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Big-Tech-Kritikerin Zuboff: „Europa hat die Chance, zum Helden zu werden“

Harvard-Professorin Shoshana Zuboff warnt vor der Macht der Techkonzerne. Ihre Hoffnung richtet sich ausgerechnet auf das digital rückständige Europa.

Sie war eine Außenseiterin, eine Cassandra. Jahrelang habe sie sich gefühlt, als schreie sie unter Wasser – kaum jemand schien sie wahrzunehmen. Doch das ändere sich inzwischen, sagt sie, die Menschen hörten ihr zu, weil sie merkten, dass um sie etwas geschehe. Etwas Tiefgreifendes, Unheimliches, schwer Fassbares. Ein stiller Coup.

Shoshana Zuboff will das Fürchten lehren. Das wird schnell klar bei ihrem Auftritt auf der Konferenz „Europe 2021“, die gemeinsam vom „Tagesspiegel“, der „Zeit“, der „Wirtschaftswoche“ und dem Handelsblatt ausgerichtet wird. Für die emeritierte Harvard-Professorin steht fest: In der Ära der Digitalisierung steht die Demokratie auf dem Spiel.

Zuboff ist zu einer der einflussreichsten Denkerinnen der Gegenwart geworden. Seit 40 Jahren forscht sie zur Informationsgesellschaft. Doch erst mit ihrem 2019 erschienenen Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ gelang ihr ein Welterfolg, der die Debatte über die Tech-Industrie in neue Bahnen lenkt. Das Buch ist ein Leitfaden zum Verständnis der sozialen Umwälzungen, die sich vor unser aller Augen zutragen, aber deren Folgen uns erst allmählich bewusst werden.

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In Internetunternehmen wie Facebook und Google manifestiert sich für Zuboff eine neue Form von Macht: keine Big-Brother-Dystopie, sondern eine subtilere Form von Überwachung und Kontrolle. Die Techkonzerne sammeln unsere Alltagserfahrungen und verarbeiten diesen ungefilterten Datenrohstoff zu Verhaltensinformationen, die sie als ihr Eigentum beanspruchen.

Daraus produzieren sie digitale Angebote, mit denen sie uns beeinflussen, teils sogar lenken. Wir lesen etwas, das wir sonst nicht gelesen hätten. Wir treten einer Gruppe bei, von der wir sonst nichts wüssten. Warum? Weil ein Algorithmus entscheidet, uns einen entsprechenden Hinweis auf unser Smartphone zu schicken.

Für diese Form der Kontrolle, sagt Zuboff, brauche es keine Gulags, keine nächtlichen Besuche der Sicherheitspolizei, keine vorgehaltene Waffe. Nur unsere Unwissenheit darüber, was sich hinter den hippen Fassaden der Techkonzerne tatsächlich zuträgt.

Das Versäumnis der liberalen Demokratien

Zuboff spielt eine Doppelrolle, sie ist Akademikerin und Aktivistin, sie analysiert und will wachrütteln. Ihr zentrales Argument ist es, dass die liberalen Demokratien es versäumt hätten, „eine kohärente politische Vision eines digitalen Jahrhunderts zu entwerfen, die demokratische Werte, Prinzipien und Regierungsformen voranbringt“. So formulierte sie es vor ein paar Tagen in der „New York Times“.

Wir hätten den Digitalkonzernen eine „Lizenz zum Stehlen“ gegeben, warnt Zuboff. Sie nutzten Überwachungsmethoden, um „das Stroh menschlicher Erfahrung“ – ob Ängste, Frühstücksgespräche oder Parkspaziergänge – „in das Gold geschützter Datenbestände zu verwandeln“. Diese Lizenz müssten wir widerrufen, fordert Zuboff, bevor das Allwissen der Datengiganten die Demokratie untergrabe.

Vor allem in den USA, der Heimat von Big-Tech, hat die Regierung die Digitalisierung laufen lassen. Das Ergebnis: Verschwörungstheorien wie QAnon sind fester Bestandteil der politischen Debatte geworden. Denn die Algorithmen der Überwachungskonzerne prämieren Agitation, nicht Information. Was aufregt, wird geklickt und weiterverbreitet – bis der Diskurs vergiftet ist. Die Unternehmen produzierten „Informationschaos“, klagt Zuboff, und das „zerstört unsere Demokratie“.

Der Sturm irregeleiteter Trump-Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar bestätigt ihre Warnung: In ihm zeigte sich das destruktive Potenzial der Tech-Plattformen.

Zuboffs Hoffnung richtet sich nun auf Europa, genauer die EU. „Europa hat die Chance, zum Helden in dieser bisher sehr finsteren Geschichte zu werden“, sagt Zuboff. Mit zwei neuen Gesetzesvorhaben, dem „Digital Services Act“ und dem „Digital Markets Act“ schicke sich die EU an, die 20 Jahre alte Regulierungslücke zu füllen, in der der Überwachungskapitalismus gedeihen konnte. Zuboff lobt: Die EU mache deutlich, dass „demokratisches Recht nicht an der Cybergrenze stoppen darf“.

Sie bezeichnet die Demokratie als „schlafenden Riesen“, der langsam beginne, sich zu regen. Auch in den USA schwinde das Vertrauen in die Techkonzerne rapide. Auch dort würden politische Initiativen zu ihrer Bändigung angestoßen. Auch dort stellten die Menschen fest, dass die Unternehmen „mehr Probleme schaffen, als sie lösen“.

Eine Zerschlagung reicht nicht

Zuboff vergleicht die heutige Situation, in die Demokratie durch die Überwachungspraktiken der Techkonzerne bedroht wird, mit dem Kampf um Arbeitnehmerrechte zu Beginn des Industriezeitalters. Dieser Kampf müsse heute wieder geführt werden, fordert sie. „Wir befinden uns noch in den Anfängen einer Informationszivilisation.“ Jetzt sei unsere Chance gekommen, „dem Einfallsreichtum und der Entschlossenheit unserer Vorfahren aus dem 20. Jahrhundert gerecht zu werden, indem wir die Grundlagen für ein demokratisches digitales Jahrhundert schaffen“.

Google und Facebook zu zerschlagen wie einst den Rockefeller-Konzern Standard Oil reiche nicht, argumentiert Zuboff. Sie will die Axt an die Wurzel der Überwachungskonzerne legen: So wie wir Menschen- und Organhandel verboten hätten, schrieb sie in der „New York Times“, könnten wir „kommerzielle Praktiken verbieten, die eine Nachfrage nach räuberischer Datensammlung auslösen“.

Der Ausgangspunkt für Zuboffs Warnruf ist ihre Überzeugung, dass alle digitalen Daten für Überwachung und Kontrolle genutzt werden – wenn es keine Strafen, keine staatlichen Vorschriften dagegen gebe. Es liegt an uns, diese Regeln zu setzen. Oder vor dem Überwachungskapitalismus zu kapitulieren.