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Abgeordnete protestieren gegen Lockdown des EU-Parlaments

Europapolitiker fürchten eine „Selbstzerstörung“ der Volksvertretung. Parlamentspräsident Sassoli sagt alle Sitzungen in Brüssel im November ab.

Die Verwaltung des EU-Parlaments arbeitet nur noch mit einer Notbesetzung. Foto: dpa
Die Verwaltung des EU-Parlaments arbeitet nur noch mit einer Notbesetzung. Foto: dpa

Im Inneren des EU-Parlaments herrscht diese Woche gähnende Leere. Das Europäische Parlament hat seine parlamentarische Arbeit angesichts der nur noch schwer zu kontrollierenden Corona-Situation in Belgien ausgesetzt. Parlamentspräsident David Sassoli entschied, den gesamten November nahezu alle Sitzungen des Parlaments und der Ausschüsse abzusagen.

Die Verwaltung des EU-Parlaments arbeitet nur noch mit einer Notbesetzung. Selbst die Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über das 1,8 Billionen große Finanzpaket dürfen nur noch im kleinsten Rahmen physisch stattfinden.

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Das Vorgehen führt zu scharfer Kritik, insbesondere aus den Reihen von CDU und CSU. „Ein Parlament, das durch seinen offiziellen Vertreter aufgelöst wird, verliert seine Legitimität. Diese Schädigung der einzigen demokratisch gewählten europäischen Institution durch Sie ist inakzeptabel“, warnt der CSU-Politiker in einer E-Mail an den italienischen EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli.

„Nachdem ich mehr als 26 Jahre als Mitglied dieses angesehenen Hauses gedient habe, hätte ich nie gedacht, dass ich Zeuge dieser Selbstzerstörung werde.“ Alle nationalen Parlamente hätten Wege gefunden, ihre Arbeit fortzusetzen und ihren Bürgern zu dienen. „Als Präsident des Europäischen Parlaments sollten Sie sich dafür einsetzen, unsere Arbeit zu ermöglichen und nicht zu behindern“, forderte Ferber.

Unionspolitiker fordern Kehrtwende

Die Europapolitiker von CDU/CSU im Europaparlament verlangen von Sassoli ein Ende des Lockdowns. „Wir wollen unbedingt eine Möglichkeit der Teilnahme aller Abgeordneten an den Plenartagungen, Ausschusssitzungen des Parlaments sowie den Trilogen vor Ort in Brüssel oder per Remote-Zugang unabhängig von ihrem Aufenthaltsort. Wir sind für die Wiederaufnahme der parlamentarischen Arbeit vor Ort bereit, zahlreiche Vorkehrungen und Einschränkungen in Kauf zu nehmen“, sagte David Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dem Handelsblatt am Dienstag.

Die CDU/CSU-Gruppe hat einstimmig ein entsprechendes Positionspapier beschlossen, das dem Handelsblatt vorliegt. Darin wird vorgeschlagen, dass pro Abgeordnetenbüro nur der Parlamentarier oder ein Mitarbeiter im Parlament arbeiten kann, um das Infektionsrisiko zu senken.

„Wenn die europäische Demokratie auch und vor allem in Krisenzeiten effektiv als Marktplatz für Ideen fungieren soll, kann dies nur durch persönliche und vor allem lebendige Debatten im Plenum des Europäischen Parlaments geschehen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Auch den nationalen Parlamenten sei es gelungen, die Debatten unter Politikern im Plenarsaal aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die erforderlichen Hygienemaßnahmen einzuhalten. Zudem würden sich auch andere Parlamente in Brüssel weiterhin in Anwesenheit treffen. CDU-Politiker Caspary fordert daher: „Diejenigen Abgeordneten, die nach Brüssel kommen müssen oder wollen, sollen auch in Zukunft an Sitzungen teilnehmen können.“

Auch Grüne und Liberale kritisieren die Schließung des EU-Parlaments. „Ich habe demokratische Bauchschmerzen, wenn wir uns als Europaabgeordnete über Monate nicht treffen sollten. Ich plädiere daher für ein Minimum an demokratischem Austausch“, sagte Anna Cavazzini, Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses im Europaparlament, am Dienstag.

„Mit rein digitalen Plenar- und Ausschusssitzungen sind nicht nur Debatten sehr eingeschränkt, sondern auch alle informellen Möglichkeiten der Begegnung für Abgeordnete ausgeschlossen.“ Die nationalen Parlamente fänden schließlich auch einen Weg, sich physisch weiter zu treffen. „Der Lockdown stellt ein Problem für die parlamentarische Arbeit dar, vor allem wenn es um heikle Themen und schwierige Kompromisse geht“, bestätigt auch der Europaabgeordnete und Digitalpolitiker Moritz Körner (FDP).

Parlamentspräsident sieht keine Alternative

Doch an der Praxis in den Mitgliedstaaten will sich die Parlamentsverwaltung nicht orientieren. Sie sieht angesichts der gefährlichen Pandemiesituation in der belgischen Hauptstadt keine Alternative zum erneuten Lockdown.

„Angesichts der besorgniserregenden Lage im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Covid-19, vor allem in Brüssel, wo sich derzeit vier Prozent der Bevölkerung pro Monat anstecken (Tendenz steigend), und zur Vermeidung von Gesundheitsrisiken für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, sein Personal und sonstige Personen“, habe der Präsident beschlossen, „dass ordentliche und außerordentliche Sitzungen der Leitungsorgane des Parlaments, des Plenums, der Ausschüsse und der Fraktionen im November ausschließlich per Fernteilnahme ohne physische Anwesenheit anderer Personen als des jeweiligen Vorsitzes, der unverzichtbaren Mitarbeiter des Sekretariats und der für die technische Unterstützung unverzichtbaren Bediensteten stattfinden dürfen“, heißt es in einem internen Schreiben der Parlamentsverwaltung.

Wie es nach dem November weitergehen wird, ist unklar. „Die Lage wird vor dem Hintergrund künftiger Entwicklungen und vorbehaltlich weiterer Beschlüsse des Präsidenten neu bewertet“, heißt es umständlich in der Mitteilung an die Abgeordneten.

Belgien ist das gefährlichste Land Europas in Coronazeiten, denn das 11,5 Millionen Einwohner große Belgien beklagt pro Tag über 120 Tote. Pro 100.000 Einwohner wurden in den vergangenen zwei Wochen 1735 Infektionen gemeldet, zeigen Daten des europäischen Zentrums für Seuchenkontrolle (ECDC).

Zum Vergleich: Im fast achtmal größeren Deutschland waren es im gleichen Zeitraum nur 215 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Bereits im Frühjahr erlebte das Europaparlament beim Ausbruch der Pandemie bereits einen Lockdown. Seit dem Frühjahr verzichtete die EU-Vertretung auf ihre Sitzungen in Straßburg, dem offiziellen Hauptsitz des Parlaments. Vergeblich protestierte Frankreich gegen die Vorsichtsmaßnahme.

Bei Mitarbeitern im EU-Parlament findet die Entscheidung Sassolis unterdessen durchaus Zustimmung. „Schon bislang arbeitete die Mehrheit der Abgeordneten von zu Hause aus und kam nicht mehr nach Brüssel“, sagt eine Mitarbeiterin in Brüssel. „Das hat gut funktioniert. Die jetzige Entscheidung ist daher für die Arbeit kein großer Nachteil.“ In Coronazeiten ist das Arbeiten für die Parlamentarier ohnehin schwierig. Denn die Büros sind im Gegensatz zu den imposanten Eingangshallen eng. Bereits vor Corona arbeiteten zahlreiche Mitarbeiter schon von zu Hause aus.

Für die Abgeordneten hat der Lockdown in Brüssel unterdessen auch finanzielle Nachteile. Denn pro Sitzungstag in Brüssel und Straßburg gibt es rund 320 Euro Sitzungsgeld. Die Anwesenheitsliste für die Europapolitiker, um ihre Tagesgelder zu beziehen, liegt bis mindestens Ende November nicht mehr aus.

„Ich finde es richtig, die Tagesgelder nicht auszuzahlen, damit es keine zusätzlichen Anreize für eine Anreise gibt“, begrüßt die grüne Abgeordnete Cavazzini die Entscheidung des Parlamentspräsidenten und weiß, dass nicht alle der über 700 Parlamentskollegen diese Meinung vertreten.

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