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Meilenstein oder „Bruch mit Industriegeschichte“?

Der erste Zusammenprall der Kulturen fiel recht harmonisch aus. Am frühen sonnigem Morgen lernten die Linde-Mitarbeiter in Pullach ihren künftigen Chef kennen. Der Praxair-Vorstandsvorsitzende Steve Angel trat zu seinem ersten Town-Hall-Meeting an. Nach der Fusion von Linde und Praxair soll er den neuen Konzern führen.

Ob er schon mit US-Präsident Donald Trump gesprochen habe, wollte ein Beschäftigter wissen. Nein, sagte Angel vor fast 1.000 Mitarbeitern und scherzte, der habe auch noch nichts über den Deal getwittert. Nach den heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate war die Stimmung entspannter. Angel habe einen guten, authentischen Eindruck gemacht, meint ein Linde-Manager. Zweimal, immerhin, gab es Applaus für Angel.

Nur kurz fand dann in einem Münchener Luxus-Hotel der offizielle Fusionsgipfel statt. Angel und Linde-Chef Aldo Belloni stellten die Fusionspläne vor. Ein improvisiertes Logo hing an der Wand, zwei sich überschneidende Kreise in den Farben von Praxair und Linde, grün und blau. Harmonie heißt bei Linde nun die oberste Manager-Pflicht. „Der heutige Tag ist ein Meilenstein in der Geschichte von Linde und Praxair“, sagte Belloni zum Auftakt.

Auf dem Podium saßen erst einmal Angel und Belloni, die Vorstandschefs. Doch in der ersten Reihe der Zuhörer war der Mann hinter dem 60-Milliarden-Euro-Deal platziert: Wolfgang Reitzle. Der machte mit seinem Handy erst einmal ein Foto von den Herren auf dem Podium.

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Auf den Linde-Aufsichtsratschef war die Kritik in den vergangenen Monaten nur so niedergeprasselt. Zur Not gebe er den Buhmann, wenn es dem Deal nütze, hatte Reitzle gesagt. Doch die Angriffe waren ihm durchaus nahegegangen. Nach der Aufsichtsratssitzung am Donnerstag war Reitzle sichtlich gelöst, berichten Beobachter. Es war ihm erspart geblieben, sein Doppelstimmrecht einzusetzen. Ein Vertreter der Arbeitnehmer – der Dresdner Betriebsratschef Frank Sonntag, dessen Werk von Schließung bedroht ist, vermuten Insider – enthielt sich.

So war der Weg frei. Durch den Zusammenschluss soll ein neuer Weltmarktführer bei Industriegasen mit 27 Milliarden Euro Umsatz entstehen. Kartellbedingte Verkäufe sind da noch nicht abgezogen.

Angel ist ein drahtiger, grauhaariger Manager. Mit ernstem Blick saß er auf dem Podium. Im direkten Gespräch durchaus freundlich und zurückhaltend, als Vorstandschef aber knallhart in seinen Entscheidungen. Wie er Praxair in den vergangenen Jahren auf Profitabilität getrimmt hat, hat Reitzle stark beeindruckt. Dies soll er nun im neuen Gesamtkonzern wiederholen.


„Ein Bruch mit der deutschen Industriegeschichte“

Auch Angel bemüht sich aber um Harmonie. Er erinnerte an die gemeinsamen Wurzeln. „Vor 100 Jahren waren wir eine Firma.“ Die Fusion sei nun also eine Wiedervereinigung.

Die Arbeitnehmer sind dennoch alarmiert. Auch nach der Abstimmung ist die Kritik nicht viel leiser geworden. „Es ist ein Bruch mit der deutschen Industriegeschichte, solch eine sehr knappe Entscheidung brachial durchzupeitschen, statt einen Konsens zu suchen“, wetterte IG-Metall-Bezirkschef Jürgen Wechsler. Belloni glaubt dagegen, dass der Zusammenschluss Linde stärker macht. „Wir müssen unsere zukünftige Rolle in einem hart umkämpften Markt absichern.“

Natürlich sprach dann auch Reitzle. Der Konsens mit den Arbeitnehmervertretern sei im Grunde schon hergestellt. Man wolle jetzt einen Strich ziehen und im bewährten Linde-Stil den Konsens suchen. „Linde war jahrzehntelang bekannt für stille Performance.“ Die Proteste hätten sich ohnehin vor allem auf München konzentriert. Die IG Metall habe um ihre Mitbestimmung gefürchtet.

Reitzle soll Chairman des neuen Konzerns werden, eine Art mächtiger Aufsichtsratsvorsitzender. Wie lange er den Job machen wolle? Die ersten drei Jahre der Integrationsphase seien entscheidend, sagte der 68-Jährige. „Aus heutiger Sicht ist mein Plan, dass ich in diesen kritischen drei Jahren auf jeden Fall dabei bleibe.“ Danach müsse man sehen, er dränge nicht auf solche Posten.

Reitzle sagte, er habe den Arbeitnehmervertretern sogar einen Platz im neuen Board angeboten. Diese hätten aber eher reserviert reagiert. Voraussichtlich kämen nun die sechs Aufsichtsräte der Kapitalseite ins neue Board. Ob er froh sei, dass ihm die Nutzung seines Doppelstimmrechts erspart blieb? „Es ist eleganter, wenn es ohne geht“, sagte Reitzle. Doch im Grunde sei das Instrument ja genau dafür eingeführt worden, um „zu verhindern, dass die Eigentumsrechte der Eigentümer ausgehebelt werden“.

KONTEXT

Probleme bei der Mega-Fusion von Linde und Praxair

Warum will der Linde-Vorstand überhaupt die Fusion?

Linde-Vorstandschef Aldo Belloni erwartet Synergien von einer Milliarde Euro jährlich. Zusammen kämen Linde und Praxair auf 28 Milliarden Euro Umsatz, wären Weltmarktführer - und im Gasegeschäft bedeutet Größe auch höhere Gewinnmargen. Die Börse reagiert positiv, die Linde-Aktie hat 17 Prozent zugelegt, die meisten Analysten unterstützen den Plan. Belloni führte außerdem die "hervorragende operative Expertise" von Praxair-Chef Steve Angel und seines Teams an: Die US-Manager erwirtschaften höhere Profite als die Linde-Manager und sollen den neuen Konzern führen.

Wie soll der neue Konzern aussehen?

Die wichtigsten Vorstände sitzen in den USA. Die Holding wird in Dublin angesiedelt. Das spart Steuern, und die Mitbestimmung fällt weg. Reitzle soll Aufsichtsratschef werden. Die Aktie soll an den Börsen in New York und Frankfurt notiert werden.

Braucht Linde die Fusion?

"Nicht dringend", sagt Belloni. Linde habe allein ein stabiles, wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell und erfolgversprechende Innovationen. Der Dax-Konzern ist führend in Europa und Asien, stark im US-Medizingasegeschäft und mit seinem Anlagenbau auch breiter aufgestellt. Praxair ist führend in Nord- und Südamerika, kämpft aber mit sinkenden Umsätzen. Linde machen Umsatzeinbrüche im Anlagenbau zu schaffen, geplant ist ein Stellenabbau. Bei einer Fusion aber verspricht Linde Kündigungsschutz und Standortgarantien bis 2021.

Warum sind die Betriebsräte und Gewerkschaften trotzdem dagegen?

Sie befürchten einen massiven Stellenabbau, weil die Synergien zulasten der Linde-Beschäftigten gingen. Die Mitbestimmung fällt weg, eine neue Führungskultur halte Einzug. Der Pullacher Betriebsratschef Michael Kipp sagte, es gehe nicht "um einen Zusammenschluss unter Gleichen, sondern um eine Übernahme von Linde durch den deutlich kleineren Wettbewerber Praxair". Der Europäische Betriebsrat von Linde befürchtet "einen Kahlschlag, der den Markenkern von Linde zerstören wird".

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Linde?

Weltweit sind es knapp 60.000, in Deutschland 8.000. Größter Standort ist Pullach mit 3.300 Mitarbeitern, 2.200 weitere Beschäftigte arbeiten in München und dem Vorort Unterschleißheim sowie in Augsburg, Trostberg und anderen bayerischen Standorten. In Leuna, Dresden und in Worms am Rhein arbeiten jeweils mehrere Hundert Beschäftigte.

Wo liegen die Risiken?

Wegen Kartellauflagen müssten Linde und Praxair Firmenteile verkaufen, vor allem in den USA. Das könnte Konkurrenten stärken, sagen Analysten. Kritiker verweisen auch auf das Beispiel DaimlerChrysler und andere gescheiterte Fusionen. Hier betont Belloni aber Lindes Erfahrung mit der Übernahme des großen britischen Konkurrenten BOC, wo der Unterschied in der Firmenkultur viel größer gewesen sei als bei Praxair. Vom Fusionsvertrag bis zum rechtskräftigen Abschluss gäbe es 15 Monate Schwebezustand. Offen ist, welche Folgen Reitzles Aktienkäufe haben.

Worum geht es da?

Der Aufsichtsratschef hatte zwei Monate vor Bekanntgabe der Fusionsgespräche für eine halbe Million Euro Linde-Aktien gekauft und dies auch veröffentlicht. Die Finanzmarktaufsicht Bafin sah dennoch Anhaltspunkte für ein mögliches Insidergeschäft, die Münchner Staatsanwaltschaft prüft jetzt, "ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht". Ob ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird und wie die strenge US-Börsenaufsicht SEC dann reagieren würde, ist offen.

Wie geht es weiter?

Die meisten Linde-Aktionäre sitzen in den USA und Großbritannien, nur acht Prozent in Deutschland. Jeder dritte Linde-Anteilseigner ist auch Praxair-Aktionär. Bei den Amerikanern entscheidet die Hauptversammlung, bei Linde der Aufsichtsrat. Reitzle will die Fusion gegen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter bis Anfang Mai durchsetzen. Notfalls werde er von seinem doppelten Stimmrecht als Aufsichtsratschef Gebrauch machen. Die Linde- und die Praxair-Aktionäre sollen je die Hälfte an der neuen Holding halten.

KONTEXT

Die weltweit größten Industriegasekonzerne

Air Liquide

Die Franzosen wurden mit dem Kauf des US-Konkurrenten Airgas zuletzt wieder zum größten Industriegaseunternehmen der Welt.

Umsatz: 21,2 Milliarden Euro

Gewinn: 1,8 Milliarden Euro (ohne Airgas)

Marktpräsenz: 80 Länder

Mitarbeiter: 68.000

Hauptsitz: Paris

Linde

Umsatz: 18 Milliarden Euro

Gewinn: 1,15 Milliarden Euro

Marktpräsenz: 100 Länder

Mitarbeiter: 64.500

Hauptsitz: München

Praxair

Umsatz: 10,8 Milliarden Dollar (9,6 Milliarden Euro)

Gewinn: 1,68 Milliarden Dollar (1,5 Milliarden Euro)

Marktpräsenz: 50 Länder

Mitarbeiter: 26.000

Hauptsitz: Danbury, Connecticut

Air Products

Umsatz: 9,9 Milliarden Dollar (8,8 Milliarden Euro)

Gewinn: 1,43 Milliarden Dollar (1,3 Milliarden Euro)

Marktpräsenz: 50 Länder

Mitarbeiter. 19.000

Hauptsitz: Allentown, Pennsylvania