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Die Vermessung der Fremde

Amardeep Sharma kennt Tinki Madan eigentlich nicht. Trotzdem steht er gerade mitten in ihrem Schlafzimmer und inspiziert den Schrank, in dem sie auch ihre Unterwäsche aufbewahrt. "Sie haben aber ein schönes System", sagt Sharma anerkennend und macht ein Foto mit seinem Smartphone. Die junge Hausfrau ist geschmeichelt. Stolz erörtert sie die Details zu ihrem Sortiersystem. Optimale Raumnutzung ist wichtig für die Madans: In ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in einem Hochhaus in Neu-Delhi wohnen sieben Personen aus vier Generationen zusammen. Entsprechend eng ist es.

Sharma ist Marktforscher für und hat eine Mission: Er will herausfinden, wie die Inder wohnen. Wie sie ihre Kleider verstauen, wie viel sie kochen, mit wie viel Personen sie essen und wann sie aufstehen. Sharma ist Teil einer groß angelegten Operation seines Arbeitgebers. Mitte 2017 wollen die Schweden ihren ersten -Shop in eröffnen. Bis 2025 sollen 24 weitere folgen.

Seit mehr als drei Jahren bereitet sich die Möbelkette auf den Markteintritt vor. "Wir wollen ganz genau wissen, was die Inder wollen und womit sie noch nicht zufrieden sind. Und ihnen Verbesserungsmöglichkeiten anbieten", sagt Ikea-Kreativ-Direktorin Mia Lundström, die dafür verantwortlich sein wird, die Ausstellungsräume in den Ikea-Läden einzurichten. Ikea werde für die Inder eigene Produkte entwickeln, erklärt Lundström. Etwa eine flache Tawa-Pfanne mit der sich indische Chapatis backen lassen.

Mehr als 500 Hausbesuche hat Ikea in Indien schon gemacht, bei Dutzenden war Lundström selbst dabei. "Die Kunden sollen später in Ikea-Läden denken: So könnte es auch bei mir aussehen", sagt sie. Stünde eine Waschmaschine beispielsweise in der Küche, würde das einen Inder ziemlich verwirren. Die Inder stellen das Gerät in der Regel auf ihren Balkon.

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Derartige Fettnäpfchen lauern überall. Es reicht deshalb oft nicht aus, sein in der Heimat erfolgreiches Produkt einfach auf einen ausländischen Wachstumsmarkt zu liefern. Die Produkte, das Marketing, der Vertrieb - vieles muss sich am neuen Land und den Bedürfnissen der Bevölkerung dort ausrichten. Besonders wenn es nach Asien geht, sei die Gefahr von Fettnäpfchen groß, sagt Marktforscherin Marita Schimpl, Leiterin der Marktforschungsagentur Myanmar Survey Research in Myanmar. Produkte werden anders wahrgenommen, Gerüche auch. "Jasmin gilt in Europa beispielsweise eher als schwerer Duft", meint Schimpl. "In Asien dagegen wird es als frisch und energiespendend wahrgenommen."

Schimpl hat sich einen extremen Arbeitsort ausgesucht. In dem jahrzehntelangen isolierten Staat berät sie unter anderem mehrere Dax-Konzerne, wie diese ihre Produkte und Werbung anpassen müssen. Immer wieder reist sie dafür in ländliche Gebiete und erlebt Überraschungen. So hätten zwar mittlerweile viele ein Smartphone sagt Schimpl. "Das heißt aber noch lange nicht, dass sie das auch richtig bedienen können."


Wie Panasonic den Menschen in die Stuben schaut

Selbst bei ähnlichem Wohlstand und Bildungsgrad im Vergleich zum Westen unterscheiden sich die Lebensgewohnheiten. Die Madans in Neu-Delhi gehören mit einem Einkommen von mehr 40.000 US-Dollar zu den Topverdienern in Indien. Sie wohnen in Dwarka, einem der besseren Wohnorte zwischen dem Zentrum der Hauptstadt und der boomenden Nachbarstadt Gurgaon. Während ihre Küche so aussieht wie eine Küche im Westen, unterscheidet sich das Wohnzimmer stark: Es ist spartanisch eingerichtet, abgesehen von einer Sitzgarnitur und einem Tischchen befindet sich fast nichts darin.

Das hat einen Grund. Fast jedes Wochenende werde das Wohnzimmer mit Matratzen ausgelegt und zum Gästezimmer umfunktioniert, sagt Tinki Madan. Schließlich sei die Familie groß, es gebe ständig etwas gemeinsam zu feiern. Auch Pujas, kleinere religiöse Zeremonien, würden oft im Wohnzimmer abgehalten. Da müsse immer wieder Platz geschaffen werden. Auf derartige Informationen hat es Ikea abgesehen. Nicht nur Ikea dringt bis in die Wohnzimmer vor.

Auch der japanische Elektronikkonzern Panasonic schaut den Menschen in die Stuben. In China und Europa betreibt das Unternehmen dazu seine Lifestyle Research Center. Im Reich der Mitte führen die Ingenieure rund 400 Hausbesuche sowie zig Gruppeninterviews und Straßenbefragungen pro Jahr durch. So haben die Japaner etwa einen Kühlschrank entwickelt, bei dem ein mittleres Fach je nach Bedarf als Kühl- oder Eisfach genutzt werden kann. Denn im kühleren Norden Chinas frieren die Menschen mehr ein. Im wärmeren Süden hingegen werden mehr Kühlfächer benötigt, da die Menschen oft täglich einkaufen und wenig einfrieren.

Für China entwickelte das Unternehmen auch größere Mikrowellenöfen, weil Chinesen im Gegensatz zu Japanern größere Fische ganz grillen. Außerdem werden spezielle Dampföfen ohne Mikrowelle verkauft - für Chinesen, die sich wegen möglicher gesundheitlicher Auswirkungen durch Mikrowellen sorgen. Viele Länder haben solche Eigenheiten, die nicht unbedingt wissenschaftlicher Logik folgen. Marktforscherin Schimpl hat festgestellt, dass es in Myanmar absolut unüblich ist, die Unterwäsche von Männern und Frauen gemeinsam zu waschen. In der Vorstellung vieler Myanmaren führt das zu einer Schwächung der Potenz. "So etwas erfährt man nur, wenn man sich genau anguckt, wie die Leute ein Produkt verwenden und sie detailliert befragt", sagt sie.


VW baut den Cabrio-Bus für muslimische Pilger

Manchmal erfahren Unternehmen auch per Zufall von den Eigenheiten neuer Märkte. Dann gilt es, schnell zu reagieren. Volkswagen in Brasilien verhandelte einmal über einen Großauftrag voll klimatisierter Busse für das saudi-arabische Transportunternehmen Taseco. Die Busse sollten muslimische Pilger zu den heiligen Stätten des Landes transportieren. Nebenbei erwähnte der Kunde, dass er von einigen Bussen die Dächer absägen werde. Einige Pilgergruppen aus Iran tolerieren auf der Hadsch kein Dach zwischen sich und Allah. Schade sei nur, dass man die Busse danach nicht mehr gebrauchen könne, sagte der Spediteur. Die brasilianischen -Ingenieure präsentierten in nur 90 Tagen die Lösung: Zusammen mit dem brasilianischen Chassis-Fabrikanten Marcopolo entwarfen sie den ersten Überlandbus mit abnehmbarem Dach. Mit einem Hebekran lässt es sich entfernen - und wieder einsetzen. 88 solcher Busse lieferte Volkswagen nach Saudi-Arabien.

Die Bus- und Lkw-Produktion in Brasilien, mittlerweile unter dem Dach MAN, kennt solche Spezialanforderungen. So liefert MAN höher gelegte Fahrzeuge, damit sie im Amazonas nicht im Schlamm stecken bleiben. Besondere Wünsche gab es auch von den Müllentsorgern: In Rio de Janeiro und São Paulo brauchen sie wendige Fahrzeuge, welche die steilen Hügel in den Millionenstädten voll beladen hochkommen. Gleichzeitig dürfen sie nur wenig Lärm machen, weil der Müll meist nachts gesammelt wird. Der Motor wurde in eine geräuschdämmende Kapsel gelegt. Inzwischen benutzen die Müllentsorger in den zwei größten Städten Südamerikas fast ausschließlich MAN-Modelle. Auch Ikea muss sich technisch in Indien anpassen. Die Hitze und Feuchtigkeit dort könnten eine enorme Belastung sein, sagt Lundström. Wegen der Großfamilien würden Sitzmöbel deutlich häufiger verwendet und nutzten ab. "Wir müssen auch untersuchen, ob wir unsere Produkte robuster bauen müssen."

Und so ist Sharmas Besuch bei den Madans an diesem Tag eine Mischung aus Kaffeeklatsch und akribischer Untersuchung: Er kontrolliert die Härte der Matratze, lässt sich den Kühlschrankinhalt zeigen und hört sich die Lebensgeschichte des Großvaters an. Jetzt sitzt er auf Couch und isst Süßigkeiten. Auch die über 90-jährige Urgroßmutter gesellt sich dazu und erzählt, dass man ja mittlerweile immer mehr Nudeln esse und weniger Reis. Alles Wegweiser bei der Vermessung der Fremde.

KONTEXT

So profitieren Mittelständler von der Globalisierung

Wachstumstreiber

Die Weltexporte sind weitaus stärker gestiegen als die nationalen Bruttoinlandsprodukte. Die Globalisierung war und bleibt auch in Zukunft ein Wachstumstreiber.

(Quelle: Hermann Simon, "Hidden Champions - Aufbruch nach Globalia")

Hermann Simon, "Hidden Champions - Aufbruch nach Globalia"

Kaufkraft

Die Musik wird weiterhin in Amerika und Europa spielen. Das gilt nicht nur für die Höhe der Bruttoinlandsprodukte, sondern auch für deren absolute Zuwächse. Hinzu kommt China als dritter Pol mit dem größten Zuwachs an Kaufkraft. Viele weitere Regionen werden an Bedeutung gewinnen, aber dennoch im Jahr 2025 deutlich hinter diesen drei Polen der Weltwirtschaft zurückbleiben.

Marktposition

Deutsche Mittelständler, die im globalen Wettbewerb mithalten wollen, müssen die erste Priorität darauf legen, ihre Marktpositionen in Europa und den USA zu halten beziehungsweise in vielen Fällen die Position in den USA zu stärken.

Marktstellung

An zweiter Stelle steht der Aufbau starker Marktstellungen in China und Indien.

Perspektive

ASEAN, Osteuropa/Russland, Lateinamerika und längerfristig Afrika bieten ebenfalls attraktive Wachstumsperspektiven. Die treibende Kraft in Afrika ist dabei die Bevölkerungsexplosion. Die Nutzung all dieser Chancen beinhaltet für Mittelständler eine Herkulesaufgabe.

Rückschläge

Trotz der grundsätzlich optimistischen Einschätzung lassen sich Rückschläge in der Globalisierung - insbesondere im Zuge von Krisen - nicht ausschließen. Protektionismus, Globalisierungsgegner oder die Bevorzugung nationaler Champions können den freien Handel behindern.

Die richtige Balance

Die Welt ist zwar "flacher" als vor 20 Jahren, aber "flach" ist sie bis heute nicht. Regionale, nationale und lokale Unterschiede werden weiter bestehen. Es geht deshalb auch in Zukunft darum, die richtige Balance zwischen Standardisierung und Differenzierung zu finden. Mittelständler dürften hier im Vorteil sein, da sie im Hinblick auf die resultierenden Anpassungsnotwendigkeiten flexibler sind als Großunternehmen.

KONTEXT

Die Risiken beim Export-Geschäft

Politische Risiken

Als politische Risiken werden alle außerordentlichen staatlichen Maßnahmen oder politischen Ereignisse im Ausland angesehen, zum Beispiel Kriege, Revolutionen, Annexion von Gebieten, Bürgerunruhen, Embargos, Verstaatlichungen usw. Solche Situationen können insbesondere dazu führen, dass dem Abnehmer die Bezahlung nicht möglich ist und dass die Ware beschlagnahmt wird, verloren geht oder beschädigt wird.

(Quelle KMU-Portal)

Quelle KMU-Portal

Transferrisiken

Die Transferrisiken betreffen devisenrechtliche Maßnahmen einer Regierung oder Zentralbank, die dem Abnehmer den Kauf von Devisen verunmöglichen, sodass er die Ware nicht bezahlen kann (z. B. Ent- oder Umschuldungsmaßnahmen).

Delkredererisiko

Das Delkredererisiko (auch kommerzielles Risiko) bezieht sich auf die Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Abnehmers oder seines Garanten. Für das Exportunternehmen kann das zu einem Liquiditätsproblem führen, infolgedessen es keine neuen Aufträge annehmen kann, weil ihm die notwendigen Produktionsmittel fehlen.

Risiken der höheren Gewalt

Unter höherer Gewalt versteht man unvorhergesehene Ereignisse (Naturkatastrophen, Kriege usw.), die die Versendung der Ware unmöglich oder unzumutbar machen.

Wechselkursrisiko

Das Wechselkursrisiko bezieht sich auf die Kursschwankungen des Schweizer Franken im Verhältnis zur Währung, in der die Exporte fakturiert werden. Je höher der Kurs des Franken, desto kleiner die Margen für Exporte in Fremdwährungen, und umgekehrt.

Weitere Risiken

Es gibt noch viele andere Risiken, die im Zuge eines Exports eintreten können, beispielsweise Feuer- oder Transportrisiken usw.

KONTEXT

Diese deutschen Firmen gehören jetzt Chinesen

Auf Einkaufstour

Chinesische Unternehmen kaufen sich seit einigen Jahren in Firmen in Deutschland ein. Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung von Midea, den Anteil am Roboterhersteller Kuka deutlich aufzustocken. Weitere Übernahmen aus der jüngeren Vergangenheit:

Putzmeister

Der Betonpumpen-Weltmarktführer Sany Heavy Industry übernimmt im Januar 2012 das schwäbische Unternehmen für gut 320 Millionen Euro.

Kiekert

Der Pekinger Automobilzulieferer Lingyun übernimmt 2012 den Weltmarktführer für Pkw-Schließsysteme aus Heiligenhaus (NRW).

Schwing

Die Xuzhou Construction Machinery Group (XCMG) wird im April 2012 Mehrheitseigener des westfälischen Betonpumpenherstellers. Der Verkaufspreis des Herner Unternehmens soll bei rund 300 Millionen Euro liegen.

Kion

2012 steigt der chinesische Nutzfahrzeugproduzent Weichai Power beim Gabelstaplerhersteller Kion ein. Die Chinesen kaufen zunächst für 467 Millionen Euro 25 Prozent an Kion und steigern 2015 ihren Anteil auf 38,25 Prozent. Außerdem erhält der Investor für 271 Millionen Euro eine Mehrheitsbeteiligung von 70 Prozent an der Hydrauliksparte Kions.

Solibro

Das insolvente Solarunternehmen Q-Cells vereinbart im Juni 2012 den Verkauf seiner Tochterfirma mit Sitz in Bitterfeld-Wolfen an die Pekinger Hanergy Holding Group.

Sunways

Der Konstanzer Photovoltaik-Konzern ging 2012 zum Schnäppchenpreis an den chinesischen Solarriesen LDK Solar. Doch 2013 und 2014 reichte Sunways jeweils einen Insolvenzantrag ein. Teile des Unternehmens wurden in der Folge an den chinesischen Solarkonzerns Shunfeng verkauft.

Tailored Blanks

Der Industriegüterkonzern Thyssen-Krupp schließt 2013 den Verkauf seiner Tochter an den chinesischen Stahlkonzern Wuhan Iron and Steel (Wisco) ab. Zum Preis machen beide Seiten keine Angaben.

Koki Technik Transmission Systems

Das chinesische Unternehmen Avic Electromechanical Systems (Avicem) - eine Tochter der staatlichen Unternehmensgruppe Aviation Industry Corporation of China (Avic) - übernimmt 2014 den sächsischen Autozulieferer. Ein Kaufpreis wird nicht genannt.

Hilite

Avic übernimmt 2014 für 473 Millionen Euro den deutschen Autozulieferer.

Krauss-Maffei

Im Januar 2016 verkauft Onex den Münchener Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei an ein Konsortium um die staatliche National Chemical Corporation (Chemchina). Der größte Chemiekonzern des Landes zahlt 925 Millionen Euro für den traditionsreichen Hersteller von Spritzgießmaschinen für die Kunststoff- und Gummi-Verarbeitung.

EEW

Die chinesische Holding Beijing Enterprises kauft im Februar 2016 den Abfallkonzern EEW Energy from Waste aus Helmstedt für 1,438 Milliarden Euro. Verkäufer ist der schwedische Investor EQT. EEW hat nach eigenen Angaben 1050 Mitarbeiter. Die 18 Anlagen der Gruppe können jährlich rund 4,7 Millionen Tonnen Abfall zu Energie machen und umweltschonend beseitigen. Die Fabriken erzeugen Prozessdampf für Industriebetriebe, Fernwärme für Wohngebiete und Strom für umgerechnet rund 700.000 Haushalte.