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Altkanzler über den Dingen

Als Gerhard Schröder den Saal betritt, schwirrt ein Schwarm von Kameras um ihn herum, das Publikum applaudiert, ein Rentnerpaar erhebt sich sogar von den Stühlen. Der Altkanzler lächelt breit, begrüßt die Gäste in der ersten Reihe, umarmt, tätschelt Schultern. Er wirkt locker, lacht oft sein typisches Schröderlachen, scheint den Rummel zu genießen. „Es ist eine große Ehre“, sagt der Bürgermeister von Rotenburg an der Wümme, nennt Schröder „hohen Besuch“. Dann bittet er ihn auf die Bühne, zum goldenen Buch. Es ist bereits sein dritter Eintrag, einmal als niedersächsischer Ministerpräsident, einmal als Kanzler, nun als Altkanzler. Schröder unterschreibt, blickt dann kurz auf und sagt mit breitem Lächeln: „Das ist ein so teurer Stift, darf ich den behalten?“

Der Altkanzler ist bester Laune an diesem Mittwochabend. Braun gebrannt wie immer sitzt der 73-Jährige auf der Bühne, die Beine übereinandergeschlagen, schwarze Stoffhose, dunkelblaues Hemd, keine Krawatte, kein Jackett, der oberste Hemdknopf offen, die Ärmel hochgekrempelt. Schröder sieht nicht aus wie ein Elder Statesman, sondern eher wie ein lässiger Geschäftsmann, der nach einem erfolgreichen Tag noch schnell einen Drink an der Hotelbar nehmen will. Sein neuestes Geschäft muss er dann auch gleich zu Beginn der Fragerunde verteidigen. Wobei „Fragerunde“ übertrieben ist. Der Abend ist eher ein angepasstes Interview, nur zwischendurch liest der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil ein paar Fragen aus dem Publikum vor.

„Der Mainstream war noch nie ein Gewässer, das mich besonders interessiert hat“, sagt Schröder zu dem Angebot, in den Aufsichtsrat bei Rosneft einzuziehen. Und holt dann gleich gegen die Presse aus: „Diejenigen, die jetzt bestimmte Entscheidungen besonders kritisieren, die haben uns damals reinschreiben wollen in den Irak-Krieg.“ Dafür, dass sie auf der falschen Seite standen, hätte sie sich nie entschuldigt. „Stellt euch mal vor, ich wäre nicht für den Mineralölkonzern Rosneft in Russland vorgeschlagen worden, sondern für Exxon in Amerika. Wie wäre wohl die Reaktion der Presse in Deutschland gewesen? Alle wären begeistert und keiner würde darüber nachdenken: Was sind seine Beweggründe?“

Genau die will er dann aber doch mit dem Publikum teilen: Rosneft sei der weltgrößte Erdölkonzern mit „wirklich wichtigen Beziehungen zu Deutschland, der erhebliche Teile unseres Mineralölbedarfs sicherstellt“. Deswegen habe er überhaupt keine Probleme mit der Entscheidung. Und er denke gar nicht daran, sich daraus ein Problem machen zu lassen. Zu den Spekulationen, er sei sogar als Chefkontrolleur im Gespräch, äußert er sich nicht.

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„Ich glaube, es ist vernünftig, in einem internationalen Konzern, der sich mit Energiesicherheit beschäftigt, mitzuarbeiten.“ Anders, als gelegentlich dargestellt, sei Rosneft keineswegs der verlängerte Arm der russischen Regierung, beteuert Schröder. Das derzeit neunköpfige Board sei in der Mehrheit nicht russisch. „Das wird aber nicht mitgeteilt“, sagt er und lächelt verschmitzt.

Er stehe zu seiner Entscheidung. Er will Russland nicht ökonomisch und politisch isolieren. Großer Applaus im Saal. Wie den ganzen Abend über. Schröder hat hier ein Heimspiel, in Niedersachen war er acht Jahre Ministerpräsident. Hier gibt es keine Störer, keine Zwischenrufe. „Die Dämonisierung Russlands hilft keinem“, sagt Schröder. „Die Einbindung in die Weltwirtschaft kann uns allen helfen.“ Energiesicherheit sei für ihn nicht sicherzustellen, wenn man vor allem auf Nordafrika und den Nahen Osten setze. „Kurzum: Ich werd‘ das tun, und ich tue es aus Interesse“, erklärt Schröder. Aus Interesse an der Energiesicherheit und an einem „ökonomisch wie politisch vernünftigem Verhältnis zu unserem großen Nachbarn“. Das habe er schon während seiner aktiven Zeit gemacht – und das werde er auch in Zukunft tun.

Nach dem Ende der Kanzlerschaft hatte er eine Befürchtung: „Wenn ich nichts mehr zu tun habe, versaure ich.“ Und dann habe er nun mal das gemacht, was ihn interessiert, sei zurückgekehrt in seinen alten Beruf als Anwalt. „Ich bin jetzt 73“, sagt Schröder. „Es geht um mein Leben. Und darüber bestimme ich – und nicht die deutsche Presse.“

Es scheint fast, als würde Schröder zwölf Jahre nach Ende seiner Kanzlerschaft über den Dingen schweben. Nichts kratzt ihn an, er ist mit sich im Reinen. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Wladimir Putin bestreitet er nicht, im Gegenteil. Aber wenn jemand glaubte, über eine Freundschaft könne man Einfluss auf die russische Politik nehmen, „dann irrt derjenige, sowas geht nicht“, betont Schröder. Er sei schwer zu benutzen, und er habe auch nicht den Eindruck, „dass ich mich benutzen lassen will“.


Ein Gewinn für den Gastgeber?

Im Fall des Ukraine-Konflikts fordert er eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland. „Wenn es Fortschritte gibt, muss man beginnen, mit den Sanktionen aufzuhören.“ Man könne nicht nur mit dem Finger auf die Fehler der Russen zeigen. Beide Seiten müssten sich bewegen. „Die Ukraine ist ein in sich kulturell gespaltenes Land“, sagt Schröder. „Schauen Sie“, sagt er und hat nun den Ton eines Hochschullehrers. „Die ukrainische Regierung muss zur Föderalisierung stehen, und die Russen müssen ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, um die Kämpfe zu beenden.“

Dann ist das Thema Russland für ihn abgehakt. Danach gibt er sich vor allem als lässiger Welterklärer. Er redet über seine Angst vor Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, seine wichtigsten Entscheidungen, sein „Nein“ zum Irak-Krieg, lobt seine Agenda 2010 als Reformprojekt, das Deutschland viel besser durch die Krise gebracht habe als viele andere europäische Staaten. „Das wäre ja ganz schön, wenn man das endlich mal anerkennen würde“, murmelt er ins Mikrofon.

Er spricht über George W. Bush, der viel kalkulierbarer gewesen sei als Donald Trump. „Dessen Bereitschaft, Außenpolitik über Twitter zu machen, ist hochgradig gefährlich“, warnt Schröder. Und er gibt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, für den Schröders möglicher Rosneft-Deal alles andere als Rückenwind bedeutet, Mut für die letzten Wochen vor der Wahl: „Mit dem Rücken zur Wand kämpft es sich am besten.“ Nichts sei verloren, solange man es nicht selber verloren gebe.

Die Besucher in Rotenburg sind begeistert von Schröder. Und nehmen ihm den möglichen Rosneft-Job nicht übel: „Zwölf Jahre nach Ende der politischen Laufbahn, das ist eine ganz schön lange Zeit“, sagt Andreas Pfau, 55. Schröder könne dazu beitragen, dass man mit Russland im Gespräch bleibe. „Es ist gut, jemanden in dieser Position zu haben, der den Dialog mit unterstützt.“

„Ich finde, dass er seine Position in Russland zum Vorteil Deutschlands ausnutzen sollte“, sagt auch Diana Nitsche, 51. Ihr Partner pflichtet ihr bei: „Man sollte das nicht dramatisieren und Augenmaß behalten“, sagt Heiner Kortmann. „Solange Ex-Bundespräsident Christian Wulff Prokurist einer türkischen Firma ist, steht der Rosneft-Job auch Schröder zu.“ Immerhin gehe der Altkanzler offen damit um, findet Kortmann, der seit 32 Jahren SPD-Mitglied ist, Ortsverein Walsrode. Er sei zwar kein Freund von Schröder, aber eines werde er ihm nie vergessen: „Dass er unsere Jungs nicht in den Irak-Krieg geschickt hat.“ Dann wird er nachdenklich, überlegt kurz. „Manchmal wünschte ich mir, wir hätten mehr Typen vom Schlage Schröder in der Partei.“

Nils Bassen hat auch nichts gegen Schröders Engagement in Russland. Und das, obwohl der 24-Jährige für die Linken im Rotenburger Kreistag sitzt. „Viel schlimmer ist das, was er während seiner Amtszeit getan hat: Löhne und Renten gekürzt. Das wird schnell vergessen.“ Es sei Schröders Agenda 2010, die die SPD auch heute noch im Umfragetief halte, glaubt Bassen. „Viele reden über die Jobs danach, dabei sollte man ihn messen an seiner Politik.“

Bleibt die Frage, was Lars Klingbeil von all dem hat. Der Bundestagsabgeordnete für Rotenburg, früher mal Mitarbeiter in Schröders Wahlkampfzentrale, wollte den Altkanzler als Zugpferd für seinen Wahlkampf einspannen. Aber in den gut 70 Minuten redet vor allem Schröder, Klingbeil ist der artige Fragesteller. Für sich werben kann der Abgeordnete nicht. „Das war eine reine PR-Veranstaltung für Schröder“, sagt Phillip ter Klein. Der 18-Jährige, Erstwähler aus Rotenburg, macht gerade sein Abitur. Und er ist einer von jenen Unentschlossenen, von denen SPD-Chef Martin Schulz so gern redet. Ter Klein hätte sich gewünscht, dass Klingbeil auch etwas zu seinem Fachgebiet, der Digitalisierung sagt. „Ich weiß immer noch nicht genau, was er für den Landkreis machen will“, sagt der junge Mann.