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Kampf um die Fabriken: Die Arbeiter entscheiden die US-Wahl

Donald Trump hat erfolgreich Jobs in die Fertigungsbranche zurückgeholt – bis Corona kam. Die Entwicklung der Industrie dürfte den Wahlausgang bestimmen.

In dem Backsteingebäude in der Nähe des ehemaligen Hafens im Südwesten Brooklyns surren die Nähmaschinen im Takt. Schneider nähen Säume, pressen Hosenbeine, legen bunte Stoffe in Falten. „Bei uns läuft das Geschäft“, sagt Justine Christensen, während er an den Regalen vorbeischreitet, in denen sich Stoffballen in Rosa, Blau und Camouflage stapeln.

Der junge Mann, der früher bei der amerikanischen Stilikone Ralph Lauren gearbeitet hat, ist seit zwei Jahren Eigentümer und CEO des New Yorker Traditionsunternehmens Hertling. Und seit einigen Monaten produziert er nicht mehr nur edle Herrenhosen, sondern auch Zigtausende Atemmasken.

Hertling war schon immer eine Ausnahme in der Modebranche, weil das Unternehmen seine Qualitätshosen nicht in Asien fertigen lässt, sondern in den USA produziert. Mit dem Beginn der Pandemie musste zwar auch Christensen viele Mitarbeiter zunächst nach Hause schicken. „Aber dank der Masken habe ich fast alle wieder zurückholen können.“

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Und mittlerweile ziehe auch das Geschäft mit den Hosen wieder an. „Wir kommen kaum nach mit der Produktion“, berichtet der Chef. Er ist sich sicher: „Wenn Corona vorbei ist, kommt auch die Produktion wieder zurück.“ Deshalb hält er gerade nach einer größeren Fabrik Ausschau, damit er das Unternehmen ausbauen und mehr Mitarbeiter einstellen kann.

Job-Boom unter Trump – auch für die Abgehängten

Geschichten wie diese hört man im Weißen Haus gerne. Jobs, Jobs, Jobs – mit diesem Slogan ist Donald Trump 2016 angetreten. Er hat versprochen, nicht nur High-Tech-Jobs für studierte Spezialisten zu schaffen, sondern auch Fabrikstellen für die sozial und wirtschaftlich Abgehängten.

Und tatsächlich hatte es vor der Corona-Pandemie so ausgesehen, als habe Trump sein Job-Versprechen gehalten: Dank der Steuersenkungen, Deregulierung und der brummenden Konjunktur boomte auch das verarbeitende Gewerbe in den USA. Die Zahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe in den USA war Ende 2019 auf den höchsten Stand seit 2010 gestiegen.

In den ersten drei Amtsjahren Trumps kam eine halbe Million Jobs in der Fertigungsbranche dazu, stellte das amerikanische Economic Policy Institute fest. Laut der Washingtoner Denkfabrik Brookings profitierten vor allem ländliche Regionen und Kleinstädte – also genau jene Gegenden, in denen Trump mit seinem „America first”-Versprechen 2016 Überraschungssiege einfuhr.

Mit dieser Erfolgsgeschichte wollte Trump eigentlich im Wahlkampf um seine Wiederwahl punkten. Doch dann kam Corona, und viele Unternehmen mussten zumindest vorübergehend schließen.

Im zweiten Quartal 2020 brach die US-Wirtschaft so stark ein wie noch nie zuvor. Das verarbeitende Gewerbe ist davon besonders betroffen, denn Fabrikarbeiter gehörten zu den Ersten, die nach Hause gehen mussten, als die Produktion gedrosselt wurde. 720.000 Jobs gingen seit Februar in der Produktion und Fertigung verloren, und die Branche erholt sich nur langsam: Im August kamen knapp 30.000 Arbeitsplätze dazu – längst nicht genug.

Viele Unternehmer halten zu Trump

Dennoch sind viele US-Unternehmer optimistisch gestimmt – und halten zu Trump. „Es waren tolle Jahre unter Trump“, schwärmt Nicole Wolter, CEO beim Familienunternehmen HM Manufacturing in Schaumburg im Bundesstaat Illinois, das sich auf Getriebe und andere Komponenten für die Automobil- und die Lebensmittelbranche spezialisiert hat.

„Dank der Steuersenkungen und der neuen Abschreibungsmöglichkeiten konnte ich in neue Maschinen investieren, meinen Mitarbeitern die komplette Krankenversicherung bezahlen und zum ersten Mal eine betriebliche Altersvorsorge einrichten“, erzählt die Vorstandsvorsitzende, die das Unternehmen in der zweiten Generation führt. Sie hat die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen drei Jahren um 50 Prozent gesteigert.

Wolter sitzt auch im Vorstand des mächtigen Industrieverbands NAM (National Association of Manufacturing). Im vergangenen Jahr saß sie gemeinsam mit GM-Chefin Mary Barra mit am Tisch im Weißen Haus, um beim Vize-US-Präsidenten Mike Pence ihre Wünsche für das neue Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada (USMCA) vorzutragen. „Pence hat uns zugehört. Aus 30 Minuten wurden 75, und es war ein konstruktiver Dialog“, erzählt sie begeistert.

Mehr Aufträge für lokale Autozulieferer

Sie ist mit dem Abkommen höchst zufrieden. „Das USMCA hat endlich gleiche Regeln für alle geschaffen. Und wir bekommen mehr Aufträge, weil zum Beispiel die Autohersteller mehr lokale Zulieferer nutzen müssen.“

Auch dem Handelskrieg mit China kann Wolter einiges abgewinnen. Am Anfang seien zwar auch für sie die Aluminiumpreise um 30 Prozent und die Stahlpreise um 15 Prozent stark gestiegen. Aber mittlerweile liegen sie niedriger als zuvor. „Kurzfristiger Schmerz für langfristigen Nutzen“, fasst Wolter die Lage zusammen. HM Manufacturing wächst auch in Corona-Zeiten, weil es verstärkt die Lebensmittelbranche, die Medizinbranche und seit Neuestem auch die Nasa bedient.

Auch in ihrer Funktion als Verbandsvorstand ist sich Wolter sicher, dass mit dem Ende der Pandemie auch die Jobs zurückkehren. Wenn die Regierung den bisherigen Kurs beibehält. Am demokratischen Präsidentschaftskandidaten Biden hat Wolter indes ihre Zweifel, weil er Obamas Vize war: „Obama hat damals gesagt, die Fabrikjobs kommen eh nicht wieder. Das hat sich als falsch herausgestellt. Egal, wer Präsident wird: Er sollte anerkennen, dass die Fertigung geboomt hat und dass mehr Regulierung und mehr Steuern nur Jobs ins Ausland verlagern.“

Auch Carroll Neubauer, der bis vor Kurzem das Medizintechnik-Unternehmen B. Braun in den USA geleitet hat, lobt im Gespräch mit dem Handelsblatt vor allem die Steuererleichterungen, aber auch die spürbare Deregulierung, „die das Umfeld für die Unternehmen erheblich leichter gemacht haben“. Dadurch seien Jobs entstanden.

Er höre von Unternehmen, dass sie wieder stärker in den USA investieren wollen, berichtet der gut vernetzte Manager. „Die Auswirkungen mögen derzeitig noch nicht richtig absehbar sein, da wir über viele Jahrzehnte aufgefordert wurden, internationale Lieferketten-Strukturen aufzubauen und auch in anderen Ländern zu investieren“, sagt Neubauer.

Solche Strukturen seien nicht so leicht innerhalb von ein, zwei oder drei Jahren zu verändern. Die Veränderungen würden erst in einigen Jahren wirklich spürbar werden. Aber er ist überzeugt, dass man dies mit der richtigen Politik erreichen kann.

Im TV-Duell müssen sich Biden und Trump positionieren

Was die richtige Politik ist, um neue Jobs zu schaffen, wird voraussichtlich auch Thema beim ersten TV-Duell der beiden Kandidaten Biden und Trump am Dienstag in Ohio sein. Biden muss versuchen, den Draht zur wichtigen Wählergruppe der weißen Arbeiter zu halten.

Hillary Clinton war es damals nicht gelungen, die Existenzbedrohungen vieler Amerikaner zu adressieren. Diesen Fehler will Biden nicht wiederholen – und sicherte sich frühzeitig die Unterstützung von Stahlarbeitern und anderen Gewerkschaften.

Deshalb tritt der demokratische Herausforderer auch mit einem protektionistischen Programm an. Eines seiner Kernversprechen ist es, die heimische Produktion durch Bundesausgaben anzukurbeln. Er würde in seiner ersten Amtszeit 400 Milliarden Dollar für den Kauf amerikanischer Produkte, etwa für Infrastruktur und Gebäudesanierung, investieren. Finanziert werden soll das über eine Vermögensteuer und eine Anhebung der Unternehmensteuer von 21 auf 28 Prozent.

Im Gegensatz dazu schlägt Trump vor, den Steuersatz für Kapitalerträge auf Investitionen auf 15 Prozent zu senken. Er brandmarkt Biden auf jeder Kundgebung als Karrierepolitiker, der sein Leben lang nichts anderes gemacht habe, als Jobs nach China zu verlagern.

„Wir tun alles, um die Fließbänder in voller Fahrt zu halten”, rief Trump vor einem Jahr bei einem Auftritt beim Luft- und Raumfahrtproduzenten Derco in Wisconsin, einer Tochterfirma des Rüstungskonzerns Lockheed Martin. Die Welt blicke „neidisch auf unsere Wirtschaft, wir werden nicht mehr ausgelacht und verspottet”. Heute schaut die Welt eher mitleidig auf die Corona-Toten in den USA und wartet gespannt, wer das Rennen am 3. November macht.

Mehr: Supreme Court wird zum Instrument für den Stimmenfang degradiert, meint Korrespondentin Annett Meiritz.