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Börsengang als Kraftakt: Die großen Herausforderungen für Siemens Energy

Investoren fordern mehr Rendite, Arbeitnehmervertreter den Verzicht auf Kündigungen. Das Börsen-Abenteuer wird nicht leicht für CEO Bruch.

Vor knapp drei Jahren protestierten Siemens-Beschäftigte gegen die geplante Schließung des Werks in Görlitz. Die Produktionsstätte wurde schließlich vorerst gerettet. Doch jetzt geht in der Energiesparte wieder die Angst vor weiterem Stellenabbau um. Foto: dpa
Vor knapp drei Jahren protestierten Siemens-Beschäftigte gegen die geplante Schließung des Werks in Görlitz. Die Produktionsstätte wurde schließlich vorerst gerettet. Doch jetzt geht in der Energiesparte wieder die Angst vor weiterem Stellenabbau um. Foto: dpa

Es kann die Geburtsstunde eines Dax-Konzerns sein: An diesem Montag startet Siemens Energy an der Börse. Mit rund 29 Milliarden Euro Umsatz und 91.000 Mitarbeitern ist der Siemens-Ableger von Beginn an eines der Schwergewichte auf dem Parkett. Wenn es gut läuft, könnte Siemens Energy schon im nächsten Jahr ein Kandidat für die höchste deutsche Börsenliga werden.

Doch die Herausforderungen für Vorstandschef Christian Bruch und seinen Aufsichtsratsvorsitzenden, Noch-Siemens-Chef Joe Kaeser, sind enorm. Das Kraftwerksgeschäft steckt seit Jahren in der Krise. Erst langsam erholt sich der Preis für Gasturbinen wieder. Klimaaktivisten kritisieren die Beteiligung an Kohleprojekten, und die Windtochter Siemens Gamesa macht schon das dritte Quartal in Folge Minus.

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Die Investoren drängen angesichts zuletzt roter Zahlen auf eine rasche Verbesserung der Profitabilität. Doch nach vielen Abbauprogrammen in den vergangenen Jahren muss CEO Bruch auch die Mitarbeiter mitnehmen.

IG Metall und Betriebsrat bringen sich schon in Position. Zum Börsenstart forderten sie einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. In der Vergangenheit habe Siemens oft erst spät auf strukturelle Änderungen in der Branche reagiert und dann ein großes Abbauprogramm nach dem anderen verkündet, sagte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Robert Kensbock dem Handelsblatt. „Hier müssen wir in Zukunft frühzeitiger umsteuern und intelligentere Lösungen finden.“

Eine offene Frage hat Siemens-Energy-Chef Bruch zumindest noch gerade rechtzeitig vor dem Börsengang geklärt: Die Zentrale kommt nach Berlin. Wo einst Werner von Siemens 1847 gemeinsam mit Johann Georg Halske den Traditionskonzern gegründet hat, will Bruch ein schlankes Headquarter einrichten. Um den Zuschlag hatten auch Erlangen, Mülheim und München gebuhlt.

Umsatz sank zuletzt

Doch nicht alle Probleme werden so leicht zu lösen sein. „Die Energieversorger, also die Kunden von Siemens Energy, vollziehen die Energiewende jetzt sukzessive und in dem Tempo werden sich auch die Hersteller anpassen müssen. Darauf muss sich auch Siemens Energy einstellen“, sagt Analyst Wolfgang Donie von der NordLB.

Insgesamt hat das neue Unternehmen zwar nach Einschätzung von Management, Arbeitnehmern und Investoren ein attraktives Portfolio. Es deckt als eines der wenigen in der Branche die gesamte Kette ab von konventionellen Kraftwerken über die erneuerbaren Energien bis zu Stromnetzen und Wasserstoff ab.

Doch zeigt schon ein Blick in den Börsenprospekt, wie groß Bruchs Aufgabe ist. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2019/20 (30. September) sank der Umsatz des neuen Konzerns um gut drei Prozent auf 19,8 Milliarden Euro. Unter dem Strich stand ein Verlust von 1,5 Milliarden Euro. Das lag auch an Sondereffekten. Doch das angepasste operative Ergebnis vor Sondereffekten war ebenfalls mit einem Verlust von 87 Millionen Euro negativ.

„Das weiterhin intensive Wettbewerbsumfeld und die zuletzt schwache Profitabilität erfordern auch zukünftig einen Fokus auf Kosteneinsparungen“, mahnte Tobias Hallenberg von der größten deutschen Fondsgesellschaft DWS. Gleichfalls Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz forderte: „Das Unternehmen muss so schnell wie möglich profitabel werden.“

Auf einem Kapitalmarkttag versprach Bruch Besserung. Er kündigte weitere Einsparungen in Höhe von 300 Millionen Euro an. Zudem deutete er im Gespräch mit dem Handelsblatt weitere Standortschließungen an. Aktuell habe man noch weltweit 75 Produktionsstandorte mit jeweils mehr als 50 Mitarbeitern, sagte Bruch. „Hier müssen wir uns mehr am Markt orientieren, auch um die Lieferketten zu vereinfachen.“ Man sehe sich „alles ganz genau an“. Die operative Rendite soll so bis 2023 auf bis zu 8,5 Prozent steigen.

Die Arbeitnehmer unterstützten den Weg in die Eigenständigkeit. Aus Siemens-Konzern-Sicht war es jahrelang nur wenig attraktiv, in das margenschwache Kraftwerksgeschäft zu investieren. Nun gibt es wieder eine Zukunftsperspektive.

Doch sind die Arbeitnehmer überzeugt, dass es bessere Wege als Stellenabbau und Standortschließungen gibt, die Einsparungen zu realisieren. „Wir müssen uns die Prozesse genau ansehen“, sagte Gesamtbetriebsratschef Kensbock. Bei Siemens Energy spiegelten sich noch die Strukturen des deutlich größeren Siemens Konzerns wider. „Man muss nun die Strukturen und Prozesse an das kleinere Unternehmen anpassen und deutlich vereinfachen.“ Dabei könne man zum Beispiel Geld bei der Anzahl der IT-Tools sparen.

Sollten dabei auch Arbeitsplätze betroffen sein, müsse man einen anderen Einsatzort für die Mitarbeiter finden und diese weiterqualifizieren. Kündigungen dürfe es nicht geben, forderte Kensbock. „Man kann das Geld für Abfindungen deutlich intelligenter einsetzen.“ Zur Verfügung stehe zudem ein kleiner Teil des 100-Millionen-Euro-Zukunftsfonds, den Siemens vor ein paar Jahren zugesagt hatte. In der Produktion gebe es ohnehin nichts mehr wegzuschneiden.

Bei Siemens gilt in Deutschland eine unbefristete Beschäftigungs- und Standortgarantie, das wurde in dem Abkommen „Radolfzell II“ fixiert. Zwar gibt es Hintertürchen, doch hat das Abkommen bei Siemens intern eine große Bedeutung. Allerdings gilt es nur für die Siemens AG – und nicht für die neue Siemens Energy.

Man sei derzeit in sehr konstruktiven Gesprächen mit der Geschäftsführung, wie man künftig gemeinsam mit dem Thema Beschäftigung und Standorte umgehe und welche Vereinbarungen man abschließen wolle, sagte Kensbock. Radolfzell könne bei dieser Gelegenheit modernisiert werden.

Keine Pläne für neuen großen Stellenabbau

Siemens hatte zuletzt vor rund drei Jahren im Rahmen eines großen Programms den Abbau von weltweit 6900 Arbeitsplätzen vor allem in der Kraftwerkssparte angekündigt. Dabei sollte auch das Werk im strukturschwachen Görlitz geschlossen werden. Siemens-Chef Kaeser musste sich dafür viel Kritik anhören. Nach heftigen Protesten wurde der Standort dann vorerst doch erhalten.

Nach Informationen der Arbeitnehmer gebe es derzeit keine Pläne in der Schublade für einen neuen großen Stellenabbau, sagte Aufsichtsrat Hagen Reimer von der IG Metall. „Da würden wir uns auch dagegen wehren.“

Kensbock geht davon aus, dass es ebenso wenig bei den 17 Standorten Einschnitte in Deutschland geben wird. „Die Standortzahl ist für mich gesetzt.“ Die Werke seien derzeit auch noch teilweise ordentlich ausgelastet. Man könne aber immer diskutieren, wie einzelne Standorte noch fokussierter betrieben werden können.

Die Verbesserung der Profitabilität ist die eine große Herausforderung für Siemens-Energy-Chef Bruch. Das Streitthema Kohle die zweite. Kaeser, der den Aufsichtsrat von Siemens Energy führt, hatte im Juli einen Ausstieg aus dem Kohle-Neugeschäft angedeutet und dem Vorstand einen Prüfauftrag gegeben.

Rivale General Electric erhöhte derweil den Druck und kündigte vor wenigen Tagen an, in Zukunft keine neuen Aufträge für Kohlekraftwerke mehr annehmen zu wollen. Bruch äußerte sich bislang zurückhaltender. Auch effiziente Kohlekraftwerke könnten einen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten. Mittelfristig müsse aber auch Siemens Energy raus aus der Kohle.

Gesamtbetriebsratschef Kensbock sagte: „Wir können nicht sofort aus der Kohle aussteigen, sondern nur mit Bedacht.“ Siemens Energy müsse den Weg in Richtung erneuerbare Energien gemeinsam mit den Kunden gehen. „Das benötigt Zeit.“ In der Zwischenzeit werde auch die Kohle weiterhin eine Rolle spielen. „Wenn Siemens Energy das nicht macht, machen das die Konkurrenten in China oder Indien.“ Auf längere Sicht unterstützen aber die Arbeitnehmer ebenfalls den Abschied von der Kohle. „Die Richtung ist klar“, sagte Aufsichtsrat Reimer von der IG Metall.

Insgesamt kam die Sparte „Gas and Power“, zu der auch die Energieübertragung gehört, im vergangenen Geschäftsjahr auf 13,3 Milliarden Euro an Umsatz. Das angepasste operative Ergebnis (Ebita) betrug 589 Millionen Euro. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres schrieb die Sparte operativ rote Zahlen.

Hoffnungswert erneuerbare Energien

Als großer Hoffnungswert für die Zukunft gelten die erneuerbaren Energien. Doch auch bei Siemens Gamesa läuft es alles andere als rund. Das deutsch-spanische Gespann ist zwar die weltweite Nummer eins in Sachen Windturbinen auf See (Offshore), steckt aber seit diesem Jahr ebenfalls in den roten Zahlen.

Das Windgeschäft macht rund ein Drittel der neuen Siemens Energy aus und befindet sich schon seit zwei Jahren in einem immer aggressiveren Preiskampf auf dem Markt für die grünen Mühlen. Trotzdem sieht Windexperte Dirk Briese von dem Marktforschungsunternehmen Windresearch eine stabile Zukunft für Siemens Gamesa.

„Im Moment verdienen die wenigstens Turbinenhersteller Geld. Das ist dem harten Preiskampf auf dem Markt, insbesondere Onshore geschuldet. Aber das wird sich auch langfristig wieder ändern“, ist er überzeugt. Da befinde sich der Windkonzern im Gegensatz zu dem Bau und Verkauf von Kohlekraftwerken in einem absoluten Wachstumsmarkt.

Doch während Siemens Gamesa für die Offshore-Windkraft an der Weltspitze steht, läuft es mit dem Verkauf von Windanlagen an Land nur schleppend. „Da hat Siemens mit seiner relativ hohen Kostenstruktur größere Herausforderungen. Und weil die Projekte kleiner sind und damit auch die Investitionskosten, ist der Wettbewerb hier viel härter“, erklärt Briese.

Viele Herausforderungen also für CEO Bruch. Dennoch herrscht in dem neuen Unternehmen Aufbruchsstimmung. Denn anders als in den vergangenen Jahren gibt es nun wieder eine Perspektive. „Es gibt auch Risiken, aber die Chancen überwiegen“, sagt Gesamtbetriebsratschef Kensbock. Der Energiebedarf in der Welt steige. Siemens Energy habe dafür das richtige Portfolio. „Wir können hier eine tolle Firma auf die Beine stellen.“ Im Übrigen wisse jeder im Unternehmen, dass die Energiesparte die Wurzel des Unternehmens sei. „Werner von Siemens hätte sich für Siemens Energy entschieden.“