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Karlsruher Haushaltsloch könnte Ampelkoalition lahmlegen

(Bloomberg) -- Schon lange vor dem überraschend eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klima-Buchungstricks steckte die Ampelkoalition in der Krise. Der von Karlsruhe diktierte Wegfall von 60 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln, mit denen nicht zuletzt auch innere Widersprüche der “Zukunftskoalition” zugekleistert worden waren, macht das Leben der Bundesregierung nicht einfacher.

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Die Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz ist sich in zentralen Politikbereichen nachhaltig uneinig und bei den Wählern unbeliebt wie nie. Der Urteilsspruch des Zweiten Senats könnte das brüchige Bündnis von SPD, Grünen und FDP vollends lahmlegen — oder sie zu schmerzhaften Zugeständnissen an die Unions-Opposition zwingen, die die Klage gegen die kreative Buchhaltung der Ampel ins Rollen gebracht hatte.

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Die Entscheidung der Karlsruher Richter riss ein Loch in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem zentrale Elemente der Klimapolitik der Ampel bestritten werden sollten. Auch andere Sondervermögen im Umfang von 770 Milliarden Euro könnten durch das Urteil in Frage stehen.

Hinzu kommt, dass die Entscheidung auch andere Sondervermögen betreffen könnte, wie den 200 Milliarden Euro schweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der Unternehmen durch die Energiekrise helfen soll. Oppositionsführer Friedrich Merz, aufmunitioniert durch die Verfassungsrichter, hat den WSF schon im Visier.

Scholz trat kurz nach dem Urteil vor die Presse und versprach, einen Weg zu finden, um die Lücke zu schließen. Doch es ist nicht offensichtlich, wie das gelingen soll, zumal die zerrütteten Beziehungen zwischen den Ampel-Parteien jedem Kompromiss im Wege stehen.

Zwar gilt ein Auseinanderbrechen der Koalition noch immer als eher unwahrscheinliches Szenario, doch “das Urteil wird die Desintegration der Ampelkoalition beschleunigen”, sagt Andrea Römmele, Vizepräsidentin der Berliner Hertie School und Professorin für Kommunikation in der Politik.

Zusammengekittet bleiben die Koalitionäre einzig durch die Angst vor der nächsten Wahl, so Römmele: “Alle drei Partein haben kein wirkliches Interesse daran, jetzt in Neuwahlen zu ziehen angesichts der schlechten Umfragen fuer die Koalitionsparteien.” Sie rechnet aber damit, dass “die Fliehkräfte weiter zunehmen und die Ampelkoalition weiter auseinander treiben”.

Die Spannungen zwischen der FDP und den Grünen sind besonders groß. Während die Grünen viel Geld für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben wollen, pocht die FDP auf die Einhaltung der Schuldenbremse und lehnt zugleich höhere Steuern ab.

Finanzminister Christian Lindner zeigte sich bisher nicht kompromissbereit und erklärte, das Urteil sei ein “Wendepunkt” in der Haushaltspolitik. Die Regierung müsse bei den Ausgaben stärkere Prioritäten setzen.

In einem Video auf YouTube nannte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck das Urteil hingegen einen “Rückschritt” und wies darauf hin, dass mit den 60 Milliarden Euro, um die es geht, gerade jene Betriebe unterstützt werden sollten, die mit der grünen Wende in Deutschland zu kämpfen haben. Die Entscheidung gefährde daher Arbeitsplätze in der Industrie.

“Mit voller Kraft werden wir in den nächsten Tagen und Wochen daran arbeiten, neue Antworten zu finden”, versprach Habeck. Seine Parteikollegin und Außenministerin Annalena Baerbock beklagte, dass das Urteil “die Welt noch ein bisschen komplizierter gemacht” habe, da “die Bekämpfung der Klimakrise finanzielle Mittel braucht”.

Auch Scholz kann die ehrgeizige deutsche Klima-Agenda nicht einfach aufgeben. Der Kanzler fährt Anfang Dezember zum Klimagipfel COP28 nach Dubai, und die Grünen warnen bereits, dass er nicht mit leeren Händen dorthin fahren kann. Schon im Wahlkampf hatte Scholz die wegen des Klimawandels notwendige Neuausrichtung der deutschen Industrie als “neue industrielle Revolution” skizziert — und damit quasi als sozialdemokratische Kernkompetenz.

Um die 60-Milliarden-Euro-Lücke zu schließen, so Römmele, gibt es nur zwei Möglichkeiten: “Entweder Geld im Haushalt umschichten und damit an vielen anderen Stellen Ausgaben streichen — oder Steuern erhöhen, um neue Einnahmen zu schaffen. Aber die letztere Option werden die Liberalen nicht mittragen.”

Nach dem Urteil kursieren in Berlin Gerüchte, wonach Scholz und die SPD versuchen könnten, die CDU/CSU in die Koalition hineinzuholen. Öffentlich hat Scholz die Union wiederholt zu einem “Deutschland-Pakt” aufgefordert, einer nationalen Kraftanstrengung zur Beschleunigung der Modernisierung des Landes.

Das Szenario einer “supergroßen Koalition” (Römmele) wäre für Merz indessen ein riskantes Manöver. Es sei nicht von vorneherein klar, ob er damit politisches Profil gewinnt oder politisches Kapital verspielt.

Selbst Unions-Grande Wolfgang Schäuble, der ehemaliger Finanzminister und legendäre Budget-Falke, warnte seine Parteifreunde vor übermäßiger Euphorie über den Erfolg in Karlsruhe. Auf einer Sondersitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren dienstältestes Mitglied er ist, bezeichnete Schäuble das Urteil als eine Ohrfeige für die Koalition und ihre “schlampige Arbeit”, wie Teilnehmer der Sitzung berichten.

Das Urteil bedeute, dass die nächste Bundesregierung “aller Wahrscheinlichkeit nach” von der Union geführt werde. Er erinnerte seine Kollegen jedoch daran, dass die Entscheidung des Gerichts auch den finanzpolitischen Spielraum einer Unions-Regierung massiv einschränken wird.

Überschrift des Artikels im Original:Budget Blow Risks Incapacitating Germany’s Ruling Coalition

--Mit Hilfe von Karin Matussek, Arne Delfs und Kamil Kowalcze.

©2023 Bloomberg L.P.