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Neuer BDI-Präsident Siegfried Russwurm: Weltoffen und heimatverbunden

Der neue Präsident des BDI blickt auf eine beachtliche Industriekarriere zurück. Seinen Realitätssinn schärft er in seiner oberfränkischen Heimat.

Siegfried Russwurm hat die Welt gesehen, fühlt sich aber seiner Heimat nach wie vor verbunden: Der neue Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) lebt in einem 600-Seelen-Dorf in Oberfranken. Hier stellt er fest, dass die Lebenswirklichkeit der Menschen oft rein gar nichts mit den Vorstellungen der Politik zu tun hat.

Dass die Bahnhöfe die Mobilitätsdrehscheiben der Zukunft seien und die Jugend von heute kein Auto mehr haben wolle, sehe man auf dem Dorf anders, sagt Russwurm. Am Montag wählte die BDI-Mitgliederversammlung Russwurm zum Nachfolger von Dieter Kempf, der das Amt des Präsidenten mit dem Jahreswechsel nach vier Jahren abgibt.

Russwurm, Jahrgang 1963, blickt auf eine lange Industriekarriere zurück. Den größten Teil seines Berufslebens verbrachte er bei Siemens, von 2008 bis 2017 Jahre im Vorstand. In dieser Zeit war Russwurm verantwortlich für alle Industriethemen, als Chief Technology Officer für Technik sowie für Healthcare und für Personal. Zu seinen Regionalzuständigkeiten im Siemens-Konzern gehörten unter anderem Europa, Afrika und der Mittlere Osten.

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Als BDI-Präsident wird Russwurm gerade im bevorstehenden Wahljahr reichlich Gelegenheit haben, sich für die Belange der Wirtschaft starkzumachen. Es sei richtig, wenn der Spitzenverband deutlich akzentuiere und auf „klare Kante“ setze, sagte der künftige Verbandschef kurz vor seiner Wahl im Gespräch mit Journalisten.

Der Spitzenverband, dessen Führung Russwurm mit dem Jahreswechsel übernehmen wird, steht vor großen Herausforderungen. Einige der großen BDI-Mitgliedsverbände stecken mitten im Umbruch. Das gilt für die Autobauer wie für die Energiewirtschaft, in besonderem Maße für die Stahlbranche.

„Selbstverzwergung der EU überwinden“

In allen drei Fällen ist die von der Politik geforderte Klimaneutralität der Auslöser enormer Transformationsprozesse. Hinzu kommen die Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, sowie der knallharte Wettbewerb mit den Chinesen, die in allen zukunftsträchtigen Industriebranchen die Weltmarktführerschaft anstreben.

Die Herausforderungen kann Deutschland nach Überzeugung Russwurms nur gemeinsam mit den anderen Europäern meistern. „Wir müssen die Selbstverzwergung der EU überwinden“, fordert er. Die Europäer sollten ihren Idealismus mit Realismus und Pragmatismus verbinden.

Russwurm schreckt nicht davor zurück, Widersprüche zu benennen, auch wenn das nicht allen Mitgliedsverbänden passen sollte. So sagt er etwa, das Dieselprivileg, also die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff, passe nur schlecht zu den Diskussionen über das Ende des Verbrennungsmotors. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind nach Überzeugung Russwurms massive Hilfen des Staates erforderlich: „Subventionen sind dazu da, etwas anzuschieben, was gesellschaftlich gewünscht ist, sich aber wirtschaftlich noch nicht rechnet.“

Mit Blick auf China steht Russwurm für eine Fortsetzung des zuletzt kritisch-distanzierten BDI-Kurses. Eine Abkopplung von China hält er zwar für „brandgefährlich“. Gleichwohl müsse man sagen dürfen, was nicht in Ordnung sei. Die Debatte über die Renationalisierung von Lieferbeziehungen geht nach Russwurms Überzeugung in eine völlig falsche Richtung. Der neue BDI-Präsident ist allerdings überzeugt davon, dass eine Aufteilung von Lieferketten auf unterschiedliche Zulieferer zunehmen werde.

Für ihre Coronapolitik bekommt die Bundesregierung von Russwurm gute Noten. „Im Großen und Ganzen gelingt es Deutschland, vernünftig mit dieser Krise umzugehen“, sagt er. Viele andere Länder beneideten Deutschland in dieser Hinsicht.

Erklärer der Industrie 4.0

Bei Siemens genießt Russwurm auch fast vier Jahre nach seinem Weggang einen guten Ruf. Kaum einer in Deutschland könne die Industrie 4.0 so gut erklären wie Russwurm, sagt ein Siemens-Manager. In seiner Zeit als Siemens-Personalvorstand, was nicht gerade der Lieblings-Posten des Ingenieurs war, kam er auch mit den bei Siemens mächtigen Arbeitnehmervertretungen gut zurecht. IG-Metall-Vertreter bescheinigten Russwurm „Handschlag-Qualitäten“.

Als der glücklose Siemens-Chef Peter Löscher 2013 gehen musste, galt der bodenständige, hochintelligente Russwurm als einer der Nachfolgekandidaten. Es setzte sich aber der machtbewusste Finanzvorstand Joe Kaeser durch. Das Verhältnis der beiden galt in der Folge nicht als völlig unbelastet. Kaeser verordnete ihm als Vorstandschef den Wechsel vom geliebten Industrieressort auf den Posten des Technologievorstands.

Manche im Haus werteten dies als Degradierung, zumal Kaeser bei der Verkündung sagte, der Jobtausch folge keiner besonderen Logik. Im Frühjahr 2017 ging man schließlich getrennte Wege. Der Vertrag Russwurms wurde nicht verlängert – im beiderseitigen Einvernehmen, wie das so heißt. Verbrannte Erde gab es nicht, Kaeser sprach durchaus positiv über den Manager.

In der Folgezeit tat sich Russwurm anfangs schwer, einen adäquaten Nachfolgejob zu finden. Als Bahnchef war er zeitweise im Gespräch, das zerschlug sich aber. Schließlich fand er als Aufsichtsratsvorsitzender von Voith und Thyssen-Krupp passende Herausforderungen.

Die Posten bei Voith und Thyssen-Krupp will Russwurm behalten, wenn er am 1. Januar den Posten des BDI-Präsidenten übernimmt. Im Fall Voith stehe er „bei der Familie im Wort, das würde ich gerne weitermachen“, sagt er. Bei Thyssen-Krupp dagegen sei die Lage derzeit sehr schwierig. „Da jetzt von Bord zu gehen, das wäre Fahnenflucht“, sagt Russwurm. Dass sein dreijähriges Beratungsmandat für den umstrittenen Fleischkonzern Tönnies mittlerweile abgelaufen ist, dürfte der künftige BDI-Präsident heute als Segen empfinden.