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Immer mehr Konzerne spalten sich auf – das steckt hinter dem Trend

Großkonzerne bauen um: Holdings lösen die aufgeblähten Zentralen ab. Es locken besserer Kapitalzugang und höhere Bewertungen – doch das gelingt nicht immer.

Siemens-Chef Joe Kaeser hat ein Faible für anschauliche Erklärungen. Wie ein Unternehmen am besten organisiert ist, das lässt sich in der hochkomplexen Terminologie der Betriebswirtschaft beschreiben. Oder ganz einfach mit einem Bild: Siemens, so schwebt es dem CEO vor, soll künftig wie ein Flottenverbund durch das stürmische Meer fahren – eine Kombination aus schlanker Zentrale und vielen Schnellbooten, die eigenständig ihren Kurs halten.

Praktisch sieht das so aus: Der Siemens-Chef hat die Medizintechnik unter dem Namen Healthineers verselbstständigt und an die Börse gebracht. Die Windkraft fusionierte mit dem Konkurrenten Gamesa und kam so ebenfalls an die Börse. Ein ähnliches Modell ist gerade in der Bahntechnik mit dem geplanten Zusammenschluss mit Alstom zu einem neuen europäischen Zug-Champion geplant.

Die Siemens-Geschäfte sollen so mehr unternehmerische Freiheit, Agilität und Schnelligkeit bekommen – mit der Marke Siemens als verbindender Klammer. Am 2. August wird Kaeser seine weiterentwickelte Strategie „Vision 2020+“ präsentieren. Der Dax-Konzern wird den Weg stärker in Richtung einer Holding fortsetzen. Auch die Geschäfte, die noch Kern sind – die Zahl der industriellen Divisionen wird laut Industriekreisen von fünf auf drei reduziert –, sollen mehr Eigenständigkeit bekommen.

Siemens ist Vorreiter eines aktuellen Trends unter den großen deutschen Industriekonzernen. Sie fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer historisch gewachsenen Organisation. Die alten integrierten Konzerne werden aufgebrochen und in Holdinggesellschaften verwandelt, die ihren selbstständigen Töchtern freien Lauf lassen.

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Für Experten steht der Umbruch erst am Anfang. „Der Trend zu Aufspaltungen und flexibleren Organisationen wird noch zunehmen“, so Ralf Kalmbach, Partner bei der Unternehmensberatung Bain & Company. Der Fachmann für die Automobilindustrie gibt sich überzeugt: „Unternehmen müssen offener und schneller werden, um den rasanten Wandel in der Technologie und in den Märkten meistern zu können.“

Die Unternehmen haben längst gemerkt: Sie können ihre verschiedenen Geschäfte nicht mehr von einer Zentrale aus steuern. Dafür verändern sich die Märkte und Geschäftsmodelle zu schnell. „Die Manager reagieren auf radikale technologische Umbrüche, die sie zwingen, neu über ihre Strukturen nachzudenken“, beobachtet Martin Hörstel, Bereichsvorstand Global Banking HSBC Deutschland. „Durch Aufspaltung und Verselbstständigung der Einheiten können die Firmen viel schneller und flexibler entscheiden, was sie mit den einzelnen Geschäftsbereichen machen – zukaufen, an die Börse bringen oder verkaufen.“

Darum geht es bei dem groß angelegten Umbau der deutschen Konzerne, der sich längst angekündigt hat und bei dem der Autozulieferer Continental mit der angekündigten Aufspaltung nun vorprescht. Mit der Schaffung von drei Bereichen unter dem Dach einer Holding rüstet sich der Dax-Konzern für die Zukunft der Mobilität.

Continental-Chef Elmar Degenhart spricht von einem historischen Tag, von „großer Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit“ als Trümpfe, die Conti künftig im Wettbewerb ausspielen will. Das sind Worte, wie sie in den Vorstandssitzungen deutscher Konzerne derzeit öfter zu hören sind. Denn Conti ist nur die bisherige Spitze eines groß angelegten Umbaus der deutschen Wirtschaft.

Nicht nur Siemens und Conti, sondern auch Volkswagen und Daimler treiben ihre Pläne für eine Neuorganisation voran. Andere Konzerne haben sich bereits selbst zerlegt und einstige Kerngeschäfte ausgegliedert: Eon mit seiner Kraftwerkstochter Uniper, Bayer mit dem Kunststoffhersteller Covestro. Bei anderen Konzernen wird der Umbau bisher noch in Vorstandssitzungen hinter verschlossenen Türen diskutiert.

Der Herzmuskel der deutschen Industrie ist das Paradebeispiel für den Trend: Die Automobilunternehmen sind so strukturiert, wie es zum Geschäft des Fahrzeugbaus lange Zeit passte. Doch die Autowelt wird revolutioniert: Aus Herstellern werden Mobilitätsdienstleister, das vernetzte Fahren bringt Hersteller und IT-Unternehmen eng zusammen, die E-Mobilität verlangt nach neuen Geschäftsmodellen.

Schneller und agiler

Daimler hat das erkannt. Bei dem Stuttgarter Hersteller brummt seit Jahren das Geschäft zwar ungebrochen, Umsatz und Gewinn liegen auf Rekordniveau. Doch der Blick geht nach vorn: Um den Konzern für autonomes Fahren, Elektromobilität, neue Kundenwünsche und den zunehmenden Wettbewerb zu rüsten, wollen die Schwaben den Konzern drastisch umbauen.

Unter dem Dach einer Holding sollen drei selbstständige Einheiten (Pkw, Lkw, Finanzdienstleistungen) frei agieren. Daimler will durch die Struktur schneller, agiler und interessanter für Investoren und künftige Partner werden. Schließlich dümpelt der Aktienkurs der Stuttgarter seit Jahren vor sich hin. Und es ist leichter, Kooperationen in kleineren Einheiten abzuschließen.

Seit Monaten arbeitet ein Team von mehreren Hundert Mitarbeitern an der Umsetzung des „Projekts Zukunft“. Daimler-Chef Dieter Zetsche will mit der Umstrukturierung seine mehr als zwölf Jahre währende Ära krönen.

Als finalen Akt, bevor Zetsche an seinen Nachfolger übergibt, plant der Manager, das Holdingkonzept auf der Hauptversammlung 2019 von seinen Aktionären absegnen zu lassen. Zetsche hofft auf eine breite Unterstützung für das Vorhaben.

Das neue Management-Modewort „mehr Agilität“ fällt in jeder Präsentation der Zukunftskonzepte. Es ist das Eingeständnis, dass die bestehende Zentralorganisation zu lahm ist. Diese Trägheit aber können die operativen Einheiten der Unternehmen gar nicht mehr gebrauchen.

Denn die Konzerne werden von sogenannten „Pure Playern“ angegriffen, die auf ein Kerngeschäft fokussiert sind und ohne Ballast daherkommen: die Autohersteller etwa vom Elektroautohersteller Tesla und Siemens von neu formierten Medizintechnikfirmen aus Asien.

Die Gründung selbstständiger Töchter soll zum einen ermöglichen, dass sich deren Management zu einhundert Prozent auf sein Geschäft konzentrieren kann. Zum anderen soll sie ermöglichen, dass die Töchter schneller und einfacher Partnerschaften eingehen können, etwa eine neue Sparte eines Automobilbauers mit einem IT-Unternehmen. „Solche Partnerschaften werden überlebenswichtig für Industrieunternehmen“, sagt Ralf Kalmbach, der bei der Unternehmensberatung Bain die globale Praxisgruppe Automobil leitet.

Unabhängig agieren

Das gilt auch für Volkswagen. Der Konzern ist seit Langem Ziel von Spekulationen zur Aufspaltung. Bis vor Kurzem galt in Wolfsburg noch die Maxime des ehemaligen Aufsichtsratschefs und Miteigentümers Ferdinand Piëch, nach der VW nur kaufe, aber nie etwas abgebe.

Dieser Grundsatz gerät nun ins Wanken: Die erst 2012 erworbenen Lkw-Töchter MAN und Scania werden in Traton Group umbenannt und sollen bereits im kommenden Jahr an die Börse. Lastwagenchef Andreas Renschler will sich schon länger unabhängig von Volkswagen machen und den Sitz von Braunschweig nach München verlegen. Anders als bei Konzerntöchtern wie Audi oder Skoda sollen keine Mitglieder der Familien Porsche und Piëch in den Aufsichtsrat einziehen. Obwohl Volkswagen die Mehrheit der Anteile behalten will, wird Renschler sehr eigenständig agieren können.

Es ist das andere große Motiv für den Umbau in deutschen Unternehmen: Fokussierte Töchter können leichter an die Börse gebracht werden, denn sie sind bei den Investoren gerne gesehen. „In Zeiten einer starken Kapitalmarktdynamik gewinnen Konzerne durch die Börsengänge einzelner Sparten nicht nur größere Aufmerksamkeit, sondern vor allem eine höhere Bewertung“, sagt Dirk Pahlke, Leiter M & A für den deutschsprachigen Raum bei der Investmentbank Rothschild.

Es ist eine oft zitierte Rechnung von Analysten: Die Summe der Einzelteile eines Konzerns ist mehr wert als der Gesamtkonzern. Bayer gilt als Vorbild: Die im Herbst 2015 an die Börse gebrachte Kunststofftochter Covestro hat ihren Kurs seither mehr als verdreifacht. Auch das von Eon abgetrennte Kraftwerksgeschäft Uniper startete an der Börse durch.

Doch nicht immer geht diese Rechnung auf, mit der viele Abspaltungen begründet werden. Die Aufspaltung des Handelskonzerns Metro ins traditionelle Großhandelsgeschäft und in die Ceconomy AG („Media Markt“, „Saturn“), sollte neue Werte heben. Doch darauf warten die Anteilseigner vergeblich. Die Summe des Börsenwerts der beiden Teile des Handelskonzerns liegt heute deutlich unter dem Wert vor der Trennung. Strategisch wiederum ist die Trennung sinnvoll – zu gering waren die Überschneidungen.

Ähnlich sieht es bei der Deutschen Bank und der abgespaltenen Fondstochter DWS aus. Gleich auf mehreren Ebenen erhofft man sich für die DWS Vorteile: Das Fondshaus kann nun Leistungsträger losgelöst von den strengen Vorschriften für Banken entlohnen. Außerdem lassen sich eigene Aktien für kleinere Akquisitionen nutzen.

Ob sich die Vorteile auch für Investoren auszahlen, muss sich aber erst noch zeigen. Beim Börsengang konnte die Deutsche Bank nur einen Preis am unteren Ende ihrer Erwartungen durchsetzen. Seit dem Börsengang im März hat der Aktienkurs der DWS um 15 Prozent nachgegeben.

Fokus und Wachstum

Der Trend zur Aufspaltung der Konzerne macht deutlich: Konglomerate des alten Zuschnitts sind out. „Sinnvoll sind große Konzerne mit vielen verschiedenen Bereichen nur, wenn sich wirklich Synergien heben lassen“, sagt Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment. „Das ist aber oft nicht der Fall, und das bestraft der Markt.“

Diese Bestrafung kommt meist in Form einer schlechten Bewertung daher, und das lockt sogenannte aktivistische Investoren an. Hedgefonds wie Elliott aus den USA lauern nur darauf, angeblich schläfrige Unternehmen aufzumischen – derzeit bevorzugt in Europa. Auch sie stehen hinter dem Trend zur Aufspaltung und Neuorganisation der deutschen Konzerne.

Siemens-Chef Joe Kaeser will sich diese Investoren vom Hals halten. Er handelt mit dem angekündigten Konzernumbau lieber selbst. Es gehe nicht mehr um Größe und Diversifizierung, sondern darum, sich am besten an die rasant verändernden Umgebungsbedingungen anzupassen. Fokussierung, ist Kaeser überzeugt, bringt Wachstum – und das sei wichtiger als klassische Synergien. Er weiß, dass es vor allem einen Schutz gegen Investorenforderungen gibt: eine gute Performance.

Die warnenden Worte dürften auch in Essen gehört werden, wo Thyssen-Krupp derzeit in einem Führungsvakuum steckt und die Zukunft des Konzerns völlig offen ist. Thyssen-Krupp gilt als einer der letzten Mischkonzerne alter Art – zwischen Aufzügen, Stahl und Automobilteilen gibt es wenig Synergien. Interims-CEO Guido Kerkhoff will an allen Geschäftsteilen festhalten. Ob er das aber in der bisherigen integrierten Struktur machen kann, ist fraglich. Elliott und der Finanzinvestor Cevian drängen auf Veränderungen.

„Wenn man als Vorstand nicht bereit ist, über Veränderungen der Konzernstruktur nachzudenken, kann einen das den Job kosten“, sagt Ingo Speich. „Es gibt für Konglomerate hohe Bewertungsabschläge am Kapitalmarkt.“

So könnte Thyssen-Krupp der nächste Fall für einen größeren Konzernumbau werden.