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Aus dem Ost-Frauenknast auf den West-Grabbeltisch

Der schwedische Möbelkonzern Ikea war beileibe kein Einzelfall: Viele westliche Unternehmen profitierten von der Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen – und finanzierten so Honeckers Strafvollzug.

Was "Ausbeutung" ist, wusste man in der DDR ganz genau. Als "Aneignung unbezahlter fremder Arbeit" definierte das "Sachwörterbuch der Geschichte" aus dem SED-eigenen Dietz-Verlag diesen zentralen Begriff 1969. Für kapitalistische Gesellschaften sei die "intensive Form der Ausbeutung charakteristisch", im Sozialismus hingegen abgeschafft.

Mit der Wirklichkeit hatte das freilich nichts zu tun. Denn nirgends gab es länger die "Aneignung unbezahlter fremder Arbeit" als in der DDR, genauer gesagt: in ihren Gefängnissen. Hier herrschte bis 1989 ein ausgefeiltes System von Zwangsarbeit; das ist zwar seit Langem bekannt, allerdings bisher wenig untersucht und noch weniger der Öffentlichkeit vertraut. Jetzt allerdings hat das Thema neue Relevanz bekommen.

Denn gegenwärtig prüft der schwedische Möbelkonzern Ikea Akten aus der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) über Auftragsproduktion in der DDR. Außerdem deuten Unterlagen des DDR-Außenhandels darauf hin, dass Ikea-Polstermöbel des Typs Falkenberg in kubanischen Haftanstalten hergestellt wurden, vermittelt von DDR-Funktionären. Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin hat die Aktenfunde jetzt in der "Frankfurter Allgemeinen" veröffentlicht.

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Schon seit den 70er-Jahren hatten von der Bundesrepublik freigekaufte politische Häftlinge öffentlich auf fragwürdige Geschäfte westlicher Unternehmen mit der DDR hingewiesen. So wurden im Gefängnis Cottbus zum Beispiel für den Volkseigenen Betrieb (VEB) Pentacon Metallteile für Fotokameras hergestellt, teilweise auch Kameras montiert.

Geräte desselben Typs wurden über die Ladenkette Photo Porst in Westdeutschland billig verkauft. Eigentümer Hannsheinz Porst (1922–2010), der jahrelang als Stasi-Agent in der Bundesrepublik tätig war, dürfte nichts dagegen gehabt haben. Denn die billigen Kameras garantierten satte Gewinne.

In den beiden Gefängnissen im sächsischen Bautzen ließ der VEB Elektroschaltgeräte Oppach ganze Kühlschränke, Waschmaschinen und weitere Elektrogeräte montieren. Sie wurde vielfach unter der Handelsmarke Privileg vom damals größten deutschen Versandhaus Quelle in Westdeutschland billig verkauft.

Im Frauengefängnis Hoheneck im Erzgebirge war Zwangsarbeit für den devisenträchtigen Export von Beginn bis zum Ende der DDR üblich. Im dritten Stock des "Arbeitstraktes" richtete der VEB Planet Wäschefabrik aus Eppendorf schon 1950 eine Produktion ein. Bis 1989 mussten weibliche Gefangene im Akkord Bettwäsche nähen, viel davon für den Export in die Bundesrepublik, wie die Insassin Monika Jährling an den einzunähenden Etiketten erkannte.

Pro Schicht musste jede Frau 1974 die Seitennähte an 180 bis 200 Bettbezügen vernähen. Diese "Arbeitsnormen" stiegen mit der Zeit an; im Jahr 1988 belief sich die Vorgabe für die Näherinnen auf 287 Bettbezüge. Die Bettwäsche wurde nahezu vollständig an westliche Handelsketten geliefert und fand sich als Billigware auf bundesrepublikanischen Grabbeltischen wieder.

"Arbeitsverweigerung wurde mit härtesten Strafen belegt", sagte die thüringische Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen Hildigund Neubert "Welt Online".

Die Bürgerrechtlerin, die eine der wenigen Studien zur Zwangsarbeit in der DDR geschrieben hat, kann Schläge, Essenentzug, Drohung mit Haftverlängerung, sogar Arreststrafen bis zu 21 Tagen in Dunkelhaft bei Minimalernährung belegen. Die Zwangsarbeit war von großer Bedeutung: "Die DDR hat so den Strafvollzug wesentlich finanziert."

Zwar führten die Volkseigenen Betriebe, die in Haftanstalten produzieren ließen, die – sehr niedrigen – Tariflöhne einschließlich Sozialabgaben an die Gefängnisverwaltung ab. Doch von diesem Geld bekamen die Zwangsarbeiter nur geringe Prozentsätze ausgezahlt.

Auch das war im Westen bekannt: Ein freigekaufter politischer Gefangener, der drei Jahre in Brandenburg-Görden Zwangsarbeit hatte leisten müssen, berichtete 1977, dass er von jeweils formal erarbeiteten 100 DDR-Mark nur 6,50 Mark für den Einkauf im Gefängnisladen erhalten hatte. Das restliche Geld wurde einbehalten und fiel, nachdem die Bundesregierung ihn für eine sechsstellige Summe an Westmark freigekauft hatte, der DDR-Staatskasse zu.

In den Akten des DDR-Strafvollzugs sind in der Regel nur die VEB genannt, für die Häftlinge unter Zwang entweder weit unterbezahlte oder sogar unbezahlte Arbeit leisten mussten, nicht aber die westlichen Abnehmer. Möglicherweise produzierte der VEB Burger Holzverarbeitungswerk im Gefängnis Brandenburg-Görden Teile für Ikea; belegt ist, dass dort billige Einbauküchen für das Versandhaus Quelle entstanden.

Im Übrigen gibt es bisher nur Zeitzeugenberichte, die auf die Produktion für den schwedischen Konzern in DDR-Gefängnissen hinweisen. So erinnert sich ein politischer Gefangener, der in den 80er-Jahren Möbelteile schreinern musste, dass Ikea fehlerhafte Ware direkt an das produzierende Gefängnis zurückschickte. Ein anderer Häftling produzierte im Gefängnis in Naumburg unter unmenschlichen Bedingungen Metallteile für Ikea-Möbel.

Strafrechtlich ist all das längst verjährt; auch Schadensersatzansprüche wären wohl nicht durchsetzbar. Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft hat dem Konzern Gespräche angeboten und ausdrücklich begrüßt, dass sich die jetzige Ikea-Spitze für Aufklärung einsetze.

Hildigund Neubert verlangt mehr: "Die Firmen wussten, dass sie mit schmutziger Ware handelten. Sie und ihre Nachfolger sollten heute wenigstens symbolische Gesten der Entschuldigung finden."