dieselbe IT-Infrastruktur, waren in ähnlichem Alter und hatten zuvor nicht in Wirecard gehandelt.“