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EU-Kommissar Hahn will Schulden für Wiederaufbau schneller tilgen

750 Milliarden Euro will die Kommission aufnehmen, um die Erholung der EU-Länder zu unterstützen. Hahn will das Geld schon früher zurückzahlen.

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn will die für den europäischen Wiederaufbauplan aufgenommenen Schulden schneller tilgen als bisher geplant. „Ich plädiere intern immer: je früher, desto besser“, sagte der Kommissar dem Handelsblatt.

Die EU-Kommission will für den Wiederaufbauplan insgesamt 750 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufnehmen und die Schulden ab 2028 zurückzahlen. Der Bundesregierung ist das zu spät. Bereits in der nächsten mehrjährigen EU-Finanzperiode (2021 bis 2027) müsse mit der Tilgung begonnen werden, forderte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) diese Woche. „Ich sehe das wie Deutschland“, sagte Hahn.

Für die Rückzahlung benötige die EU allerdings „neue Einnahmequellen“, sagte der Kommissar. Dabei denkt er unter anderem an eine Binnenmarktabgabe für Konzerne: „Größere Unternehmen profitieren vom gemeinsamen Markt mehr als kleine Betriebe, die kaum exportieren“, sagte Hahn. Es sei daher ein „Akt der Fairness“, wenn große Unternehmen „einen geringfügigen Beitrag leisten“.

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Die EU-Regierungschefs treffen sich am kommenden Freitag, um über den europäischen Wiederaufbauplan zu beraten. Spätestens Ende Juli soll er beschlossen werden.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Kommissar, für den Wiederaufbauplan brauchen Sie die Zustimmung aller 27 EU-Staaten – und dort wird die Kritik immer lauter. Wie viel von Ihrem Plan wird am Ende übrig bleiben?
Ich bin überzeugt, dass die Architektur hält. Grundsätzlich haben alle anerkannt, dass eine beispiellose Krise eine beispiellose Lösung erfordert. Natürlich gibt es jetzt Diskussionen, etwa über die Größenordnung. Wir haben uns die Gesamtsumme von 750 Milliarden Euro sehr genau überlegt – sowohl aus makroökonomischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive. Das ist alles wohldurchdacht.

Finanzminister Scholz sagt, auch der deutsch-französische Vorschlag sei „klug durchdacht“. Der sieht „nur“ 500 Milliarden Euro vor. Wieso reicht das nicht?
Der deutsch-französische Vorschlag beinhaltet nur nicht rückzahlbare Zuschüsse. Wir meinen, dass wir zusätzlich Darlehen bis zu 250 Milliarden Euro bereitstellen müssen – und zwar für die Staaten, die sich an den Kapitalmärkten nicht so günstig refinanzieren können wie Deutschland. Wir haben uns auch an dem orientiert, was global geschieht. Ich habe mir oft anhören müssen, dass die USA, China oder Japan viel mehr gegen die Coronakrise tun als wir Europäer. Das stimmt aber nicht, denn auch auf nationaler Ebene sind ja umfangreiche Hilfsprogramme beschlossen worden. In Summe tun wir weit mehr als die anderen.

Umso mehr stellt sich die Frage, wieso eine halbe Billion Euro nicht ausreicht.
Deutschland kann sich aufgrund seiner sehr guten Haushaltslage vieles leisten, was für andere Staaten nicht möglich ist. Es ist niemandem damit gedient, wenn einige EU-Staaten auf Kosten anderer besser durch die Krise kommen. Wir müssen einen Bruch im Binnenmarkt vermeiden. Die Bundeskanzlerin hat das verstanden und sich dafür ausgesprochen, den besonders betroffenen Ländern mit nicht rückzahlbaren Zuwendungen zu helfen.

Wie wollen Sie ein Volumen von 750 Milliarden Euro durchsetzen, wenn der größte Mitgliedstaat 500 Milliarden Euro für ausreichend hält?
Bei allem Respekt vor dem größten Mitgliedstaat: Er ist einer von 27. Es gibt andere, die 750 Milliarden Euro für die Untergrenze halten.

Die Südeuropäer hätten nichts dagegen, wenn es eine Billion oder mehr würde.
Wir müssen die Sichtweise aller 27 EU-Staaten berücksichtigen. Im Übrigen: Was das Volumen der Zuschüsse angeht, stimmt unser Modell mit dem deutsch-französischen überein. Womit wiederum die Niederlande gar nicht einverstanden sind.

Wie lange wird es dauern, bis das Wiederaufbauprogramm beschlossene Sache ist?
Ich gehe davon aus, dass die EU-Regierungschefs im Juli zu einem Ergebnis kommen und dass man sich schnellstmöglich mit dem Europaparlament einigt. Sonst können wir nicht wie geplant Anfang 2021 an den Kapitalmarkt gehen. Dafür benötigen wir eine parlamentarische Ratifizierung in den Mitgliedstaaten.

Merkel und Macron sind mit ihrem 500-Milliarden-Euro-Vorschlag vorgeprescht. Haben sie der Kommission die Schau gestohlen?
Wir haben ja vor der deutsch-französischen Initiative seit geraumer Zeit an unserem Vorschlag gearbeitet. Aber es war gut, dass die beiden größten EU-Staaten klar Position bezogen haben. Schließlich gibt es auch die Sparsamen vier …

Die Staatengruppe, der die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark angehören …
Und diese nehmen bekanntlich eine ganz andere Haltung zum Wiederaufbauprogramm ein. Ursprünglich wollten die Niederlande keinerlei Zuwendungen, sondern lediglich Darlehen aus dem Wiederaufbauplan. Da bewegt sich inzwischen etwas. Es muss jedem klar sein, dass Zuwendungen auch rückzahlbare Finanzinstrumente und Garantien enthalten, aber eben über ein EU-Programm abgewickelt werden, um gemeinsame europäische Zielsetzungen europaweit umzusetzen.

Der Löwenanteil der Zuschüsse soll 2023 und 2024 fließen. Warum so spät?
Ich würde das sehr gern beschleunigen. Dieselben, die jetzt eine schnelle Auszahlung fordern, beklagen sich dann aber später darüber, dass es zu schnell ging und dass Geld in falsche Kanäle geflossen ist. Für kurzfristige Hilfen haben wir ein erstes Rettungspaket mit einem Umfang von 540 Milliarden Euro beschlossen. Zusätzlich soll es ab September eine Solvenzhilfe für Unternehmen und ein Spezialprogramm für strukturschwache Regionen geben, um Krisenschäden zu beseitigen. Wenn wir die Aufräumarbeit hinter uns haben, müssen wir auf den Trümmern etwas Neues aufbauen, das Europa krisenfester macht. Das wird dauern, vor allem, wenn man es ordentlich machen will.

In Trümmern liegt vor allem die italienische Volkswirtschaft – und nicht nur wegen Corona. Kann der Wiederaufbau für das Land die Wende zum Besseren bringen?
Italien produziert bereits seit 20 Jahren einen Budgetüberschuss, aber der reicht nicht, um den hohen Schuldenberg abzubauen. Aus den Schulden heraus kommt das Land nur mit mehr Wirtschaftswachstum, und dafür braucht es Reformen. Im Herbst will die italienische Regierung ihren Reformplan in Brüssel vorlegen. Der muss dann genehmigt werden. Die Auszahlung der Wiederaufbauhilfen wird mit Reformfortschritten verknüpft.

Kein anderer EU-Staat hat Reformen so verschleppt wie Italien. Wieso sollte das jetzt anders werden?
Italien gehört schon lange zu den krisengeschüttelten Ländern in der EU. Es gibt aber auch so etwas wie nationalen Stolz, eine Stimmungslage, dass man aus dieser Ecke jetzt endlich einmal raus will.

Und diesen Punkt hat Italien jetzt erreicht?
Ja, das glaube ich, und die Coronakrise trägt dazu bei, indem sie die Schwächen wie durch ein Brennglas sichtbar macht. Es kommt natürlich auch darauf an, wie entschlossen wir auf Reformen bestehen. Ich will mir später nicht vorwerfen lassen, dass wir mit Milliardenhilfen nur Budgetlöcher gestopft und nichts verändert haben. Es geht um Investitionen, welche die Länder und ganz Europa fit für die Zukunft machen.

Andererseits gibt es in Südeuropa die Angst, wie einst in der Finanzkrise von einer Kontroll-Troika gegängelt zu werden.
Damals entstand der Eindruck, dass Wirtschaftsreformen von außen aufgezwungen werden. Deshalb ist die Troika zu einem toxischen Begriff geworden. Aus diesem Grund hatte ich die Idee, stattdessen die Hilfen aus dem Wiederaufbau mit dem Europäischen Semester und den länderspezifischen wirtschaftspolitischen Empfehlungen der EU zu verknüpfen.

Die nicht nur Italien regelmäßig ignoriert ...

Bislang ist das ein relativ zahnloses Instrument, aber ein jüngster Rechnungshofbericht weist aus, dass immerhin 70 Prozent unserer Empfehlungen umgesetzt werden oder in Umsetzung sind. Und die beispiellose Krise erhöht den Reformdruck, der ja nicht nur in Italien besteht. Zum Beispiel in Kroatien: Das Land erwirtschaftet ein Viertel seines Bruttoinlandsprodukts mit Tourismus. Dieser Anteil ist zu hoch. Unsere wirtschaftspolitische Empfehlung an Kroatien lautet: Ihr müsst diversifizieren. Und so werden wir individuell Land für Land vorgehen.

Der Wiederaufbauplan war eigentlich für Länder bestimmt, die besonders unter der Coronakrise leiden. Doch nun gehört Polen zu den Gewinnern – obwohl das Land wirtschaftlich besser als alle anderen aus der Pandemie herauskommt. Wieso?
Polen ist ein großes Land …

Deutschland ist noch größer, bekommt aber deutlich weniger …
Viele in der EU fragen sich, wieso Deutschland überhaupt etwas bekommt. Wir haben einen Verteilungsschlüssel entwickelt, der auf der Wirtschaftskraft und der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren basiert – und dabei ist dieses Ergebnis für Polen herausgekommen.

Was die Finanzierung des Wiederaufbauplans angeht: Warum will die Kommission die Schulden erst ab 2028 tilgen? Die Bundesregierung will schon drei Jahre früher beginnen.

Ich sehe das wie Deutschland. Der von der Kommission genannte Zeitpunkt für die Rückzahlung ist sehr konservativ, ich plädiere intern immer: je früher desto besser. Sobald wir einen stabilen, berechenbaren Rückfluss aus den Einnahmequellen haben, sollten wir mit der Bedienung der Schulden beginnen.

Mit Einnahmequellen meinen Sie neue europäische Steuern?
Die Alternative wäre, dass die Mitgliedstaaten das geborgte Geld über höhere Beiträge in den EU-Haushalt zurückzahlen. Dafür sehe ich keine Bereitschaft, was auch sehr verständlich ist. Realistischer ist die Option, neue Einnahmequellen zu erschließen, die unseren politischen Prioritäten dienen: Klimaschutz und Steuergerechtigkeit. Bewusst wollen wir sicherstellen, dafür nicht den einzelnen Bürger zur Kasse zu bitten.

Was konkret schlagen Sie vor?
Europa geht beim Klimaschutz weltweit voran. Unsere Firmen werden in der Lage sein, mit geringerem CO2-Ausstoß zu produzieren, aber wahrscheinlich zu höheren Kosten. Wenn die gleichen Produkte wegen niedrigerer Standards im Ausland billiger hergestellt werden, sollten wir einen Ausgleichsmechanismus finden – das finde ich nur fair. Eine weitere Möglichkeit ist die Digitalsteuer: Wir haben gerade erlebt, dass die Internetfirmen besonders hohe Umsätze verbuchen konnten, die schon jetzt kaum Steuern zahlen. Der kleine Händler um die Ecke kommt dagegen in der Coronakrise gleich doppelt zum Handkuss.

Sie haben auch eine Binnenmarktabgabe ins Spiel gebracht. Was verbirgt sich dahinter?
Der Grundgedanke ist simpel: Größere Firmen profitieren vom gemeinsamen Markt mit seinen einheitlichen Regeln und gemeinsamer Währung mehr als kleine Betriebe, die kaum exportieren.

Also eine Sondersteuer für Konzerne?
Es ist auch ein Akt der Fairness, wenn diejenigen, die besonders vom Binnenmarkt profitieren, einen geringfügigen Beitrag leisten. Mehr kann ich nicht sagen, weil die Ideen noch nicht ausgereift sind.

Schwebt Ihnen eine europäische Steuer vor? Das wäre ein Novum, denn bislang liegt die Steuerhoheit bei den Mitgliedstaaten.
Deshalb sprechen wir von einer Abgabe. Wir haben nicht vor, durch die Hintertür jetzt irgendwelche Kompetenzen an uns zu ziehen. Aber realistisch ist nur etwas, was es auf nationaler Ebene noch nicht gibt, denn kein Land wird auf eigene Einnahmen verzichten. Wir sind mit einer Situation konfrontiert, wie es sie seit den Dreißigerjahren nicht mehr gegeben hat. Wir müssen darauf reagieren, mit Maßnahmen, die hoffentlich befristet sind. Und wir sollten einen Schritt nach dem anderen gehen.

Was meinen Sie?
Zunächst müssen wir wissen, wie viel Geld wir an den Kapitalmärkten aufnehmen können. Dann bekommen wir auch ein Gefühl dafür, wie sich der Finanzbedarf über die drei bis vier Jahre verteilt und wie viel wir später pro Jahr zurückzahlen müssen. Davon abgeleitet werden wir eine Art Menü von Ideen für die Rückzahlung präsentieren, auf deren Basis dann eine politische Entscheidung getroffen wird.

Wir fassen mal zusammen: Wie der Klima-Ausgleichsmechanismus funktionieren könnte, ist völlig unklar, auf eine Digitalsteuer konnten sich die EU-Staaten bislang nicht einigen, und die Binnenmarktabgabe ist bislang nur eine vage Idee. Das ganze Konzept klingt nach einer Luftbuchung.
Moment. Zunächst werden Mitgliedstaaten und Europaparlament über das Budget entscheiden. Ich gehe davon aus, dass es dann zumindest einen Grundsatzbeschluss gibt, sich bis zu einem Zeitpunkt X darauf zu verständigen, wie die Schulden bedient werden können. Das Grundprinzip, dies über Eigenmittel zu leisten, sollte dann bis zum Ende der Rückzahlung gelten.

Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass die Mitgliedstaaten neue Steuern beschließen werden? Dafür ist schließlich die Zustimmung aller 27 Regierungen nötig.
Meine Zuversicht ergibt sich aus dem Umstand, dass den Mitgliedstaaten das Hemd näher ist als der Rock. Die Alternative wären höhere Beiträge ins EU-Budget – das will niemand.

Vielleicht entscheiden sich die Regierungen in einigen Jahren, wenn es an die Rückzahlung geht, auch für eine dritte Möglichkeit: die Kredite nicht abzuzahlen, sondern umzuschulden.
Eine Umschuldung ist rechtlich nicht möglich, denn die rechtliche Basis für die Kreditaufnahme, die Artikel 311 und 122 des EU-Vertrages, erlaubt es nur, aufgrund einer aktuellen Situation außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Das macht schon deutlich, dass es nicht permanent sein darf. Ein ständiges Umschulden, wie es etwa Spanien vorgeschlagen hatte, wäre aus unserer Sicht daher ein Verstoß gegen den EU-Vertrag.

Einige Europaabgeordnete fordern, von der EU geförderte Wiederaufbauprojekte sollten gekennzeichnet werden mit dem Label: „Mit freundlicher Unterstützung der EU“. Sehen Sie das auch so?
Wenn EU-Gelder aus den Strukturfonds etwa in Straßenbauprojekte fließen, dann werden diese bereits gekennzeichnet. Und wir sollten es beim Wiederaufbau auch so halten.

Herr Hahn, wir danken Ihnen für das Interview.