Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.161,01
    +243,73 (+1,36%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.006,85
    +67,84 (+1,37%)
     
  • Dow Jones 30

    38.239,66
    +153,86 (+0,40%)
     
  • Gold

    2.349,10
    +6,60 (+0,28%)
     
  • EUR/USD

    1,0697
    -0,0036 (-0,33%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.726,40
    -903,36 (-1,49%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.332,16
    -64,38 (-4,61%)
     
  • Öl (Brent)

    83,65
    +0,08 (+0,10%)
     
  • MDAX

    26.175,48
    +132,30 (+0,51%)
     
  • TecDAX

    3.322,49
    +55,73 (+1,71%)
     
  • SDAX

    14.256,34
    +260,57 (+1,86%)
     
  • Nikkei 225

    37.934,76
    +306,28 (+0,81%)
     
  • FTSE 100

    8.139,83
    +60,97 (+0,75%)
     
  • CAC 40

    8.088,24
    +71,59 (+0,89%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.927,90
    +316,14 (+2,03%)
     

„Anleger müssen mehr wagen“

Investment Live - „Anleger müssen mehr wagen“

Politische Börsen haben kurze Beine, lautet eine alte Börsenweisheit. Sie besagt, dass Wahlen oder wirtschaftlich relevante politische Entscheidungen an den Märkten zwar für heftige Ausschläge sorgen können, die Lage sich aber in der Regel schnell wieder beruhigt. Im Fall des Votums der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union scheint es wieder so zu sein. Auf den empfindlichen Absturz in den unmittelbaren Tagen nach dem „Ja“ zum Brexit folgte rasch eine Erholung.

Im Falle des Brexit könnten die Nachwehen der sogenannten politischen Börse aber doch noch andauern. Schließlich sind die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Austrittsprozesses noch längst nicht klar. Beim Anlegerforum „Investment Live“, der Anlegerinitiative von Deutsche Bank und Handelsblatt, war der Informationsbedarf entsprechend groß. Neben dem allgemeinen Anlagenotstand in Zeiten von Nullzinsen waren es vor allem die Börsenturbulenzen der vergangenen Wochen und die Aussichten für die kommenden Monate, die mehr als 650 Kunden der und Mitglieder des Handelsblatt-Wirtschaftsclubs in der Meistersingerhalle in Nürnberg interessierten.

Antworten auf die brennenden Fragen gaben Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien bei der Deutsche Asset Management, und Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart. Durch den Abend führte der New Yorker Börsenexperte Markus Koch.

Negativzinsen, Brexit, Börsenturbulenzen - Steingart wollte angesichts dieser Gemengelage einen Kontrapunkt setzen und Zuversicht verbreiten. „Die Welt geht nicht unter, nicht heute und auch nicht morgen“, sagte er. „Vielleicht sehen wir das Ja der Briten zum Brexit irgendwann als den Tag, an dem Europa aufgewacht ist.“ Und das könnte positiv sein, auch für Anleger.

WERBUNG

Auch Stephan fand beruhigende Worte. „Wir haben schon vor dem Referendum gesagt: Wenn der Brexit kommt, wird die Welt nicht untergehen“, so Stephan. „Auch ohne Brexit wären die Probleme in der Euro-Zone nicht gelöst.“ Für ihn war die Botschaft klar: „Wir müssen uns mehr mit dem Wachstum in Europa beschäftigen - die Schaffung von Arbeitsplätzen ist die beste Sozialpolitik.“ Und Wirtschaftswachstum wird von der Börse mit Kursaufschlägen gedankt.

Vor dem historischen EU-Referendum hatte es an den Aktienmärkten gar nicht so schlecht ausgesehen. Nach dem turbulenten Start ins Anlagejahr 2016 hatten sich die Kapitalmärkte etwas beruhigt. Die Rezessionsangst ging zurück, der Ölpreis hatte Boden gutgemacht und die Notenbanken halfen mit niedrigen Zinsen. In den Tagen vor dem EU-Referendum hatten die Börsen sogar eine kleine Rally hingelegt - allerdings in der falschen Annahme, die Briten würden für den Verbleib in der EU stimmen.


Dass Anleger aus Aktien fliehen, ist ein Fehler.

Auf die Frage von Markus Koch, wer mit dem ersten Halbjahr zufrieden sei, wurde im Publikum kaum eine Hand gehoben. Auch für die kommenden Monaten sind Anleger skeptisch. Eine Umfrage vor Ort ergab: Nur 33 Prozent der Gäste in der Meistersingerhalle erwarten ein gutes zweites Halbjahr, 66 Prozent glauben, dass die kommenden Monate für Anleger schwierig werden.

Der Austritt der Briten ist nicht das einzige große Thema, das die Welt derzeit umtreibt. „Die politischen Unruhen sind gigantisch“, sagte Steingart mit Blick auf die globalen Krisenherde. Dass die Börse diese Probleme nicht stärker tangiere, liege auch an der relativen Stärke der Unternehmen. „Die global agierenden Firmen sind es gewöhnt, in einer solchen Welt zu existieren und entsprechend zu reagieren“, sagte er. „Sie können mit Stößen eruptiver Art leben.“ Ulrich Stephan ergänzte: „Man muss als Anleger unterscheiden zwischen Realwirtschaft und Kapitalmärkten, sowie zwischen lang- und kurzfristigen Entwicklungen.“ Zwar seien die Gewinnerwartungen der Unternehmen rückläufig, doch gemessen an den aktuellen Kursniveaus erschienen Aktien nicht teuer bewertet.

Dass immer mehr deutsche Anleger aus Aktien fliehen, sei ein Fehler, so Steingart. Die Menschen müssten lernen, zwischen ihren Sorgen als Bürger und ihrer Lage als Sparer zu trennen. „Anleger müssen mehr wagen“, sagte auch Stephan. „Wenn sie heute ohne Wagnis anlegen, erzielen sie eine Rendite von minus 0,4 Prozent.“ Das sei aktuell der risikolose Zins. „Um eine positive Rendite zu erzielen, müssen Anleger also stärker ins Risiko gehen. Dazu gehören auch Aktien.“

Doch das Geld der Deutschen liegt nach wie vor überwiegend auf Sparkonten, wo es so gut wie keine Rendite erzielt. Dass es in absehbarer Zeit wieder Zinsen gebe, schlossen die Experten aus. „Das Niedrigzins-Phänomen wird uns noch Jahre begleiten“, so Stephan. Daran ändere auch die Zinswende in den USA nichts. Der Experte erwartet, dass die amerikanische Notenbank die Zinsen in diesem Jahr noch ein-, möglicherweise zweimal erhöht.

„Die Nebenwirkungen des billigen Geldes zwingen zum Umdenken“, betonte Oliver Plein. Dividendentitel seien daher ein wichtiger Baustein jeder Investmentstrategie. Oliver Plein rät zu defensiven Titeln. Diese würden in Krisenzeiten weniger stark verlieren. Außerdem würden sich schwankungsärmere Aktien langfristig auch besser entwickeln. „Investoren sollten auf Unternehmen setzen, die möglichst konjunkturunabhängig sind, deren Geschäftsmodelle Inflation, Zinsanstiege und Kriege überlebt haben“, so Plein. „Denken Sie beispielsweise an Zahnpastahersteller. Die Zähne putzen wir uns auch in einer Wirtschaftskrise.“

Auch Stephan empfiehlt Anlegern, bei der Aktienauswahl besonders auf Qualität zu achten. Die klare Botschaft des Abends: „Risikoloses Anlegen mit Rendite geht heute nicht mehr“, betonte Stephan.


Fragen und Antworten: Wohin mit dem Geld?

1. Der Brexit ist Realität. Wie sollten Anleger sich aufstellen?

Gabor Steingart: Es wird keinen Crash an den Märkten geben. In Europa werden nicht die Lichter ausgehen. Und ich glaube auch nicht, dass die britische Volkswirtschaft 2019 schlechter dasteht als heute. Großbritannien wird das Offshore-Zentrum der EU.

Ulrich Stephan: Der Brexit wird kommen, das sollten wir akzeptieren. Wir werden uns daran gewöhnen, genau wie die Unternehmen auch. All die Untergangsszenarien, die derzeit kursieren, werden sicher nicht eintreten.

Oliver Plein: Das politische Risiko bleibt im Markt und ist schwer einzuschätzen. Weitere Turbulenzen sind nicht ausgeschlossen. Im November wählen die Amerikaner, im kommenden Jahr dann Deutsche und Franzosen.

2. Wohin steuern die globalen Aktienmärkte im zweiten Halbjahr?

Ulrich Stephan: Das Brexit-Votum hat die Unsicherheit deutlich erhöht: Nach diesem Schreck müssen sich die Märkte erst mal neu auspendeln und ihr Gleichgewicht finden. Das geht nicht von heute auf morgen. Bleiben wir beim Dax, könnte sich ein Einstieg lohnen. Entscheidend für die Börse wird sein, wie sich die Unternehmensgewinne der Dax-Konzerne entwickeln.

Gabor Steingart: Es kann dauern, bis sich der Nebel in Europa lichtet. Die Skepsis, wie es mit der Europäischen Union und Europa weitergeht, ist groß. Vor allem der amerikanische Markt ist momentan der große Gewinner. Der Dollar ist stark, der Euro schwach.

Oliver Plein: Weitere Turbulenzen sind nicht ausgeschlossen. Ich empfehle Sparpläne. Sie disziplinieren ungemein. Außerdem investieren Anleger so antizyklisch. Sind die Kurse hoch, kaufen sie weniger Anteile. Sind sie niedrig, kaufen sie entsprechend mehr Anteile.

3. Was sollen Anleger kaufen?

Ulrich Stephan: Anleger müssen sich daran gewöhnen, dass es keine Renditen ohne Risiko gibt. Auch das Kostolany-Prinzip - ich lege mein Geld an und lege mich schlafen - funktioniert in diesem Marktumfeld nicht mehr. Ich rate Anlegern, aktiver zu werden, ihre Allokation auch kurzfristig anzupassen und dabei ihr Geld weiterhin möglichst breit zu streuen.

Gabor Steingart: Anleger sollten auf das Thema Digitalisierung setzen. Unternehmen, die hier weit vorne sind, sind die Börsenstars von morgen. Wir sollten die Welt durch die Augen unserer Kinder sehen, dann können wir die künftigen Googles, Facebooks oder Ubers früher erkennen.

Oliver Plein: Bei Dividendentiteln sollten Anleger auf nachhaltige Ausschüttungen setzen, also darauf, dass Unternehmen Jahr für Jahr kontinuierlich zahlen und idealerweise die Dividende steigern. Aktien, die weniger schwanken, sich aber langfristig besser entwickeln als der Gesamtmarkt, können ein Ersatz für Engagements am Rentenmarkt sein.


Hat der deutsche Immobilienmarkt noch Luft nach oben?

4. Wie sollten Anleger in Zeiten von Nullzinsen investieren?

Ulrich Stephan: Anleger müssen mehr wagen. Wenn sie heute risikolos anlegen, erzielen sie eine Rendite von minus 0,4 Prozent. Das ist aktuell der risikolose Zins. Um eine positive Rendite zu erzielen, müssen Anleger also stärker ins Risiko gehen, dazu gehören auch Aktien. Bei der Aufstellung des Portfolios sollte man sich aber immer auch absichern. Geht man beispielsweise vom Brexit aus, sollte man immer auch den Fall eines „Bremains“ berücksichtigen.

Oliver Plein: Die Nebenwirkungen des billigen Geldes zwingen zum Umdenken. Anleger müssen Schwankungen akzeptieren oder ihre Renditeerwartungen schmälern.

Gabor Steingart: Dass immer mehr deutsche Anleger aus Aktien fliehen, ist ein Fehler. Die Gewinner: Anleger in den USA, UK und Asien

5. Hat der deutsche Immobilienmarkt noch Luft nach oben? Sind indirekte Immobilienanlagen zu empfehlen?

Ulrich Stephan: Der Trend zur Urbanisierung ist ungebrochen. Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Das Problem: In den Städten wird zu wenig gebaut, das Angebot ist zu gering, weshalb die Preise anziehen.

Gabor Steingart: Immobilien sind, wie der Name schon sagt, immobil. Und sie schöpfen keinen Wert aus sich heraus. Die Nachfrage bestimmt ihren Wert.

Oliver Plein: Viele offene Immobilienfonds haben in den vergangenen Monaten deutliche Nettomittelzuflüsse gesehen, so dass der Liquiditätsanteil, der kaum verzinst wird, deutlich gestiegen ist. Gleichzeitig bestehen vor allem in Deutschland und teilweise in Europa nur noch begrenzte Möglichkeiten für Immobilienankäufe. Es gibt zwar noch Kaufgelegenheiten, aber eher global. Anleger sollten daher auf globale Immobilienfonds setzen.

KONTEXT

So legen die Deutschen an

Sparbuch und Tagesgeld über alles

Deutsche Anleger bleiben ihrem Sparbuch sowie dem Tagesgeldkonto treu (77,3 Prozent) - und das obwohl zwei von drei Befragten davon ausgehen, dass das niedrige Zinsniveau in Europa noch mindestens drei bis fünf Jahre anhalten wird (65,4 Prozent). Auf dem zweiten Platz folgen Aktien bzw. Aktienfonds, in die 26,1 Prozent der Befragten investiert sind. Immobilien- oder Immobilienfondsanlagen halten 19,1 Prozent, Anleihen oder Rentenfonds 12,4 Prozent der Anleger. 9,5 Prozent der Befragten haben derzeit kein Geld in einer der genannten Anlageformen investiert.

Quelle: Goldman Sachs Asset Management/TNS Infratest (Oktober 2015)

Sicherheit ist Trumpf

Sicherheit bleibt unverändert das wichtigste Kriterium bei der Entscheidung über die eigene Geldanlage (61,8 Prozent). Die ständige Verfügbarkeit des Geldes ist 29,4 Prozent der Anleger am wichtigsten, eine hohe Rendite nannten lediglich 6,8 Prozent der Befragten als wichtigstes Kriterium.

Wirtschaftliche Krisen als größtes Risiko

Als größte Risiken für ihre Geldanlage sehen private Investoren wirtschaftliche Krisen (42,9 Prozent). Mit deutlichem Abstand folgen Inflation und politischen Krisen (22,1 Prozent bzw. 15,6 Prozent). Staatsverschuldung und Deflation spielen, wie im vergangenen Jahr, eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.

Frustrierte Sparer, zufriedene Aktionäre

60,4 Prozent der Anleger, die ein Sparbuch oder Tagesgeldkonto haben, sind eher unzufrieden oder sogar äußerst unzufrieden mit ihrer Geldanlage. Mit ihren Erträgen bei Aktien/Aktienfonds, die gerade im aktuellen Niedrigzinsumfeld bessere Renditen versprechen, sind 69,2 Prozent sehr zufrieden oder eher zufrieden, mit Anleihen/Rentenfonds 62,7 Prozent. Am zufriedensten sind Immobilien- bzw. Immobilienfondsanleger mit ihren Erträgen: Hier geben über drei Viertel der Anleger an, sehr zufrieden oder eher zufrieden zu sein (78,4 Prozent).