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"Es gab niemanden, der nicht mehr wiederkommen wollte"

Das RTL-Fossil "stern TV" wurde 30 Jahre alt. Dafür blicken Urmoderator Günther Jauch und Nachfolger Steffen Hallaschka in einem vierstündigen Marathon auf Höhepunkte und Wandlung eines Formats zurück, das deutsche Mediengeschichte schrieb. Wie haben sich Land und Medien seitdem verändert?

Am 4. April 2020 wäre "stern TV" 30 Jahre alt geworden - was gefeiert werden sollte. Dies ging aber nicht, die Pandemie war schuld. Nun holt Moderator Steffen Hallaschka, seit fast zehn Jahren im Amt, gemeinsam mit Vorgänger Günther Jauch die Party nach. Am Mittwoch, 2. September, 20.15 Uhr, werden die beiden auf RTL in einer rund vierstündige Sendung an über 10.000 Studiogäste, darunter Michail Gorbatschow, Sylvester Stallone, Siegfried und Roy, Angela Merkel oder Michael Schumacher, erinnern. Zu Beginn der 90-er war stern TV ein komplett neues Format, dessen Positionierung zwischen Information und Boulevard, zwischen Politik und Menschlichem von vielen "seriösen" Fernsehmachern kritisch beäugt wurde. Mittlerweile ist die Sprache von stern TV nicht nur eine oft kopierte, sondern man darf sich auch darüber wundern, wie es das RTL-Fossil schafft, in Zeiten von Social Media und Internet Gossip-Fluten immer noch hohe Einschaltquoten zu erzielen. Im Interview spricht Stellen Hallschka, 48, zweifacher Familienvater aus Hamburg, über das Erfolgsgeheimnis, schwierige Gäste und Menschen, die man vor sich selbst schützen muss.

teleschau: Wie darf man sich Ihre Jubiläums-Sendung vorstellen? Sitzen Sie vier Stunden mit Günter Jauch zusammen und philosophieren über die besten Momenten von stern TV?

Steffen Hallaschka: Günther Jauch ist eine Art Ehrengast, er wird die komplette Sendezeit mit im Studio sein. Immerhin hat er die Sendung ja auch 20 Jahre lang moderiert. Man kann sich das Ganze vielleicht wie einen Jahresrückblick vorstellen - nur dass wir eben auf 30 Jahre zurückblicken und vielen Menschen aus dieser Zeit noch einmal im Studio begegnen werden. Manche von ihnen begleiten wir mit der Sendung schon fast deren gesamtes Leben lang.

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teleschau: Wen meinen Sie?

Hallaschka: Schirin Bogner ist bei uns, die vor 35 Jahren Schlagzeilen machte, weil sie als HIV-positives Baby zur Welt kam. Zum ersten Mal war sie Anfang der 90-er als siebenjähriges Mädchen bei Günther Jauch zu Gast. Sie ist der Mensch in Europa, der am längsten mit einer solchen Infektion lebt - und es geht ihr heute gut. Das ist ein Beispiel für einen großen medizinischen Erfolg. Die Beutelspacher-Fünflinge sind bei uns, auch die haben wir ab ihrer Geburt regelmäßig begleitet. Heute sind die fünf Anfang 20. Auch zu den Acker-Vierlingen, die im Herbst 2018 zur Welt kamen, kehren wir zurück. Beide Großfamilien werden sich bei uns das erste Mal begegnen und über Wohl und Wehe solcher Familienkonstellationen sprechen.

Live-Sendung mit Corona-getestetem Publikum

teleschau: Werden Sie Ihre Themen im Form eingespielter Filme präsentieren, oder produzieren Sie in Corona-Zeiten eine richtige Sendung mit Gästen.

Hallaschka: Wir werden "live" und mit Studiogästen senden. Gaby Köster, die ihr Fernseh-Comeback 2011 nach dem Schlaganfall auch bei stern TV gab, wird da sein oder auch Patricia Kelly, die ihre Brustkrebs-Erkrankung in unserer Sendung öffentlich machte. Wir werden sogar Publikum haben. All das ist nur möglich, weil wir mit großem Aufwand jeden, der das Studio betreten wird, aktuell auf Corona testen werden. Es ist ein Geschenk an die Zuschauer und an uns selbst, dass wir mal wieder einen Mittwoch in diesem Jahr unter nahezu normalen Bedingungen möglichst unbeschwert zusammensitzen können.

teleschau: Mit wie vielen Zuschauern planen Sie?

Hallaschka: Wir haben im Studio 120 Plätze. Ich gehe davon aus, dass wir diese - mit unserem Konzept - auch alle füllen dürfen. Auch Hendrik Streeck ist da, Virologe von der Uni Bonn. Er war sehr regelmäßig bei uns zu Gast und hat ja bekanntlich in Heinsberg intensiv geforscht. Die Aktion ist auch ein Dankeschön für das, was man gemeinsam in Sachen Corona-Aufklärung erreicht hat.

teleschau: Als "stern TV" anfing, wurde die Idee der Sendung, sich zwischen Information und Boulevard zu positionieren, noch kritisch beäugt. Wo stehen Sie heute mit diesem Konzept?

Hallaschka: "stern TV" ist zur Blaupause für viele ähnliche Sendekonzepte geworden, die heute auf fast allen Kanälen laufen. Ganz oft höre ich von Kollegen, die sagen: "Können wir das nicht so ähnlich machen wie bei 'stern TV?" Wir erzählen besonders, das ist geblieben. Das hat uns ein Überleben in Zeiten von Digitalkanälen und Internet gesichert.

"Man darf nicht jede Geschichte erzählen, nur weil sie Krawall und Effekt verspricht"

teleschau: Machen sie die besondere "stern TV"-Herangehensweise doch mal konkret. Was ist Ihr Geheimnis?

Hallaschka: Die große Qualität, die geblieben ist und die uns auch ins neue Jahrtausend gerettet hat, ist, dass wir Geschichten von Menschen erzählen. Wir besitzen die große Freiheit, dass wir uns wichtigen Themen nicht nachrichtlich, sondern über Personen nähern dürfen. Das Geheimnis sind die Menschen hinter den Schlagzeilen. Wir hatten zum ersten Mal im deutschen Fernsehen Schalten zu Leuten, die Corona-positiv in häuslicher Quarantäne lebten. Wir hatten nach dem Germanwings-Absturz 2015 die ersten Angehörigen von Opfern in der Sendung - einen Tag nach dem Unglück. Damals war die Sendung eigentlich fertig geplant, aber wir haben nach dem Absturz alles umgeplant. Unser Ziel ist es, Schlagzeilen emotional spürbar werden lassen. Das ist von Woche zu Woche eine tolle Herausforderung. Man baut so aber auch Vorurteile, Ängste und Tabus ab, und viele unserer Gäste spenden Lebensmut. Wir haben schon im März gezeigt, dass nicht jeder Corona-Infizierte mit dem Tode ringt. Wir haben aber auch Menschen kennengelernt, die über ihre Transsexualität, Geschwisterliebe, Organspenden oder Amputationen sprachen.

teleschau: Wo verläuft die Grenzen zum Schmierigen? Wie schaffen Sie eine Abgrenzung zum Trash-TV?

Hallaschka: Die Gefahr, ins Schmierige zu kippen, ist natürlich da. Weil wir als Journalisten, die sich mit Boulevard und menschlichen Themen beschäftigen, natürlich auch verführbar sind. Letztendlich geht es darum, feine Antennen dafür zu haben, was Menschenwürde bedeutet und zu wissen, wie wichtig sie uns ist. Alle Personen, die bei uns zu Gast waren, haben das Studio mit einem guten Gefühl verlassen. Es gab niemanden, der nicht mehr wiederkommen wollte. Nicht jede extreme Geschichte, nicht jedes reißerische Bild, das man bekommen kann, lohnt das Senden. Der billige Effekt ist nicht unser Mittel der Wahl.

teleschau: Muss man beim Boulevard-Fernsehen auch Menschen vor sich selber schützen?

Hallaschka: Ja, auch das. Wir haben mal Arbeitslosen auf dem Weg zum Jobcenter Arbeit vermitteln wollen. Das waren Jobs bei McDonalds, zu einem sehr geringen Lohn. Wir vermittelten die Bewerbungsgespräche. Da gab es Menschen, die vor laufender Kamera sagten, dass sie das nicht machen würden und lieber das Geld vom Staat nähmen. Es hätte natürlich polarisiert und geknallt, wenn wir das gesendet hätten. Haben wir aber nicht, denn wir dachten daran, dass jene Menschen, die solche Aussagen vielleicht unbedacht getätigt haben, auch weiterleben und eine Arbeit suchen müssen. Man darf nicht jede Geschichte erzählen, nur weil sie Krawall und Effekt verspricht.

"Für stern tv darf es kein vorher definiertes No-Go geben"

teleschau: Welche Begegnungen, welche Interviews fanden Sie am schwierigsten?

Hallaschka: Wir hatten immer wieder Menschen zu Gast, die kurz zuvor jemanden verloren hatten. Besonders herausfordernd ist es, mit Eltern zu sprechen, deren Kinder gestorben sind. Ich erinnere mich an eine Frau aus Berlin, die fünf Tage vor der Sendung ihren Sohn verloren hatte, weil er in einer U-Bahnstation bedroht wurde und danach vor ein Auto gelaufen ist. Der Frau war es ein Anliegen, über Jugendgewalt zu sprechen. Sie wollte eine Stiftung gründen und war in der Sendung ungewöhnlich gefasst. Das finden viele Leute befremdlich, aber auch das hat seinen Platz. Für mich als Moderator sind solche Begegnungen tatsächlich schwierig, weil sie emotional heftig sind. Ich bin immer froh, wenn so etwas gut über die Bühne gegangen ist. Man darf nicht vergessen: Alles ist "live", die Zeit ist begrenzt und man ist unter Druck, das Gespräch auf eine gute, menschlich würdevolle Art hinzukriegen.

teleschau: Gibt es Themen, die Sie grundsätzlich ablehnen?

Hallaschka: Für "stern tv" darf es kein vorher definiertes No-Go geben. Es wird in der Redaktion über alles diskutiert. Ich merke aber, dass wir eine Scheu vor dem ganz Lauten, Verruchten und oder Trashigen haben. Wir müssen nichts machen, weil es die ganz große Klappe oder unterste Schublade verspricht. Aber wir hatten zum Beispiel auch Ikke Hüftgold in der Sendung. Einen Mallorca-Entertainer, der nun nicht gerade fürs Feuilleton steht. Doch da wollten wir erzählen, wie aus einem Gartenbau-Unternehmer eine Party-Kanone wird, was einen Menschen zu so etwas treibt. Also letztendlich wieder eine Geschichte über Menschen hinter den Schlagzeilen. Wir wollten auch diese Party-Szene besser verstehen lernen.

"Es geht nicht, dass Rechte Schritt für Schritt rote Linien verschieben"

teleschau: Wie sieht es mit der politischer Positionierung von "stern TV", beispielsweise mit Berichten über die neue Rechte. Ein Publikum, das dem Boulevard ja zuweilen sehr zugetan ist?

Hallaschka: Rechte Gewalt hat uns häufig beschäftigt. Zum Beispiel in Chemnitz 2018. Hat es dort tatsächlich staatlich tolerierte Hetzjagden auf vermeintliche Migranten gegeben? Wie ist das abgelaufen? Ich spüre eine große Zurückhaltung, wenn es darum geht, agitatorisches Fernsehen zu machen. Das ist nicht unsere Aufgabe, ich möchte das auch nicht. Trotzdem müssen wir als Journalisten in einem Punkt klare Haltung zeigen. Die Werte, auf die wir uns im Grundgesetz geeinigt haben, gilt es mit aller Macht zu schützen. Es geht nicht, dass Rechte Schritt für Schritt rote Linien verschieben. Wir müssen uns als Demokraten klar positionieren. Begriffe wie Lügenpresse und Systemmedien dürfen nicht toleriert werden. Wir müssen die freie Berichterstattung schützen - sonst leben wir irgendwann in einem anderen, sehr viel schlechteren Land.

teleschau: Was haben Sie von Ihrem Vorgänger Günther Jauch gelernt?

Hallaschka: Gelernt habe ich ganz konkret bei Übernahme der Sendung nichts. Ich besuchte auch keinen Kurs (lacht). Dennoch war Günther Jauch eine einflussreiche Stimme in meinem Leben und auch meiner beruflichen Sozialisation. Ich erinnere mich daran, wie ich als Jugendlicher in Hessen meine Radioantennen gen Bayern ausrichtete, weil er da mit Thomas Gottschalk ungemein unterhaltsam und schlagfertig moderierte. Diese Art, Radio zu machen, hat mich fasziniert und mich dann auch selbst zunächst Radiomann werden lassen: Das Selbstironische, das Augenzwinkern, der unbedingte Wille zu unterhalten - all das fand ich faszinierend. Gleichzeitig war bei ihnen immer zu spüren, dass gesellschaftlich Relevantes stets ernst genommen und nie ausgeblendet wurde. Für mich war das eine hohe Kunst - und ich habe in dieser Hinsicht sehr viel von Günther Jauch gelernt.