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Workaholic? Arbeitssüchtiger? Was ihr tun könnt, wenn sich euer Leben nur noch um den Job dreht

Am Montag, dem 5. Juli, könnten sich gewisse Menschen zur Abwechslung einen Tag freinehmen. Es ist National Workaholics Day. Der inoffizielle US-Gedenktag dürfte in Deutschland kaum bekannt sein. Das damit verbundene Thema aber betrifft Menschen in Industrienationen weltweit – selbst wenn es in anderen Ländern noch keine Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Workaholics in den USA gibt.

In Deutschland sagen aktuell rund 20 Millionen (28 Prozent) der Beschäftigten von sich, dass sie „voll in ihrem Beruf oder ihrer Ausbildung aufgehen und hart dafür arbeiten“. Das zeigt die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse 2021, die jedes Jahr die Einstellungen und Gewohnheiten der Deutschen abfragt. Die Analysten in Allensbach ordnen diese 20 Millionen Menschen dem Typ Workaholic zu.

Sich mit Freude der Arbeit widmen: Dagegen auf den ersten Blick ist nichts einzuwenden. Auch als US-Comedian Roger Dangerfield Ende der 60er-Jahre den Begriff Workaholic aufbrachte, hatte er nicht die Arbeitssüchtigen im Sinn. Er spielte auf seinen Vater an, der sich vor seinem Jobstress in den Alkohol flüchtete. Menschen, die wirklich an Arbeitssucht leiden, kann das meist nur ein müdes Lächeln entlocken – für Verabredungen haben viele von ihnen nur sehr selten einen Kopf. Die Arbeit geht vor.

Treffen kann Arbeitssucht alle

Sie neigen zu dauernden Überstunden, lassen Arbeitspausen oft ausfallen, bleiben im Büro, wenn andere in den Feierabend gehen. Viele sind auch noch am Wochenende, wenn sie eigentlich frei haben, mit den Gedanken ständig im Job. Das Sozialleben leidet. Alles, was neben der Arbeit existiert, verlieren sie aus dem Blick. Schätzungen zufolge ist fast jeder siebte Beschäftigte durch Arbeitssucht gefährdet.

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Treffen kann es alle. Bevorzugt betroffen sind sogenannte Wissensarbeiterinnen und -arbeiter, deren Berufe eng an Fachwissen und Informationen gekoppelt sind. Oft handelt es sich dabei um akademisch geprägte Arbeitsfelder und Tätigkeiten, die freier gestaltbar und örtlich unabhängig sind. Spätestens seit der Pandemie kennen das viele Beschäftigte.

Das Problem ist paradox: Einerseits würden sich viele Menschen eine Arbeit wünschen, die sie fordert und die ihnen gefällt. Zugleich räumen heute viele Menschen in Industrienationen dem Job eine sehr hohe Priorität ein. Arbeitgeber schätzen das. Dort, wo es Vertrauensarbeitszeit gibt, haben viele Menschen das Gefühl, selbstbestimmt arbeiten zu können. Viele hängen gern mal eine Stunde Arbeit dran, wenn das Stunden-Soll eigentlich geleistet ist.

Ab wann aber ist ein Workaholic gefährdet? Wo beginnt die Sucht? „Vielarbeiter“, die ihre Arbeit beglückend finden, aber eine Balance zwischen Arbeit und Leben wahren, sind nicht gemeint. Kritisch wird das Übermaß an Arbeit erst dann, wenn abends, in der Nacht oder in Zeiten, die eigentlich als Pause definiert sind, die Arbeit und die eigene Performance ständig präsent sind.

Die Beziehung zum eigenen Job wird toxisch.

Wer von der eigenen Arbeit getrieben ist, ist anfälliger für Arbeitssucht

Ein Team von Wissenschaftlern aus Kanada und Norwegen befragte 2006 500 norwegische Beschäftigte dazu, wie sehr sie sich mit der Arbeit verbunden fühlten und ob sie ihnen Freude macht. Das Ergebnis: Spaß an der Arbeit ergab sich am ehesten, wenn jemand sich als extrovertiert beschrieb und das Gefühl hatte, im Job aus eigener Kraft etwas bewirken zu können. Wer zu Unsicherheit neigte, sich als gewissenhaft beschrieb und daran zweifelte, etwas bewirken zu können, fühlte sich innerlich von der Arbeit getrieben. Und neigte eher dazu, der Arbeitssucht zu verfallen.

Forscher in Neuseeland fanden 2013 einen Zusammenhang zwischen einem Übermaß an Arbeit eines Menschen und seiner Neigung zu Schlaflosigkeit, Ängstlichkeit und Depression.

Julia Gruhlich, Arbeitssoziologin an der Universität Paderborn, betrachtet das Thema von einer anderen Perspektive aus. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit der Arbeitswelt unter gesellschaftlichen Blickwinkeln. „Heute werden ganze Gruppen von Menschen massiv von Arbeit vereinnahmt“, sagt sie. „Die Gründe dafür liegen nicht allein beim einzelnen Menschen oder der Persönlichkeit, sondern im gesellschaftlichen Fokus auf die Erwerbsarbeit und die Bedingungen von Arbeit als primäres Zentrum des Lebens.“

Die Münchner Ex-Managerin Sabine Votteler, einst gut bezahlte Führungskraft in der Wirtschaft, erlebte selbst, was Arbeitssucht heißt. Sie beschreibt es wie einen Abwärtsstrom. „Ich definierte meinen Wert komplett über meine Leistung im Job, erwartete von mir selbst immer noch mehr, bis ich nachts nicht mehr schlief." Sie war chronisch erschöpft.

Von heute auf morgen kündigte sie den Job. Sie war 49 Jahre alt und hatte 25 Jahre in Führungspositionen hinter sich. Sie war unter anderem Marketing- und Salesdirektorin für die Unternehmen wie Doc Morris und Zooplus gewesen und hatte neue Unternehmen aufgebaut.

„Wie bei der Drogensucht macht der nächste Schuss eine Weile high“

Die ständige „Sucht nach Anerkennung“ bestimmte ihre Arbeit. „Wie bei der Drogensucht macht der nächste Schuss, das nächste Karriereziel einen eine Weile high", so Votteler. „Kaum ist es erreicht, brauchst du das nächste Ziel, die nächste Gehalts- oder Hierarchiestufe. Ich brauchte die Bestätigung von außen – und hatte dabei immer das gute und gleichzeitig trügerische Gefühl: Ich bin unersetzlich.“

Das Leistungsdenken werde schon im Kindes- und Jugendalter angelegt, findet sie. „Machen, machen, machen, dann bringst du Top-Noten, kriegst eine gute Stelle – die meisten Menschen übernehmen diese Haltung, und die Systeme draußen kalkulieren damit.“ Nur wenigen Managern, sagt die Beraterin, komme der Gedanke, dass etwas falsch daran ist, vollkommen von der Arbeit bestimmt zu werden. „Es sei denn, es geschehen einschneidende Ereignisse wie, dass der Partner nicht mehr mitspielt oder die eigenen Kinder kritisieren, dass man kaum noch Zeit für sie hat.“

Sie selbst ließ sich zum Coach ausbilden und berät heute viele, die in ähnliche Situationen geraten. Die meisten, sagt sie, dächten erst durch ein äußeres Ereignis um. Vorher nicht. „Das kann eine Krankheit sein oder ein Beinahe-Burnout wie bei mir.“ Ein Ex-Geschäftsführer, den sie im Coaching erlebte, erhielt neulich die Kündigung. „Er hatte Anlagevermögen, kaufte sich ein Haus auf Mallorca. Er tauchte ab. Ihn hat das wachgerüttelt.“

Viele Jahre seien es vor allem Menschen im Alter 40 plus gewesen, die sich fragten, ob ihre Art zu arbeiten richtig sei, sagt die Beraterin. "Mittlerweile erlebe ich das immer früher, zum Beispiel bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Startups." Arbeitssucht, so Votteler, entstehe im Grunde von Beginn der Karriere an. „Viele opfern sich auf, denken: Ohne mich geht es nicht.“ Dabei wird die Leistung schwächer. Runtergehen vom Gas – das schaffe dennoch kaum jemand von sich aus.

„Ein gutes Zeichen ist es, wenn kritische Gedanken zum eigenen Arbeitsstil zugelassen werden“, sagt sie. „Dann kommt die Frage nach eigenen Zielen im Leben und nach den Werten. Und das Eingeständnis: Ich habe ja immer nur nach den Zielen im Unternehmen gearbeitet. Aber welche habe ich? Was will ich für mein Leben? Ist das schon alles?“

„Die Arbeitsbelastungen haben für viele einen kritischen Punkt erreicht“

Zum Arbeitssüchtigen wird ein Mensch schleichend. Das liege am Gesellschafts- und Arbeitssystem, in dem wir heute sind, sagt Forscherin Gruhlich. „Eine gestiegene Zahl von Burnout-Fällen und psychosomatische Probleme zeigen, dass die Arbeitsbelastungen für viele Menschen einen kritischen Punkt erreicht haben", so Gruhlich. „Es gibt eine Schieflage im Verhältnis von Arbeit, Familie und Freizeit. Arbeits- und Lebenszeit sind stark ungleich verteilt.“ Ablesen lasse sich das auch an den Überstunden, die der Einzelne regelmäßig leiste.

Dass die Arbeit viele Menschen heute völlig vereinnahmt, liegt für Gruhlich an dem, was sie Entgrenzung nennt. „Der Wegfall von Arbeitszeiterfassung und digitale Technologien ermöglichen das mobile Arbeiten – und das verlagert die Verantwortung für die eigene Leistung an das Individuum.“ Am Ende aber müssten die Zielvorgaben erfüllt sein, ganz egal, wie viel Zeit es koste. „Gerade Hochqualifizierte und Führungskräfte haben viel Gestaltungsspielraum in der Arbeit und können ihre Ideen einbringen“, sagt Gruhlich. „Dadurch identifizieren sie sich mit ihrer Tätigkeit und arbeiten gern – das erschwert es andererseits, Grenzen zu setzen.“

Wenn Arbeit stark vom einzelnen Menschen gesteuert werde, sei es auch diesem selbst überlassen, sie zu begrenzen. „Das aber ist immer schwerer möglich, weil Arbeit sich immer weiter verdichtet“, sagt Gruhlich. Es gebe mehr zu tun, aber nicht mehr Menschen, die die Arbeit erledigen. „Das erhöht den Druck auf viele Beschäftigte.“

Hinzu kommt, dass Leistung und Erfolg vom System belohnt werden – für Süchtige ein Problem. „Viele Unternehmen vergessen, dass Menschen sich ihre Arbeitskraft erhalten und regenerieren müssen“, sagt Gruhlich. Arbeit gesund zu organisieren und zu steuern, sei zwar Sache der Unternehmen. „Doch sie kommen ihrer Verantwortung nicht immer nach, solange sie den Eindruck haben, dass sich die freiwillige Selbstausbeutung der Beschäftigten für sie lohnt.“

Um das Problem nicht allein den Menschen zu überlassen, die zu viel arbeiten, sind nach Meinung der Arbeitssoziologin auch kollektive Interessenvertretungen notwendig. Dazu gehören Gewerkschaften. „Ohne einen Wandel der Arbeit zugunsten einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Leben lässt sich das Problem nicht bewältigen.“

Vier Tipps: So schützt ihr euch vor Arbeitssucht

1. Macht euch klar, welche Werte euch wichtig sind

„Ich habe bisher kaum arbeitssüchtige Menschen im Coaching erlebt, die wissen, welche Werte ihnen in ihrem Leben wichtig sind“, sagt Beraterin Votteler. „Menschen sollten diese Werte aber unbedingt herausfinden." Auch sie selbst habe sich diese erst in der kritischen Phase ihres Angestelltenlebens überlegt. „Meine Werte sind Freizeit, Wirksamkeit und Weiterentwicklung“, sagt sie. „Leider stellte ich mit Schrecken fest, dass ich keinen dieser Werte in meinen letzten Jahren als Managerin im Job leben konnte.“

2. Strukturiert eure Arbeit um

Eine bessere Arbeits- und Zeitorganisation hilft, Überstunden und chronische Mehrarbeit schrittweise zu reduzieren. Der Schritt setzt allerdings eine klare Sicht auf die eigene Situation voraus. Nur dann lässt sich die Situation durchbrechen. Gute Leistung zeigt sich nicht in Endlosstunden, sondern sollte sinnvoll eingeteilt sein.

Arbeitspausen haben einen Sinn: Sie schützen auch die eigene Gesundheit. Haltet sie ein. Der nächste Schritt sollte sein, dass ihr am Abend pünktlich den Rechner herunterfahrt und nach Hause geht. Wenn ihr es allein nicht schafft, könntet ihr im ersten Schritt eine vertraute Person einweihen und euch durch sie daran erinnern lassen.

3. Findet zu euch selbst: durch Achtsamkeit, Meditation, Sport

Wer für sich wisse, dass er an seinem Arbeitsethos etwas ändern müsse, sagt Votteler, könne zahlreiche wirksame Mittel für die Verbesserung des eigenen Mindsets nutzen. „Wellbeing, Wohlbefinden, ist auch für immer mehr Unternehmen ein Thema, vor allem seit Corona achten sie vermehrt darauf“, sagt die Beraterin. Sie rät zu Sport, Achtsamkeitskursen und Meditation. Auch zahlreiche Apps vermitteln Entspannungstechniken.

4. Pflegt euer Sozialleben

Ein intaktes soziales Leben hat genauso viel Bedeutung für euer Leben wie der Job. Menschen, die unter Arbeitssucht leiden, treten allerdings oft den sozialen Rückzug an. Aufmerksamen Freunden oder Familienmitgliedern entgeht das nicht. Sie suchen das Gespräch. Mit etwas Glück wird Betroffenen klar, dass sie etwas ändern müssen.