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EU-Hilfsgelder frühestens 2021: Italiens Wirtschaft läuft die Zeit davon

Das drittgrößte Euro-Land ist auf die Mittel aus dem neuen EU-Fonds angewiesen. Bisher fehlen jedoch die nötigen Pläne für die Milliarden.

Auch nach Ende des Lockdown kriselt es bei Restaurants und Cafés. Foto: dpa
Auch nach Ende des Lockdown kriselt es bei Restaurants und Cafés. Foto: dpa

Das kleine Restaurant in der Nähe des Campo de’ Fiori ist geschlossen. An der Tür hängt ein Schild: „Wir können mit den Einschränkungen zur Bekämpfung von Covid nicht überleben.“ Die Tische drinnen standen eng beisammen und draußen in der kleinen Gasse gab es nur wenig Platz – mit den geltenden Sicherheitsabständen von einem Meter und anderen Vorschriften hätten nur zu wenige Gäste bedient werden können. Andere Restaurants sind zwar geöffnet, aber leer. Es fehlen die Touristen in Italien. Für die Hoteliers ist die Coronakrise eine Katastrophe.

Die gesamte Wirtschaft Italiens ist schwer getroffen. Die Industrieproduktion verzeichnete im April aufgrund des Produktionsstopps ein Minus von 29 Prozent. Tausende Betriebe stehen vor dem Ruin, das Statistikamt Istat rechnet für dieses Jahr mit dem Wegfall von zwei Millionen Arbeitsplätzen.

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Die Wirtschaftsleistung dürfte nach einem Einbruch um 9,2 Prozent in diesem Jahr frühestens 2023 auf das Niveau von vor Ausbruch der Corona-Pandemie zurückfinden. Das drittgrößte Euro-Land hat noch keine Strategie, wie es der Krise entkommt – und verkämpft sich in innenpolitischen Streitereien.

80 Milliarden Euro hat die Regierung in Rom bisher bereitgestellt, um die Rezession, die drohenden Insolvenzen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Jetzt ist ein neues Konjunkturpaket geplant, von 15 bis 20 Milliarden Euro. Finanziert werden soll es durch zusätzliche Kredite. Allein 16 Milliarden sollten in die Finanzierung der Kurzarbeit fließen, sagte Arbeitsministerin Nunzia Catalfo. Doch die eigenen Mittel reichen nicht aus.

Deshalb drängt Premier Giuseppe Conte auf das Geld aus dem Wiederaufbaufonds der EU. „Wir müssen das Abkommen unbedingt bis Ende Juli abschließen“, sagte Conte nach dem letzten EU-Gipfel. Doch so schnell kommt das Geld nicht. Frühestens Anfang 2021, sagt die Bundesregierung. Es sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, das Geld an Staaten wie etwa Italien vorher auszuzahlen, so Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Und so ist Italien in einem Rennen gegen die Zeit, denn mit jedem Tag, den ein präziser Plan der Regierung, was sie mit den Milliarden aus Brüssel anfangen will, auf sich warten lässt, werden die Wirtschaftsfolgen gravierender. In der Sommerpause passiert nicht viel in Italien, im Herbst aber muss das Land bereit sein.

Senkung der Mehrwertsteuer im Gespräch

Ähnlich wie in Deutschland hat der Premier jetzt eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer, die derzeit 22 Prozent in Italien beträgt, in die Diskussion gebracht. Das könnte den Konsum ankurbeln, aber dadurch würde wegen der wegfallenden Steuereinnahmen die Staatsverschuldung noch weiter ansteigen – von aktuell 135 Prozent der Wirtschaftsleistung auf bis zu 157 Prozent der Wirtschaftsleistung, prognostiziert der Internationale Währungsfonds. Schon jetzt liegen die Schulden bei 2400 Milliarden Euro. Auf 10,4 Prozent wird das italienische Haushaltsdefizit in diesem Jahr veranschlagt.

Immerhin kann Italien aus dem 750-Milliarden-Topf der EU mit dem größten Zuschlag rechnen: 173 Milliarden Euro, darunter nicht rückzahlbare Zuwendungen von 81,8 Milliarden Euro. Geknüpft sind die Gelder aber an ausgearbeitete Reformpläne. Die will Conte erst im September vorstellen.

Schlagworte für Reformen machen in Rom seit einiger Zeit die Runde: grüne Wirtschaft, Digitalisierung, Gesundheit, Bildung und Forschung. Was fehlt sind konkrete Pläne, Fristen und Gegenfinanzierungen. „Ich habe mit einem detaillierten Plan gerechnet“, sagt Carlo Bonomi, Präsident des Industrieverbands Confindustria. „Wir sind blockiert von der Bürokratie und von der Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen.“

Die Wirtschaftsprognosen seien „sehr beunruhigend“, gibt auch Conte zu. Die Banca d’Italia rechnet in diesem Jahr mit einem Einbruch des italienischen Bruttoinlandsprodukts von 9,2 Prozent und sieht für 2021 einem Anstieg von 4,8 und 2022 von 2,5 Prozent. Gouverneur Ignazio Visco gebrauchte deshalb Anfang der Woche deutliche Worte: „Wegen der Unsicherheit können wir zwar keine vernünftigen Vorhersagen machen, das darf aber nicht heißen, dass nichts getan werden muss“, sagte er. Die Vereinfachung der Bürokratie müsse in Angriff genommen werden, die Schaffung einer effizienten öffentlichen Verwaltung und ein schnelleres Justizsystem.

Für den Regierungschef, dessen Zustimmungswerte seit Beginn der Coronakrise konstant ansteigen, kommt ein weiteres Problem hinzu: Seine Koalition wackelt, streitet über alles. Die Opposition ist trotz der Krise auf Gegenkurs. „Wir brauchen nationalen Zusammenhalt“, sagte Conte im Parlament. Der Appell verhallt.

Nach der jüngsten Umfrage des Instituts Ixè aus Triest für die Zeitung „Il Messaggero“ liegen die Regierungsparteien, die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) und die Bewegung Fünf Sterne bei 22 und 16,1 Prozent. Immerhin, Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega ist zwar noch stärkste Partei, sinkt aber kontinuierlich und kommt nur noch auf 24,3 Prozent. Aber: Im September sind Regionalwahlen und der Lega-Chef ist nach dem Ende des Lockdown wieder unterwegs im Land. Er verspricht Steuersenkungen. Das zieht beim Volk.

Neues Geld über Patriotenanleihen

Einen Lichtblick gibt es für das hochverschuldete Italien am Anleihemarkt: Mit dem erweiterten Anleiheankaufprogramm der Europäischen Zentralbank wächst das Interesse von Investoren an italienischen Staatsanleihen wieder. Der Risikoaufschlag italienischer Bonds gegenüber Bundesanleihen, ein Gradmesser der Krise, ist gesunken.

So spricht das Wirtschafts- und Finanzministerium von einem Nachfragerekord für ein Zehnjahrespapier im Volumen von 14 Milliarden Euro: 490 Investoren hätten Gebote über 108 Milliarden Euro abgegeben. 76 Prozent der Anleger seien aus dem Ausland gewesen, 71,3 Prozent davon aus Europa.

Anfang Juli testet Rom ein neues Finanzierungsinstrument: die „patriotische“ Anleihe „Btp Futura“. Der Bond, ausschließlich für italienische Privatanleger, ist mit einer Prämie verbunden, wenn man ihn bis zum Ende der Laufzeit hält. Die Prämie ist an die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts gekoppelt. Zum Start gibt die Regierung sie mit einem Prozent an.

Der Hintergedanke dabei: Das Privatvermögen in Italien ist mit 9900 Milliarden Euro überdurchschnittlich hoch in Europa. Und es steigt weiter, da der Konsum seit dem Lockdown Anfang März eingebrochen ist. Wenn die Kleinanleger zugreifen, kann das helfen, die Folgen der Coronakrise zu bewältigen.

Es gäbe noch einen anderen Geldtopf für Italien, bis die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds fließen: 36 Milliarden könnte das Land vom Europäischen Rettungsschirm ESM erhalten, wenn es einen Antrag auf eine vorsorgliche Kreditlinie stellen würde.

Doch darum gibt es seit Wochen Streit in der Regierung. Der Koalitionspartner Bewegung Fünf Sterne ist strikt dagegen und fürchtet um die Souveränität des Landes. „Dieses Mal geht es doch um Investitionen im Gesundheitswesen, ohne Auflagen“, sagt dagegen der PD-Abgeordnete Piero Fassino. Dagegen zu sein sei ein Witz. In diesem Streit zu vermitteln ist eine zusätzliche Aufgabe für Premier Conte in den heißen Sommermonaten bis zum entscheidenden Herbst.