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Wirtschaft und Politik nehmen Amazon ins Visier

Mittelstand und Ökonomen warnen vor der Übermacht des US-Anbieters. Als Konsequenz bringen sie die Entflechtung des Konzerns ins Gespräch.

Amazon baut seine Marktmacht kontinuierlich aus. (Foto: Getty Images)
Amazon baut seine Marktmacht kontinuierlich aus. (Foto: Getty Images)

Das deutsche Kartellrecht stammt aus der Zeit der Schwerindustrie. Aus den Schornsteinen der Republik quollen Ruß und Schwefel, an den Förderbändern der Fabriken floss der Schweiß, als der Bundestag 1959 das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ erließ.

Die Regeln, die es der Marktwirtschaft setzte, gelten heute als dringend reformbedürftig. Erdöl und Kohle waren die Rohstoffe, die das deutsche Wirtschaftswunder befeuerten. Der Rohstoff der Zukunft sind Daten. Doch zur Datenökonomie hat das Kartellrecht wenig zu sagen.

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Diese Regulierungslücke haben Onlineplattformen, vor allem der US-Konzern Amazon, genutzt, um ihre Marktmacht kontinuierlich auszubauen. Amazon kontrolliert inzwischen fast die Hälfte aller deutschen Einzelhandelsumsätze im Internet. Und dieses Wachstum geht auf Kosten kleiner und mittlerer Unternehmen. Denn Amazon agiert nicht nur als Betreiber eines virtuellen Marktplatzes, der anderen Unternehmen zu neuen Absatzmöglichkeiten verhilft. Der Konzern tritt auch als eigener Anbieter von Gütern und Diensten auf – und drängt Konkurrenten aus dem Markt.

Dafür nutzt Amazon die Gesetze des Datenkapitalismus und seinen Größenvorteil: Aufgrund seiner Marktmacht sammelt der Konzern mehr Daten als seine Wettbewerber, nutzt diese um seine Angebote noch zielgenauer anzupreisen – und baut damit seine Stellung noch weiter aus. Unternehmen, die Amazon als Plattform nutzen, gewinnen zwar an Reichweite, sind aber nicht mehr Herr ihrer Daten.

Der Fall Amazon ist schon länger Gegenstand politischer Debatten. Jetzt begehrt auch der deutsche Mittelstand dagegen auf. Der deutsche Mittelstandsverbund ZGV hat beim Institut der deutschen Wirtschaft eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigt, wie die Verlagerung des Einzelhandels ins Internet den Wettbewerb verzerrt.

Fake: Amazon stoppt 13 Millionen gefälschte Kundenbewertungen

Die Studie liegt dem Handelsblatt vor. „Kleine und Mittlere Unternehmen geraten in ein immer größeres Abhängigkeitsverhältnis zu den großen Plattformen, ohne von den auf diesen generierten Daten in gleichem Maße profitieren zu können“, heißt es. Es sei dringend nötig „die regulatorischen Rahmenbedingungen anzupassen“, um mittelständische Anbieter „in die Lage zu versetzen, in einen gleichberechtigten Wettbewerb mit großen Plattformen einzutreten“.

Die Studie schlägt mehrere Optionen vor, um gleiche Wettbewerbsbedingungen im Onlinehandel zu schaffen. Sie reichen von Modellen, die Amazon zwingen würden, seine Daten mit anderen Anbietern zu teilen, bis zur Entflechtung und sogar zur Zerschlagung des Konzerns. Die IW-Experten geben allerdings zu bedenken, dass die Zerschlagung den „größtmöglichen Eingriff“ darstelle und daher „mit Vorsicht zu verwenden“ sei.

Grüne fordern hartes Vorgehen gegen Monopolisierung

Der Mittelstandsverbund, der etwa 230.000 mittelständische Unternehmen vertritt, darunter Gruppen und Genossenschaften wie Intersport und Hagebau, stellt klar, dass ihm die Aufspaltung von Amazon zu weit ginge. „Wir treten nicht für die Zerschlagung von Amazon ein“, sagte Verbandschef Ludwig Veltmann dem Handelsblatt. „Aber wir hätten gern ein ebenes Spielfeld: dass die Daten, die Amazon nutzt, auch von anderen genutzt werden können, die ja zur Entstehung dieser Daten aktiv beigetragen haben.“

In der Politik gibt es indes durchaus Sympathien für eine härtere Gangart. „Angesichts des noch immer rasanten Wachstums des Unternehmens, sollte man das Instrument der Zerschlagung als realistisches Szenario betrachten, auch wenn es nicht der erste Schritt sein kann“, sagte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, dem Handelsblatt.

Der Abgeordnete fürchtet auf lange Sicht negative Effekte auch für Verbraucher. Daher sei es wichtig, gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Amazon vorzugehen.

Auch der grüne Digitalpolitiker Dieter Janecek ist der Auffassung, dem Monopolisierungstrend im digitalen Kapitalismus müsse mit harten staatlichen Maßnahmen begegnet werden. „Es ist nicht absehbar, dass sich die Lage von sich aus wieder entspannt“, sagte Janecek dem Handelsblatt. Daher spricht er sich dafür aus, Amazon dazu zu zwingen, die Geschäftsbereiche Amazon Retail und Amazon Marketplace voneinander zu trennen.

Um zu verhindern, dass sich die Marktmacht erneut in den Händen eines einzigen Konzerns konzentriert, schlägt Janecek vor, großen Digitalplattformen prinzipiell zu verbieten, zugleich als Betreiber eines Marktplatzes und als Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zu fungieren. Janecek greift damit Forderungen auf, die auch in den USA diskutiert werden. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren etwa fordert die Zerschlagung der Netzgiganten aus dem Silicon Valley.

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht Regulierungsbedarf. „Es muss verhindert werden, dass Daten, die von Handelsunternehmen auf einer Plattform generiert wurden, von marktmächtigen Plattformen genutzt werden, um ihre eigenen Waren an die Kunden zu verkaufen“, sagte der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp dem Handelsblatt.

Als Lösung schwebt ihm ebenfalls eine Entflechtung vor. „Hier sind gegebenenfalls „Chinese Walls“ zwischen den Geschäftsfeldern der Plattformen verpflichtend einzuführen.“ Dies würde eine Trennung des Amazon-Eigengeschäfts und des Marketplace-Geschäfts bedeuten.

Solche Eingriffe dürften aber nicht wettbewerbshemmend wirken, fügte Tromp hinzu. „Ansonsten könnte das im Ergebnis dazu führen, dass neue Plattformunternehmen kein Interesse mehr an Wachstum haben, da sie dann als marktmächtig eingestuft werden könnten und dann strengeren Regeln unterliegen würden.“

Eine Datenteilungspflicht lehnt der HDE grundsätzlich ab. „Denn eine Öffnung der Datenbestände marktmächtiger Wettbewerber für konkurrierende kleine Unternehmen würde den Konkurrenten Zugriff auf autonom generierte und geldwerte Datenbestände ermöglichen und damit den Wettbewerb verzerren“, sagte Tromp.

Altmaier plant „Regulierung light“

Überhaupt sind die juristischen Unwägbarkeiten bei einem Vorgehen gegen Amazon nicht zu unterschätzen. Eine Entflechtung sehe er kritisch, sagte der Direktor des Instituts für Kartellrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Rupprecht Podszun. „Das führt vor allem zu langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen und ist für uns unbekanntes Terrain“, sagte Podszun dem Handelsblatt. „Da sollte man, wenn überhaupt, den Amerikanern den Vortritt lassen, wo so etwas ja inzwischen auch diskutiert wird.“

Podszun wies zudem darauf hin, dass im Fall von Facebook das Bundeskartellamt eine interne Trennung der Aktivitäten und der Datensätze angeordnete habe und beim Oberlandesgericht Düsseldorf gescheitert sei. „Wenn so etwas versucht wird, muss man sich der Fakten schon sehr sicher sein.“ Bei Amazon sei daher die entscheidende Frage, ob der Konzern inzwischen eine solche Marktmacht habe, dass eine Regulierung nötig sei.

Amazon sei wie ein Makler, erläuterte der Kartellexperte, der auf beiden Seiten, für Käufer und Verkäufer tätig werde. Und Amazon habe die Möglichkeit, Verbraucher und Verkäufer zu steuern. „Dabei besteht natürlich ein Anreiz, diese Steuerung zur eigenen Profitmaximierung auszunutzen.“ Es sei daher zu prüfen, ob dieses Vorgehen untersagt werden müsse. „Ein Unternehmen kann nicht den ehrlichen Makler spielen und in Wirklichkeit im großen Stil manipulieren.“

Das Wirtschaftsministerium sehe das Problem auch, so Podszun. Tatsächlich hat das Haus von Peter Altmaier (CDU) vor zwei Wochen den Entwurf eines neuen Kartellrechts in die Ressortabstimmung gegeben. Was der Wirtschaftsminister darin vorschlägt, läuft für Podszun auf eine „Regulierung light von Amazon & Co.“ hinaus: „Das ist einen Versuch wert.“ Dem Entwurf zufolge soll das Bundeskartellamt den Datenzugang für kleine Wettbewerber erleichtern.

Der Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, lobt den Vorstoß. „Ich denke, es ist sinnvoll, dass wir konsequenter als bislang über eine Regulierung der dominanten Plattformen nachdenken“, sagte er. So sei im Altmaier-Entwurf ein „Selbstbevorzugungsverbot“ für Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb geplant. „Das würde insbesondere Amazon treffen, die gleichzeitig als Marketplace und Händler auf diesem Marketplace aktiv sind“, sagte Wambach. „Eine besondere Behandlung der eigenen Handelsaktivitäten, auch hinsichtlich Datenaustausch, wäre dann verboten.“

Für den Wettbewerbsökonomen Justus Haucap birgt dieser Ansatz jedoch „zahlreiche Unsicherheiten, da etwa völlig unklar ist, was marktübergreifend ist und was nicht“. „Diese Konzeption weicht fundamental von der bisherigen Kartellrechtspraxis ab, die immer Machtlagen auf Märkten betrachtet“, sagte der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomik (DICE) dem Handelsblatt.

Die Loslösung von Märkten verleihe dem Bundeskartellamt „ganz erhebliche“ Macht. Daher sollten möglichst genau präzise Kriterien definiert werden, damit ein solches Instrument nicht zu „willkürlichen Eingriffen“ führe.

Zerschlagung ginge zu weit

Haucap gab zudem zu bedenken, dass selbst kleine Plattformen oft marktübergreifend tätig seien, zum Beispiel in verschiedenen Regionen. Ein Verbot, eigene Angebote zu bevorzugen, können auch nach hinten losgehen. „Plattformen, die sich tendenziell für Drittangebote öffnen wollen, werden nun eher davor zurückschrecken, weil sie damit sofort von der Regulierung erfasst werden“, so Haucap.

Viele deutsche Unternehmen kennen indes die Amazon-Problematik inzwischen. „Sie sind bei den digitalen Ökosystemen in einem Klammergriff, aus dem sie schwer herauskommen“, sagte Podszun. „Einerseits wollen sie die Umsätze über Amazon generieren, andererseits laufen sie Gefahr, dass Amazon ihnen immer mehr Geschäft abnimmt.“

Podszun setzt auf den Ausgang des Verfahrens der EU-Kommission gegen den US-Konzern. „Dann haben wir eine gesicherte Faktenbasis“, sagte Podszun. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager habe ja Ermittlungsmöglichkeiten, „die über das Hörensagen und einzelne Anekdoten hinausgehen“. Und davon macht Vestager auch Gebrauch.

Im Juli leitete Vestager nach längeren Vorermittlungen eine formelle Untersuchung gegen den Konzern ein. Der Verdacht: Der Konzern könnte seine „doppelte Funktion als Verkaufsplattform und Einzelhändler“ missbraucht haben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. So sammele Amazon Daten über Drittanbieter auf seiner Marktplatz-Plattform, deren Produkte und Transaktionen.

Die von den Digitalriesen gefürchtete Dänin hat bereits angekündigt, gerade die großen Online-Plattformen noch genauer unter die Lupe nehmen zu wollen. Diese nutzten bisweilen ihre Marktmacht und ihren Zugriff auf enorme Datenmengen aus, „um ihre eigenen Geschäftsinteressen zu bevorzugen“, sagte sie. Vestager verantwortet unter der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter die Wettbewerbsaufsicht und dirigiert als Vize-Präsidentin zugleich die Regulierung der Digitalwirtschaft.

Die Kommission arbeitet bereits an neuen Regulierungsvorschlägen für die digitalen Dienstleister, die auch Amazon betreffen könnten. 2020 treten zudem bereits verabschiedete Regeln in Kraft, die die Rechte kleinerer Anbieter gegenüber den Plattformbetreibern stärkt. So müssen Amazon, Google und Co künftig den Firmenkunden etwa erklären, nach welchen Kriterien sie deren Angebote ranken.

Eine Zerschlagung der Konzerne hält Vestager für zu weitgehend. „Wir haben dieses Werkzeug“, sagte sie kürzlich im Europaparlament. Sie sei aber dazu verpflichtet, keine überharten Maßnahmen zu ergreifen. „Ein Unternehmen zu zerschlagen, ist schon eine große Sache.“

Video: Wettbewerbswidriges Verhalten? Amazon im Visier des EU-Kartellamts