Werbung
Deutsche Märkte schließen in 6 Stunden 17 Minuten

François Fillon sollte endlich aufgeben

Der Rücktritt des konservativen Präsidentschaftskandidaten wäre längst fällig. Doch er versucht die eigenen Skandale in einem noch größeren aufzulösen – ohne Rücksicht auf Verluste.

„Ich werde nicht zurückweichen. Ich werde nicht aufgeben. Ich werde nicht aufgeben.“ Diese drei kurzen Sätze von François Fillon haben Frankreich in einen Zustand der Verwunderung versetzt. Wie falsch der Präsidentschaftskandidat der gemäßigt rechten „Republikaner“ seine Lage beurteilt und wie sehr er seine eigene Person überhöht, machte er durch die Behauptung deutlich, dass nicht nur „seine Person, sondern die Demokratie von der Justiz herausgefordert“ werde.

„Wer unentwegt beteuert, den Weg seiner Kandidatur ‚bis zum Ende‘ zu gehen, würde durch einen Rückzug das Gegenteil von Festigkeit und Ausdauer signalisieren“, sagt Christoph Frei, Professor für Politische Ideengeschichte an der Universität St. Gallen – „oder schlimmer noch, was unter allen Umständen zu vermeiden ist: das Eingeständnis von Schuld.“

Davon fehlt in Fillons Beteuerungen und Einlassungen bei öffentlichen Auftritten jede Spur. Stattdessen: Ein kleinlautes „Jeder Mensch habe Fehler und er eben auch“ in der ersten TV-Debatte der fünf aussichtsreichsten Kandidaten. Statt Einsicht zu äußern, wittert er öffentlich „bürgerkriegsähnliche Zustände“, die ihm den Wahlkampf erschwerten, und verkündet trotzig: „Ich habe keine Steuergelder veruntreut.“ Im Februar hatte er sogar gesagt: „Ich bin der ehrlichste und beste Kandidat für Frankreich.“ Solche Aussagen demonstrieren Arroganz.

Die Affären um die Scheinbeschäftigung seiner Frau, Zahlungen an seine Kinder und von einem Unternehmer geschenkte Maßanzüge belasten Fillons Wahlkampf schwer: In den Umfragen ist er hinter Marine Le Pen und Emmanuel Macron zurückgefallen und liegt mittlerweile nur noch knapp vor dem Linken Jean-Luc Mélenchon auf Platz drei. Dabei war er vor Bekanntwerden der Vorwürfe als Favorit in den Wahlkampf gestartet.

WERBUNG

Er galt als derjenige, der Le Pen aufhalten und damit die Europäische Union bewahren werde. Fillon, der bislang sieben Ministerämter innehatte, galt bis dahin als Inbegriff des ehrlichen Konservativen.

Fillon versucht nun eine Strategie der Gegenoffensive: „Ich werde viel weiter gehen. Ich werde den Präsidenten der Republik beschuldigen“, sagte er in einem Interview. Fillon wirft Noch-Präsident Hollande vor, ihn und andere Personen systematisch überwacht und Informationen gezielt an die Presse weitergeleitet zu haben.


Es ist nicht das Ende der Republikaner

„Seine eigenen Affären sollen sich in einem größeren Staatsskandal auflösen“, sagt Frei. „Diese Strategie der Skandalisierung kann er nur weiter verfolgen, solange er im Rennen und damit im Scheinwerferlicht bleibt.“

Fillon kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es vor allem er selbst war, der sich und seine Unterstützer mit seinem Starrsinn in eine Krise gestürzt hat.

Möglichkeiten zurückzutreten, gab es schließlich viele. Aber diese Momente hat er nicht genutzt. Vielmehr, so scheint es, haben die immer neuen Vorwürfe ihn sogar ermuntert, jetzt erst recht weiterzumachen.

Der gemäßigten Rechte, die Fillon vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe in Vorwahlen zu ihrem Kandidaten kürte, würde im Falle seines Rücktritts jede Alternative fehlen, abgesehen davon, dass es wohl ohnehin viel zu spät wäre, mit einem anderen Kandidaten in den Endspurt des Wahlkampfes zu gehen. Nicolas Sarkozy steckt selbst in mehreren Verfahren unter anderem wegen illegaler Wahlkampffinanzierung. Alain Juppé unterlag in den Vorwahlen Fillon sehr deutlich mit nur 30 Prozent der Stimmen. Andere Kandidaten hatten kaum ernsthafte Chancen.

Hinzukommt, dass die Republikaner durch die Urwahl Geld eingenommen haben: Denn an dieser durfte jeder französische Wahlberechtigte teilnehmen, wenn er sich als Anhänger er bürgerlichen Rechten registrieren ließ und zwei Euro zahlte. Und die Wahlbeteiligung war mit mehr als 4,3 Millionen Menschen sehr hoch.

Wenn Fillon am 23. April antritt, und verliert, dann wäre es das erste Mal seit der Gründung der fünften Republik durch de Gaulle 1958, dass kein Kandidat der gemäßigten Rechten, also der Vorgängerparteien des „Republikaner“, in die Stichwahl der zweiten Runde kommt. Ohne Zweifel eine große Blamage. Aber wäre es der Untergang einer großen Partei? Nein.

Wer sind heute die Republikaner? „Wir reden von einer Hülse, die sich in den nächsten Jahren neu mit Inhalt füllen wird – und besagter Inhalt hängt von jeweils führenden Persönlichkeiten ab“, sagt Frei. Der Grad der Personalisierung ist in der französischen Politik deutlich höher als in Deutschland. Es gilt heute noch, was der Historiker Charles Seignobos nach den Parlamentswahlen von 1928 schrieb: „Jeder Kandidat präsentiert sich in seinem Namen, wählt sein Etikett, redigiert sein Programm.“

Und so handelt auch Fillon - ohne Rücksicht auf die Wähler. Denn die haben eine ganz klare Meinung: Mittlerweile sind – Umfragen zufolge – 75 Prozent der Wähler für einen Rückzug von Fillon. 90 Prozent der Franzosen gilt er als nicht aufrichtig.

KONTEXT

Frankreichs Präsident - das mächtigste Staatsoberhaupt

Starker Präsident

Von allen Staatsoberhäuptern der Europäischen Union hat der französische Präsident die größten Vollmachten. Seine starke Stellung verdankt er der Verfassung der 1958 gegründeten Fünften Republik, ihr erster Präsident war General Charles de Gaulle.

Wahl

Der Staatschef wird seit 1965 direkt vom Volk gewählt und kann beliebig oft wiedergewählt werden. Seit 2002 beträgt seine Amtszeit noch fünf statt sieben Jahre.

Gesetzgebung

Der Präsident verkündet die Gesetze, kann den Premierminister entlassen und die Nationalversammlung auflösen. In Krisenzeiten kann er den Notstandsartikel 16 anwenden, der ihm nahezu uneingeschränkte Vollmachten gibt.

Verhältnis zum Parlament

Der Staatschef ist gegenüber dem Parlament nicht verantwortlich. Durch eine 2007 beschlossene Verfassungsänderung sind Staatschefs im Amt vor Strafverfolgung ausdrücklich geschützt. Das Parlament kann den Präsidenten nur bei schweren Verfehlungen mit Zweidrittelmehrheit absetzen.

Macht über das Militär

Frankreichs Staatschef ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat in der Verteidigungs- und Außenpolitik das Sagen. Seine stärksten Druckmittel sind der rote Knopf zum Einsatz von Atomwaffen und das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat.

Verhältnis zur Regierung

Der Präsident ernennt den Premierminister und auf dessen Vorschlag die übrigen Minister, leitet die wöchentlichen Kabinettssitzungen und nimmt Ernennungen für die wichtigsten Staatsämter vor.

Regierungschef als Gegengewicht

Seine Macht wird jedoch eingeschränkt, wenn der Regierungschef aus einem anderen politischen Lager kommt und der Präsident keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung hat. Dieser Fall der „Kohabitation“ war bei der Verabschiedung der Verfassung nicht vorgesehen. Er trat aber bereits drei Mal ein, zuletzt 1997 bis 2002, als der konservative Staatschef Jacques Chirac mit dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin auskommen musste.